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Auslegung gemeinschaftlichen Testaments bei falscher Erbeinsetzung

Die Komplexität von Testamenten: ein Fall von Erbstreitigkeiten und nachträglicher Testamentanfechtung

Eine Erbschaft ist oft eine komplexe Angelegenheit, insbesondere wenn sie eine neu geheiratete Ehefrau, eine vorherige Ehefrau und Kinder aus beiden Ehen betrifft. Dieser Fall, der vor dem OLG Hamm (Az: I-15 W 257/21) verhandelt wurde, wirft ein Licht auf die rechtlichen und emotionalen Herausforderungen, die mit solchen komplizierten familiären Verhältnissen einhergehen.

Direkt zum Urteil Az: I-15 W 257/21 springen.

Das verwirrende Labyrinth der Testamentsgestaltung

Im Mittelpunkt des Falles stand ein Mann, der sich nach dem Tod seiner ersten Ehefrau wieder verheiratete. Vor ihrem Tod hatten er und seine verstorbene Frau ein gemeinschaftliches Testament aufgesetzt, in dem sie ihre jeweiligen Kinder aus vorherigen Ehen zu ihren Erben einsetzten. Nach der Heirat mit seiner neuen Ehefrau beschloss der Mann, das Testament anzufechten, da er befürchtete, dass seine neue Ehefrau ihren Pflichtteil einfordern könnte.

Die Komplikationen einer Testamentanfechtung

Mit der Anfechtung des Testaments hoffte der Mann, das Erbe auf der Grundlage der gesetzlichen Erbfolge neu zu verteilen. Die Kinder der verstorbenen Ehefrau widersprachen jedoch dem Erbscheinantrag, was zu einem juristischen Tauziehen führte.

Das endgültige Urteil und die rechtlichen Folgen

Das Nachlassgericht wies den Antrag auf Erbschein und die Anfechtung des Testaments schließlich zurück. Die Entscheidung wurde vom OLG Hamm bestätigt. Der Mann wurde dazu verpflichtet, die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Kinder seiner verstorbenen Frau zu tragen. Darüber hinaus wurde ihm die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.

Insgesamt verdeutlicht dieser Fall die Komplexität von Erbstreitigkeiten, besonders wenn verschiedene Ehen, Kinder und ein gemeinschaftliches Testament involviert sind. Es betont die Notwendigkeit, überlegte und umsichtige Entscheidungen bei der Gestaltung eines Testaments zu treffen und dabei alle potenziellen zukünftigen Änderungen zu berücksichtigen.


Das vorliegende Urteil

OLG Hamm – Az.: I-15 W 257/21 – Beschluss vom 12.08.2021

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beteiligte zu 1) hat den Beteiligten zu 2) bis 4) die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.484,00 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 1) und die Erblasserin hatten am 00.00.2002 geheiratet. Aus ihrer Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Die Beteiligten zu 2) bis 4) sind Kinder der Erblasserin aus vorangegangenen Ehen. Der Beteiligte zu 1) hat aus einer vorangegangenen Ehe einen Sohn, A.

Am 2.07.2004 errichteten die Erblasserin und der Beteiligte zu 1) ein gemeinschaftliches Testament (UR-Nr.87/2004 des Notars B in C).

Unter Ziffer 1 dieses Testaments setzte die Erblasserin ihre drei Kinder, die Beteiligten zu 2) bis 4) zu ihren Erben ein. Als Ersatzerben bestimmte sie zunächst die Abkömmlinge der Beteiligten zu 2) bis 4), für den Fall des kinderlosen Versterbens eines ihrer Kinder dessen Geschwister.

Unter Ziffer 2 dieses Testaments setzte der Beteiligte zu 1) seinen Sohn A und die Beteiligten zu 2) bis 4) zu seinen Erben ein.

Weiter heißt es unter Ziffer 2:

Mein Sohn, A, soll zunächst den gleichen Anteil erhalten, den die Kinder meiner Ehefrau bei deren Ableben bereits erhalten haben …

Hintergrund dieser Vereinbarung ist, dass unsere vier Kinder zu gleichen Teilen unser beider Erbe erhalten sollen.

Wir erklären, dass es unserem ausdrücklichen Wunsch entspricht, dass unsere vier Kinder unseren Nachlass insgesamt zu je ¼ Anteil erhalten.

Unter Ziffer 4 erklärten die Testierenden, dass sämtliche in diesem Testament niedergelegten Verfügungen wechselbezüglich sind.

Weiter heißt es unter Ziffer 4:

Nach dem Tode des Zuerstversterbenden soll der Überlebende auch an die Schlusserbeneinsetzung gebunden sind [sic]. Ihm soll das Recht auf Änderung dieses Testaments nicht zustehen.

Am 00.00.2019 heiratete der Beteiligte zu 1) erneut.

Mit der am 18.09.2020 beim Nachlassgericht eingegangen notariell beurkundeten Erklärung vom 11.09.2020 (UR-Nr.565/2020 des Notars D in E) hat der Beteiligte zu 1) „sämtliche“ von ihm in dem notariellen Testament getroffenen letztwilligen Verfügungen „als auch das Testament selbst“ angefochten. Dazu erklärte er, dass er seine Anfechtung auf das Hinzutreten eines weiteren Pflichtteilsberechtigten, seine neue Ehefrau, stütze.

Mit der am 18.02.2021 beim Nachlassgericht eingegangenen notariellen Urkunde vom 29.12.2020 (UR-Nr.866/2020 des Notars D in E) beantragte der Beteiligten zu 1) die Erteilung eines Erbscheins auf der Grundlage der gesetzlichen Erbfolge, nach der die Erblasserin zu ½ von ihm und zu je 1/6 von den Beteiligten zu 2) bis 4) beerbt worden sind. Die Beteiligten zu 2) bis 4) sind dem Erbscheinantrag entgegen getreten.

Mit Beschluss vom 1.06.2021 hat das Nachlassgericht den Erbscheinantrag „kostenpflichtig“ zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 24.06.2021, der das Nachlassgericht mit Beschluss vom 28.06.2021 nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 58 FamFG statthaft und insgesamt zulässig.

In der Sache ist die Beschwerde nicht begründet. Das Nachlassgericht hat den auf der Grundlage gesetzlicher Erbfolge gestellten Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1) im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen, da sich die Erbfolge nach der Erblasserin nach der von ihr unter Ziffer 1 des gemeinschaftlichen Testaments vom 2.07.2004 getroffenen letztwilligen Verfügung richtet.

Es kann für den hier zu beurteilenden Erbfall dahin stehen bleiben, ob der Beteiligte zu 1) die von ihm in dem gemeinschaftlichen Testament vom 2.07.2004 unter Ziffer 2 getroffene letztwillige Verfügung wirksam nach §§ 2281 analog, 2079 BGB anfechten kann. Der grundsätzlich gegebenen Anfechtbarkeit (OLG München ZEV 2015, 474 m. w. N. – juris Rz.11; OLG München FamRZ 2018, 209; Staudinger/Kanzleiter, Neubearbeitung 2019, § 2271 Rn. 69 m. w. N.) könnte im vorliegenden Fall ein sich im Wege der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments ergebender Anfechtungsausschluss entgegen stehen. Die von den testierenden Eheleuten als Regelungszweck angegebene Verteilungsgerechtigkeit unter den vier Kindern lässt sich nämlich nur erreichen, wenn es auch bei der letztwilligen Verfügung des Beteiligten zu 1) bleibt.

Die von der Erblasserin unter Ziffer 1 getroffene letztwillige Verfügung bleibt allerdings auch dann wirksam, wenn man eine wirksame Anfechtung der von dem Beteiligten zu 1) unter Ziffer 2 getroffenen letztwilligen Verfügung unterstellt.

Es ist anerkannt, dass nicht das gesamte Testament / der gesamte Erbvertrag angefochten werden kann. Angefochten werden kann immer nur die einzelne Verfügung, für die ein Anfechtungsgrund vorliegt (BGH MDR 1985, 827).

Für die von der Erblasserin getroffene letztwillige Verfügung unter Ziffer 1 des gemeinschaftlichen Testaments liegen die Voraussetzungen des § 2079 BGB nicht vor, da diese keinen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat. Auf andere Gründe hat der Beteiligte zu 1) seine Anfechtungserklärung vom 11.09.2020 nicht gestützt.

Die Wirksamkeit der von der Erblasserin unter Ziffer 1 getroffenen wechselbezüglichen Verfügung beurteilt sich daher nach § 2270 Abs. 1 BGB.

§ 2270 Abs. 1 BGB enthält eine Auslegungsregel. Auch bei einer grundsätzlich bestehenden Wechselbezüglichkeit zwischen zwei letztwilligen Verfügungen hat die Unwirksamkeit der einen letztwilligen Verfügung nicht zwingend die Unwirksamkeit der anderen letztwilligen Verfügung zur Folge (Staudinger/Kanzleiter, BGB, Neubearbeitung 2019, § 2270 Rn. 6; Münchener Kommentar/Musielak, BGB, § 2270 Rn. 15). Vielmehr ist im Wege der Auslegung zu prüfen, ob die Erblasserin ihre Verfügung auch dann getroffen hätte, wenn ihr die Unwirksamkeit der Verfügung des anderen Ehegatten bekannt gewesen wäre (BGH NJW 2011, 1353 – Rz.16 – zitiert nach juris; Münchener Kommentar/Musielak, a. a.O.).

Im vorliegenden Fall ist der Wille der Erblasserin, dass ihre unter Ziffer 1 getroffene letztwillige Verfügung auch bei einer durch eine Anfechtung des Beteiligten zu 1) nach §§ 2281 analog, 2079 BGB herbeigeführte Unwirksamkeit von dessen letztwilliger Verfügung Geltung behalten soll, evident. Nach der Erklärung der Beteiligten zu 1) in dem gemeinschaftlichen Testament ging es ihr bei ihrer Verfügung darum, dass ihre Kinder, die Beteiligten zu 2) bis 4), an dem gemeinsamen Vermögen zu gleichen Teilen teilhaben sollten. Dieser Zweck lässt sich für den Fall, dass sie zuerst verstirbt, nur dadurch erreichen, dass ihr Vermögensanteil alleine ihren Kindern zufällt. Ihren Ehemann, den Beteiligten zu 1), wollte die Erblasserin nach dem Inhalt ihrer letztwilligen Verfügung nicht an ihrem Nachlass partizipieren lassen, nicht einmal als Ersatzerbe. Dass der Beteiligte zu 1) durch eine Wiederverheiratung und die insoweit erklärte Anfechtung nun doch noch im Wege der gesetzlichen Erbfolge an ihrem Nachlass teilhaben und diesen nach seinem Gutdünken verteilen kann, steht dem aus der letztwilligen Verfügung erkennbaren Willen der Erblasserin diametral entgegen. Diese hätte also in Kenntnis einer auf diese Weise herbeigeführten Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung des Beteiligten zu 1) auf jeden Fall an ihrer eigenen letztwilligen Verfügung festhalten wollen. Die von der Erblasserin getroffene letztwillige Verfügung unter Ziffer 1 des gemeinschaftlichen Testaments vom 2.07.2004 bleibt daher als einseitige letztwillige Verfügung aufrecht erhalten.

Das Nachlassgericht hat den Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1) kostenpflichtig zurückgewiesen und diesem damit auch die außergerichtlichen Kosten, die den Beteiligten zu 2) und 4) in erster Instanz entstanden sind, aufgebürdet. Diese Kostenentscheidung hat der Nachlassrichter zwar nicht begründet und damit das ihm zustehende Ermessen im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 81 FamFG nicht ausgeübt. In der Sache ist die angeordnete Kostenerstattung aber auch aus Sicht des Senats korrekt. Der Antrag des Beteiligten zu 1) hatte nämlich von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg und der Beteiligte zu 1) hätte dieses auch erkennen müssen. Dass seine verstorbene Ehefrau seine Wiederverheiratung nicht dadurch honorieren will, dass sie ihn entgegen ihrer letztwilligen Verfügung doch noch an ihrem Nachlass teilhaben lassen will, hätte der Beteiligte zu 1) ohne Weiteres erkennen können und müssen.

Die Kostenentscheidung für die Beschwerdeinstanz findet ihre Grundlage in § 84 FamFG.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 61 GNotKG.

Der Senat legt dabei die von dem Beteiligten zu 1) im Wertfragebogen gemachten Angaben zum Wert des Nachlasses zugrunde.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor.

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