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Änderungsvorbehalt in gemeinschaftlichem Testament bgzl. gemeinsamer Kinder

OLG Frankfurt – Az.: 21 W 165/19 – Beschluss vom 18.05.2020

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts Fritzlar vom 2. Oktober 2019 abgeändert. Die zur Erteilung des von der Beteiligten zu 1) beantragten Alleinerbscheins erforderlichen Tatsachen werden festgestellt. Das Amtsgericht wird angewiesen, den beantragten Erbschein zu erteilen.

Die Beteiligte zu 1) trägt die Gerichtskosten erster Instanz. Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf bis zu 95.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die am XX.XX.2019 verstorbene und zuletzt in Stadt1 wohnhafte Erblasserin war verheiratet. Aus der Ehe mit ihrem am XX.XX.2002 vorverstorbenen Ehemann gingen zwei Töchter hervor, die Beteiligten zu 1) und 2).

Am 18. Oktober 1994 errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches, notarielles Testament. Hierin setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Als Schlusserben beriefen sie die Beteiligten zu 1) und 2) zu gleichen Teilen. Ferner heißt es in § 4 des Testaments wörtlich:

„Sämtliche in diesem Testament niedergelegten Verfügungen sind wechselbezüglich. Sie können daher nur gemeinschaftlich geändert oder durch Widerruf beseitigt werden. Nach dem Tode eines Teils von uns, soll der überlebende Teil aber berechtigt sein, seine Verfügungen abzuändern, jedoch nur in Bezug auf die Verteilung des Vermögens unter unseren gemeinschaftlichen Kindern und deren Abkömmlingen“.

Ergänzend wird hinsichtlich des Inhalts der letztwilligen Verfügung auf Bl. 17 ff. d. Testamentsakte Bezug genommen.

Im Jahr 1997 übersiedelte die Erblasserin in das Haus Straße1 in Stadt1-Ort1.

Später errichtete sie ein privatschriftliches Testament. Hierin bestimmte die Erblasserin, dass das Land an die Beteiligte zu 1) gehen solle. Die Beteiligte zu 2) solle nichts erhalten, wobei ergänzend auf Bl. 40 d. Testamentsakte Bezug genommen wird.

Nach dem Tod der Erblasserin hat die Beteiligte zu 1) einen Alleinerbschein zu ihren Gunsten beantragt und sich dabei auf die handschriftliche letztwillige Verfügung der Erblasserin berufen. Dieses Testament sei in den Jahren zwischen 2014 und 2016 errichtet worden, was sich daraus ergebe, dass die Erblasserin ihr in diesem Zeitraum unter Beisein ihres Ehemannes erklärt habe, dass sie von ihrem Recht, das Testament hinsichtlich der Verteilung abzuändern, aufgrund eines Abbruchs der Beziehung zu der Beteiligten zu 2) „jetzt“ Gebrauch gemacht habe.

Dem Erbscheinsantrag ist die Beteiligte zu 2) entgegengetreten. Sie ist der Auffassung, die Erblasserin sei an einer Enterbung ihrer Person aufgrund der Wechselbezüglichkeit der letztwilligen Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament gehindert gewesen. Der Abänderungsvorbehalt umfasse nämlich nicht die Enterbung eines Kindes. Zudem sei ungeklärt, wann das handschriftliche Testament errichtet worden sei.

Das Nachlassgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Es könne bereits nicht geklärt werden, wann das privatschriftliche Testament errichtet worden sei, was zulasten der Antragstellerin gehe. Entsprechend sei es denkbar, dass die letztwillige Verfügung noch zu Lebzeiten des Ehemanns der Erblasserin errichtet worden sei. Eine solche Abänderung des gemeinschaftlichen Testaments zu Lebzeiten des Ehepartners sei aber keinesfalls von dem Änderungsvorbehalt erfasst, so dass letztlich auch dahingestellt bleiben könne, ob die Enterbung einer Tochter von dem Änderungsvorbehalt gedeckt sei. Einer Errichtung vor dem Jahr 2002 stehe die Angabe der Beteiligten zu 1) nicht entgegen, da sich die ihr gegenüber gemachte Äußerung der Erblasserin auch auf ein anderes, unbekanntes Testament beziehen könne. Dafür spreche auch, dass die Erblasserin gerade keinen (zulässigen) Gebrauch von dem ihr im gemeinschaftlichen Testament eingeräumten Änderungsvorbehalt gemacht habe.

Die Beteiligte zu 1) hat gegen den ihr am 10. Oktober 2019 (Bl. 39 d. A.) zugestellten Beschluss mit einem am 7. November 2019 beim Nachlassgericht eingegangenen (Bl. 40 d. A.) Schriftsatz befristete Beschwerde eingelegt, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat (Bl. 45 d. A.). Zur Begründung ihres zunächst nur fristwahrend eingelegten Rechtsmittels hat die Beteiligte zu 1) ausgeführt, das undatierte, handschriftliche Testament der Erblasserin sei entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts eindeutig nach dem Tod des Ehemanns der Erblasserin verfasst worden. Dies ergebe sich bereits aus ihrem erstinstanzlichen Vortrag. Zudem legt sie eine schriftliche Aussage des Schwagers der Erblasserin vor, in der dieser bestätigt, mit der Erblasserin einige Gespräche nach dem Tod seines Bruders geführt zu haben, worin die Erblasserin ihm gegenüber geäußert habe, die Beteiligte zu 1) als Alleinerbin eingesetzt zu haben, da die Beziehung zu der Beteiligten zu 2) sich nicht mehr bessern werde (Bl. 64 d. A.). Zu dieser nach dem Tod ihres Ehemanns vorgenommenen letztwilligen Verfügung sei die Erblasserin befugt gewesen, da § 4 des gemeinschaftlichen Testaments auch eine Enterbung eines Abkömmlings zulasse.

Der Berichterstatter hat eine schriftliche Aussage des das gemeinschaftliche Testament der Eheleute beurkundenden Notars A eingeholt. Hinsichtlich des Inhalts der Angaben des Notars wird auf Bl. 94 ff. d. A. verwiesen. Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die ihnen beigefügten Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Nachlassgericht hat zu Unrecht den Alleinerbscheinsantrag der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.

1. Die gemäß § 58 FamFG statthafte Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist zulässig und insbesondere fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses beim Nachlassgericht eingegangen, § 63 FamFG. Zudem ist die Beteiligte zu 1) als Antragstellerin ebenso wie als gesetzliche Erbin und damit Erbprätendentin beschwerdebefugt (vgl. Keidel/Meyer – Holz, FamFG, 2020, § 59 Rn 80).

2. In der Sache hat das Rechtsmittel ebenfalls Erfolg. Die Erbfolge ergibt sich aus dem handschriftlichen Testament der Erblasserin. Danach ist die Beteiligte zu 1) Alleinerbin geworden. Zugleich war die Erblasserin auch trotz des vorangegangenen gemeinschaftlichen Testaments nicht gehindert, abweichend allein zugunsten der Beteiligten zu 1) zu testieren und die Beteiligte zu 2) von der Erbfolge auszuschließen.

a) Soweit die Erblasserin in dem handschriftlichen Testament festgehalten hat, dass sie das Land an die Beteiligte zu 1) übergebe und die Beteiligte zu 2) nichts bekomme, handelt es sich um eine Alleinerbeinsetzung der Beteiligten zu 1). Dies ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass der Nachlass dem unwidersprochenen Vortrag der Beteiligten zu 1) zufolge – praktisch ausschließlich aus rund 42.863 qm Ackerland bestand. Erschöpft aber die Einzelzuwendung eines Gegenstandes oder insbesondere – wie vorliegend – einer Immobilie bzw. eines Grundstücks an eine Person den Nachlass, muss regelmäßig davon ausgegangen werden, dass diese Verfügung auch eine Erbeinsetzung enthält, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Erblasser gleichwohl überhaupt keine Erben berufen wollte (vgl. BGH DNotZ 1972, 500; Palandt/Weidlich, BGB; 2020, § 2084 Rn. 3). Anhaltspunkte, von diesem Erfahrungssatz vorliegend abzuweichen, sind nicht ersichtlich und werden von den Beteiligten auch nicht geltend gemacht.

b) Das Testament ist zeitlich nach dem gemeinschaftlichen Testament errichtet worden und geht mithin im Fall seiner Wirksamkeit, wie sich aus § 2253 f. BGB ergibt, der zeitlich vorangegangenen Regelung im gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahr 1994 vor. Dass das handschriftliche Testament zeitlich nach dem gemeinschaftlichen Testament errichtet worden ist, steht nach dem Vorbringen der Beteiligten fest. Dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beteiligten zu 1) zufolge haben die Eheleute erst ab dem Jahr 1997 und damit nach dem Jahr der Testamentserrichtung unter der in der letztwilligen Verfügung genannten Anschrift „Straße1“ gewohnt (vgl. Bl. 66 d. A.).

c) Schließlich ist das handschriftliche Testament auch wirksam. Dem steht insbesondere entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht eine Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments aus dem Jahr 1994 entgegen.

aa) Die letztwillige Verfügung ist als eigenhändiges, handschriftliches Dokument grundsätzlich formwirksam, § 2247 BGB. Insbesondere ist gemäß § 2247 Abs. 2 BGB auch bei fehlender Angabe des Errichtungszeitpunktes der Formwirksamkeit genügt.

bb) Anders als das Nachlassgericht meint, ergibt sich eine Unwirksamkeit ebenso nicht aus der Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen nach § 2271 BGB. Zwar sieht § 4 des gemeinschaftlichen Testaments grundsätzlich die Wechselbezüglichkeit aller dort niedergelegten Verfügungen vor. Die Eheleute räumten sich jedoch nach dem Tod des Erstversterbenden eine Änderungsbefugnis ein, von der die Erblasserin in dem ihr zugestandenen Rahmen Gebrauch gemacht hat.

aaa) Soweit das Nachlassgericht vornehmlich darauf abgestellt hat, die handschriftliche Verfügung könne auch vor dem Tod des Ehemanns im Jahr 2002 erstellt worden sein und mithin in keinem Fall von der Abänderungsbefugnis im gemeinschaftlichen Testament gedeckt gewesen sein, vermag sich der Senat jedenfalls auf der Grundlage der in der Beschwerdeschrift vorgelegten Aussage des Schwagers der Erblasserin dieser Ansicht nicht anzuschließen.

Bereits in erster Instanz hat die Beteiligte zu 1) letztlich unwidersprochen vorgetragen, erst nach dem Tod des Ehemanns habe sich die Beteiligten zu 2) von der Familie zurückgezogen und den Kontakt zu der Erblasserin abgebrochen, was eine Errichtung des geänderten Testaments nach diesem Zeitpunkt sehr nahelegt.

Zudem hat die Beteiligte zu 1), allerdings von der Beteiligten zu 2) insoweit bestritten, behauptet, die Erblasserin habe ihr zwischen den Jahren 2014 bis 2016 unter Beisein ihres Ehemannes erklärt, dass sie von ihrem Recht, das Testament hinsichtlich der Verteilung abzuändern, aufgrund eines Abbruchs der Beziehung zu der Beteiligten zu 2) „jetzt“ Gebrauch gemacht hat.

Änderungsvorbehalt in gemeinschaftlichem Testament bgzl. gemeinsamer Kinder
(Symbolfoto: Von fizkes/Shutterstock.com)

Soweit das Nachlassgerichts der Relevanz dieser Behauptung mit dem Argument entgegengetreten ist, es stehe nicht fest, ob die Erblasserin das gemeinschaftliche Testament oder vielleicht ein anderes, bislang unbekanntes Testament gemeint haben könnte, ist diese Überlegung nicht stichhaltig. Aus dem Vorbringen der Beteiligten ergibt sich nicht der geringste Anhalt für die Existenz eines weiteren Testaments. Auch dann ist eine solche Existenz zwar theoretisch nicht ausgeschlossen, wird aber zu Recht regelmäßig verneint. Andernfalls wäre die Erteilung eines Erbscheins aufgrund testamentarischer Erbfolge kaum möglich, da fast nie mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein widerrufendes Testament existiert.

Hinzu kommt, dass die allgemeine Lebenserfahrung für eine einseitige Änderung des gemeinschaftlichen Testaments nach dem Tod des Erstversterbenden und nicht bereits zu dessen Lebzeiten spricht.

Verbleibende Restzweifel an einem Errichtungszeitpunkt nach dem Tod des Ehemanns des Erblassers hat die Beteiligte zu 1) aber jedenfalls mit der Vorlage der schriftlichen Erklärung des Schwagers der Erblasserin ausgeräumt (Bl. 64 d. A.). Hierin hat der Bruder des vorverstorbenen Ehemannes erklärt, die Erblasserin habe ihm gegenüber mehrmals gesagt, dass sie aufgrund der Verschlechterung der Beziehung zur Beteiligten zu 2) das ursprüngliche Testament geändert habe und zwar in der Form, dass die Beteiligte zu 1) Alleinerbin werden solle. Diese Gespräche hätten alle nach dem Tod seines Bruders stattgefunden, wobei die Beteiligte zu 2) dieser Erklärung nicht mehr weiter entgegengetreten ist. Jedenfalls hieraus folgt eindeutig eine Errichtung der handschriftlichen letztwilligen Verfügung nach dem Tod des Ehemanns der Erblasserin.

bbb) Zu der Enterbung der Beteiligten zu 2) und Berufung der Beteiligten zu 1) als ihre Alleinerbin war die Erblasserin nach dem Tod ihres Ehemannes entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2) befugt. Dies ergibt sich aus der gebotenen Auslegung der Abänderungsklausel in § 4 des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute.

(1) Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte (vgl. BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten Begriffe (vgl. BGH FamRZ 1987, 475, 476; Palandt/Weidlich, BGB, 2020, § 2084 Rn. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (vgl. BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 2020, § 2084 Rn 2 m.w.N.), jedoch müssen sich mit Blick auf die Formerfordernisse des § 2247 BGB für einen entsprechenden Willen des Erblassers in der letztwilligen Verfügung – wenn auch nur andeutungsweise – Anhaltspunkte finden lassen (vgl. BGHZ 80, 242, 244; BGHZ 86, 41; Palandt/Weidlich, BGB, 2020, § 2084 Rn. 4).

(2) Den vorstehenden Grundsätzen folgend ergibt sich eine Abänderungsbefugnis des Längstlebenden, die auch die Enterbung einer der beiden Töchter zugunsten der anderen Tochter erfasste.

Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Klausel. Dort heißt es nämlich, dass die Verfügung „in Bezug auf die Verteilung des Vermögens unter unseren gemeinschaftlichen Kindern und deren Abkömmlingen“ abgeändert werden kann. Eine Verteilung des Vermögens unter den Kindern ist es strenggenommen aber auch, wenn ein Abkömmling das gesamte Erbe erhält. Hierfür spricht ebenfalls, dass die vollständige Enterbung eines Kindes von den Eheleuten als Möglichkeit durchaus in Erwägung gezogen worden ist, wie die in § 5 niedergelegte Pflichtteilsklausel zeigt. Ferner ergeben sich bei einem engen Verständnis kaum lösbare Abgrenzungsschwierigkeiten, da sich nicht beurteilen ließe, bis zu welcher Erbquote einem Ehepartner eine Verschiebung noch möglich sein sollte. Zudem kommt in der eingeschränkten Abänderungsklausel der Gedanke einer Erbeinsetzung innerhalb der geraden Linie zum Ausdruck. Ein Anhalt dafür, dass alle Stämme gleichmäßig oder überhaupt bedacht werden müssen, findet sich hingegen nicht.

Schließlich hat auch der beurkundende Notar diese Sicht im Rahmen seiner Stellungnahme bestätigt (Bl. 85 f. d. A.). Zwar konnte er sich an den Beurkundungsvorgang selbst nicht mehr erinnern. Er hat aber gleichzeitig in seiner Stellungnahme angegeben, die Klausel regelmäßig verwendet und damit stets verbunden zu haben, der überlebende Ehepartner solle hinsichtlich einer Aufteilung des Erbes unter den eigenen Kindern und deren Abkömmlingen völlig frei sei. Dies erfasst auch eine Enterbung einzelner Abkömmlinge. Zuzugeben ist der Beteiligten zu 2) zwar, dass der Notar diese Überzeugung nicht sonderlich stringent zum Ausdruck gebracht hat. An der Grundaussage besteht jedoch kein Zweifel. Zugleich ist es naheliegend, dass der Notar die Bedeutung und insbesondere sein Verständnis der von ihm verwandten Formulierung im Rahmen der Beurkundung mit den Eheleuten besprochen hat.

Dieses Auslegungsergebnis entspricht im Übrigen der vermutlich herrschenden Meinung zu ähnlichen Klauseln, die zwar zunächst eine wechselseitige Bindung der Eheleute an die Verfügungen vorsehen, dann aber einschränkend dem überlebenden Ehegatten eine Abänderungsbefugnis einräumen, soweit es die Aufteilung des Nachlasses des Längstlebenden auf die gemeinsamen Abkömmlinge betrifft (vgl. Kössinger in: Kössinger/Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, 2020, § 11 Rn. 85).

Soweit sich das Oberlandesgericht Düsseldorf (DNotZ 2007, 774) in Bezug auf eine ähnlich formulierte Klausel dagegen ausgesprochen hat, dass die dem überlebenden Ehegatten eingeräumte Änderungsbefugnis auch die spätere Abänderung einer Erbquote für einen der Abkömmlinge auf Null umfasst, kommt es – unabhängig davon, ob der Entscheidung überhaupt zu folgen ist (kritisch Schmucker DNotZ 2007, 777) – hierauf nicht an. Der Entscheidung lag eine anders formulierte Klausel zugrunde. Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht Düsseldorf die Sache an das Landgericht zurückverwiesen zum Zweck der Anhörung des beurkundenden Notars. Dies ist vorliegend bereits mit dem dargelegten Ergebnis erfolgt, weswegen auch aus diesem Grund eine maßgebliche Relevanz der Entscheidung für das Ergebnis des hiesigen Verfahrens oder gar eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht in Betracht kommt.

(3) Soweit die Beteiligte zu 2) in Anlehnung an die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts gegen die Erteilung des Erbscheins weiterhin einwendet, die Erblasserin habe das gemeinschaftliche Testament umfassend widerrufen und jedenfalls hierzu sei sie unzweifelhaft nicht befugt gewesen, vermag auch dieser Ansatz nicht zu überzeugen. Zwar spricht die Erblasserin am Ende ihrer handschriftlichen Verfügung ausdrücklich an, das gemeinschaftliche Testament sei ungültig. Sie ändert es faktisch jedoch nur teilweise ab und zwar – wie dargelegt – in einem ihr vom zuvor mittestierenden Ehegatten zugestandenen Umfang. Dann aber ist jedenfalls vor dem Hintergrund des § 2084 BGB, der eine Auslegung nahelegt, die zu einer Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung führt, davon auszugehen, dass nicht ein umfassender und damit unwirksamer Widerruf beabsichtigt war, sondern die Passage nur als eine nochmalige Bekräftigung der von der Erblasserin vorgenommenen, zulässigen Abänderung des gemeinschaftlichen Testaments zu verstehen ist.

c) Da dem Amtsgericht und nicht dem Oberlandesgericht obliegt, den beantragten Erbschein zu erteilen, ist das Nachlassgericht zu verpflichten, dem Antrag nachzukommen.

3. Die Kostenentscheidungen für die erste und zweite Instanz folgen aus § 81 FamFG. Die Pflicht zur Tragung der Gerichtskosten in der ersten Instanz folgt der Wertung des Gesetzgebers, wonach der Antragsteller die Kosten des Verfahrens regelmäßig zu tragen hat, § 22 Abs. 1 GNotKG. Aufgrund des Erfolgs der Beschwerde entspricht die Erhebung von Gerichtskosten für die zweite Instanz nicht der Billigkeit. Zugleich entspricht ein Ausgleich der außergerichtlichen Kosten ebenfalls nicht der Billigkeit. Die Erteilung des Alleinerbscheins ist entscheidend von der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments der Erblasserin und ihres Ehemanns abhängig. Hierzu können naturgemäß unterschiedliche Auffassungen vertretbar sein.

Die Wertfestsetzung ergibt sich aus §§ 61, 40 Abs. 1 Nr. 3 GNotKG. Sie richtet sich gemäß § 61 Abs. 1 GNotKG nach dem Wert der Interessen, denen das Rechtsmittel ausweislich des Antrags des Beschwerdeführers dient. Ziel des Antrags der Beteiligten zu 1) ist die Verhinderung der Erteilung des von ihr beantragten Erbscheins. Damit ist für den Geschäftswert auch des Beschwerdeverfahrens die spezielle Regelung in § 40 Abs. 1 GNotKG heranzuziehen, wonach der Geschäftswert sich nach dem Nachlasswert richtet. Den Wert des Nachlasses bemisst der Senat auf der Grundlage der unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beteiligten zu 1) auf etwa 85.000 € (Bl. 89 d. A.). Daraus ergibt sich der im Tenor festgesetzte Beschwerdewert.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Die Entscheidung ist folglich rechtskräftig.

 

 

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