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Anforderungen an die Konkretisierung des Entziehungsgrundes im Testament

Trotz des ernsten Vorwurfs der Morddrohungen verfehlte der Erblasser die notwendigen Anforderungen an die Konkretisierung des Entziehungsgrundes im Testament. Selbst ein türkisches Polizeiprotokoll reichte dem Gericht nicht als Beweis, um die Enterbung wirksam zu machen.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 3 O 315/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landgericht Ellwangen
  • Datum: 29.08.2025
  • Aktenzeichen: 3 O 315/24
  • Verfahren: Zivilklage auf Auskunft im Erbfall
  • Rechtsbereiche: Erbrecht, Zivilrecht

  • Das Problem: Ein Alleinerbe verweigerte der enterbten Schwester die Auskunft über den Nachlass. Er berief sich auf eine testamentarische Entziehung des Pflichtteils wegen angeblicher Morddrohungen.
  • Die Rechtsfrage: Genügt die vage Formulierung „Morddrohungen“ in einem Testament als Begründung, um jemandem den gesetzlichen Pflichtteil wirksam und dauerhaft zu entziehen?
  • Die Antwort: Ja, der Erbe muss Auskunft erteilen. Das Gericht entschied, dass die testamentarische Entziehung des Pflichtteils unwirksam ist. Der Erbe konnte die schweren Vorwürfe nicht ausreichend konkretisieren und beweisen.
  • Die Bedeutung: Wer einem Pflichtteilsberechtigten die Erbschaft entziehen will, muss den Grund im Testament sehr präzise und beweisbar angeben. Vage oder allgemein gehaltene Vorwürfe reichen im Streitfall nicht aus, um eine Entziehung rechtlich durchzusetzen.

Warum reicht der Vorwurf von „Morddrohungen“ im Testament nicht für eine wirksame Pflichtteilsentziehung aus?

Ein Testament ist oft das letzte Wort, der finale Ausdruck des eigenen Willens. Doch was geschieht, wenn dieses letzte Wort eine schwere Anschuldigung enthält, die das Band zwischen Mutter und Kind endgültig zerschneiden soll? Genau diese Frage stand im Zentrum einer Entscheidung des Landgerichts Ellwangen vom 29. August 2025 (Az. 3 O 315/24). Der Fall beleuchtet die extrem hohen Hürden, die das Gesetz für die Entziehung des Pflichtteils aufstellt, und zeigt, warum ein pauschaler Vorwurf wie „Morddrohungen“ allein nicht ausreicht, um einen Abkömmling vollständig von seinem Erbe auszuschließen. Es ist eine Geschichte über die Grenzen der testamentarischen Freiheit und die Notwendigkeit juristischer Präzision, selbst bei tiefsten familiären Zerwürfnissen.

Was genau war der familiäre Konflikt?

Nahaufnahme eines offiziellen Testaments auf einem Schreibtisch, dessen Text vage Verfehlungen nennt, bereit zur Unterzeichnung.
Pauschale Morddrohungen reichen im Erbrecht nicht für eine wirksame Pflichtteilsentziehung aus. | Symbolbild: KI

Nach dem Tod ihrer Mutter am 28. August 20xx fand sich eine Frau in einer heiklen Situation wieder. Ihre Mutter hatte in einem notariellen Testament aus dem Jahr 1996 ihren Bruder zum alleinigen Erben bestimmt. Für sie und ein weiteres Geschwisterkind sah das Testament eine drastische Regelung vor: den vollständigen Ausschluss von der Erbfolge und, so wörtlich, die Entziehung des Pflichtteils.

Der Pflichtteil ist im deutschen Erbrecht eine Art Mindestbeteiligung am Nachlass, die nahen Angehörigen wie Kindern selbst dann zusteht, wenn sie im Testament übergangen, also enterbt, wurden. Ihn zu entziehen, ist nur unter strengsten Voraussetzungen möglich. Die Mutter begründete diesen Schritt in ihrem Testament mit schweren Verfehlungen: „Es handelt sich um Morddrohungen gegen mich und meine Familie in den Jahren 1992.“ Sie fügte hinzu, dass sie diese Verfehlungen bewusst nicht genauer beschreiben wolle.

Die enterbte Tochter sah dies anders. Sie bestritt vehement, jemals Morddrohungen gegen ihre Mutter oder die Familie ausgesprochen zu haben, und hielt die Formulierung im Testament für unwirksam. Um ihren Pflichtteilsanspruch beziffern zu können, zog sie vor Gericht. Mit einer sogenannten Stufenklage verlangte sie in einem ersten Schritt von ihrem Bruder als Alleinerben umfassend Auskunft über den Wert des Nachlasses, wie es § 2314 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vorsieht. Dies umfasste ein detailliertes Verzeichnis aller Vermögenswerte und Schulden, aber auch aller Schenkungen, welche die Mutter in den letzten zehn Jahren vor ihrem Tod gemacht hatte.

Der Bruder beantragte die Abweisung der Klage. Er war der Überzeugung, die Pflichtteilsentziehung sei wirksam. Zur Untermauerung legte er ein brisantes Dokument vor: das Protokoll einer polizeilichen Anzeige, das die Mutter am 25. Juli 1992 in der Türkei erstattet hatte. Darin schilderte sie einen heftigen Streit, bei dem ihre Tochter Geld gefordert, sie bedroht und schließlich mit einem Messer attackiert habe. Nur durch Flucht habe sie sich retten können. Für den Bruder war klar: Dieser Vorfall belege die im Testament genannten „Morddrohungen“ und rechtfertige den Ausschluss seiner Schwester vom Erbe.

Welche Gesetze bilden den Rahmen für eine Pflichtteilsentziehung?

Das Gericht stand vor der Aufgabe, die Wirksamkeit der testamentarischen Anordnung zu prüfen. Dreh- und Angelpunkt ist dabei das Zusammenspiel mehrerer zentraler Vorschriften des Erbrechts.

Der Anspruch der Tochter auf Auskunft über den Nachlass ergibt sich aus § 2314 Abs. 1 BGB. Dieses Recht hat jeder Pflichtteilsberechtigte, denn ohne Kenntnis des Nachlasswertes kann er seinen Anspruch nicht berechnen. Der Bruder könnte die Auskunft nur verweigern, wenn seine Schwester gar nicht pflichtteilsberechtigt wäre – also, wenn die Entziehung des Pflichtteils wirksam ist.

Die Entziehung selbst ist eine Letztwillige Verfügung, die im Testament angeordnet werden muss. Das Gesetz stellt hierfür in § 2333 BGB einen abschließenden Katalog an Gründen zur Verfügung. Dazu zählen beispielsweise, wenn der Abkömmling dem Erblasser oder einer ihm nahestehenden Person nach dem Leben trachtet oder sich eines anderen schweren vorsätzlichen Verbrechens schuldig macht.

Entscheidend für den vorliegenden Fall ist jedoch die formale Vorgabe des § 2336 Abs. 2 BGB. Diese Norm verlangt, dass der Grund für die Entziehung im Testament selbst angegeben sein muss. Der Zweck dieser Regelung ist es, sicherzustellen, dass die Entscheidung des Erblassers auf Tatsachen beruht und nicht auf vagen Annahmen. Sie soll den Pflichtteilsberechtigten davor schützen, aus einer Laune heraus enterbt zu werden, und es einem Gericht ermöglichen, den angegebenen Grund auf seine Stichhaltigkeit zu überprüfen. Schließlich legt § 2336 Abs. 3 BGB die Beweislast fest: Der Erbe muss beweisen, dass der im Testament genannte Grund für die Entziehung tatsächlich vorlag.

Warum war die Pflichtteilsentziehung im Testament unwirksam?

Das Landgericht Ellwangen gab der Klage der Tochter auf der ersten Stufe statt und verurteilte den Bruder zur Auskunft. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Pflichtteilsentziehung im Testament der Mutter unwirksam war. Ihre Begründung folgte einer klaren juristischen Logik, die sich auf die Diskrepanz zwischen dem Vorwurf im Testament und den vom Bruder vorgelegten Beweisen stützte.

Der Vorwurf im Testament: Zu ungenau für eine gerichtliche Prüfung

Das Gericht stellte zunächst fest, dass die Angabe eines Entziehungsgrundes im Testament nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) so konkret sein muss, dass der zugrunde liegende Sachverhalt identifizierbar ist. Es geht nicht darum, dass der Erblasser eine juristisch perfekte Definition liefern muss. Aber der Text muss einen „zutreffenden Kernsachverhalt“ beschreiben, der eine richterliche Überprüfung erlaubt.

Die Formulierung „Morddrohungen gegen mich und meine Familie in den Jahren 1992“ ist zwar auf den ersten Blick ein schwerer Vorwurf, bleibt aber inhaltlich sehr vage. Wann genau sollen diese Drohungen stattgefunden haben? Wie wurden sie geäußert? Richteten sie sich tatsächlich auch gegen andere Familienmitglieder? Die pauschale Nennung einer Verfehlungskategorie, so das Gericht, genügt den Anforderungen des § 2336 Abs. 2 BGB nicht.

Das Beweismittel: Ein Polizeiprotokoll, das etwas anderes belegt

Der Bruder versuchte, diese Lücke mit dem türkischen Polizeiprotokoll von 1992 zu füllen. Das Gericht war auch bereit, dieses Dokument zur Auslegung des Testaments heranzuziehen. Doch genau hier lag das Problem des Bruders: Der Inhalt des Protokolls deckte sich nicht mit dem Vorwurf im Testament.

Das Protokoll beschrieb einen Messerangriff und Geldforderungen, die sich ausschließlich gegen die Mutter richteten. Von „Morddrohungen“ im Sinne einer ausgesprochenen Tötungsabsicht war darin keine Rede. Ebenso wenig enthielt es Hinweise auf Drohungen gegen den Rest der Familie. Das Gericht stellte klar: Ein Messerangriff ist zwar eine schwere Straftat, aber juristisch nicht dasselbe wie eine Morddrohung. Der im Testament genannte Grund – „Morddrohungen gegen … meine Familie“ – wurde durch das vorgelegte Beweismittel also gerade nicht belegt.

Die Beweislast: Eine Hürde, die der Bruder nicht überwinden konnte

Da der vom Erben vorgelegte Beweis den testamentarischen Vorwurf nicht stützte, lag die Last, den Sachverhalt weiter aufzuklären, allein beim Bruder. Das Gesetz schreibt in § 2336 Abs. 3 BGB unmissverständlich vor, dass der Erbe die Tatsachen beweisen muss, die die Entziehung rechtfertigen. Im Rahmen seiner Anhörung vor Gericht konnte der Bruder jedoch keine weiteren Details zu den angeblichen Morddrohungen liefern. Er konnte weder den genauen Wortlaut noch die Umstände oder die Adressaten der Drohungen konkretisieren.

Auch die Aussage der Mutter im Testament, sie wolle die Verfehlungen „ausdrücklich nicht … genau beschreiben“, half dem Bruder nicht. Diese Formulierung entbindet den Erben nicht von seiner gesetzlichen Beweislast. Wenn der Erblasser auf eine Konkretisierung verzichtet, geht das Risiko, dass der Grund später nicht bewiesen werden kann, zulasten desjenigen, der sich auf die Entziehung beruft – also des Bruders.

Da der Bruder somit den im Testament genannten Entziehungsgrund nicht beweisen konnte, war die gesamte Anordnung zur Pflichtteilsentziehung unwirksam. Folglich war die Schwester weiterhin pflichtteilsberechtigt und hatte damit einen klaren gesetzlichen Anspruch auf Auskunft über den Nachlass.

Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?

Die Entscheidung des Landgerichts Ellwangen ist mehr als nur die Klärung eines Familienstreits. Sie verdeutlicht zwei fundamentale Prinzipien des deutschen Erbrechts, die für jeden, der ein Testament verfasst oder als Erbe mit einer Pflichtteilsentziehung konfrontiert ist, von zentraler Bedeutung sind.

Erstens zeigt der Fall die immense Wichtigkeit von Präzision bei der Abfassung einer letztwilligen Verfügung. Wer einem nahen Angehörigen den Pflichtteil entziehen will, muss den Grund dafür so konkret und nachvollziehbar wie möglich im Testament beschreiben. Ein pauschaler Vorwurf, eine allgemeine Anschuldigung oder die bloße Benennung einer Straftat reicht nicht aus. Der Sachverhalt muss als einzigartiges, identifizierbares Ereignis geschildert werden. Dieser Zwang zur Konkretisierung ist kein reiner Formalismus. Er dient dem Schutz des Pflichtteilsberechtigten vor willkürlichen Entscheidungen und stellt sicher, dass ein Gericht die behaupteten Gründe objektiv überprüfen kann.

Zweitens macht das Urteil die Tragweite der Beweislast für den Erben unmissverständlich klar. Es reicht nicht aus, dass der Pflichtteilsberechtigte sich irgendwann einmal schwer fehlverhalten hat. Der Erbe muss exakt den Sachverhalt beweisen, den der Erblasser in seinem Testament als Grund für die Entziehung genannt hat. Weichen der Vorwurf im Testament und die beweisbaren Tatsachen voneinander ab – wie hier die „Morddrohungen gegen die Familie“ gegenüber einem „Messerangriff auf die Mutter“ –, ist die Entziehung unwirksam. Für Erben bedeutet dies, dass sie sich nicht allein auf die Worte im Testament verlassen können. Sie müssen in der Lage sein, die darin enthaltenen Anschuldigungen vor Gericht mit Fakten zu untermauern. Gelingt das nicht, bleibt der Pflichtteilsanspruch bestehen.

Die Urteilslogik

Die testamentarische Freiheit endet dort, wo der Erblasser die gesetzlichen Schutzrechte des Pflichtteilsberechtigten durch mangelnde juristische Präzision verletzt.

  • Präzision rettet die Pflichtteilsentziehung: Ein Erblasser muss den Entziehungsgrund im Testament derart konkretisieren und individualisieren, dass Gerichte den zugrunde liegenden Sachverhalt lückenlos überprüfen können; pauschale Verbrechensvorwürfe oder vage Anschuldigungen genügen diesem Zwang zur Konkretisierung niemals.
  • Der Erbe beweist, was der Erblasser behauptet: Der Erbe trägt die Beweislast und muss vor Gericht exakt jenen Sachverhalt nachweisen, den der Erblasser im Testament als Entziehungsgrund festgeschrieben hat; weichen die beweisbaren Tatsachen von der testamentarischen Behauptung ab, bleibt die Enterbung unwirksam.
  • Unwirksamkeit aktiviert Auskunftsansprüche: Ist die testamentarische Entziehung des Pflichtteils aufgrund formaler oder inhaltlicher Mängel unwirksam, behält der Enterbte seinen Anspruch und erzwingt vom Alleinerben umfassende Auskunft über alle Aktiva, Passiva und relevante Schenkungen des Nachlasses.

Diese Entscheidung mahnt zur juristischen Sorgfalt, da das Erbrecht Pflichtteilsberechtigte rigoros gegen willkürliche und unbewiesene Enterbung schützt.


Benötigen Sie Hilfe?


Wurde Ihnen der Pflichtteil aufgrund vager, unbewiesener Anschuldigungen entzogen? Lassen Sie die Wirksamkeit der Enterbung überprüfen und fordern Sie eine rechtliche Einschätzung an.


Experten Kommentar

Viele Menschen halten ein Testament für den Ort, an dem man sich nach einem tiefen familiären Konflikt noch einmal Luft verschaffen kann. Das Landgericht Ellwangen erinnert uns jedoch eindrücklich daran, dass im Erbrecht der Wunsch nach Rache oder pauschale Wut nichts zählen. Der Erblasser schrieb vage von „Morddrohungen gegen die Familie“, doch der Erbe konnte vor Gericht nur einen konkreten „Messerangriff auf die Mutter“ beweisen – juristisch sind das zwei völlig unterschiedliche Dinge. Wer den Pflichtteil wirksam entziehen will, muss deshalb keinen emotionalen Vorwurf, sondern einen glasklaren, individualisierbaren Sachverhalt im Testament festschreiben, sonst zerfällt die gesamte Enterbung unter der Beweislast des Erben.


Das Bild zeigt auf der linken Seite einen großen Text mit "ERBRECHT FAQ Häufig gestellte Fragen" vor einem roten Hintergrund. Auf der rechten Seite sind eine Waage, eine Schriftrolle mit dem Wort "Testament", ein Buch mit der Aufschrift "BGB", eine Taschenuhr und eine Perlenkette zu sehen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wann ist die Entziehung meines Pflichtteils im Testament unwirksam?

Die Entziehung Ihres gesetzlichen Pflichtteils ist nur unter extrem engen Voraussetzungen wirksam. Sie können die testamentarische Anordnung erfolgreich anfechten, wenn der Erblasser den Entziehungsgrund nicht detailliert im Testament beschrieben hat. Ein pauschaler Vorwurf allein reicht nicht aus, um Ihren Anspruch zu verlieren. Entscheidend ist, dass der Erbe den genannten Vorwurf später nicht exakt so beweisen kann, wie er im Dokument genannt wurde.

Der Gesetzgeber schützt nahe Verwandte durch strenge formelle Vorgaben (§ 2336 Abs. 2 BGB). Die Verfehlung muss zwingend unter einen der abschließenden Gründe des § 2333 BGB fallen, beispielsweise das Trachten nach dem Leben des Erblassers oder ein schweres vorsätzliches Verbrechen. Eine pauschale Nennung einer Verfehlungskategorie, wie etwa der Vorwurf „Morddrohungen gegen die Familie“, ist unwirksam. Das Gericht benötigt konkrete Angaben zu Ort, Datum und Art der Verfehlung, um den Sachverhalt objektiv überprüfen zu können.

Zudem scheitert die Entziehung oft am fehlenden Beweis oder einer Diskrepanz zwischen Vorwurf und Beweis. Die Beweislast liegt vollständig beim Erben. Belegt der Erbe zwar ein Fehlverhalten, stimmt dieses aber inhaltlich nicht mit der testamentarischen Formulierung überein, gilt die Entziehung als unwirksam. Das Gericht verlangt eine Deckungsgleichheit: Ein bewiesener Messerangriff auf die Mutter ist juristisch nicht dasselbe wie eine im Testament genannte Morddrohung gegen die gesamte Familie.

Fordern Sie sofort beim zuständigen Nachlassgericht eine Kopie des Testaments an und prüfen Sie alle Formulierungen im Entziehungsgrund auf Unklarheiten oder Widersprüche.


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Kann ich trotz Enterbung Auskunft über den gesamten Nachlasswert verlangen?

Ja, der Anspruch auf Auskunft besteht auch dann, wenn der Erblasser Ihnen im Testament den Pflichtteil entzogen hat. Als pflichtteilsberechtigte Person besitzen Sie ein gesetzlich verbrieftes Recht auf umfassende Informationen. Dieses Auskunftsrecht nach § 2314 Abs. 1 BGB dient dazu, den genauen Wert Ihres Anspruchs überhaupt berechnen zu können. Der Erbe muss Auskunft erteilen, solange er die Wirksamkeit der Entziehung nicht gerichtlich beweisen konnte.

Der Erbe kann die Auskunft nur verweigern, wenn die Pflichtteilsentziehung bereits rechtskräftig als wirksam festgestellt wurde. Solange die Frage der Entziehung offen ist, behalten Sie Ihren Status als Pflichtteilsberechtigter. Die Gerichte sehen Ihren Anspruch auf Auskunft als notwendigen ersten Schritt an, um Waffengleichheit zwischen Erbe und Enterbtem herzustellen. Der Erbe ist in der Beweispflicht, die testamentarischen Vorwürfe zu untermauern.

Der Umfang dieser Auskunft ist detailliert und bindend. Der Erbe muss ein vollständiges Verzeichnis aller Vermögenswerte, bestehenden Schulden und entscheidend – aller Schenkungen vorlegen. Dies umfasst alle Zuwendungen, welche der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod vorgenommen hat. Lassen Sie sich nicht davon einschüchtern, dass der Erbe zunächst die Klärung der Entziehungsfrage verlangt; fordern Sie zuerst die Auskunft.

Setzen Sie Ihren Auskunftsanspruch als Stufe 1 einer Stufenklage durch, um die notwendigen Fakten für Ihre Zahlungsklage zu sichern.


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Wer trägt die Beweislast für die Verfehlungen, wenn der Pflichtteil entzogen wird?

Die Beweislast für die Wirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung liegt zwingend beim Erben. Dies legt das Gesetz in § 2336 Abs. 3 BGB unmissverständlich fest. Der Erbe muss vor Gericht beweisen, dass die Tatsachen, die der Erblasser im Testament als Entziehungsgrund formulierte, tatsächlich und exakt vorlagen. Die testamentarische Behauptung des Erblassers allein reicht nicht aus, um den gesetzlichen Mindestanspruch des Enterbten aufzuheben. Der enterbte Pflichtteilsberechtigte muss hingegen seine Unschuld nicht beweisen.

Das deutsche Erbrecht schützt den Pflichtteil als zwingenden Mindestanspruch für nahe Angehörige. Durch die Verpflichtung zur Beweisführung stellt der Gesetzgeber sicher, dass eine Entziehung nur aufgrund schwerwiegender und objektiv nachweisbarer Verfehlungen erfolgt. Der Erbe ist damit in der Pflicht, konkret zu belegen, dass das Fehlverhalten unter einen der strengen Entziehungsgründe des § 2333 BGB fällt, beispielsweise das Trachten nach dem Leben des Erblassers.

Diese Regelung stellt für den Erben oft eine erhebliche Hürde dar. Der Beweis muss nicht nur irgendein Fehlverhalten belegen, sondern exakt den Sachverhalt abdecken, der im Testament formuliert wurde. Hat der Erblasser die Verfehlungen nur pauschal beschrieben oder sind die Vorwürfe zu vage, geht das Risiko, dass der Grund später nicht bewiesen werden kann, zulasten des Erben. Ohne harte, deckungsgleiche Beweismittel bleibt die Pflichtteilsentziehung unwirksam.

Als Erbe sollten Sie sofort alle relevanten Dokumente wie Polizeiakten oder Zeugenaussagen sichten und deren Inhalte wörtlich mit der Formulierung im Testament abgleichen.


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Was passiert, wenn der Beweis vom Erben nicht exakt den Grund im Testament belegt?

Der Mangel an Deckungsgleichheit zwischen dem Vorwurf im Testament und dem vorgelegten Beweismittel führt meist zur Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung. Das Gericht verlangt einen Beweis, der den im Testament genannten Sachverhalt in seinem zutreffenden Kernsachverhalt exakt stützt. Fehlt diese Übereinstimmung, gilt die Beweiskette des Erben als lückenhaft. Das bedeutet, dass die testamentarische Anordnung, Sie vom Pflichtteil auszuschließen, juristisch scheitert.

Die strengen Anforderungen an die Pflichtteilsentziehung schützen den enterbten Abkömmling vor willkürlichen oder ungenauen Entscheidungen des Erblassers. Selbst wenn der Erbe ein Dokument vorlegt, das Sie allgemein belastet, prüft das Gericht penibel, ob dieses Dokument inhaltlich den Grund belegt, den der Erblasser im Testament explizit genannt hat. Juristische Unterscheidungen sind dabei entscheidend, denn die Schwere der Tat ersetzt nicht die Notwendigkeit des zielgenauen Beweises.

Stellte der Erblasser beispielsweise den Vorwurf „Morddrohungen gegen die Familie“ in das Testament, legt der Erbe aber lediglich ein Protokoll über einen „Messerangriff“ auf den Erblasser vor, liegt keine Deckungsgleichheit vor. Ein Messerangriff ist zwar eine schwere Verfehlung, beweist aber nicht die exakten Morddrohungen gegen die gesamte Familie. Da der Erbe den Beweis für den testamentarisch formulierten Grund nicht erbringen konnte, bleibt die Pflichtteilsberechtigung des Enterbten bestehen.

Erstellen Sie sofort eine Gegenüberstellung, in der Sie den im Testament genannten Entziehungsgrund dem konkreten Inhalt des Beweismittels gegenüberstellen und alle inhaltlichen Diskrepanzen hervorheben.


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Wie muss ich Entziehungsgründe im Testament formulieren, um die spätere Anfechtung zu verhindern?

Die einzige Möglichkeit, eine Pflichtteilsentziehung juristisch wirksam zu gestalten, ist die maximale Konkretisierung des Vorfalls. Sie müssen den Entziehungsgrund als ein einzigartiges, identifizierbares Ereignis schildern. Pauschale Anschuldigungen oder die bloße Nennung einer Straftat reichen niemals aus, um der gesetzlichen Beweisanforderung zu genügen. Dadurch verhindern Sie, dass die Erben später vor Gericht keine stichhaltigen Beweise liefern können.

Gerichte müssen in der Lage sein, den beschriebenen Sachverhalt objektiv zu überprüfen. Deshalb genügt die einfache Behauptung einer schweren Verfehlung nicht den hohen Ansprüchen des deutschen Erbrechts. Beschreiben Sie im Testament exakt, wann und wo der Vorfall stattfand und welche konkreten Handlungen oder Äußerungen der Pflichtteilsberechtigte vornahm. Stellen Sie dabei sicher, dass der Vorfall eindeutig unter einen der abschließenden Entziehungsgründe des § 2333 BGB fällt, wie zum Beispiel Trachten nach dem Leben oder schwere vorsätzliche Körperverletzung.

Nennen Sie zum Beispiel nicht nur pauschal „Morddrohungen“, sondern formulieren Sie präzise: „Am 15. Mai 2024 um 17 Uhr im Wohnzimmer der Musterstraße 5 wurde mir mit folgenden Worten gedroht…“. Verzichten Sie unbedingt darauf, die Verfehlung absichtlich vage zu halten, da dies den Erben nicht von der Beweislast entbindet. Dokumentieren Sie zusätzlich alle Beweishinweise, etwa Zeugen oder polizeiliche Aktenzeichen, direkt im Testament oder einer beigefügten Anlage, um dem Erben später die notwendigen Beweismittel zu sichern.

Legen Sie für das fragliche Ereignis ein detailliertes Tatprotokoll mit Datum, Uhrzeit und anwesenden Zeugen an, und lassen Sie dieses idealerweise notariell beurkunden.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Abkömmling

Ein Abkömmling ist im Erbrecht die juristische Bezeichnung für alle direkten Nachfahren des Erblassers, also Kinder, Enkel, Urenkel und alle weiteren Verwandten in gerader absteigender Linie. Diese neutrale Formulierung stellt sicher, dass alle Nachkommen gleich behandelt werden, wenn es um gesetzliche Erbansprüche oder Pflichtteilsrechte geht.
Beispiel: Im vorliegenden Fall war die enterbte Tochter ein direkter Abkömmling der Mutter, weshalb ihr grundsätzlich ein gesetzlicher Pflichtteilsanspruch zustand.

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Beweislast

Die Beweislast bestimmt, welche Partei in einem gerichtlichen Verfahren beweisen muss, dass eine bestimmte Tatsache tatsächlich existiert oder nicht existiert; im Falle der Pflichtteilsentziehung liegt sie gemäß § 2336 Abs. 3 BGB zwingend beim Erben. Das Gesetz will verhindern, dass der Enterbte seine Unschuld beweisen muss, sondern schützt ihn, indem derjenige die Tatsachen belegen muss, der die Entziehung geltend macht.
Beispiel: Der Bruder als Alleinerbe trug im Prozess die volle Beweislast dafür, dass die im Testament behaupteten Morddrohungen gegen die Mutter tatsächlich und exakt stattgefunden hatten.

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Deckungsgleichheit

Mit Deckungsgleichheit beschreibt das Gericht die notwendige exakte Übereinstimmung zwischen dem im Testament genannten Grund für die Pflichtteilsentziehung und den Tatsachen, die der Erbe später vor Gericht beweisen kann. Diese strikte Anforderung dient dem Schutz des Enterbten vor willkürlichen Entscheidungen, da ein Gericht penibel prüft, ob der vorgelegte Beweis genau den „zutreffenden Kernsachverhalt“ des testamentarischen Vorwurfs trifft.
Beispiel: Das Landgericht Ellwangen sah keine Deckungsgleichheit, da das vorgelegte Polizeiprotokoll einen Messerangriff beschrieb, während das Testament pauschale Morddrohungen gegen die gesamte Familie anführte.

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Letztwillige Verfügung

Als Letztwillige Verfügung wird jede rechtliche Erklärung bezeichnet, die der Erblasser für den Fall seines Todes trifft und die über die Verteilung seines Vermögens nach seinem Ableben entscheidet, wobei das Testament und der Erbvertrag die bekanntesten Formen sind. Diese Verfügung gibt dem Erblasser die Möglichkeit, von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen und die eigenen Wünsche bezüglich der Nachlassverteilung rechtswirksam festzuhalten.
Beispiel: Die im Jahr 1996 notariell beurkundete Letztwillige Verfügung der Mutter enthielt neben der Erbeinsetzung des Sohnes auch die Anordnung der Pflichtteilsentziehung für die Töchter.

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Pflichtteilsentziehung

Die Pflichtteilsentziehung ist das schärfste Mittel im deutschen Erbrecht, mit dem ein Erblasser einem nahen Angehörigen den gesetzlich garantierten Mindestanspruch auf einen Teil des Nachlasses (den Pflichtteil) komplett nehmen kann. Juristen wenden § 2333 BGB nur in extremen Ausnahmefällen an, etwa bei schweren vorsätzlichen Verbrechen, weil das Gesetz den gesetzlichen Mindestanspruch der nahen Verwandten als besonders schutzwürdig ansieht.
Beispiel: Im Zentrum des Gerichtsprozesses stand die Frage, ob die pauschale Behauptung von „Morddrohungen“ im Testament als hinreichend konkreter Grund für eine wirksame Pflichtteilsentziehung gemäß den hohen gesetzlichen Anforderungen galt.

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Stufenklage

Bei der Stufenklage handelt es sich um eine besonders effiziente prozessuale Gestaltung, bei der der Kläger mehrere Ansprüche nacheinander geltend macht, typischerweise in den Stufen Auskunft, eidesstattliche Versicherung und Zahlungsanspruch. Dieses Vorgehen ermöglicht es dem Pflichtteilsberechtigten, in der ersten Stufe die notwendigen Fakten über den Nachlasswert zu erhalten, um seinen Zahlungsanspruch in der letzten Stufe exakt beziffern zu können.
Beispiel: Die enterbte Tochter nutzte eine Stufenklage, um in der ersten Stufe (§ 2314 Abs. 1 BGB) vom Alleinerben umfassende Auskunft über den Wert und die Schenkungen des gesamten Nachlasses zu verlangen.

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Das vorliegende Urteil


LG Ellwangen – Az.: 3 O 315/24 – Urteil vom 29.08.2025


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