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Auslegung gemeinschaftlichen Testament –  Vor- und Nacherbschaft

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 3 W 67/21 – Beschluss vom 11.08.2021

1 . Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 10.05.2021, Az. 51 VI 707/18, wird zurückgewiesen.

2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Beschwerdewert: 100.000 €

Gründe

I.

Der Erblasser und seine Ehefrau, die Beteiligte zu 1., verfassten am 01.01.2007 ein gemeinschaftliches, von beiden Eheleuten unterschriebenes handschriftliches, mit „Berliner Testament“ übertiteltes Testament, in dem es heißt:

„Wir, die Eheleute … errichten das nachstehende gemeinschaftliche Testament.

Wir setzen uns gegenseitig als Alleinerben ein.

Unsere Kinder sollen für den gesamten Nachlass nur die Erben des zuletzt Verstorbenen von uns sein.

Verlangt eines unserer Kinder den Pflichtteil von dem überlebenden Ehegatten, so soll es nach dem Tod des zuletzt verstorbenen nur den Pflichtteil erhalten.

…“

Der Erblasser und die Beteiligte zu 1. hatten zwei gemeinsame Kinder, den Antragsteller und Frau K… K…. Der Erblasser hatte daneben einen weiteren außerehelichen Sohn, Herrn F… Ko….

Das Nachlassgericht erteilte am 01.02.2019 auf Antrag der Beteiligten zu 1 einen Erbschein, der diese als Alleinerbin ausweist.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Beteiligte zu 2 die Einziehung des Erbscheins und die Erteilung eines Erbscheins, der die Beteiligte zu 1 als befreite Vorerbin und ihn und Frau K… K… als Nacherben ausweist.

Er ist der Auffassung, der Erbschein sei unrichtig. Das gemeinschaftliche Testament enthalte die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft. Der Erblasser habe gewollt, dass das Vermögen der Eheleute nach dem Tod des Längstlebenden (nur) auf die beiden gemeinsamen Kinder übergehe. Aus der Formulierung „für den gesamten Nachlass“ ergebe sich, dass die gemeinsamen Kinder am Nachlass des Erstversterbenden hätten teilnehmen sollen. Hätte der Erblasser eine andere Regelung gewollt, werde üblicherweise anders formuliert, indem etwa der dann „übrige Nachlass“ weitervererbt werden solle. Diese Auslegung entspreche auch den familiären Verhältnissen zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments. Der Erblasser habe sein Lebenswerk mit dem Grundstück und dem Wohnhaus verwirklicht. Sein Nachlass habe den Kindern als Erben des Letztlebenden zugutekommen sollen. Für eine Vor- und Nacherbeneinsetzung spreche auch die Pflichtteilsstrafklausel.

Das Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 10.05.2021 zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, aus dem Testament ergebe sich eindeutig, dass sich die Eheleute für die Einheitslösung entschieden hätten. Der gesamte Nachlass habe zunächst dem anderen Ehegatten zufallen sollen. Einzig die Pflichtteilsstrafklausel könne Anlass bieten, über eine Vor- und Nacherbschaft nachzudenken. Das Testament biete aber keinerlei Anzeichen dafür, dass es hier speziell um den Familienbesitz, das Haus in …, gehe.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Das Nachlassgericht habe den mutmaßlichen Willen der Erblasser nicht hinreichend erforscht. Aus dem Testament ergebe sich, dass diese nach der Trennungslösung den Übergang ihres Vermögens getrennt vom Eigenvermögen der Überlebenden zunächst auf den anderen Ehegatten und dann auf die gemeinsamen Kinder gewollt hätten. Dies ergebe sich aus der gewählten Formulierung und werde durch die Pflichtteilsstrafklausel abgesichert.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 21.06.2021 nicht abgeholfen und dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Nachlassgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Beteiligte zu 1 Vollerbin des Erblassers geworden ist und das gemeinschaftliche Testament des Erblassers und der Beteiligten zu 1 keine Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft enthält.

Der Wortlaut des Testaments enthält die Begriffe „Vorerbe“ und „Nacherbe“ nicht. Dies ist allerdings auch nicht zwingend erforderlich, um die Rechtsfolgen der §§ 2100 ff. BGB herbeizuführen; maßgebend ist vielmehr der in der letztwilligen Verfügung zu Tage getretene Wille, die Erbschaft zunächst dem Erst- und anschließend dem Zweitberufenen zuzuwenden (Senatsbeschluss vom 21.12.2020, 3 W 134/20; OLG Köln, Urteil vom 27.07.2016 – I-2 U 14/16, Rn. 30, juris; Münchener Kommentar/Leipold, BGB, 8. Aufl., § 2084 Rn. 39). Eine Vor- und Nacherbschaft kann – unabhängig von der Begriffswahl – von Eheleuten aber nur dann gewollt sein, wenn sie die Vorstellung haben, dass beim Tod des länger lebenden Ehegatten das Gesamtvermögen getrennt nach dem Vermögen des Vorverstorbenen und dem Eigenvermögen des Überlebenden vererbt werden und als je getrennte Vermögensmassen auf die (Nach-)Erben übergehen soll (OLG Schleswig, Beschluss vom 06.06.2016 – 3 Wx 1/16, BeckRS 2016, 19260 Rn. 30).

Dafür gibt es hier keine Anhaltspunkte. Für die Einheitslösung spricht insbesondere, dass die Ehegatten in ihrem Testament eine Regelung ausdrücklich gerade für ihr beiderseitiges, gemeinsames Vermögen getroffen haben. Die Formulierung, dass „unsere Kinder für den gesamten Nachlass nur die Erben des zuletzt Verstorbenen von uns“ sein sollen, ist ein hinreichender Hinweis darauf, dass die Ehegatten von einer Verschmelzung der Vermögensmassen in der Hand des Überlebenden und damit von der Einheitslösung ausgegangen sind (Burandt/Rojahn/Braun, Erbrecht, 3. Aufl., § 2269 Rn. 13). Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass sie das beiderseitige Vermögen möglichst unbeschränkt in der Hand des länger Lebenden zusammenhalten wollten.

Maßgebliche Anhaltspunkte – auch außerhalb des Testaments – dafür, dass die Eheleute entgegen der Formulierung in dem Testament die Trennungslösung gewollt haben und nicht von einer Einheitslösung ausgegangen sind, liegen nicht vor. Die Pflichtteilsstrafklausel ist kein Hinweis darauf, dass die Trennungslösung gewollt war. Sie findet sich typischerweise bei der Einsetzung von Schlusserben in einem Berliner Testament, um pflichtteilsberechtigte Schlusserben davon abzuhalten, schon beim ersten Erbfall Ansprüche geltend zu machen (S. Kappler/T. Kappler in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 2269 BGB, Rn 10).

Insgesamt ergibt die Auslegung des Testaments vom 01.01.2007, dass die testierenden Eheleute von der zentralen Vorstellung ausgegangen sind, der Nachlass des Erstversterbenden gehe auf den Überlebenden über und vererbe sich dann als einheitliche Vermögensmasse nach dessen Tod auf die Antragstellerin. Dann aber haben sie gewollt, dass der Überlebende Alleinerbe des Erstversterbenden werden soll und ihre Kinder Schlusserben werden sollten.

Soweit trotz der aufgezeigten Umstände und Hinweise für diese Auslegung noch Zweifel verbleiben sollten, griffe jedenfalls die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB ein. Haben danach die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament, durch das sie sich gegenseitig als Erben einsetzen, bestimmt, dass nach dem Tode des Überlebenden der beiderseitige Nachlass an einen Dritten fallen soll, so ist im Zweifel anzunehmen, dass der Dritte für den gesamten Nachlass als Erbe des zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Beschwerdewertes richtet sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Beschwerdeführers, der geltend macht, zur Hälfte Nacherbe des Erblassers geworden zu sein. Der Nachlasswert wurde im vorliegenden Verfahren mit ca. 200.000 € angegeben.

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