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Anforderungen an konkludenten Pflichtteilsverzicht

Konkludenter Pflichtteilsverzicht: Anforderungen und Auswirkungen

In diesem komplexen Erbrechtsfall dreht sich alles um einen erbvertraglichen Pflichtteilsverzicht, der einer Witwe möglicherweise ihr rechtmäßiges Erbe vorenthalten könnte. Der Ausgangspunkt der Kontroverse liegt in einem notariellen Ehe- und Erbvertrag, der kurz vor der Eheschließung zwischen der Klägerin und dem Erblasser geschlossen wurde. Die Klägerin wird nun mit der beharrlichen Weigerung der Beklagten konfrontiert, Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu geben. Die Komplexität des Falles ergibt sich aus der Interpretation des Erbvertrages und der Frage, ob die Klägerin tatsächlich auf ihren Pflichtteil verzichtet hat.

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Der Erbvertrag und der vermeintliche Verzicht

Der Erblasser, der 2018 verstarb, hatte seine Tochter aus erster Ehe als Alleinerbin eingesetzt. Die Klägerin, seine Ehefrau, wurde mit einem lebenslangen unentgeltlichen Wohnrecht beschenkt. All dies wurde in einem Erbvertrag festgehalten, der sechs Tage vor der Hochzeit abgeschlossen wurde. Die Klägerin behauptet, sie hätte nicht auf ihren gesetzlichen Pflichtteil verzichtet, obwohl der Vertrag eine Gütertrennung vorsah und die Parteien darauf hingewiesen wurden, dass sich durch den Vertrag die gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsquoten ändern könnten.

Das vorangegangene Urteil und die Berufung

Ein vorangegangenes Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wurde nach der Berufung der Klägerin teilweise abgeändert. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte die Beklagte, der Klägerin vollständige Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu erteilen. Die Klägerin hat das Recht, Einblick in sämtliche Vermögenswerte des Verstorbenen zu erhalten, einschließlich Bargeld, Konten, Immobilien und Investmentanteile. Darüber hinaus hat sie Anspruch auf Informationen über alle unentgeltlichen Zuwendungen an Dritte, die der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod getätigt hat.

Rückschlag und erneute Hoffnung

Dennoch wurde der weitergehende Auskunftsantrag der Klägerin abgewiesen und ihre Berufung zurückgewiesen. Zudem wurden die Anträge 2, 3 und 4 vom Gericht abgewiesen. Hier kommt jedoch ein Hoffnungsschimmer für die Klägerin: Das angefochtene Urteil wurde aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen.

Was bedeutet das Urteil für die Klägerin?

Obwohl das Urteil noch vorläufig vollstreckbar ist und die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 500 EUR abwenden kann, stellt es einen wichtigen Schritt für die Klägerin dar. Sie hat nun die Möglichkeit, ihren Fall erneut vorzutragen und die rechtlichen Feinheiten ihres scheinbaren Pflichtteilsverzichts auszuarbeiten. Ein umfassendes Verständnis des Erbvertrages und des Konzepts des konkludenten Pflichtteilsverzichts ist hierbei von entscheidender Bedeutung.


Das vorliegende Urteil

OLG Düsseldorf – Az.: I-7 U 110/20 – Urteil vom 09.07.2021

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23.04.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 26.09.2018 in O. verstorbenen H. V. zum Stichtag 26.09.2018 zu erteilen durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses, welches folgende Punkte umfasst:

a. Bargeld,

b. Bankgirokonten, Sparkonten, Festgeldkonten, sonstige Konten,

c. Forderungen aller Art,

d. Wertpapiere, Aktien, auch in Depots,

e. Anteile an Immobilienfonds,

f. Immobilieneigentum,

g. Investmentanteile aller Art,

h. Kapitallebensversicherungen und Rentenversicherungen mit gewähltem Kapitalwahlrecht,

i. Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und Erbfallschulden),

j. alle ganz oder teilweise unentgeltlichen Zuwendungen an Dritte, die der Erblasser in der Zeit vom 26.09.2008 bis zum 26.09.2018 getätigt hat, sowie ohne zeitliche Begrenzung alle ganz oder teilweise unentgeltlichen Zuwendungen an Dritte, bei denen der Erblasser sich ein Nießbrauchs- oder Nutzungsrecht an dem zugewandten Gegenstand vorbehalten hat.

Wegen des weitergehenden Auskunftsantrags zu 1. wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Im Übrigen, d.h. wegen der Abweisung der Klageanträge zu 2., 3. und 4., wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 500 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin macht einen Pflichtteilsanspruch nach ihrem am 26.08.2018 verstorbenen Ehemann H. V. geltend.

Am 24.08.1998, 6 Tage vor ihrer Eheschließung, schlossen die am 06.05.1941 geborene Klägerin und der am 05.10.1938 geborene Erblasser einen notariellen Ehe- und Erbvertrag. Sie vereinbarten Gütertrennung, wobei sie nach dem Text der notariellen Urkunde u.a. darüber belehrt wurden, dass „sich die gesetzlichen Erbquoten und die Pflichtteilsquoten ändern“. Der Erblasser setzte die Beklagte, seine Tochter aus erster Ehe, zu seiner Alleinerbin ein und vermachte der Klägerin ein lebenslanges unentgeltliches Wohnungsrecht an allen Räumen der in seinem Haus …..straße … in O. gelegenen Wohnung, das nicht übertragbar sein und im Fall einer Wiederheirat erlöschen sollte. Die Klägerin setzte ihre drei Kinder aus erster Ehe zu ihren Erben ein. Die Verfügungen sollten vertragsmäßige sein.

Mit Anwaltsschreiben ihrer Streithelferin vom 04.02.2019 schlug die Klägerin das Vermächtnis aus und verlangte den Pflichtteil. Sie hat im Wege der Stufenklage Auskunft über den Bestand des Nachlasses und pflichtteilsergänzungsrelevante Zuwendungen, Wertangaben zu allen angegebenen Positionen, die Einholung eines Wertgutachtens hinsichtlich des Grundstücks …..straße … in O., eidesstattliche Versicherung und Zahlung verlangt.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Klägerin habe konkludent auf ihren Pflichtteil verzichtet.

Das Landgericht hat die Stufenklage vollständig abgewiesen, weil die Klägerin auf den Pflichtteil verzichtet habe. Der Erblasser und die Klägerin hätten durch den Ehe- und Erbvertrag eine völlige Trennung der beiden Vermögensmassen auch für den Todesfall herbeiführen und erreichen wollen, dass ihre Vermögen möglichst ungeschmälert den eigenen Kindern zufielen. Die Vermächtnisanordnung zugunsten der Klägerin spreche dafür, dass der Erblasser und die Klägerin weitere gesetzliche Korrekturen hätten ausschließen wollen.

Die Klägerin und ihre Streithelferin treten dem entgegen. Einem stillschweigenden Pflichtteilsverzicht stehe das Formerfordernis des § 2348 BGB entgegen. Aus der notariellen Urkunde ergäben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Verzichtserklärung, die Klägerin habe auch keinen Verzichtswillen gehabt.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 26.09.2018 in O. verstorbenen H. V. zum Stichtag 26.09.2018 zu erteilen durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses, welches folgende Punkte umfasst:

a. Bargeld

b. Bankgirokonten, Sparkonten, Festgeldkonten, sonstige Konten

c. Forderungen aller Art

d. Wertpapiere, Aktien, auch in Depots

e. Anteile an Immobilienfonds

f. Immobilieneigentum

g. Investmentanteile aller Art

h. Kapitallebensversicherungen und Rentenversicherungen mit gewähltem Kapitalwahlrecht

i. Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und Erbfallschulden)

j. alle pflichtteilsergänzungsrelevanten Zuwendungen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat – ohne zeitliche Begrenzung auch über einen 10-Jahres-Zeitraum hinweg, sowie den Wert der Immobilie …..straße … in O. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln;

im Übrigen (wegen des weitergehenden Wertermittlungsantrags sowie wegen des Antrags auf eidesstattliche Versicherung und Zahlung des Pflichtteils) das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist weitgehend begründet.

1.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Vorlage eines Bestandsverzeichnisses aus § 2314 Abs. 1 BGB.

Die Klägerin hat als enterbte Ehefrau, die das ihr zugedachte Vermächtnis gem. § 2180 BGB wirksam ausgeschlagen hat, dem Grunde nach einen Pflichtteilsanspruch aus §§ 2307 Abs. 1 Satz 1, 2303 BGB. Dass sie gem. § 2346 Abs. 2 BGB auf ihr Pflichtteilsrecht verzichtet hätte, kann nicht festgestellt werden.

a)

Eine ausdrückliche, den Formerfordernissen der §§ 2347 Abs. 2 Satz 1, 2348 BGB entsprechende Erklärung, aus der sich dies ergäbe, hat sie weder in dem Ehe- und Erbvertrag vom 24.08.1998 noch in einer anderen notariellen Urkunde abgegeben.

b)

Dem Ehe- und Erbvertrag lässt sich ein wirksamer konkludenter Verzicht auf das Pflichtteilsrecht nicht entnehmen.

aa)

Ob ein konkludenter Verzicht auf das Pflichtteilsrecht möglich ist, ist umstritten. Der Bundesgerichtshof (BGH NJW 1977, 1728 juris-Rn. 32; BGHZ 22, 364 juris-Rn. 19) und der Senat (OLGR Düsseldorf 2000, 330 juris-Rn. 60) haben dies in den jeweils von ihnen entschiedenen Fällen angenommen. Das ist in der Literatur auf Zustimmung (Palandt-Weidlich, BGB, 80. Aufl., § 2348 Rn. 3; BeckOGK/BGB-Everts, Stand 01.06.2021, § 2348 Rn. 7.4; BeckOK/BGB-Litzenburger, 58. Ed., § 2346 Rn. 9; Erman-Simon, BGB, 16. Aufl., § 2348 Rn. 1; Burandt/Rojahn-Große-Boymann, Erbrecht, 3. Aufl., § 2346 BGB Rn. 6; Damrau/Tanck-Kurze, Erbrecht, 4. Aufl., § 2348 Rn. 9; Krug-Kurze, Pflichtteilsprozess, 2. Aufl., § 11 Rn. 30), aber auch auf ernstzunehmende Kritik (Staudinger-Schotten, BGB, 2016, § 2346 Rn. 13 ff.; MüKoBGB-Wegerhoff, 8. Aufl., § 2348 Rn. 7; Burandt/Rojahn-Braun, Erbrecht, 3. Aufl., § 2269 BGB Rn. 74; Muscheler in: Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 5. Aufl. 2019, Erbverzicht Rn. 18.164b; Spall in: Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht, 5. Aufl., § 31 Rn. 20; Keim ZEV 2001, 1, 3 f.) gestoßen, die sich insbesondere auf die mit der Beurkundungspflicht gem. § 2348 BGB verfolgten Zwecke stützt.

bb)

Welcher Auffassung zu folgen ist, lässt der Senat offen, weil er dem Ehe- und Erbvertrag vom 24.08.1998 einen konkludenten oder stillschweigenden Pflichtteilsverzicht nicht entnehmen kann.

Bei der Annahme eines stillschweigenden Verzichts ist generell Zurückhaltung geboten (BGH NJW 2002, 1044 juris-Rn. 25 m.w.N.). Dies gilt in besonderer Weise für einen Verzicht auf das Pflichtteilsrecht, das sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, lediglich bei schweren Verfehlungen des Berechtigten gem. § 2333 BGB entzogen oder gem. §§ 2345 Abs. 2, 2339 BGB angefochten werden kann und auf das gem. § 2348 BGB nur durch notariell beurkundeten Vertrag verzichtet werden kann, den der Erblasser gem. § 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB persönlich schließen muss. Strenge Anforderungen an die Annahme eines konkludenten oder stillschweigenden Verzichts stellen daher auch diejenigen, die einen solchen grundsätzlich für möglich halten (OLG Hamm NJW-RR 1996, 906: der Verzicht muss sich jedenfalls aus dem ganzen Inhalt des Vertrages zuverlässig ergeben; BeckOGK/BGB-Everts, Stand 01.06.2021, § 2348 Rn. 7; BeckOK/BGB-Litzenburger, 58. Ed., § 2348 Rn. 2; Krug-Kurze, Pflichtteilsprozess, 2. Aufl., § 11 Rn. 30: nur bei Belehrung des Notars über die Verzichtswirkung). Die von dem Landgericht angeführten Anhaltspunkte lassen eine Auslegung des Ehe- und Erbvertrags vom 24.08.1998 als Pflichtteilsverzicht nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit zu.

Eine Formulierung, durch die ein Pflichtteilsverzicht zumindest angedeutet würde, enthält die notarielle Urkunde nicht. Die ausdrückliche Belehrung des Notars, dass sich durch die vereinbarte Gütertrennung „die gesetzlichen Erbquoten und die Pflichtteilsquoten ändern“, deutet im Gegenteil an, dass den Vertragschließenden das mögliche Entstehen eines Pflichtteilsanspruchs des Überlebenden durchaus bewusst war, auch wenn der Notar die Belehrung, wie die Beklagte vorträgt, lediglich routinemäßig zur Vermeidung einer Haftung in die Urkunde aufgenommen haben sollte.

Die verschiedenen in dem Ehe- und Erbvertrag getroffenen Regelungen sprechen für sich genommen nicht für einen Verzicht. Indem sie sich zugunsten ihrer jeweiligen Kinder gegenseitig enterbt haben, haben die Eheleute den Pflichtteil nicht ausgeschlossen, sondern die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Pflichtteilsansprüche überhaupt entstehen konnten. Auch die Vereinbarung der Gütertrennung führte nicht zu einem Wegfall von Pflichtteilsansprüchen, sondern allenfalls wegen des Unterbleibens eines pauschalen Zugewinnausgleichs gem. § 1371 Abs. 1 BGB zu einer Verringerung der jeweiligen Pflichtteilsquote. Ob das Vermächtnis zugunsten der Klägerin zur Folge haben würde, dass ihr daneben kein Pflichtteilsanspruch zustünde, war bei Abschluss des Ehe- und Erbvertrags nicht absehbar; dies hing gem. § 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB davon ab, ob zum Zeitpunkt des Versterbens des Ehemannes der Klägerin der – maßgeblich durch ihre Lebenserwartung bestimmte – Wert des Wohnungsrechts den Pflichtteil übersteigen würde.

Dem sich aus einer Gesamtschau der genannten Bestimmungen ergebenden Regelungskonzept des Ehe- und Erbvertrages kann ebenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden, dass die Eheleute eine Belastung ihrer jeweiligen Erben mit Pflichtteilsansprüchen ausschließen wollten. Sie haben die erbrechtlichen Ansprüche des Überlebenden nach dem Erstversterbenden zwar beschränkt. Daraus folgt aber nicht zwingend, dass sie die Geltendmachung jeglicher Ansprüche, insbesondere solcher, die sich wie derjenige auf den Pflichtteil unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, verhindern wollten. Das erkennbar verfolgte Ziel, den jeweiligen Nachlass den jeweils eigenen Kindern zukommen zu lassen, wurde durch das Bestehenbleiben des Pflichtteilsanspruchs des überlebenden Ehegatten weder vereitelt noch untragbar beeinträchtigt. Wäre die Klägerin vor ihrem Ehemann verstorben, hätte dieser gem. §§ 2303 Abs. 1 Satz 2, 1931 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Pflichtteil in Höhe von 1/8 des Nachlasswertes verlangen können. Der Klägerin als Überlebender steht zwar, weil der Erblasser lediglich einen Abkömmling hatte, gem. §§ 2303 Abs. 1 Satz 2, 1931 Abs. 4 BGB ein doppelt so hoher Pflichtteil von ¼ zu. Dass sie in nicht unerheblichem Umfang von dem Nachlass ihres Ehemannes profitieren sollte, entsprach aber dem Willen der Vertragschließenden, die ihr ein lebenslanges Wohnungsrecht an dem wesentlichen Vermögensgegenstand zugewandt haben. Wenn sie auf diesen Vermögenswert verzichtet, indem sie das Vermächtnis ausschlägt, und stattdessen den Pflichtteil verlangt, steht die Beklagte wegen der sofortigen Verfügbarkeit des Grundstücks wirtschaftlich u.U. sogar besser da als im Falle einen lebenslangen Inanspruchnahme des Wohnungsrechts.

c)

Der der Klägerin zustehende Auskunftsanspruch erstreckt sich auf unentgeltliche Zuwendungen des Erblassers, soweit diese zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen führen können (Damrau/Tanck-Riedel, Erbrecht, 4. Aufl., § 2314 Rn. 15 ff.). Die beantragte Verurteilung zu einer zeitlich unbeschränkten Auskunft kommt aber nicht in Betracht. Zuwendungen, die länger als 10 Jahre zurückliegen, bleiben gem. § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB grundsätzlich unberücksichtigt. Die Ausnahme für Zuwendungen an die Ehegattin gem. § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB führt nicht zu einer Erweiterung der Auskunftspflicht, weil der Klägerin etwaige Zuwendungen, die sie selbst erhalten hat, bekannt sind. Die Beklagte kann lediglich – klarstellend – verurteilt werden, Auskunft über solche vor dem 26.09.2008 gemachte Zuwendungen zu erteilen, bei denen der Erblasser sich den Nießbrauch oder ein sonstiges Nutzungsrecht an dem zugewandten Gegenstand vorbehalten hat (vgl. zur sogenannten „Genusstheorie“ BGH ZEV 2016, 445 Rn. 9).

2.

Die beantragte Verurteilung, den Wert des Grundstücks …..straße … in O. zu ermitteln, ist derzeit nicht möglich, weil es sich um ein unzulässiges Teilurteil handeln würde. Ein solches ist nach ständiger Rechtsprechung (BGH NJW 2013, 1009 Rn. 9; BGH NJW 2011, 2736 m.w.N.; Zöller-Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 301 Rn. 12 m.w.N.) ausgeschlossen, wenn die Gefahr der Widersprüchlichkeit von Teil- und Schlussentscheidung besteht, was immer dann der Fall ist, wenn in dem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich im weiteren Verfahren noch einmal stellen kann und dann möglicherweise anders beantwortet werden wird.

Zwar sind Teilurteile über die einzelnen Stufen der Klage trotz einer möglichen Widersprüchlichkeit zu Entscheidungen in späteren Stufen unumgänglich und zulässig (Zöller-Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 301 Rn. 16). Mit einer Verurteilung zur Ermittlung des Wertes des Grundstücks …..straße … in O. würde aber über einen Teil des in der 2. Stufe der Klage geltend zu machenden Wertermittlungsanspruchs vorab entschieden; die Klägerin behält sich zulässigerweise vor, nach Erledigung der Auskunftsstufe die Ermittlung des Wertes weiterer Nachlassgegenstände zu verlangen. Geschieht dies, wird sich die Frage, ob sie auf ihr Pflichtteilsrecht verzichtet hat, erneut stellen, so dass die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen innerhalb der Wertermittlungsstufe besteht.

Die Abweisung der auf die Verurteilung zur Wertermittlung gerichteten Anträge kann daher ebenso wie die Abweisung der Anträge auf Verurteilung zur eidesstattlichen Versicherung und zur Zahlung im derzeitigen Verfahrensstadium lediglich aufgehoben werden. Zur Entscheidung über die weiteren Stufen ist die Sache antragsgemäß analog § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO (vgl. BGH NJW 2009, 431 Rn. 12; BGH NJW 2006, 2626; Zöller-Greger, ZPO, 33. Aufl., § 254 Rn. 14) an das Landgericht zurückzuverweisen, das im Schlussurteil auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben wird.

3.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ein Anlass, gem. § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen besteht nicht, weil der Senat die umstrittene Rechtsfrage, ob ein konkludenter oder stillschweigender Pflichtteilsverzicht wirksam möglich ist, nicht entscheidet, sondern einen Verzicht aufgrund einer Auslegung anhand der Umstände des Einzelfalles verneint.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 75.000 EUR festgesetzt.

Berichtigungsbeschluss vom 20. September 2021

Im Rechtsstreit … wird der Tenor des am 09.07.2021 verkündeten Urteils des Senats dahin berichtigt, dass der 2. Absatz lautet:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 26.08.2018 in O. verstorbenen H. V. zum Stichtag 26.08.2018 zu erteilen durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses, welches folgende Punkte umfasst: …

Gründe:

Die Entscheidung beruht auf § 319 Abs. 1 ZPO. Das am 09.07.2021 verkündete Urteil des Senats weist eine offenbare Unrichtigkeit auf. Die Beklagte sollte erkennbar zur Erteilung einer Auskunft über den Nachlassbestand am Tag des Erbfalles verurteilt werden, der im ersten Satz von Abschnitt I. der Gründe zutreffend mit dem 26.08.2018 angegeben ist.

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