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Anfechtung Erbausschlagung bei Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 3 W 59/22 – Beschluss vom 08.08.2022

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. und 2. wird der Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 12.04.2022, Az. 6 VI 2/22, aufgehoben.

Die Tatsachen, die zur Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlich sind, werden als festgestellt erachtet. Das Nachlassgericht wird angewiesen, den beantragten Erbschein zu erteilen.

2. Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Erblasserin ist am 25.11.2021 verstorben, ohne ein Testament zu hinterlassen. Der Beteiligte zu 1 ist der Ehemann der Erblasserin, der Beteiligte zu 2 und der Beteiligte zu 3 sind die gemeinsamen Söhne der Erblasserin und des Beteiligten zu 1. Die Beteiligten zu 4 und 5 sind die Eltern der Erblasserin.

Mit notariellen beglaubigten Erklärungen vom 30.12.2021, bei Gericht eingegangen am selben Tag, haben die beiden Söhne das Erbe nach ihrer Mutter ausgeschlagen, da sie kein Interesse an der Erbmasse hätten.

Mit am 16.03.2022 beim Nachlassgericht eingegangener notariell beglaubigter Erklärung vom 16.03.2022 hat der Beteiligte zu 2 seine Ausschlagungserklärung angefochten. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass Ziel seiner Anfechtungserklärung von Anbeginn gewesen sei, dass sein Vater Alleinerbe nach seiner Mutter habe werden sollen. Die Ausschlagung habe allein dieses Ziel verfolgt. Er habe erst durch ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin des Amtsgerichts am 01.03.2022 erfahren, dass sein Vater aufgrund der Ausschlagung nicht Alleinerbe geworden, sondern nur neben seinen Großeltern, den Eltern seiner Mutter Erbe geworden sei. Die Notarin, die sie anlässlich der Nachlassregelung aufgesucht hätten, und der das Ziel, dass der Vater zunächst Alleinerbe nach der Mutter habe werden sollen, bekannt gewesen sei, habe den Weg der Erbausschlagung als Lösung, die seinen Vorstellungen Rechnung tragen würde, vorgeschlagen und mitgeteilt, dass das Vorhandensein der Eltern seiner Mutter oder Geschwistern der Mutter kein Problem darstelle. Eine gleichlautende notarielle Erklärung ist ebenfalls am 16.03.2022 auch vom Beteiligten zu 3 beim Nachlassgericht eingegangen.

Im vorliegenden Verfahren begehren die Beteiligten zu 1 und 2 einen Erbschein, der den Beteiligten zu 1 als Erben zu 1/2 und die Beteiligten zu 2 und 3 jeweils als Erben zu je 1/4 nach der Erblasserin ausweist.

Sie sind der Auffassung, sie hätten die Ausschlagung der Erbschaft wirksam angefochten.

Das Nachlassgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 12.04.2022 zurückgewiesen. Die Anfechtung der Erbausschlagung greife nicht durch. Ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum habe nicht vorgelegen, da die Brüder sich nicht über die Rechtsfolgen ihrer Willenserklärung geirrt hätten. Aus der Ausschlagungserklärung ergebe sich, dass die Brüder kein Interesse an der Erbschaft gehabt hätten.

Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde.

Sie meinen, es liege ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum vor, da die Erklärenden sich über die Rechtsfolgen ihrer Willenserklärung, d. h. der Erbausschlagung geirrt hätten. Der Ausschlagung habe die Vorstellung zugrunde gelegen, dass durch diese ihr Vater, der Antragsteller zu 1 Alleinerbe werde. Dies ergebe sich auch aus dem e-mail-Verkehr mit der Notarin.

II.

Die gemäß den §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Erben der Erblasserin sind ihr Ehemann zu ½ und ihre beiden Söhne zu je 1/4 geworden (§ 1931, § 1371 BGB).

Die Söhne haben ihre Ausschlagungserklärungen wirksam angefochten, so dass sie gemeinsam mit ihrem Vater gesetzliche Erben der Erblasserin geworden sind.

Die Anfechtung der Ausschlagungserklärung erfolgte form- (§§ 1955,1945 Abs. 1 BGB) und fristgerecht (§§ 1954, Abs. 1 und 2 BGB). Hiervon geht auch das Nachlassgericht aus.

Die Anfechtung ist auch wirksam erfolgt und die Ausschlagungserklärung deshalb als von vorneherein nichtig anzusehen (§ 142 BGB).

2.

a)

Worauf die Anfechtung einer Erbausschlagung gestützt werden kann, richtet sich allein nach § 119 BGB. In diesem Rahmen kommt insbesondere ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung in Betracht. Ein solcher Inhaltsirrtum kann auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über die Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt jedenfalls dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigte Wirkung erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, regelmäßig kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, NJW 2006, 3353; KG Berlin, Beschluss vom 11.07.2019, 19 W 50/19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.09.2017, I-3 Wx 173/17, 3 Wx 173/17).

b)

Dies zugrunde gelegt besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass, sofern der Anfechtende angenommen hat, dass durch die Ausschlagung eine Anwachsung des Erbteils bei den übrigen Erben erfolgt, also die gesetzliche Erbfolge nicht neu bewertet wird, ein Irrtum über die unmittelbare Rechtsfolge vorliegt, der zur Anfechtung berechtigt (KG, a.a.O.). Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Ausschlagende sich darauf beruft, er habe bereits nicht erkannt, dass als eine wesentliche – abstrakte – Rechtsfolge seiner Erklärung sein Erbteil demjenigen anfallen würde, der Erbe geworden wäre, wenn er (der Erbe) beim Erbfall nicht gelebt hätte (§ 1953 Abs. 2 BGB), sondern angenommen habe, dass dem ohnehin berufenen Miterben sein Erbteil durch die Ausschlagung zufallen werde. Damit hat der Ausschlagende der Ausschlagung abweichend von § 1953 Abs. 2 die Wirkung einer Anwachsung bei testamentarischer Erbfolge beigemessen, worin ein Irrtum über eine wesentlich abweichende Rechtsfolge gesehen werden kann (OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.05.2017, 20 W 197/16).

c)

Ob darüber hinausgehend in jedem Fall einer sogenannten „lenkenden Ausschlagung“, in dem es dem Ausschlagenden gerade um den Eintritt des Anfalls an einen bestimmten Dritten ankommt, selbst dann, wenn der Anfechtende erkannt hat, dass nach § 1953 Abs. 2 BGB der Nächstberufene kraft gesetzlicher Erbfolge an seine Stelle tritt, er sich aber konkret über dessen Person geirrt hat, etwa, weil er die insoweit geltenden Regelungen betreffend die dann geltende Erbfolge falsch eingeschätzt hat, von einem beachtlichen Inhaltsirrtum ausgegangen werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.09.2017, I-3 Wx 137/17 3 Wx 137/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.03.2019, I-3 Wx 166/17, 3 Wx 166/17; Ivo, Anmerkung zu OLG Frankfurt, 20 W 197/16 in ZEV 2017, 517 ff; in diese Richtung auch Staudinger/Singer (2021) BGB § 119, Rn 73 und MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. 2020, BGB § 1954 Rn. 7) oder hierin nur ein unbeachtlicher Motivirrtum zu sehen ist, da nur ein unbeachtlicher Irrtum über die mittelbare Rechtsfolge vorliege (so die noch herrschende Meinung, vgl. KG, a.a.O. mit zahlreichen Nachweisen; OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.02.2021, 21 W 167/20), ist umstritten, kann vorliegend aber dahinstehen.

d)

Nach den Äußerungen der Söhne der Erblasserin, die zeitgleich die Ausschlagung erklärt haben, in ihrer Ausschlagungserklärung und unter Berücksichtigung der weiteren Umstände, insbesondere dem Schriftverkehr mit der Notarin, die sie beraten hat, gingen die Ausschlagenden davon aus, dass ihr Vater durch ihre Ausschlagung unmittelbar auch ihre Erbteile erhalten und Alleinerbe werde. Nach ihrem Vorbringen sind sie durch die Notarin, die von ihrem Ziel, die Alleinerbenstellung des Vaters zu erreichen, wusste, dahingehend beraten worden, dass dieses Ziel durch die Erbausschlagung durch die Kinder erreicht werden könne und ihren Vorstellungen genau damit Rechnung getragen werde. Da die Notarin ihnen nach ihren glaubhaften Ausführungen zudem mitgeteilt hat, dass es auch nicht darauf ankomme, dass noch Eltern oder Geschwister der Mutter vorhanden gewesen seien, hatten sie auch keine Veranlassung zu glauben, dass außer ihrem Vater noch andere Personen als Erben in Betracht kommen würden. Dass es den Brüdern allein darum ging, dass ihr Vater Alleinerbe werden sollte, ergibt sich auch aus dem e-mail-Verkehr mit der Notarin, insbesondere aus der e-mail des Beteiligten zu 2 an die Notarin 27.12.2021, in der es heißt „Mein Vater soll als Alleinerbe in Betracht kommen“. Demnach hatten sie keine Vorstellung davon, dass als eine wesentliche – abstrakte – Rechtsfolge ihrer Ausschlagungserklärung ihre Erbteile nicht automatisch ihrem Vater anfallen würden, sondern dem – oder denjenigen, die Erben geworden wären, wenn sie beim Erbfall nicht gelebt hätten (§ 1953 Abs. 2 BGB). Sie nahmen vielmehr an, dass ihrem Vater als ohnehin berufener Miterbe durch die Ausschlagung ihre Erbteile unmittelbar zufallen würden. Damit wich ihre Vorstellung von den unmittelbaren rechtlichen Wirkungen ihrer Erklärungen wesentlich von der tatsächlich eingetretenen Wirkung ab. Es handelt sich somit auch nach der herrschenden Auffassung um einen beachtlichen Inhaltsirrtum.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG.

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