Streit um Nachlassverzeichnis: OLG Brandenburg bestätigt Kostenlast für Klägerin
Der Fall, der vor dem Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg verhandelt wurde, dreht sich um die Frage der Kostenverteilung in einem Erbstreit. Die Klägerin, eine Pflichtteilsberechtigte, verlangte von der Beklagten, der Erbin, Auskunft über den Nachlassbestand des Erblassers. Obwohl die Beklagte die Forderung der Klägerin anerkannte, wurde die Klägerin zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt. Das Kernproblem des Falles liegt in der Frage, ob die Klägerin berechtigt war, die Gerichtskosten auf die Beklagte abzuwälzen, da diese ihrer Meinung nach nicht bereit schien, freiwillig Auskunft zu erteilen.
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Übersicht
Vorprozessuale Kommunikation und Anerkenntnisurteil
Die Klägerin hatte die Beklagte vorprozessual aufgefordert, ein notarielles Nachlassverzeichnis vorzulegen. Die Beklagte teilte daraufhin mit, dass sie einen Notar mit der Erstellung des Verzeichnisses beauftragt habe. Später erkannte die Beklagte den Anspruch der Klägerin an, jedoch wurde die Klägerin zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits verurteilt. Das Landgericht begründete dies damit, dass die Klägerin keinen Anlass zur Klageerhebung gehabt habe, da die Beklagte bereits vorprozessual ihre Bereitschaft zur Auskunft signalisiert hatte.
Sofortige Beschwerde der Klägerin
Die Klägerin legte gegen die Kostenentscheidung sofortige Beschwerde ein. Sie argumentierte, dass die Beklagte durch ihr Verhalten den Eindruck erweckt habe, nicht zur Auskunftserteilung bereit zu sein. Insbesondere sei die Frist für die Beauftragung eines Notars überschritten worden, und es habe keine weitere Kommunikation stattgefunden.
Bewertung des OLG Brandenburg
Das OLG Brandenburg wies die Beschwerde der Klägerin zurück. Es stellte fest, dass die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben habe. Die Klägerin hätte dem anwaltlichen Schriftsatz der Beklagten Glauben schenken müssen, dass ein Notar beauftragt worden sei. Zudem sei die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses zeitintensiv, und die Klägerin hätte sich vor der Klageerhebung nach dem Stand der Dinge erkundigen müssen.
Schlussbetrachtung: Vernunft und Treu und Glauben
Das Gericht betonte, dass die gesamten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu bewerten seien. In diesem Fall hätte die Klägerin bei vernünftiger Betrachtung erkennen müssen, dass sie auch ohne gerichtliche Inanspruchnahme zu ihrem Recht kommen würde. Daher sei die Kostenentscheidung des Landgerichts gerechtfertigt.
Das vorliegende Urteil
OLG Brandenburg – Az.: 3 W 57/23 – Beschluss vom 16.06.2023
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Cottbus vom 17.05.2023, Az. 3 O 26/23, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Beschwerdewert: bis zu 2.000 €
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt als Pflichtteilsberechtigte von der Beklagten als Erbin Auskunft über den Nachlassbestand des Erblassers.
Mit vorprozessualem Schreiben vom 06.10.2022 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ein notarielles Nachlassverzeichnis vorzulegen. Sie setzte eine Frist zur Anzeige der Beauftragung eines Notars bis zum 01.11.2022. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 21.11.2022 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie am 27.10.2022 den Notar U. K. mit der Anfertigung eines Nachlassverzeichnisses beauftragt habe.
Die am 25.01.2023 bei Gericht eingegangene Klage wurde der Beklagten am 20.02.2023 zugestellt. Innerhalb der bis zum 25.05.2023 laufenden Klageerwiderungsfrist, erkannte die Beklagte mit dem am 10.05.2023 eingegangenen Schriftsatz den Anspruch der Klägerin unter Verwahrung gegen die Kostenlast an.
Mit Anerkenntnisurteil vom 17.05.2023 hat das Ausgangsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Zur Begründung der Kostenentscheidung hat es ausgeführt, es handele sich um ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne von § 93 ZPO, da das Anerkenntnis innerhalb der Klageerwiderungsfrist abgegeben worden sei. Die Klägerin habe keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben. Sie habe der Beklagten mit Schriftsatz vom 21.11.2022 mitgeteilt, dass am 27.10.2022 ein Notar mit der Anfertigung eines Nachlassverzeichnisses beauftragt worden sei. Dem habe die Klägerin entnehmen können, dass die Beklagte auch ohne dahingehende Verurteilung bereit sei, den Anspruch zu erfüllen. Dass bis zum Eingang der Klageschrift am 25.01.2023 weder ein notarielles Nachlassverzeichnis vorgelegt worden, noch seitens der Beklagten eine Mitteilung zum Sachstand erfolgt sei, rechtfertige auf Seiten der Klägerin noch nicht die Annahme, dass die Beklagte ihren Standpunkt geändert haben könnte und nunmehr nicht mehr zur freiwilligen Erfüllung bereit sei. Erfahrungsgemäß nehme die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses einen gewissen Zeitraum in Anspruch, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass der beauftragte Notar allenfalls in Ausnahmefällen sofort im Zeitpunkt seiner Beauftragung mit der Erstellung des Nachlassverzeichnisses tatsächlich beginne. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte Anlass zur Klageerhebung nur gegeben, wenn sie durch positives Tun zum Ausdruck gebracht hätte, dass sie zur Erfüllung des Anspruchs nicht mehr bereit sei oder ein Zeitraum vergangen wäre, innerhalb dessen ohne Zweifel ein notarielles Nachlassverzeichnis hätte erstellt werden können. Beides sei aber nicht der Fall.
Gegen die Kostenentscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.
Sie vertritt die Auffassung, sie habe davon ausgehen dürfen, dass ein erheblicher Widerwille auf Seiten der Beklagten vorhanden sei, die geforderte Auskunft zu erteilen. Bereits die gesetzte Frist zur Mitteilung, dass ein Notar beauftragt worden sei, sei um fast einen Monat überschritten worden. Zudem sei die Mitteilung ohne jeden Nachweis erfolgt. Bis zur Klageerhebung fast drei Monate später sei keine weitere Rückmeldung der Beklagten erfolgt. Die Klägerin habe, nachdem die Frist zum 01.11.2022 verstrichen gewesen sei, den Versuch einer außergerichtlichen Klärung unternommen. Die Beklagte habe ihr daraufhin ein auf den 18.11.2022 datiertes Schreiben übersandt, mit welcher diese die Auskunftspflicht verneint habe, indem sie formuliert habe, dass eine Einsichtnahme in Unterlagen für sie nicht verpflichtend sei. Vor diesem Hintergrund habe die Beklagte sehr wohl durch ihr Verhalten den Eindruck hinterlassen, zur Auskunftserteilung nicht bereit zu sein. Nachdem nach diesem Schreiben bis zur Klageerhebung keine weitere Rückmeldung der Beklagten erfolgt sei, habe sie davon ausgehen können, dass eine Anspruchserfüllung nicht mehr erfolge.
II.
Die nach §§ 99 Abs. 2 Satz 1, 567 ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung im Anerkenntnisurteil hat in der Sache keinen Erfolg.
Eine Partei gibt Anlass zur Erhebung einer Klage, wenn ihr vorprozessuales Verhalten aus Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass zu der Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (Flockenhaus in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 93 Rn. 2, 25 mwN). Hierzu sind die gesamten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu bewerten.
Gemessen daran ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat.
Die Klägerin hatte die Beklagte erstmals mit anwaltlichem Schreiben vom 06.10.2022 zur Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses aufgefordert und für die Anzeige der Beauftragung eine Frist bis zum 01.11.2022 gesetzt. Dem entsprach die Beklagte zwar zunächst nicht; ihr Prozessbevollmächtigter teilte dem Vertreter der Beklagten allerdings mit Schreiben vom 21.11.2022 mit, dass am 27.10.2022, also innerhalb der von der Klägerin gesetzten Frist, ein Notar mit der Erstellung des Nachlassverzeichnisses beauftragt worden sei. Es bestand für die Klägerin keine Veranlassung, diesen Angaben der Beklagten zu misstrauen. Beide Parteien hatten bereits vorprozessual Rechtsanwälte mit ihrer Interessenvertretung beauftragt. Die Mitteilung, dass der Notar beauftragt worden ist, erfolgte durch anwaltlichen Schriftsatz. Diesen Angaben des Rechtsanwaltes als Organ der Rechtspflege keinen Glauben zu schenken, bestand keine Veranlassung, selbst wenn ein Nachweis der Beauftragung nicht beigefügt war. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des im Beschwerdeverfahren eingereichten persönlichen Schreibens der Beklagten vom 18.11.2022. Zum einen datiert dieses vor dem anwaltlichen Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 22.11.2022. Zum anderen ist diesem Schreiben auch keine Weigerung zur Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu entnehmen.
Nach dieser Mitteilung vom 22.11.2022 konnte die Klägerin deshalb davon ausgehen, dass die Beklagte alles Notwendige zur Erfüllung ihres Anspruchs in die Wege geleitet hatte, um den Anspruch der Klägerin zu erfüllen. Bei vernünftiger Betrachtung konnte die Klägerin diesem Schreiben des Beklagtenvertreters entnehmen, dass sie auch ohne Anrufung der Gerichte zu ihrem Recht kommen werde.
Die Klageerhebung nur drei Monate später, ohne sich zuvor nach dem Stand der notariellen Tätigkeit zu erkundigen, war danach verfrüht. Für die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses ist dem Erben regelmäßig ein Zeitraum von jedenfalls drei bis vier Monaten zuzubilligen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.02.2020, 7 W 92/19;: Weidlich ZEV 2017, 241 [243]), so dass, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, der Zeitraum, innerhalb dessen jedenfalls sicher mit der Erstellung des beauftragten Verzeichnisses zu rechnen war, zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht abgelaufen war. Die Beklagte hat innerhalb dieses Zeitraums auch keine Tätigkeiten entfaltet oder Verlautbarungen gemacht, denen die Klägerin hätte entnehmen können, dass sich an der Bereitschaft der Beklagten zur Erfüllung des Anspruchs etwas geändert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO; die Festsetzung des Beschwerdewerts richtet sich nach den voraussichtlichen Kosten der ersten Instanz.