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Abgabe eidesstattliche Versicherung bei Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses

KG Berlin – Az.: 1 U 32/13 – Urteil vom 12.06.2014

Auf die Berufung des Klägers wird das am 8. August 2013 verkündete Schlussurteil des Landgerichts Berlin aufgehoben.

Der Beklagte wird im Wege des Teilurteils verurteilt, an Eides Statt zu versichern, dass der Aktiv- und Passivbestand des Nachlasses der am 19. April 2002 verstorbenen Frau C… Z… geb. G… einschließlich Schenkungen in ihren letzten zehn Lebensjahren und ausgleichspflichtige Zuwendungen in dem durch die Notarin P… -T… aus B… zu ihrer UR-Nr. 8… /2… vom 21. März 2012 aufgenommenen notariellen Nachlassverzeichnis, soweit dieses Verzeichnis nach seinem Inhalt auf den Angaben des Beklagten beruht, so vollständig als möglich und nach bestem Wissen angegeben ist.

Im Übrigen wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Die Kostenentscheidung für den Rechtsstreit erster Instanz bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10.000 EUR abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien und ihr Bruder Dr. J… Z… sind die Söhne der am 19. April 2002 verstorbenen C… Z… . Die Erblasserin hat am 8. September 2001 ein Testament verfasst, in dem sie den Beklagten als Alleinerben einsetzte. Auf der Grundlage dieses Testaments macht der Kläger im vorliegenden Verfahren Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend. Im Weg der Stufenklage begehrt er Auskunft durch Erteilung eines notariellen Bestandsverzeichnisses, Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und Zahlung in Höhe von 1/6 des sich aus der Auskunft ergebenden Betrages. In der ersten Stufe der Stufenklage hat das Landgericht Berlin den Beklagten durch Teilurteil vom 8. November 2007 verurteilt, dem Kläger durch ein von einem Notar aufgenommenes Verzeichnis über den Bestand des Nachlasses der am 19. April 2002 verstorbenen Frau C… Z… geb. G… einschließlich Schenkungen in ihren letzten 10 Lebensjahren und ausgleichspflichtige Zuwendungen zu erteilen. Das Urteil ist insoweit rechtskräftig.

In einem von dem Bruder Dr. J… Z… angestrengten Nachlassverfahren – 16-/——/2002 AG Schöneberg -, in dem dieser auf Grundlage eines Testaments vom 7. Januar 1995 die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses beantragt hat, wurden Gutachten über die Testierfähigkeit der Erblasserin eingeholt. Durch Beschluss vom 5. November 2012 – 50 T 47/12 – hat das Landgericht Berlin das Nachlassgericht angewiesen, dem Antragsteller Dr. J… Z… ein Testamentsvollstreckerzeugnis auszustellen, weil nach Überzeugung der Kammer die Erblasserin am 8. September 2001 testierunfähig gewesen sei. Das Kammergericht hat die gegen diesen Beschluss gerichtete weitere Beschwerde mit Beschluss vom 5. Mai 2013 – 6 W 187/12 – zurückgewiesen.

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits haben vor dem Landgericht Berlin im Termin am 23. August 2007 zu Protokoll erklärt, sie seien sich einig, dass der Beklagte Alleinerbe sei.

Der Beklagte ließ durch die Notarin D… P… -T… zu deren UR-Nr. 8… /2… unter dem 21. März 2012 ein notarielles Nachlassverzeichnis aufnehmen.

Der Kläger hat unter näherer Darstellung zu den einzelnen Positionen behauptet, das notarielle Nachlassverzeichnis vom 21. März 2012 sei nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt worden, und deshalb in der zweiten Stufe der Stufenklage die Verurteilung des Beklagten zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung beantragt.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 12. Juli 2012 geltend gemacht, angesichts der Entscheidungen des Landgerichts Berlin vom 5. November 2012 – 50 T 47/12 – und des Kammergerichts vom 6. Mai 2013 – 6 W 187/12 – sei nunmehr in dem hiesigen Verfahren davon auszugehen, dass er nicht mehr Alleinerbe sei, sondern der Kläger aufgrund des handschriftlichen Testaments vom 7. Januar 2001 Miterbe geworden sei.

Das Landgericht hat mit dem am 8. August 2013 verkündeten Schlussurteil die Klage insgesamt – auch hinsichtlich des noch unbezifferten Zahlungsantrags – abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe weder einen Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung aus §§ 2314 Abs. 1, 260 Abs. 2 BGB noch einen Pflichtteilsanspruch aus § 2303 Abs. 1 BGB oder einen Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 Abs. 1 BGB, weil er nicht Pflichtteilsberechtigter sondern Miterbe sei. Die Erblasserin sei zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 8. September 2001 testierunfähig im Sinne von § 2229 Abs. 4 BGB gewesen. Es lägen keine auf Tatsachen beruhenden Anhaltspunkte vor, die die abweichende Auffassung des Klägers stützen könnten, vielmehr spreche alles dafür, dass die in dem Nachlassverfahren eingeholten Sachverständigengutachten über die Testierunfähigkeit der Erblasserin am 8. September 2001 zutreffen.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser geltend macht, das Landgericht habe gegen die Dispositionsmaxime verstoßen, weil es an die übereinstimmende Erklärung der Parteien zur Alleinerbenstellung des Beklagten gebunden gewesen sei. Der Beklagte habe auch das davon abweichende Gutachten weder vorgelegt noch sich darauf berufen.

Der Kläger beantragt, unter Änderung des am 8. August 2013 verkündeten Schlussurteils des Landgerichts Berlin den Beklagten im Wege des Teilurteils zu verurteilen, an Eides statt zu versichern, dass der Aktiv- und Passivbestand des Nachlasses der am 19. April 2002 verstorbenen Frau C… Z… geb. G… einschließlich Schenkungen in ihren letzten zehn Lebensjahren und ausgleichspflichtige Zuwendungen in dem durch die Notarin P… -T… zu ihrer UR-Nr. 8… /2… vom 21. März 2012 aufgenommenen notariellen Nachlassverzeichnis so vollständig als möglich und nach bestem Wissen angegeben ist, im Übrigen den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, der Kläger sei nicht Pflichtteilsberechtigter, weil das Kammergericht in dem Beschluss vom 6. Mai 2013 rechtskräftig festgestellt habe, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 8. September 2001 testierunfähig war. Er teile zwar nicht die Meinung des Kammergerichts, habe sich aber in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2013 auf die Entscheidung berufen müssen.

Der Beklagte ist außerdem der Ansicht, der Kläger habe nicht ausreichend dargetan, dass das notarielle Nachlassverzeichnis unvollständig oder unrichtig sei und dass er eine etwaige Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit habe vermeiden können. Schließlich gebe es bei einem notariellen Nachlassverzeichnis keine Grundlage für die Abgabe einer eidessstattlichen Versicherung, weil es sich nicht um eine Erklärung des Erben, sondern um eine hoheitliche Tätigkeit des Notars handele. Jedenfalls sei ein Anspruch auf eidesstattliche Versicherung gemäß §§ 260 Abs. 3, 259 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.

Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO) und begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 260 Abs. 2 BGB. In der Leistungsstufe ist der Rechtsstreit noch nicht zu einer abschließenden Entscheidung reif; insoweit ist er an das Landgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

1.

Der Beklagte ist gemäß § 260 Abs. 2 BGB verpflichtet, an Eides statt zu versichern, dass er gegenüber der Notarin zur Erstellung des Nachlassverzeichnisses vom 21. März 2012 (UR-Nr. 8… /2… der Notarin D… P… -T… in B… ) den Bestand des Nachlasses und die Schenkungen, über die er gemäß Teilurteil des Landgerichts Berlin vom 8. November 2007 zur Auskunft verpflichtet war, nach bestem Wissen so vollständig angegeben hat, als er dazu imstande ist.

a) Entgegen dem angefochtenen Urteil scheidet ein Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht bereits wegen Fehlens eines Pflichtteilsrechts des Klägers aus.

(1) Vielmehr ist das Vorliegen eines Pflichtteilsrechts und des aus diesem folgenden Auskunftsanspruchs nach § 2314 BGB im vorliegenden Rechtsstreit nicht erneut zu prüfen. Nicht das Pflichtteilsrecht sondern allein der Auskunftsanspruch ist (ungeschriebene) tatbestandliche Voraussetzung des § 260 Abs. 2 BGB. Über letzteren ist jedoch durch das Teilurteil des Landgerichts vom 8. November 2007 bereits rechtskräftig entschieden. Ein etwaiges Fehlen des Pflichtteilsrechts könnte dem Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in diesem Stadium allenfalls dann noch entgegenstehen, wenn sich das Verlangen einer eidesstattlichen Versicherung als rechtsmissbräuchlich darstellte, weil bereits erkennbar ist, dass der Kläger kein schützenswertes Interesse an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft hat. Dies wäre jedoch selbst dann nicht der Fall, wenn der Kläger als Miterbe anzusehen wäre und deshalb kein Pflichtteilsrecht geltend machen könnte. Denn die Kenntnis vom Umfang des Nachlasses und etwaiger anrechnungspflichtiger Schenkungen wäre für den Kläger auch als Miterben für Zwecke der Erbauseinandersetzung vorteilhaft. Unabhängig davon, ob der Kläger einen Auskunftsanspruch des Miterben und dessen eidesstattliche Versicherung zumindest hilfsweise ebenfalls geltend gemacht hat, könnte das Begehren, eine erhöhte Richtigkeitsgewähr für das bereits aus anderem Rechtsgrund erlangte Nachlassverzeichnis zu erhalten, deshalb nicht als rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden.

(2) Im Übrigen besteht im vorliegenden Rechtsstreit auch kein Anlass, Testierunfähigkeit der Erblasserin am 8. September 2001 oder Unwirksamkeit des Testaments vom 8. September 2001 aus sonstigen Gründen anzunehmen und deshalb den Kläger als Miterben anzusehen.

Da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ist ein Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen (BayObLG, NJW-RR 2002, 1088). Ein solcher Beweis ist im vorliegenden Verfahren weder erhoben worden noch aufgrund des Nachlassverfahrens – 16-/— VI ——–/02 AG Schöneberg – entbehrlich. Das Verfahren, in dem Dr. J… Z… ein Testamentsvollstreckerzeugnis beantragt hat, entfaltet hinsichtlich der dort geprüften Frage der Testierfähigkeit für das vorliegende Verfahren weder materielle Rechtskraft noch sonstige Bindungswirkung. Abgesehen davon, dass Entscheidungen in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ohnehin nur eingeschränkt in materielle Rechtskraft erwachsen (vgl. nur Engelhardt in Keidel, FamFG, 18. Aufl., § 45 Rdn. 24 ff), ist die Testierfähigkeit der Erblasserin in dem genannten Nachlassverfahren nicht Streitgegenstand sondern nur Vorfrage gewesen. Der Entscheidung von Vorfragen kommt keine Bindungswirkung für Folgeverfahren zu (BGHZ 42, 340, 350; 83, 391, 394).

Über die Testierfähigkeit ist auch im vorliegenden Verfahren nicht Beweis zu erheben. Es fehlt schon an entscheidungserheblichem Tatsachenvortrag des Beklagten, weil dieser selbst nicht behauptet, die Erblasserin sei am 8. September 2001 testierunfähig gewesen. Mit der Berufungserwiderung hat er nochmals klargestellt, dass er nicht die “Meinung” des Kammergerichts teile, wonach die Erblasserin testierunfähig war.

Doch selbst wenn der Beklagte die Testierunfähigkeit der Erblasserin zumindest schlüssig behauptet hätte, wäre er mit solchem Vortrag ausgeschlossen. Die Erklärung der Parteien im Termin am 23. August 2007, sie seien sich einig, dass der Beklagte Alleinerbe ist, ist ein gerichtliches Geständnis gemäß § 288 ZPO. Der Rechtsbegriff der Erbenstellung ist als sogenannte juristische Tatsache geständnisfähig (BGH, LM Nr. 1 zu § 260 BGB). Mit der Erklärung zu Protokoll des Gerichts wollten die Parteien diese Frage offensichtlich weiterem Streit entziehen. Ein gerichtliches Geständnis steht auch weiterem Tatsachenvortrag entgegen, der zu einer anderen Beurteilung der zugestandenen Tatsache führen würde.

b) Entgegen der Ansicht des Beklagten kann eine Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 260 Abs. 2 BGB auch bei Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses nach § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB bestehen (Lange in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl., § 2314 Rdn. 32; J. Mayer in Bamberger/ Roth, BGB, 3. Aufl., § 2314 Rdn. 15; Weidlich, ErbR 2013, 134, 140; Zimmer, ZEV 08, 365, 369 und NotBZ 2005, 208, 211; wohl auch DNotI-Report 2003, 137, 139 und Nieder, ZErb 2004, 60, 65). Anders als bei einem privat erstellten Nachlassverzeichnis ist allerdings nicht das Verzeichnis als Gesamtheit Gegenstand der Versicherung, sondern die Angaben, die der Notar als solche des auskunftspflichtigen Erben gekennzeichnet in das Verzeichnis aufgenommen hat.

Wie der Beklagte im Ansatz zutreffend geltend macht, hat die Verantwortung für den Inhalt eines notariellen Nachlassverzeichnisses der aufnehmende Notar, was dieser durch die Unterzeichnung des Verzeichnisses zum Ausdruck bringt (BGHZ 33, 373, 377; Haas in Staudinger, BGB, 2006, § 2314 Rdn. 41; Lange a.a.O. Rdn. 32; J. Mayer a.a.O. Rdn. 15; Nieder a.a.O. S. 63; Roth, ZErb 2011, 402, 405; Weidlich, a.a.O. S. 139; Winkler, Beurkundungsgesetz, 17. Aufl., § 36 Rdn. 6). Er ist nach h.M. zu eigenen Ermittlungen verpflichtet (BGHZ 33, 373; OLG Saarbrücken, ZEV 2010, 416, kritisch dazu vor allem Zimmer, ZEV 2008, 365 und NotBZ 2005, 208 sowie Heidenreich, ZErb 2011, 71, 74) und darf sich nicht auf eine Beurkundung der Erklärung des auskunftspflichtigen Erben beschränken (OLG Celle, OLGReport 1997, 160, DNotZ 2003, 62), auch wenn er in der Regel – zulässig – zunächst von den vom Erben zur Verfügung gestellten Informationen ausgehen wird (DNotI-Report 2003, 137, 138). Die Entscheidung, was Inhalt des Bestandsverzeichnisses wird, ist allein dem Notar vorbehalten (OLG Celle, DNotZ 2003, 62; Haas a.a.O. Rdn. 41; Lange a.a.O. Rdn. 30; Roth a.a.O. S. 405). Dem Erben kann deshalb in der Regel nicht angesonnen werden, mit eigener eidesstattlicher Versicherung ein Verzeichnis zu beschwören, dessen Inhalt letztlich nicht in seiner Entscheidungsmacht und Verantwortung lag (a.A. Zimmer a.a.O., der annimmt, spätestens bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung werde die erteilte Auskunft dem Erben als eigene “Erklärung” zugerechnet, sich aber aus diesem Grunde gegen die von der ganz h.M. angenommene eigene Ermittlungspflicht des Notars ausspricht).

Gegenstand einer eidesstattlichen Versicherung des Erben können jedoch dessen Angaben zum Nachlassbestand sein, wenn sie als solche gekennzeichnet vom Notar aufgenommen worden sind (Lange a.a.O. Rdn. 32; J.Mayer a.a.O. Rdn. 15). Eine in dieser Weise konkretisierte (§ 261 BGB) Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist zum einen nach dem Wortlaut der §§ 2314, 260 Abs. 2 BGB nicht ausgeschlossen und zum anderen nach deren Sinn und Zweck erforderlich.

Der Gesetzgeber hat § 2314 BGB so konzipiert, dass dem Pflichtteilsberechtigten der Auskunftsanspruch in verschiedenen Stärkegraden zusteht, wobei das notarielle Nachlassverzeichnis als das stärkere, höhere Richtigkeitsgewähr erbringende Auskunftsmittel angesehen wird (BGHZ 33, 373). Gäbe es bei dem notariellen Nachlassverzeichnis nicht die Möglichkeit, den auskunftspflichtigen Erben zur eidesstattlichen Versicherung seiner Angaben zu zwingen, so wäre es gegenüber dem privat erstellten Verzeichnis allerdings das schwächere Begehren. Das notarielle Nachlassverzeichnis soll zwar eine erhöhte Richtigkeitsgewähr schon deshalb haben, weil der Schuldner vom Notar nachhaltig über seine Wahrheitspflicht belehrt wird (OLG Celle, DNotZ 2003, 62; OLG Düsseldorf, OLG-Report 1995, 299; DNotI-Report 2003, 137, 139; Weidlich a.a.O., S. 139). Eine solche nachhaltige Belehrung ist aber ersichtlich noch verlässlicher zur Wahrheitsfindung geeignet, wenn sie wie bei der eidestattlichen Versicherung mit einer Strafandrohung verbunden ist.

Die Schwächung, die das notarielle Nachlassverzeichnis bei fehlender Möglichkeit zur Forderung der eidesstattlichen Versicherung erfahren würde, wird in der Regel nicht durch den Vorteil der notariellen Ermittlungspflicht aufgewogen. Denn dem Notar, der nicht am Rechts- und Amtshilfeverkehr der Gerichte und Verwaltungsbehörden teilhat (J. Mayer a.a.O. Rdn. 15; Nieder a.a.O. S. 63) stehen bis auf Anfragen bei Grundbuchämtern und Banken insbesondere hinsichtlich des fiktiven Nachlasses kaum Möglichkeiten zur Verfügung, Informationen zu erhalten, die der auskunftspflichtige Erbe ihm nicht freiwillig gibt (Heidenreich a.a.O. S. 75; Weidlich a.a.O. S. 140).

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es dem Pflichtteilsberechtigten freistehe, anstatt des notariellen Nachlassverzeichnis ein privates nebst eidesstattlicher Versicherung zu fordern. Vor Erstellung des Verzeichnisses kann der Pflichtteilsberechtigte nicht wissen, ob ihm das Verzeichnis Anlass zu Zweifeln geben wird. Zudem dürfte der Erbe berechtigt sein, die Auskunft auch dann durch notarielles Verzeichnis zu erteilen, wenn dies vom Pflichtteilsberechtigten nicht ausdrücklich gefordert wurde. Nach Vorliegen des notariellen Verzeichnisses ist dem Erben allerdings die Forderung eines privaten Verzeichnisses in der Regel als rechtsmissbräuchlich verwehrt (BGHZ 33, 373).

c) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 260 Abs. 2 BGB sind erfüllt, denn der Kläger macht berechtigte Gründe für die Annahme geltend, dass die Angaben des Beklagten gegenüber der Notarin zur Erfüllung seiner titulierten Auskunftsverpflichtung nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt sind und in der Folge auch das Nachlassverzeichnis aus von dem Beklagten verursachten Gründen unvollständig sein könnte.

Ein Grund für die Annahme im Sinne des § 260 Abs. 2 BGB, dass die Auskunftsverpflichtung nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erfüllt wurde, kann im vorprozessualen Verhalten des Auskunftspflichtigen liegen, z.B. wenn dieser die Auskunftserteilung mit allen juristischen Mitteln zu verhindern oder zu verzögern sucht, unbestimmte und zweifelhafte Angaben im Verzeichnis macht oder wiederholte Korrekturen vornimmt (Nachweise bei Haas a.a.O. Rdn., 46; J. Mayer a.a.O. Rdn. 16).

Die Angaben des Beklagten gegenüber der Notarin zum Umfang der ihm von der Erblasserin gewährten Darlehen stehen im Widerspruch zu der eigenen Aufstellung der Erblasserin vom 15. Juni 1997. Die Erläuterung des Beklagten hierzu, dass es sich zum Teil um geplante aber nicht zur Auszahlung gelangte Darlehen handele, reicht nicht aus, um hinsichtlich dieser Frage berechtigte Zweifel des Klägers an der Richtigkeit auszuräumen. Es ist nicht ohne weiteres nachzuvollziehen, dass die Erblasserin noch am 15. Juni 1997 sämtliche Beträge als Schulden des Beklagten bei ihr verzeichnet haben sollte, wenn diese Darlehen tatsächlich zum Teil (seit Jahren) nicht ausgezahlt worden wären.

Die Angaben zu dem unstreitig ausgezahlten Kurzzeit-Darlehen vom 25. Mai 2001 über 10.000 DM sind ebenfalls wenig nachvollziehbar, so dass der Kläger sie mit Berechtigung anzweifelt. Der Beklagte erklärt die Nichterwähnung dieses Darlehens nachträglich damit, dass dieses zurückgezahlt sei. Die Zahlungen, die er zum Beleg für diese Behauptung aufführt, sind jedoch zum Teil erst nach dem Erbfall geleistet, so dass die Aufstellung des Vermögens jedenfalls nicht wie erforderlich (Weidlich in Palandt, BGB, 73. Aufl., § 2314 Rdn. 6) den Stand zum Todeszeitpunkt wiedergibt. Außerdem lassen die behaupteten Zahlungen nach Höhe, Empfänger und Tilgungsbestimmung keinen Bezug zu dem Darlehen erkennen. Sie sprechen vielmehr dafür, dass es zwischen den Vermögensangelegenheiten des Beklagten und der Erblasserin keine strikte Trennung gegeben hat.

Soweit der Beklagte nach dem Vortrag des Klägers im Wertermittlungsbogen des Nachlassgerichts Angaben über Geldvermögen gemacht hat, das im Nachlassverzeichnis nunmehr nicht aufzufinden ist, hat er dies auch auf den Vorhalt des Klägers hin nicht erläutert.

Hinsichtlich der auf ihn übertragenen Sparbriefe hat der Beklagte zunächst mit Schriftsatz vom 16. April 2013 erklärt, das Verzeichnis (zu seinen Gunsten) berichtigen zu müssen, dies aber im Schriftsatz vom 13. Juni 2013 wieder fallengelassen. Auch dies begründet Zweifel daran, dass der Beklagte bei der Erteilung der Auskunft die notwendige Sorgfalt hat walten lassen. Anders ist nicht erklärlich, dass er selbst die Fehlerhaftigkeit des Verzeichnisses behauptet, ohne jedenfalls den vermeintlichen Fehler zuvor gründlich zu prüfen.

Das Nachlassverzeichnis begründet deshalb in mehreren Positionen den Verdacht, dass der Beklagte seine Angaben gegenüber der Notarin nicht mit der erforderlichen Sorgfalt getätigt hat. Da diese Positionen nach der Darstellung der Notarin auf den Angaben des Beklagten beruhen, ist er zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zur Vollständigkeit seiner Angaben insgesamt verpflichtet. Die Verpflichtung ist nicht gemäß §§ 259 Abs. 3, 260 Abs. BGB ausgeschlossen, weil weder die Angelegenheit insgesamt noch die von dem Kläger beanstandeten Mängel unbedeutend sind.

d) Die Formel für die eidesstattliche Versicherung kann bereits das Prozessgericht an die Erfordernisse des Einzelfalles anpassen (Grüneberg in Palandt, BGB, 73. Aufl., § 261 Rdn. 2).

Die Notarin hat zu den einzelnen Positionen des Nachlassverzeichnisses jeweils angegeben, ob die Feststellungen auf eigenen Angaben des Beklagten beruhen. Dem Beklagten ist es deshalb möglich, an Eides statt zu versichern, dass seine dort wiedergegebenen Angaben so vollständig als möglich und nach bestem Wissen getätigt sind. Sollte der Beklagten geltend machen wollen, dass er gegenüber der Notarin weitere Gegenstände des realen oder des fiktiven Nachlasses angegeben habe, die diese nicht in das Verzeichnis übernommen habe, ohne dies zu kennzeichnen, so kann er solche Klarstellungen ebenso wie etwa sonst erforderliche Korrekturen – wie sie sich aus dem Schriftsatz vom 16. April 2013 ergeben – im Rahmen der eidesstattlichen Versicherung anbringen (vgl. für die auf einen Erben übergegangene Verpflichtung zur eidesstattlichen Versicherung BGHZ 104, 369).

2.

In der Leistungsstufe ist der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif, weil der Leistungsantrag noch nicht beziffert ist, und auch nicht bereits festgestellt werden kann, dass ein Zahlungsanspruch mangels Pflichtteilsrechts nicht besteht (s.o. 1. a (2)). Der Rechtsstreit ist deshalb hinsichtlich der Leistungsstufe auf den Antrag des Klägers entsprechend § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO (BGH, NJW 2009, 431) zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

3.

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren folgt aus § 91 ZPO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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