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Anspruch Pflichtteilsberechtigter auf Akteneinsicht in die Nachlassaufstellung

OLG Jena – Az.: 6 W 206/11 – Beschluss vom 09.08.2011

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 28.02.2011 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgerichts – Weimar vom 13.01.2011 (Nichtabhilfeentscheidung vom 05.04.2011) aufgehoben.

Dem Beschwerdeführer wird Akteneinsicht durch Übersendung der vollständigen Nachlassakte – einschließlich der Nachlassaufstellung, Bl. 16 – 20 d.A. – an das für ihn zuständige Nachlassgericht bewilligt.

Gründe

I.

Die am 04.07.2010 verstorbene Erblasserin hatte zwei Kinder, den Beteiligten zu 1. und den Beteiligten zu 2. Der Ehegatte der Erblasserin ist vorverstorben. Die Erblasserin hat den Beteiligten zu 2. durch öffentliches Testament vom 08.09.2008 zum Alleinerben eingesetzt. Das Nachlassgericht hat dem Beteiligten zu 2. am 13.01.2011 antragsgemäß einen Erbschein erteilt, der ihm bescheinigt, dass er die Erblasserin aufgrund testamentarischer Erbfolge allein beerbt.

Der Beteiligte zu 1. hat mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 13.12.2010 Einsicht in die Nachlassakte beantragt. Das Nachlassgericht hat am 13.01.2011 Akteneinsicht durch Übersendung der Nachlassakte an das Amtsgericht Pößneck bewilligt und dabei das Nachlassverzeichnis (Bl. 16 – 10 d.A.) ausdrücklich von der Akteneinsicht ausgenommen. Auf Mitteilung des Amtsgerichts Pößneck, dass die Nachlassakte dort zur Einsicht vorliege, hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers am 14.02.2011 Akteneinsicht genommen. Mit Schreiben vom 15.02.2011 (Bl. 34 d.A.)

sowie nochmals mit Schreiben vom 28.02.2011 (Bl. 36f d.A.) wies der Verfahrensbevollmächtigte das Nachlassgericht Weimar darauf hin, dass er Einsicht in die vollständige Nachlassakte einschließlich des Nachlassverzeichnisses begehre.

Das Nachlassgericht hat das Schreiben vom 28.02.2011 (Bl. 36f d.A.) als Beschwerde ausgelegt, dieser nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1. ist statthaft.

Da die Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch nach § 13 FamFG kein Akt der Justizverwaltung ist, sondern in richterlicher Unabhängigkeit durch das verfahrensführende Gericht getroffen wird, richtet sich die Anfechtbarkeit der Entscheidung grundsätzlich nach den Vorschriften des FamFG (vgl. Keidel/Sternal, FamFG, 2009, § 13, Rn. 64;Prütting/Helms/Jennissen, FamFG, 2009, § 13, Rn.46 je m.w.N.).

Ist der von der Entscheidung über ein Gesuch um Akteneinsicht Betroffene zugleich Beteiligter des Verfahrens, soll die ablehnende Entscheidung als bloße Zwischenentscheidung – deren Anfechtbarkeit in § 13 FamFG nicht bestimmt ist – nicht selbstständig mit der Beschwerde angreifbar sein; der Betroffene soll eine Verletzung seiner Rechte nur mit einer Beschwerde oder Rechtsbeschwerde gegen die Endentscheidung in der Sache unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Verstoßes gegen das rechtliche Gehör (Art.103 Abs. 1 GG) geltend machen können. Ist derjenige, zu dessen Nachteil die Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch ergangen ist, demgegenüber Dritter, so soll die Entscheidung über das Einsichtsbegehren mit der Beschwerde angefochten werden können, weil es sich in diesem Fall um eine Endentscheidung im Sinne des § 58 Abs. 1 FamFG handelt, durch die über das Begehren auf Akteneinsicht abschließend entschieden wird (so die ganz h.M., vgl Keidel/Sternal, a.a.O., § 13, Rn. 67 ff; Prütting/Helms/Jennissen, a.a.O., § 13, Rn.48 ff je m.w.N.)

Nach diesen Grundsätzen wäre vorliegend eine isolierte Anfechtung der Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch nicht statthaft, weil das Nachlassgericht den Beschwerdeführer, der als Sohn der Erblasserin bei Nichtvorliegen einer Verfügung von Todes wegen gesetzlicher Erbe nach § 1924 Abs. 1 BGB wäre, als Beteiligten hinzugezogen hat (§ 345 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 7 Abs. 3 FamFG). Der Beschwerdeführer müsste gegen die Erteilung des Erbscheins vorgehen, sofern er die Entscheidung des Nachlassgerichts, die Nachlassaufstellung von der Akteneinsicht auszunehmen, überprüft wissen will.

Über die dargestellten Grundsätze hinaus ist nach Ansicht des Senates auch der am Verfahren Beteiligte berechtigt, die Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht immer dann gesondert anzufechten, wenn sein Akteneinsichtsgesuch nicht Ausdruck seines Anspruchs auf rechtliches Gehör ist, der dem Beteiligten die effektive Mitwirkung bei der Wahrheitsfindung des Gerichts ermöglichen soll. Um nicht die Rechte des Beteiligten hinter denen eines Dritten zurücktreten zu lassen, muss die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch des Beteiligten jedenfalls dann als Endentscheidung verstanden werden, die einer Anfechtung im Wege der Beschwerde unterliegt, wenn der Beteiligte mit dem Akteneinsichtsgesuch gerade nicht beabsichtigt, sich über das konkrete Verfahren mit dem Ziel der Einflussnahme auf die Endentscheidung des Gerichts zu informieren, sondern – vergleichbar einem nicht am Verfahren beteiligten Dritten – davon abweichende Interessen verfolgt.

So ist es hier. Der Beschwerdeführer ist zwar als Kann-Beteiligter vom Nachlassgericht zu dem Erbscheinsverfahren hinzugezogen worden. Sein Antrag auf Akteneinsicht dient aber ersichtlich nicht dazu, auf die Endentscheidung – hier die Erteilung eines Alleinerbscheins zu Gunsten des Beteiligten zu 2) durch das Nachlassgericht – Einfluss nehmen zu wollen; der Beschwerdeführer will sich vielmehr durch die Akteneinsicht einen Überblick über den Bestand des Nachlasses verschaffen und so Erkenntnisse über die Höhe des ihm zustehenden Pflichtteilsanspruchs gewinnen. Dementsprechend hat der Beschwerdeführer auch keine Einwendungen gegen die Erteilung des beantragten Erbscheins erhoben. Wollte man dem Beschwerdeführer in dieser Situation das Recht zur isolierten Anfechtung der Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch versagen, wäre er gehalten, gem. § 352 Abs.3 FamFG gegen die Erteilung des Erbscheins vorzugehen, um die Ablehnung der Akteneinsicht überprüfen zu lassen. Der Beschwerdeführer müsste zu diesem Zweck – der Wahrheit zuwider – vortragen, dass er selbst Erbe geworden und deshalb durch die Erteilung des Erbscheins in seinen Rechten betroffen ist, weil er ansonsten nicht beschwerdeberechtigt wäre.

2. Die Beschwerde ist auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, insbesondere form- und fristgemäß eingelegt worden.

Der Beschwerdeführer hat Kenntnis von der Entscheidung des Nachlassgerichts über den Umfang der Akteneinsicht erstmals am 14.02.2011 erhalten; an diesem Tag hat sein Bevollmächtigter die Akten bei dem Amtsgericht Pößneck eingesehen und dabei festgestellt, dass das Nachlassgericht die Nachlassaufstellung von der Akteneinsicht ausgenommen hat. Die schriftliche Mitteilung des Nachlassgerichts, dass keine Einsicht in die Nachlassaufstellung bewilligt werde, datiert vom 17.02.2011 (vgl. Bl. 35 d.A.). Mit Schreiben vom 28.02.2011, bei Gericht eingegangen am 01.03.2011, hat der Beschwerdeführer sich gegen die nur eingeschränkte Akteneinsicht gewandt. Das binnen Monatsfrist eingegangene Schreiben ist als Beschwerde auszulegen.

3. Gemäß § 13 Abs. 1 FamFG steht dem Beschwerdeführer – wovon auch das Nachlassgericht noch zutreffend ausgegangen ist – ein Recht auf Akteneinsicht zu.

Von diesem Recht ist entgegen dem Nachlassgericht die Nachlassaufstellung nicht ausgenommen. Der Beschwerdeführer hat als Pflichtteilsberechtigter ein berechtigtes Interesse daran, sich Kenntnis vom Umfang des Nachlasses und damit von der Höhe seines Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen, weil dies sein Vorgehen gegen den Erben und Pflichtteilsschuldner beeinflussen kann. Zur Informationsbeschaffung kann – neben anderen Erkenntnisquellen – auch die im Rahmen des Erbscheinsverfahrens von dem Erben gefertigte Nachlassaufstellung dienen. Dass diese Aufstellung für einen anderen Zweck, die Ermittlung des Geschäftswertes, vom Nachlassgericht verlangt und vom Erben erstellt wurde, steht einem berechtigten Interesse des Pflichtteilsberechtigten nicht entgegen (ganz h.M. vgl. LG Erfurt, Beschluss vom 26.09.1996, Az. 7 T 126/96 = Rpfleger 1997, 115; BayObLG, Beschluss vom 04.01.1995, Az. 1Z BR 167/94 = FamRZ 1995, 682; LG Bayreuth, Beschluss vom 23.02.1990, Az. 2 T 2/90 = RPfleger 1990, 258; Burandt/Rojan, ErbR, 2011, § 2358, Rn. 80; Palandt-Edenhofer, BGB, 70. Aufl., 2011, § 2358, Rn. 11; Prütting/Helms/Jennissen, a.a.O., § 13, Rn. 35; a.A soweit ersichtlich nur Firsching/Graf, Nachlassrecht, 9. Aufl. 2008, Rn. 4.328, ohne Begründung).

Dem Einsichtsrecht des Beschwerdeführers steht auch nicht entgegen, dass dieser andere Möglichkeiten hat, sich Kenntnis über den Nachlassbestand zu verschaffen, insbesondere einen unmittelbaren Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB gegen den Erben und Schuldner des Pflichtteilsanspruchs. Das berechtigte Interesse wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Informationen auch auf andere Weise beschafft werden können, zumal die gerichtliche Geltendmachung des Auskunftsanspruchs mit Kosten verbunden ist (ganz h.M. vgl. LG Erfurt, Beschluss vom 26.09.1996, Az. 7 T 126/96 = Rpfleger 1997, 115; BayObLG, Beschluss vom 04.01.1995, Az. 1Z BR 167/94 = FamRZ 1995, 682; LG Bayreuth, Beschluss vom 23.02.1990, Az. 2 T 2/90 = RPfleger 1990, 258; Burandt/Rojan, ErbR, 2011, § 2358, Rn. 80; Palandt-Edenhofer, BGB, 70. Aufl., 2011, § 2358, Rn. 11; Prütting/Helms/Jennissen, a.a.O., § 13, Rn. 35).

Schließlich ist ein schutzwertes Interesse des Beteiligten zu 2), die Nachlassaufstellung von der Akteneinsicht auszunehmen, nicht zu erkennen. Der Beteiligte zu 2) ist vom Nachlassgericht angehört worden; er hat dem Akteneinsichtsgesuch des Beschwerdeführers widersprochen, ohne nachvollziehbare Gründe für eine Geheimhaltung der von ihm angefertigten Nachlassaufstellung vorzubringen. Ein überwiegendes Interesse des Beteiligten zu 2), welches es rechtfertigen würde, dem Beschwerdeführer die Nachlassaufstellung vorzuhalten, kann deshalb nicht angenommen werden.

Nach allem war der Beschluss des Nachlassgerichts aufzuheben und dem Beteiligten zu 1) die von ihm beantragte Einsicht in die Nachlassakten in vollem Umfang zu gewähren.

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