Auslegung des Anspruchs auf Auskunft nach § 666 BGB in der Erbengemeinschaft
In einem kürzlich vom Landgericht Münster entschiedenen Fall (Az.: 12 O 14/20) wurde eine bedeutende Frage des Erbrechts aufgeworfen: Wann wird der Auskunftsanspruch gemäß § 666 BGB eines Miterben verwirkt? Diese Frage hat weitreichende Konsequenzen für die Praxis der Erbauseinandersetzung und wirft Licht auf die Pflichten und Rechte der Miterben in der Abwicklung des Nachlasses.
Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 12 O 14/20 >>>
Übersicht
Komplexe Streitfrage innerhalb einer Erbengemeinschaft
Die Klägerin und der Beklagte, beide hälftige Miterben nach ihrer Mutter, sind in eine Auseinandersetzung geraten. Der Beklagte hatte die Beerdigung organisiert und Auskunft über den Wert des Nachlasses gegenüber dem Nachlassgericht gegeben. Dabei gab es Zweifel an der Korrektheit seiner Angaben, insbesondere in Bezug auf die Beerdigungskosten und den Wert der Vermögensgegenstände der Erblasserin. Der Beklagte wurde aufgefordert, umfassende Auskunft über den gesamten Nachlass zu erteilen und die Hälfte des Nachlasswertes an die Klägerin zu zahlen.
Anwendung des § 242 BGB auf Auskunftsansprüche
Das Gericht ging jedoch in seiner Entscheidung darauf ein, dass der Auskunftsanspruch der Klägerin im Übrigen nach § 242 BGB verwirkt sein könnte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Auskunftsanspruch dann verwirkt sein, wenn in einem familiär oder persönlich geprägten Auftragsverhältnis der Auskunftsanspruch über Jahre nicht geltend gemacht wird. In diesem Fall sind die Parteien Geschwister und hatten über Jahre hinweg keinen Auskunftsanspruch geltend gemacht, was auf eine Verwirkung hindeuten könnte.
Bedeutung des Urteils für das Erbrecht
Die Entscheidung des Landgerichts Münster verdeutlicht die Komplexität der Auslegung des Auskunftsanspruchs in der Erbengemeinschaft. Sie zeigt, dass es bei der Ausübung dieses Anspruchs auf die spezifischen Umstände des Falles und das Verhalten der Beteiligten ankommt. Zudem unterstreicht sie die Wichtigkeit von Transparenz und korrekter Kommunikation bei der Abwicklung von Nachlässen. Es bleibt abzuwarten, wie die weitere Rechtsprechung auf dieses Urteil reagieren wird. […]
Das vorliegende Urteil
LG Münster – Az.: 12 O 14/20 – Beschluss vom 09.11.2020
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Der Streitwert wird auf 5.001,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin hat den Beklagten im Wege der Stufenklage im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft in Anspruch genommen.
Die Parteien sind die hälftigen Miterben nach ihrer Mutter S, die am ##.##.2012 verstarb. Der gemeinsame Vater war vorverstorben. Beide Eltern hatten jeweils ein Kfz, für das jeweils Versicherungsverträge bei der Allianz bestanden.
Der Beklagte kümmerte sich um die Beerdigung. Er zahlte 1.107,23 EUR an das Bestattungsinstitut. Gegenüber dem Nachlassgericht gab er für die Wertberechnung Beerdigungskosten von 7.000,00 EUR an. Dort wurden auch von den tatsächlichen Erlösen abweichende Angaben zum Wert der Eigentumswohnung und des Kfz der Erblasserin gemacht.
Der Nachlass wurde abgewickelt. Die Parteien öffneten den Tresor der Erblasserin gemeinsam und suchten auch Banken gemeinsam auf. Der Beklagte überwies der Klägerin Geldbeträge aus der Auflösung eines Depots, des Girokontos und aus dem Verkauf einer Eigentumswohnung. Die Abwicklung des Nachlasses war Ende 2012 abgeschlossen. Die Parteien standen in den Folgejahren in regelmäßigem familiärem Kontakt.
Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Miterben seien einander zur Auskunft verpflichtet. Sie behauptet, sie habe berechtigte Zweifel an der ordnungsgemäßen Verteilung des Nachlasses, weil sich der Beklagte strikt geweigert habe, Konto- und Depotunterlagen offenzulegen. Auch habe der Beklagte stark überhöhte Bestattungskosten angegeben.
Außerdem habe sich der Beklagte geweigert, einen der Versicherungsverträge der Eltern auf die Klägerin zu übertragen. Sie habe den Beklagten mit Schreiben vom 19.11.2019 aufgefordert, Auskunft zu erteilen.
Die Klägerin hat ursprünglich angekündigt im Wege einer Stufenklage folgende Anträge zu stellen,
den Beklagten auf der ersten Stufe zu verurteilen, ihr umfassende Auskunft über den gesamten Nachlass der am 07.08.2012 verstorbenen Frau S zu erteilen,
den Beklagten auf der zweiten Stufe zu verurteilen, die Hälfte des Nachlasswertes abzüglich geleisteter Abschlagszahlungen an die Klägerin zu bezahlen, nebst fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung, den Beklagten weiterhin zu verurteilen, die Kfz-Versicherung der verstorbenen Frau S bei der Allianz-Versicherung umschreiben zu lassen.
Der Beklagte hat angekündigt zu beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Parteien haben den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
Er ist der Auffassung, der Anspruch der Klägerin sei verjährt, jedenfalls aber verwirkt. Die Beerdigung sei im Einvernehmen der Parteien abgewickelt worden. Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass die Beerdigung ca. 5.400,00 EUR gekostet habe. Ein Depot bei der Allianz hätten die Eltern nur bis 2005 unterhalten.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits sind vorliegend der Klägerin aufzuerlegen.
Die Parteien haben den Rechtsstreit hier nach § 91a ZPO übereinstimmend für erledigt erklärt. In diesem Fall ist über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Dabei kommt es entscheidend darauf an, wie der Rechtsstreit ohne die Erledigung zu entscheiden gewesen wäre, wobei die Regelungen der §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 93 ZPO jedenfalls ihrem Rechtsgedanken nach heranzuziehen sind.
1. Auskunftsanspruch
Die Klägerin hatte gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Auskunft.
a) Ein solcher Anspruch ergibt sich vorliegend nicht aus der Erbengemeinschaft oder dem Rechtsverhältnis der Miterben. Denn zwischen ihnen besteht gerade keine umfassende Auskunftspflicht (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.1988, Iva ZR 290/87; OLG Koblenz, Beschluss vom 20.08.2012, 5 U 521/12; OLG München, Urteil vom 28.01.2009, 20 U 4451/08; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.08.2015, 7 U 47/14).
b) Auch auf auftragsrechtlicher Grundlage kann die Klägerin keine umfassende Auskunft verlangen. Zwar trifft es zu, dass derjenige, der den Nachlass abwickelt, zur Auskunft gemäß § 666 BGB verpflichtet ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.08.2015, 7 U 47/14).
aa) Im Ausgangspunkt bestand ein Auskunftsanspruch nur betreffend einen geringen Teil des Nachlasses. Der Umfang der Auskunftspflicht wird durch den Umfang des Auftrags bestimmt; der Auftraggeber kann also nur so weit Auskunft verlangen, wie dies den Auftrag betrifft. Für den Umfang des Auftrags bzw. der Geschäftsführung ohne Auftrag ist die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet.
(1) Zunächst ist die Klägerin für die Behauptung, der Beklagte habe den Nachlass allein abgewickelt, beweisfällig geblieben. Der Beklagte hat dies erheblich bestritten i. S. d. § 138 ZPO. Er hat auch konkret zu Mitwirkungshandlungen der Klägerin bei der Nachlassabwicklung vorgetragen. Dementsprechend scheidet die begehrte umfassende Auskunft aus.
(2) In dem Begehren auf umfassende Auskunft ist als Minus i. S. d. § 308 ZPO das Begehren Auskunft über vorgenommene Auseinandersetzungshandlungen enthalten. Die Auskunft nach § 666 BGB (gegebenenfalls mit § 681 BGB) besteht im Ausgangspunkt nur, soweit der Beklagte unstreitig die Abwicklung des Nachlasses übernommen hat, weil die Klägerin keinen Beweis für den Umfang der Tätigkeit des Beklagten angetreten hat.
Dass zu dem Nachlass ein Depot bei der Allianz gehörte, steht damit nicht fest, vielmehr hat die Klägerin nicht widerlegt, dass dieses bereits 2005 aufgelöst worden ist. Ebenso wenig steht fest, dass weitere Konten, Depots bestanden bzw. erst recht von dem Beklagten aufgelöst wurden. Dass der Beklagte die Wohnung der Erblasserin im Auftrag der Erbengemeinschaft aufgelöst hat, steht ebenso wenig fest, vielmehr ist letztlich unstreitig geblieben, dass die Parteien die Auflösung gemeinsam vorgenommen haben.
Dass zu dem Nachlass zwei Kfz-Versicherungsverträge gehörten, steht auch nicht fest. Auch die Klägerin behauptet letztlich nicht schlüssig, dass beide Versicherungsverträge zum Nachlass der Erblasserin gehörten. Soweit sie behauptet, dass der Versicherungsvertrag der Erblasserin noch auf sie hätte übertragen werden müssen, trifft dieses nicht zu. Denn es handelt sich um einen unteilbaren Nachlassgegenstand. Dass dieser gerade auf die Klägerin zu übertragen war und übertragen werden konnte, behauptet sie nicht schlüssig.
bb) Der Anspruch der Klägerin ist im Übrigen jedenfalls nach § 242 BGB verwirkt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein auftragsrechtlicher Auskunftsanspruch dann verwirkt sein, wenn bei familiär oder persönlich geprägten Auftragsverhältnissen der Auskunftsanspruch jahrelang nicht geltend gemacht wird (BGH, Beschluss vom 26.06.2008, III ZR 30/08; BGH, Urteil vom 31.01.1963, VII ZR 284/61; BGH, Urteil vom 18.11.1986, IVa ZR 79/84). Vorliegend sind die Parteien des Rechtsstreits Geschwister und als solche familiär verbunden. Es bestand jedenfalls auch ein Näheverhältnis dahingehend, dass sich die Parteien privat getroffen haben. Die Klägerin hat gegen den Beklagten seit der Abwicklung des Nachlasses 2012 jahrelang keine Auskunftsansprüche geltend gemacht, ohne dass es an dieser Stelle entscheidend darauf ankommt, ob der Beklagte bereits vorprozessual zur Auskunft aufgefordert wurde. Die Klägerin hat auch nicht schlüssig vorgetragen, dass sie Zweifel an der Redlichkeit des Beklagten hatte. Soweit die Klägerin behauptet, der Beklagte habe falsche Angaben im Nachlassverzeichnis gemacht, ist dies offensichtlich falsch. Denn ein Nachlassverzeichnis besteht hier nicht; vielmehr gab es nur ein Formular zur Wertermittlung im Nachlassverfahren, dessen Adressatin aber die Klägerin gerade nicht war. Es eignet sich deshalb nicht, Zweifel an der Redlichkeit im Verhältnis der Parteien untereinander zu begründen.
cc) Im Übrigen hätte die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits nach dem Rechtsgedanken des § 93 ZPO zu tragen. Der Beklagte hat mit der Klageerwiderung die notwendigen Auskünfte erteilt. Einen Klageanlass gab es nicht. Denn es steht nicht fest, dass der Beklagte vorgerichtlich jemals zur Auskunft aufgefordert worden ist. Ob ihn das vorgerichtliche Aufforderungsschreiben erreicht hat, bleibt streitig, was zulasten der Klägerin geht, die bezüglich des Zugangs beweisfällig geblieben ist. Weitere vorgerichtliche Bemühungen zur Auskunftsbeschaffung trägt die Klägerin nicht schlüssig vor.
2. Zahlungsanspruch auf der zweiten Stufe der Stufenklage
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung eines hälftigen Betrages. Es ist nicht ersichtlich, dass der Anspruch der Klägerin auf hälftige Beteiligung am Nachlass nach § 2047 BGB verletzt worden ist. Dementsprechend fehlt jede tatsächliche und rechtliche Grundlage für einen Zahlungsanspruch.
3. Anspruch auf Übertragung der Kaskoversicherung
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Umschreibung einer Kfz-Versicherung bei der Allianz. Eine Grundlage für einen solchen Anspruch fehlt. Insbesondere steht nicht fest, dass eine solche Kfz-Versicherung Teil des Nachlasses war. Im Übrigen handelt es sich, wie bereits ausgeführt, nicht um einen teilbaren Gegenstand, auf dessen Übertragung die Klägerin einen Anspruch gehabt hätte.
4. Rechtsgedanke des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO
Im Übrigen hätte die Klägerin angesichts der im Verhältnis zum Gesamtnachlass geringfügigen Aufträge des Beklagten nur in einem so geringen Umfang mit dem ersten Klageantrag obsiegen können, dass der Rechtsgedanke des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Anwendung gelangte.