Ein Erbe wollte die gesamte Erbfolge mit einer sofortigen Anfechtung der Erbausschlagung korrigieren, weil er sich über den nachrückenden Enkel geirrt hatte. Das Gericht musste klären: Galt dies als unbeachtlicher Motivirrtum – oder hatte der Erbe zusätzlich die Frist zur Rücknahme verpasst?
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Anfechtung der Erbausschlagung: Wann ist ein Irrtum über den Nacherben nur ein unbeachtlicher Motivirrtum?
- Was war der Plan – und was ging schief?
- Welche rechtlichen Prinzipien stehen hier im Konflikt?
- Warum war der Irrtum der Ehefrau für das Gericht unbeachtlich?
- Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Kann ich eine Erbausschlagung anfechten, wenn der Plan zur Weitergabe gescheitert ist?
- Welche Irrtümer berechtigen mich zur Anfechtung der Erbausschlagung und welche nicht?
- Wann genau beginnt die 6-Wochen-Frist, um meine Erbausschlagung anzufechten?
- Was passiert, wenn durch meine Ausschlagung unerwartet mein Enkel statt meines Kindes erbt?
- Wie gestalte ich eine Erbausschlagung rechtssicher, um das Erbe gezielt zu lenken?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 21 W 167/20 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt am Main
- Datum: 06.02.2021
- Aktenzeichen: 21 W 167/20
- Verfahren: Beschwerdeverfahren (Nachlasssache)
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Zivilrecht (Anfechtung von Willenserklärungen)
- Das Problem: Eine Erbin lehnte das Erbe ab, um die Vermögenswerte gezielt an eine andere Tochter zu lenken. Durch die Ablehnung eines weiteren Erben trat unerwartet dessen Sohn als Erbe ein. Die ursprüngliche Erbin versuchte, ihre Ablehnung nachträglich wegen Irrtums anzufechten.
- Die Rechtsfrage: Kann die Ablehnung eines Erbes rückgängig gemacht werden, wenn sich der Ablehnende nur über die indirekte Folge einer späteren Ablehnung durch einen Dritten geirrt hat?
- Die Antwort: Nein. Der Irrtum bezog sich nur auf eine mittelbare Folge der gesamten Erbfolge, nicht auf die direkte Konsequenz der eigenen Ablehnungserklärung. Dies ist juristisch ein unbeachtlicher Motivirrtum und berechtigt nicht zur Anfechtung.
- Die Bedeutung: Wer ein Erbe ablehnt, kann dies nur schwer rückgängig machen. Ein Irrtum über indirekte, nachfolgende Erbfolgeregelungen ist meist unerheblich. Die gesetzliche Anfechtungsfrist beginnt außerdem sofort, sobald die tatsächlichen Umstände bekannt sind.
Anfechtung der Erbausschlagung: Wann ist ein Irrtum über den Nacherben nur ein unbeachtlicher Motivirrtum?
Ein Erbe auszuschlagen ist eine folgenschwere Entscheidung. Oft geschieht dies nicht nur, um einer Überschuldung zu entgehen, sondern auch mit einem klaren Ziel: eine andere Person soll stattdessen erben. Doch was passiert, wenn dieser Plan durch eine unerwartete Wendung in der gesetzlichen Erbfolge scheitert?

Kann man eine solche „Lenkende Ausschlagung“ rückgängig machen, weil man sich über die Konsequenzen geirrt hat? Mit genau dieser Frage musste sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in seinem Beschluss vom 6. Februar 2021 (Az.: 21 W 167/20) befassen. Der Fall entfaltet eine präzise juristische Lektion über den schmalen Grat zwischen einem anfechtbaren Rechtsirrtum und einem persönlichen, unbeachtlichen Motivationsfehler.
Was war der Plan – und was ging schief?
Am Anfang stand ein klassisches Berliner Testament: Ein Ehepaar hatte sich 1989 gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Nach dem Tod des Mannes stand seine Witwe vor einer Entscheidung. Ihr Ziel war es, das Erbe gezielt an ihre Tochter zu leiten. Diese verfügte, anders als ihr Bruder, über stabile finanzielle Verhältnisse. Um dieses Ziel zu erreichen, schmiedete die Familie einen Plan, der auf einer Kette von Ausschlagungen beruhte.
Zuerst schlug die Witwe am 1. März 2019 notariell beurkundet das Erbe aus. Nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge wären nun ihre beiden Kinder, die Tochter und der Sohn, zu gleichen Teilen als Erben nachgerückt. Im zweiten Schritt schlug auch der Sohn, wie mit der Mutter abgesprochen, seine Erbschaft aus. Die Familie ging davon aus, dass sein Erbteil nun ebenfalls der Tochter zufallen würde, die somit zur alleinigen Erbin des Vaters würde. Parallel beantragte die Tochter bereits einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte, und die Mutter übertrug ihr ihren hälftigen Miteigentumsanteil an einer Immobilie.
Doch die Logik des Erbrechts folgte einem anderen Pfad. Mit der Ausschlagung des Sohnes fiel dessen Erbteil nicht automatisch an seine Schwester. Stattdessen rückte sein eigener Sohn, also der Enkel der Witwe, in der Erbfolge nach (§ 1953 Abs. 2 BGB). Das Ergebnis war eine Erbengemeinschaft aus Tante und Neffe zu je einer Hälfte – ein Resultat, das die Witwe nie beabsichtigt hatte.
Nachdem das Nachlassgericht auf diesen Umstand hingewiesen hatte, wurden Teilerbscheine für die Tochter und den Enkel ausgestellt. Erst Monate später, nach einer anwaltlichen Beratung am 23. Juni 2020, focht die Witwe ihre ursprüngliche Ausschlagungserklärung vom 1. März 2019 an. Sie argumentierte, sie habe sich in einem fundamentalen Irrtum befunden. Ihr Ziel sei es gewesen, ausschließlich die Tochter zur Erbin zu machen. Der Notar, so ihr Vorwurf, habe sie weder über das Nachrücken des Enkels aufgeklärt noch über die Möglichkeit, eine Ausschlagung anzufechten. Sie beantragte die Einziehung der bereits erteilten Erbscheine, um selbst als Alleinerbin nach dem Testament ihres Mannes anerkannt zu werden.
Welche rechtlichen Prinzipien stehen hier im Konflikt?
Dieser Fall dreht sich um die feine, aber entscheidende Abgrenzung zweier Arten von Irrtümern im deutschen Zivilrecht, geregelt in § 119 BGB. Eine Willenserklärung, wie die Ausschlagung eines Erbes, kann angefochten werden, wenn ein sogenannter Inhaltsirrtum vorliegt. Das bedeutet, der Erklärende war sich über die rechtliche Bedeutung seiner Worte nicht im Klaren. Er wollte objektiv etwas anderes sagen, als er subjektiv meinte.
Davon strikt zu trennen ist der Motivirrtum. Hier weiß der Erklärende genau, was seine Erklärung rechtlich bewirkt, aber er irrt sich in seiner Motivation oder über die mittelbaren Folgen, die er damit auszulösen hofft. Ein solcher Irrtum im Beweggrund berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung.
Für die Anfechtung einer Erbausschlagung gelten zudem besondere, strenge Fristen. Laut § 1954 BGB muss die Anfechtung innerhalb von sechs Wochen erfolgen. Diese Frist beginnt in dem Moment, in dem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt.
Warum war der Irrtum der Ehefrau für das Gericht unbeachtlich?
Das Oberlandesgericht Frankfurt wies die Beschwerde der Witwe zurück und bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Die Anfechtung ihrer Ausschlagung war unwirksam, die Erbscheine für Tochter und Enkel blieben gültig. Die Richter zerlegten die Argumentation der Witwe in zwei Schritten und kamen zu einem klaren Ergebnis.
Der entscheidende Unterschied: Direkte versus mittelbare Rechtsfolge
Das Herzstück der Entscheidung ist die präzise Analyse des Irrtums der Witwe. Das Gericht stellte fest, dass die unmittelbare Rechtsfolge ihrer eigenen Ausschlagungserklärung genau die war, die sie beabsichtigt hatte: Ihr gesetzliches Erbrecht entfiel, und stattdessen wurden ihre beiden Kinder, der Sohn und die Tochter, zu Erben berufen (§ 1953 Abs. 1 und 2 BGB). In ihrer notariellen Erklärung hatte sie diese beiden Personen sogar explizit als die nachfolgenden Erben benannt. Über diese direkte Konsequenz ihrer Handlung befand sie sich also in keinem Irrtum.
Ihr Fehler, so das Gericht, bezog sich auf einen nachgelagerten Schritt: die Konsequenzen der zweiten Ausschlagung, nämlich der ihres Sohnes. Sie ging fälschlicherweise davon aus, dass dessen Erbteil an die Tochter fallen würde. Dass stattdessen ihr Enkel nachrückte, war jedoch keine direkte Folge ihrer Erklärung, sondern eine mittelbare Folge der Erklärung einer anderen Person. Ein solcher Irrtum über weiter entfernte, indirekte Effekte einer Handlungskette ist rechtlich als unbeachtlicher Motivirrtum zu qualifizieren. Es war ihr persönlicher, fehlgeleiteter Beweggrund für ihre eigene Ausschlagung, aber kein Irrtum über deren rechtlichen Inhalt.
Die „lenkende Ausschlagung“: Ein anerkannter, aber hier nicht passender Sonderfall
Die Witwe argumentierte, ihr sei es gezielt um den Erbanfall bei einer bestimmten Person – der Tochter – gegangen. Die Rechtsprechung erkennt an, dass ein Irrtum darüber, wem das Erbe direkt durch die eigene Ausschlagung zufällt, in bestimmten Fällen als relevanter Inhaltsirrtum gelten kann. Wenn jemand also ausschlägt in dem Glauben, Person A erbt nun, es in Wahrheit aber Person B ist, kann eine Anfechtung möglich sein.
Doch genau dieser Fall lag hier nicht vor. Die Witwe wusste, dass durch ihre Ausschlagung zunächst ihre beiden Kinder erben würden. Ihr Plan, die Tochter zur Alleinerbin zu machen, basierte auf der Hoffnung, dass eine weitere, unabhängige Handlung (die Ausschlagung des Sohnes) zu einem bestimmten Ergebnis führen würde. Dieser Plan ging fehl. Der Irrtum betraf also nicht die Person des Nächstberufenen, sondern die Erbfolge in der zweiten Reihe.
Die verpasste Frist: Warum Unwissenheit über die Anfechtbarkeit nicht schützt
Obwohl das Gericht die Anfechtung bereits am fehlenden Anfechtungsgrund scheitern ließ, nahm es auch zur Frage der Frist Stellung und erteilte der Argumentation der Witwe eine klare Absage. Nach ihrem eigenen Vortrag wusste sie bereits Ende März oder Anfang April 2019, dass ihr Enkel in die Erbfolge eingetreten war. In diesem Moment hatte sie Kenntnis von den Tatsachen, die ihren angeblichen Irrtum begründeten.
Ab diesem Zeitpunkt lief die sechswöchige Anfechtungsfrist des § 1954 BGB. Ihr Einwand, sie habe erst durch anwaltliche Beratung im Juni 2020 von der Möglichkeit einer Anfechtung erfahren, war für das Gericht irrelevant. Nach gefestigter Rechtsprechung hindert ein Rechtsirrtum über die Existenz eines Anfechtungsrechts den Beginn der Frist nicht. Maßgeblich ist allein die Kenntnis der Tatsachen. Die Anfechtung im Juni 2020 war somit um mehr als ein Jahr verspätet.
Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
Dieser Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt verdeutlicht mit analytischer Schärfe zwei zentrale Prinzipien des Erbrechts, die für jeden, der eine gezielte Vermögensnachfolge plant, von Bedeutung sind.
Die erste Lehre ist die des erbrechtlichen Domino-Effekts. Eine Erbausschlagung ist kein isolierter Akt, sondern stößt eine Kette von Rechtsfolgen an. Wer sein Erbe ausschlägt, um es einer bestimmten Person zukommen zu lassen, muss die gesamte Kette der gesetzlichen Erbfolge präzise verstehen. Das Urteil zeigt, dass der Schutz des Gesetzes dort endet, wo der Irrtum nicht mehr die direkte Folge der eigenen Handlung betrifft, sondern die erhoffte Konsequenz aus den Handlungen Dritter. Ein Plan, der auf mehreren aufeinanderfolgenden Ausschlagungen beruht, ist daher hochriskant, wenn nicht alle denkbaren Verzweigungen der Erbfolge bedacht werden. Der Irrtum über einen weiter hinten fallenden Dominostein ist das persönliche Risiko des Planenden.
Die zweite Lehre betrifft die unerbittliche Natur der erbrechtlichen Fristen. Das Gericht macht deutlich, dass die Uhr zu ticken beginnt, sobald man die Fakten kennt, die einen zur Anfechtung berechtigen könnten – nicht erst, wenn man die rechtlichen Möglichkeiten dazu verstanden hat. Wer also nach einem Erbfall feststellt, dass das Ergebnis nicht den eigenen Vorstellungen entspricht, muss unverzüglich handeln. Die Hoffnung, dass Unkenntnis der Rechtslage als Entschuldigung für ein verspätetes Handeln dient, ist ein Trugschluss. Dieser Fall ist eine eindringliche Mahnung, dass im Erbrecht Zögern und Abwarten schnell dazu führen können, dass selbst berechtigte Interessen nicht mehr durchsetzbar sind.
Die Urteilslogik
Wer eine Erbausschlagung vornimmt, um die Vermögensnachfolge gezielt zu lenken, muss die gesamte Kette der gesetzlichen Erbfolge präzise überblicken, andernfalls trägt er das Risiko eines unbeachtlichen Fehlers.
- Risiko der mittelbaren Rechtsfolgen: Wer die Erbfolge durch eine Kette von Ausschlagungen steuern will, trägt das Risiko des Scheiterns, denn ein Irrtum über die Konsequenzen der Handlung Dritter oder über die Erbfolge in der zweiten Reihe gilt lediglich als unbeachtlicher Motivirrtum.
- Fristbeginn bei Tatsachenkenntnis: Die sechswöchige Anfechtungsfrist beginnt, sobald die relevanten Tatsachen bekannt sind, die den Irrtum begründen; die Unkenntnis des Rechts, das eine Anfechtung ermöglicht, schützt den Erklärenden nicht vor dem Fristablauf.
Im Erbrecht schützt der Grundsatz der Rechtssicherheit die Stabilität der einmal getroffenen Erklärung und stellt die objektive Rechtsfolge über die subjektive Motivation des Handelnden.
Benötigen Sie Hilfe?
Stehen Sie vor der Anfechtung einer Erbausschlagung wegen eines Irrtums über die Rechtsfolgen? Lassen Sie uns Ihren individuellen Fall prüfen und erhalten Sie eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihrer Situation.
Experten Kommentar
Eine Erbausschlagung ist keine Wunschliste, sondern ein juristischer Dominostein, der präzise fallen muss. Das Oberlandesgericht Frankfurt stellt hier konsequent klar: Wer mittels einer Kette von Ausschlagungen das Erbe gezielt „lenken“ will, muss die gesamte Erbfolge beherrschen. Denn wenn man sich nur über die mittelbare Folge der Erklärung eines Dritten irrt – hier das Nachrücken des Enkels – bleibt dies ein unbeachtliches, persönliches Motiv. Das Gesetz zieht die rote Linie beim Irrtum über die direkte Rechtsfolge der eigenen Handlung; der strategische Fehlgriff in der zweiten Reihe geht auf das eigene Risiko. Hinzu kommt: Die Uhr tickt ab Kenntnis der Fakten, nicht erst ab der juristischen Aufklärung über die Anfechtungsmöglichkeit – Zögern ist im Erbrecht verboten.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Kann ich eine Erbausschlagung anfechten, wenn der Plan zur Weitergabe gescheitert ist?
Die Regel ist: Sie können die Erbausschlagung in dieser Situation nicht erfolgreich anfechten. Das Scheitern eines komplexen Weitergabeplans, der auf Absprachen innerhalb der Familie basiert, wird in der Regel als unbeachtlicher Motivirrtum eingestuft. Dieser Irrtum bezieht sich auf die Beweggründe Ihrer Handlung und nicht auf deren unmittelbare Rechtsfolge. Juristisch irrelevant ist die Enttäuschung darüber, dass das Erbe nun einer unerwünschten Person zufällt.
Der juristische Unterschied liegt in der Reichweite Ihres Irrtums. Die Anfechtung ist nur zulässig, wenn sich Ihr Irrtum auf die direkte Konsequenz Ihrer eigenen Ausschlagungserklärung bezieht – den sogenannten Inhaltsirrtum. Wussten Sie, dass durch Ihre Unterschrift die Kinder Person A und B direkt zu Erben werden, dann lagen Sie über die unmittelbare Folge nicht im Irrtum. Der Fehler im Gesamtplan trat erst durch die nachgelagerte Ausschlagung einer dritten Person, beispielsweise Ihres Kindes, auf.
Ein Irrtum über die Erbfolge in der „zweiten Reihe“ nach der Ausschlagungskette gilt deshalb als unbeachtlich. Nehmen wir an, Sie schlagen aus, weil Sie hofften, Ihr Sohn würde ebenfalls ausschlagen, sodass die Tochter Alleinerbin wird. Wenn stattdessen der Enkel nachrückt, betrifft dieser Fehler die mittelbaren Folgen der Handlungen Dritter. Ein Oberlandesgericht stufte das Irren über solch indirekte Effekte als persönliches, fehlgeleitetes Risiko des Planenden ein.
Sammeln Sie alle Kommunikationsprotokolle oder Notizen vom Notartermin, um zu prüfen, ob Ihr Irrtum dem Notar gegenüber ausdrücklich als Bedingung für Ihre eigene Ausschlagung benannt wurde.
Welche Irrtümer berechtigen mich zur Anfechtung der Erbausschlagung und welche nicht?
Anfechtbar ist die Erbausschlagung nur bei einem sogenannten Inhaltsirrtum nach § 119 BGB. Hier irrten Sie sich über die unmittelbare rechtliche Bedeutung Ihrer Erklärung – beispielsweise, wem das Erbe direkt zufällt. Ein Irrtum über Ihre Beweggründe oder die weiter entfernten Konsequenzen Ihrer Handlung, der sogenannte Motivirrtum, macht die Erbausschlagung jedoch grundsätzlich nicht rückgängig.
Das Gesetz zieht eine klare Abgrenzung: Nur Fehler, die den Inhalt der Willenserklärung selbst betreffen, berechtigen zur Anfechtung. Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn Sie ausschlagen, weil Sie meinen, Person A erbt nun, es in Wahrheit aber unmittelbar Person B ist. War Ihnen die direkte Rechtsfolge Ihrer Erbausschlagung hingegen korrekt bekannt, ist der Fehler unbeachtlich. Das Gericht prüft, ob Sie sich über die Rechtsfolge Ihrer Worte nicht im Klaren waren.
Ihr persönlicher Irrtum über die Motivation, die Sie dazu trieb, zählt dagegen als Motivirrtum. Nehmen wir an, Sie schlagen aus, weil Sie hofften, der Enkel würde durch diese Kette von Ereignissen nicht erben. Geht dieser komplexe Plan schief, wird dies als Irrtum über mittelbare Folgen gewertet. Dieser Fehler betrifft die Erbfolge in der „zweiten Reihe“ nach der Ausschlagungskette und stellt somit das persönliche, fehlgeleitete Risiko des Planenden dar.
Dokumentieren Sie sofort, welche konkrete Person Sie mit Ihrer eigenen Ausschlagung unmittelbar begünstigen wollten, um einen Inhaltsirrtum belegen zu können.
Wann genau beginnt die 6-Wochen-Frist, um meine Erbausschlagung anzufechten?
Die sechswöchige Frist zur Anfechtung der Erbausschlagung (§ 1954 BGB) beginnt nicht erst mit der anwaltlichen Aufklärung über die juristische Möglichkeit der Anfechtung. Entscheidend ist allein der Zeitpunkt, zu dem Sie konkrete Kenntnis von den Tatsachen erlangen, die Ihren Irrtum begründen. Die Frist läuft, sobald Sie den Fehler in der eingetretenen Erbfolge erkennen, die von Ihren ursprünglichen Plänen abweicht.
Das Gesetz schützt die Rechtssicherheit und behandelt den Irrtum über die Existenz oder die Dauer des Anfechtungsrechts selbst als unbeachtlich. Wenn das Nachlassgericht Sie beispielsweise darauf hinweist, dass unerwartet Ihr Enkel anstelle des Kindes nachrückt, beginnt die Frist sofort. Es ist unerheblich, ob Sie in diesem Moment die juristische Tragweite oder die Dauer der Anfechtungsfrist kennen. Das Kriterium ist ausschließlich die Kenntnis der Tatsachen.
Wenn Sie die Erbausschlagung anfechten möchten, müssen Sie daher unverzüglich reagieren. War Ihnen bereits bekannt, dass das Erbe anders als geplant angefallen ist, führt eine verspätete Anfechtung – auch wenn diese nur wenige Monate beträgt – unweigerlich zur Unwirksamkeit. Selbst wenn inhaltlich ein anfechtbarer Inhaltsirrtum vorgelegen hätte, ist das Anfechtungsrecht nach Ablauf der sechs Wochen erloschen.
Ermitteln Sie unverzüglich den exakten Tag, an dem Sie über das unerwartete Nachrücken des Erben informiert wurden, um Ihre absolute Deadline von sechs Wochen festzulegen.
Was passiert, wenn durch meine Ausschlagung unerwartet mein Enkel statt meines Kindes erbt?
Wenn ein Erbe ausschlägt, fällt sein Anteil nicht automatisch an seine Geschwister, sondern bleibt im Erb-Stamm. Das Bürgerliche Gesetzbuch sieht vor, dass die ausschlagende Person als juristisch nicht existent betrachtet wird (§ 1953 Abs. 2 BGB). An ihre Stelle tritt der nächste gesetzliche Erbe, was in der Regel Ihr Enkel als Vertreter dieses Stammes ist. Dieses Nachrücken des Enkels führt oft zur Bildung einer ungewollten Erbengemeinschaft, statt das Vermögen wie geplant dem anderen Kind zuzuleiten.
Die gesetzliche Erbfolge funktioniert strikt nach dem Prinzip der Stämme. Wenn Ihr Kind seinen Erbteil ablehnt, rückt der Erbfall vertikal in die nächste Generation vor. Das Gesetz stellt so sicher, dass dieser Zweig der Familie nicht komplett leer ausgeht, sondern die Erben der nächsten Ordnung zum Zug kommen. Bei zwei Kindern bedeutet dies, dass die Ausschlagung eines Kindes den Weg für dessen Kinder (Ihre Enkel) freimacht, die nun Miterben werden. Der Irrtum darüber, dass das Erbe stattdessen zum Geschwisterkind geht, wird vor Gericht als unbeachtlicher Motivirrtum eingestuft.
Konkret: Der Fall des OLG Frankfurt zeigte, dass die Mutter ihre Ausschlagung nicht anfechten konnte, obwohl sie die Alleinerbschaft ihrer Tochter erreichen wollte. Das Gericht stellte fest, dass die Mutter sich nur über die mittelbare Konsequenz der Handlung des Sohnes (seine eigene Ausschlagung) irrte, nicht aber über die unmittelbare Rechtsfolge ihrer eigenen Erbausschlagung. Sie wusste, dass ihre Kinder zunächst nachrücken würden.
Erstellen Sie vor einer geplanten Ausschlagung zwingend einen vollständigen Stammbaum, um alle potenziellen Enkel-Erben zu erfassen und die exakte Zusammensetzung der Erbengemeinschaft im Voraus zu kennen.
Wie gestalte ich eine Erbausschlagung rechtssicher, um das Erbe gezielt zu lenken?
Die gezielte Lenkung eines Erbes durch eine Kette aufeinanderfolgender Ausschlagungen ist hochriskant und fehleranfällig. Solche Pläne beruhen oft auf unbeachtlichen Motivirrtümern und scheitern häufig an der Komplexität der gesetzlichen Erbfolge. Möchten Sie die Erbfolge sicher steuern, ist die Ausschlagung nur bei einer tatsächlichen Überschuldung ratsam. Eine lenkende Ausschlagung ist keine sichere Methode der Vermögensweitergabe.
Der größte Fehler ist die Annahme, man könne die Erbfolge durch rein mündliche Absprachen im Familienkreis kontrollieren. Ein Plan, der auf der Hoffnung basiert, dass Dritte ebenfalls ausschlagen, wird rechtlich als Ihr persönliches, unbeachtliches Risiko gewertet. Vermeiden Sie diese Hochrisikopläne, die das Scheitern in der „zweiten Reihe“ nicht berücksichtigen. Ist das Erbe werthaltig, ist die Annahme des Vermögens die deutlich sicherere Methode, um die Kontrolle über die Weitergabe zu behalten.
Die sicherere Alternative zur riskanten Ausschlagungskette ist die Annahme des Erbes und die anschließende testamentarisch geregelte Weitergabe. Hierbei wird die Gesetzliche Erbfolge umgangen. Konkret: Der Erbe nimmt das Vermögen an und leitet es sofort über Vermächtnisse oder Schenkungen an die gewünschte Zielperson weiter. Vor jeder Ausschlagung lassen Sie sich zwingend umfassend juristisch beraten, um alle Verzweigungen der gesetzlichen Erbfolge, insbesondere die Stämme der Enkel, exakt zu analysieren.
Erstellen Sie bei Ihrem Notar oder Fachanwalt ein detailliertes Was-wäre-wenn-Szenario, das genau berechnet, welche Person bei jeder denkbaren Ausschlagungskombination tatsächlich erben würde, bevor Sie die erste Erklärung unterzeichnen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Erb-Stamm
Juristen nennen den Erb-Stamm die vertikale Linie der Blutsverwandtschaft, beginnend beim Erblasser und sich fortsetzend über seine Kinder zu den Enkeln. Dieses Prinzip des deutschen Erbrechts sichert, dass bei Wegfall eines Erben (etwa durch Ausschlagung) das Vermögen innerhalb dieses Stammes an dessen Abkömmlinge weiterfällt und nicht automatisch den Geschwistern zufällt.
Beispiel: Im vorliegenden Fall trat der Enkel der Witwe an die Stelle seines ausschlagenden Vaters in den Erb-Stamm ein und wurde dadurch Miterbe des Großvaters.
Gesetzliche Erbfolge
Die gesetzliche Erbfolge regelt die Vermögensverteilung eines Verstorbenen, wenn dieser kein gültiges Testament oder keinen Erbvertrag hinterlassen hat. Dieses System tritt automatisch in Kraft und ordnet die Verwandten in Ordnungen ein, wobei stets die nähere Ordnung (Kinder, Enkel) die entferntere von der Erbfolge ausschließt, um eine klare Nachlassabwicklung zu gewährleisten.
Beispiel: Nachdem die Witwe das Erbe ihres Mannes ausgeschlagen hatte, trat gemäß der gesetzlichen Erbfolge die erste Ordnung, bestehend aus ihren beiden Kindern, als neue Erben nach.
Inhaltsirrtum
Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende zwar weiß, was er sagt, aber die rechtliche Bedeutung seiner Erklärung grundlegend verkennt (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB). Das Gesetz erlaubt die Anfechtung von Willenserklärungen nur bei einem Inhaltsirrtum, da der gewollte Wille und die objektive Rechtsfolge unvereinbar auseinanderfallen.
Beispiel: Ein Inhaltsirrtum wäre nur dann gegeben gewesen, wenn die Witwe ihre Ausschlagungserklärung in dem Glauben unterzeichnet hätte, dass dadurch sofort nur ihre Tochter und nicht beide Kinder unmittelbar Erben werden.
Lenkende Ausschlagung
Die lenkende Ausschlagung beschreibt die bewusste Strategie innerhalb einer Familie, eine Erbschaft nur deshalb auszuschlagen, um das Vermögen einer bestimmten Zielperson in der nachfolgenden Erbfolge zuzuleiten. Obwohl Juristen dieses Instrument anerkennen, wird das Scheitern dieses komplexen Plans oft nicht zur Anfechtung zugelassen, weil es sich dabei um ein unbeachtliches persönliches Risiko handelt.
Beispiel: Die Witwe verfolgte eine lenkende Ausschlagung, da ihr Hauptziel war, das gesamte Vermögen über eine Kette aufeinanderfolgender Ausschlagungen allein ihrer finanziell stabilen Tochter zukommen zu lassen.
Motivirrtum
Im Gegensatz zum Inhaltsirrtum irrt sich der Erklärende beim Motivirrtum lediglich über seinen persönlichen Beweggrund oder die mittelbaren Folgen seiner Handlung, nicht aber über die eigentliche Rechtsfolge der Erklärung. Juristisch ist der Motivirrtum grundsätzlich unbeachtlich, da das Gesetz Rechtssicherheit schaffen muss und die Anfechtung nicht von den subjektiven Hoffnungen des Erklärenden abhängig machen kann.
Beispiel: Das Oberlandesgericht stufte den Fehler der Witwe, die Konsequenzen der nachgelagerten Ausschlagung ihres Sohnes falsch eingeschätzt zu haben, als Motivirrtum ein, der keine Korrektur der eigenen Erbausschlagung erlaubte.
Sechswöchige Frist (§ 1954 BGB)
Die sechs Wochen stellen die zwingende gesetzliche Frist dar, innerhalb derer eine Erbausschlagung angefochten werden muss, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Irrtum Kenntnis erlangt hat. Diese kurze Frist gewährleistet eine schnelle Klärung der Erbverhältnisse, denn das Erbrecht benötigt wegen der sofortigen Vermögensübertragung höchste Rechtssicherheit.
Beispiel: Obwohl die Witwe ihren Irrtum über das Nachrücken des Enkels bereits im Frühjahr 2019 erkannte, verpasste sie die sechswöchige Frist, da sie die Anfechtung erst im Juni 2020 erklärte.
Das vorliegende Urteil
OLG Frankfurt – Az.: 21 W 167/20 – Beschluss vom 06.02.2021
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Dr. jur. Christian Gerd Kotz ist Notar in Kreuztal und seit 2003 Rechtsanwalt. Als versierter Erbrechtsexperte gestaltet er Testamente, Erbverträge und begleitet Erbstreitigkeiten. Zwei Fachanwaltschaften in Verkehrs‑ und Versicherungsrecht runden sein Profil ab – praxisnah, durchsetzungsstark und bundesweit für Mandanten im Einsatz.
