OLG München – Az.: 33 U 325/21 – Urteil vom 23.08.2021
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Teil-Anerkenntnis-, Teil-Versäumnis- und Teil-Endurteil des Landgerichts Memmingen vom 16.12.2020, Aktenzeichen 35 O 753/20 insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen, als der Beklagte in Ziffer 1 des angefochtenen Urteils verurteilt wurde, sämtliche Auskünfte unter Belegvorlage zu erteilen, mitzuteilen, ob und gegebenenfalls wem die Erblasserin Vollmacht erteilt hat, über ihr Vermögen, insbesondere über ihre Bankkonten zu verfügen und ob in diesem Zusammenhang Forderungen des Nachlasses gegen Bevollmächtigte bestehen sowie bei Kapitalvermögen die Mitteilungen an die Erbschaftssteuerstelle gemäß § 33 ErbStG vorzulegen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über Pflichtteilsansprüche. Der Kläger ist der Sohn der am 12.01.2019 verstorbenen Erblasserin, der Beklagte ihr Ehemann. Die Erblasserin wurde vom Beklagten allein beerbt.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger Auskunft und Belegvorlage vom Beklagten, um seine Pflichtteilsansprüche beziffern zu können.
Der Beklagte verteidigt sich mit der Behauptung, ein Anspruch auf Belegvorlage bestünde nicht, im Übrigen seien die Belege bereits zum Teil vorgelegt worden.
Das Erstgericht hat der Klage mit Teilurteil vom 16.12.2020 stattgegeben.
Es sah die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Belegvorlage als gegeben an.
Im Übrigen nimmt der Senat hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Feststellungen im Teilurteil des Landgerichts Memmingen vom 16.12.2020 Bezug, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Der Beklagte rügt in seiner Berufungsbegründung vom 15.01.2021 (Bl. 57 ff d.A.), dass das Erstgericht zu Unrecht eine allgemeine Belegvorlage zugesprochen hat.
Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren (Bl. 57 der Akten):
Das Teilurteil des Landgerichts Memmingen vom 16.12.2020, Az.: 35 O 753/20 wird insoweit aufgehoben und die Klage in der Auskunftsstufe als unzulässig und unbegründet abgewiesen, als der Beklagte und Berufungskläger dazu verurteilt worden ist,
– sämtliche Ansprüche (sic!) haben unter Belegvorlage (Kopien) zu erfolgen
– auch ist mitzuteilen, ob und ggf. wem die Erblasserin Vollmacht erteilt hat, über ihr Vermögen, insbesondere über ihre Bankkonten zu verfügen und ob in diesem Zusammenhang Forderung des Nachlasses gegen Bevollmächtigte bestehen
– bei Kapitalvermögen ist eine Mitteilung an die Erbschaftssteuerstelle gemäß § 33 EStG vorzulegen.
Der Kläger beantragt (Bl. 62 der Akten), die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass eine Belegvorlage vorliegend deswegen gerechtfertigt sei, weil diese notwendig sei, um hinsichtlich des Nachlassbestandes eine Werteinschätzung vornehmen zu können.
Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 28.4.2021 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Am 14.6.2021 hat der Senat mündlich verhandelt. Hinsichtlich des Inhalts und Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll (Bl. 88/89 d.A.) Bezug genommen. Eine gütliche Einigung war nicht möglich.
Ergänzend verweist der Senat auf die von den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
II.
Die zulässige Berufung ist im Ergebnis erfolgreich.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere wird der Wert des Beschwerdegegenstandes (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) erreicht. Zwar entspricht es der herrschenden Meinung, dass sich bei der Verurteilung des Beklagten zur Auskunft dessen Beschwer grundsätzlich nur nach dem mit der Auskunftserteilung verbundenen Aufwand bemisst, wobei auf die Sätze nach dem JVEG abzustellen ist (BGH NJW 1995, 664; NJW-RR 2021, 724; Krätzschel in: NK/Nachfolgerecht 2. Auflage <2018> § 254 ZPO Rn. 25 ff). Dabei ist im Wesentlichen auf den substantiiert vorzutragenden Aufwand und Zeit abzustellen, den die sorgfältige Erteilung der geschuldeten Auskunft erfordert (Thoms/Putzo/Hüßtege ZPO 42. Auflage <2021> § 3 Rn. 21c). Danach übersteigt die Beschwer wohl nur in Ausnahmefällen die Grenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass alle Auskünfte, die der Beklagte zu erteilen hat, unter Belegvorlage erfolgen sollen. Insoweit hat die beklagte Partei mit Schriftsatz vom 19.2.2021 vorgetragen, dass allein die Vorlage von Bankbelegen für die zurückliegenden 10 Jahre vor dem Erbfall Bankgebühren in erheblichem Umfang anfallen, so dass allein dadurch der Wert des Beschwerdegegenstandes überschritten wird.
2. Die Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg. Der Senat teilt nicht die Ansicht des Landgerichts, wonach im vorliegenden Falle neben der Verurteilung zur Auskunftserteilung, die vom Beklagten mit der Berufung nicht angegriffen wird, auch eine Vorlage von Belegen zu erfolgen hat.
a) Seiner Rechtsansicht legt der Senat die folgenden Grundsätze zugrunde:
Die zu erteilende Auskunft des Erben im Rahmen des § 2314 BGB erstreckt sich auf alle Berechnungsfaktoren und somit auf alle tatsächlich zum Erbfall vorhandenen Aktiv- und Passivposten (Blum/Heuser in: BeckOGK/BGB Stand: 15.06.2021 § 2314 Rn. 7; Krätzschel in: Firsching/Graf Nachlassrecht 11. Auflage <2019> § 17 Rn. 25).
Nach Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur besteht kein allgemeiner Anspruch auf Belegvorlage im Rahmen eines Auskunftsanspruchs (OLG Koblenz BeckRS 2012, 20029; OLG Hamm BeckRS 2015, 12501; OLG Koblenz ZEV 2010, 262 Rn. 20; OLG Düsseldorf ZEV 2019, 90; Lange in: MüKo/BGB 8. Auflage <2020> § 2314 Rn. 14; Müller-Engels in: BeckOK/BGB Stand 1.5.2021 § 2314 Rn. 19; Bock in: NK/Erbrecht 5. Auflage <2018> § 2314 Rn. 20).
Eine Pflicht zur Vorlegung von Belegen besteht ausnahmsweise dann, wenn ein Unternehmen zum Nachlass gehört und die Beurteilung seines Wertes ohne Kenntnis insbesondere der Bilanzen und ähnlicher Unterlagen dem. Pflichtteilsberechtigten nicht möglich wäre (BGH NJW 1961, 602).
Eine Vorlage von Belegen kann ausnahmsweise auch dann gefordert werden, wenn der Wert einzelner Nachlassgegenstände ungewiss ist und die Vorlage einzelner Unterlagen erforderlich ist, damit der Pflichtteilsberechtigte den Wert der Gegenstände selbst abschätzen kann (Palandt/Weidlich BGB 80. Auflage <2021>, § 2314 Rn. 10).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt eine Vorlage von Belegen im vorliegenden Falle nicht in Betracht.
aa) Der Senat teilt die herrschende Meinung der Rechtsprechung, wonach eine allgemeine Belegvorlagepflicht hinsichtlich des Auskunftsanspruchs nach § 2314 BGB nicht besteht. Maßgeblich ist insoweit, dass § 2314 Abs. 1 BGB nur auf § 260 BGB, nicht auch auf § 259 BGB verweist und § 260 BGB keine allgemeine Pflicht zur Rechenschaftslegung und seinem Wortlaut nach auch keine Pflicht zur Vorlage von Belegen beinhaltet.
bb) Auch der Vergleich mit § 1379 Abs. 1 S. 2 BGB spricht für die herrschende Meinung. Die Vorschrift sieht für den Fall der Berechnung von Zugewinnausgleichsansprüchen vorbereitend ebenfalls Auskunftsansprüche, ein Verzeichnis nach § 260 BGB, das Anwesenheitsrecht bei der Erstellung des Verzeichnisses, einen Wertermittlungsanspruch und ein notarielles Verzeichnis vor. Während der Gesetzgeber dort aber durch Art. 1 Nr. 8 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts (Gesetz vom 6.7.2009, BGBl. I 2009, 1696) mit Wirkung zum 1.9.2009 ausdrücklich eine Pflicht zur Belegvorlage eingeführt hat, hat es eine solche Gesetzesänderung im Erbrecht nicht gegeben, obwohl der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts (Gesetz vom 24.9.2009, BGBl. I 2009, 3142) mit Wirkung zum 1.1.2010 zwar unter anderem das Pflichtteilsrecht geändert hat, § 2314 BGB aber gerade nicht um die Regelung einer Belegvorlagepflicht ergänzt hat (OLG Düsseldorf ZEV 2019, 90).
cc) Soweit die Literatur teilweise für Ausnahmen vom o.g. Grundsatz annimmt, so wenn die Vorlage von Unterlagen bzw. Belegen erforderlich ist, damit der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch berechnen kann (Staudinger/Herzog Neubearbeitung 2015 § 2314 Rn. 33 m.w.N.), liegen diese Voraussetzungen nach Auffassung des Senats hier nicht vor.
dd) Nach den vom Landgericht getroffenen, den Senat bindenden Feststellungen liegt auch tatbestandlich keiner der Ausnahmefälle vor, in denen nach der Rechtsprechung ausnahmsweise eine Vorlage von Belegen in Betracht kommt.
(1) Vorliegend hat das Landgericht für den Senat bindend (§ 529 Abs. 1 ZPO) festgestellt, dass die zum Nachlass gehörenden ehemaligen landwirtschaftlichen Flächen verpachtet sind. Der Bestand des Nachlasses steht insoweit fest. Dass es für den Kläger im Hinblick auf die spätere Bezifferung von Pflichtteilsansprüchen der Höhe nach praktisch wäre, die Pachtverträge zu sehen, um sich einen Überblick über die Erträge zu verschaffen, begründet ebenso wenig einen Anspruch auf die Vorlage dieser Belege wie der Umstand, dass es für den Beklagten im Zweifel ohne großen Aufwand möglich wäre, die entsprechenden Unterlagen vorzulegen (so wohl Staudinger/Herzog Neubearbeitung 2015 § 2314 Rn. 33 m.w.N.).
Insbesondere lässt sich die Belegvorlage vorliegend nicht mit dem Argument der Klagepartei rechtfertigen, so könne eingeschätzt werden, ob es sich bei den verpachteten Flächen um ein Landgut im Sinne des § 2312 BGB handele. Ist streitig, ob ein landwirtschaftliches Anwesen ein Landgut ist und ist für diese Feststellung besondere Sachkunde erforderlich, muss gegebenenfalls ein Gutachten eingeholt werden (BGH ZEV 2008, 40; Horn in: Burandt/Rojahn 3. Auflage <2019> § 2312 BGB Rn. 5). Aus vorgelegten Belegen lassen sich insoweit jedenfalls keine tragfähigen Schlüsse ziehen.
(2) Soweit der Beklagte schließlich verurteilt wurde, die Mitteilungen an die Erbschaftsteuerstelle vorzulegen, besteht auch dieser Anspruch nicht. Insoweit handelt es sich bei dieser Mitteilung wiederum um einen Beleg, auf dessen Vorlage kein Anspruch besteht (s.o.). Etwas anderes ergibt sich aber auch nicht aus der Entscheidung des Landgerichts Köln (BeckRs 2016, 134374), auf das das Landgericht seine angefochtene Entscheidung stützt. Im Gegenteil: Im dortigen Urteil heißt es ausdrücklich, dass es sich bei den „aufgeführten Mitteilungen an die Erbschaftssteuerstelle um Belege [handelt], deren Vorlage im Rahmen des Auskunftsanspruchs … nicht verlangt werden kann.“.
Auch der Hinweis auf Stimmen in der Literatur (z.B. Horn in: ZEV 2018, 626/627) geht fehl, denn die Vorlage der entsprechenden Belege wird gerade nicht für den Auskunftsanspruch, sondern nur für den Wertermittlungsanspruch gemäß § 2314 Abs. 2 BGB bejaht. Ein solcher wird hier aber gerade nicht geltend gemacht.
3. Schließlich besteht nach Ansicht des Senats auch kein Anspruch auf Mitteilung, wem bzw. gegebenenfalls in welchem Umfang die Erblasserin eine Vollmacht zur Verfügung über ihre Bankkonten erteilt hat. Zwar wird ein derartiger Anspruch in der Literatur teilweise angenommen (Horn in: Burandt/Rojahn Erbrecht 3. Auflage <2019>, § 2314 Rn. 23). Nach Auffassung des Senats besteht ein derartiger Anspruch jedoch nicht, da erteilte Vollmachten ihrer Natur nach keine Aktiva des Nachlasses sein können; etwaige Forderungen des Nachlasses gegenüber Dritten, in diesem Zusammenhang auch gegenüber etwaigen Bevollmächtigten, sind jedoch vom allgemeinen Auskunftsanspruch schon umfasst, da Auskunft selbstverständlich über alle aktiv Position des Nachlasses, mithin auch Forderungen zu erteilen ist.
Aus den vorgenannten Gründen war die angefochtene Entscheidung deswegen teilweise aufzuheben.
III.
Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 BGB.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.