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Beginn der Ausschlagungsfrist für minderjährigen Erben

OLG Frankfurt – Az.: 21 W 22/12 – Beschluss vom 03.07.2012

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Amtsgerichts Limburg an der Lahn vom 16. November 2011 abgeändert. Der Antrag des Beteiligten zu 1) vom 27. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens erster Instanz trägt der Beteiligte zu 1).

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die am … 2007 in … verstorbene Erblasserin war zunächst in erster Ehe verheiratet mit dem zuvor verstorbenen Ehemann1.

Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, nämlich der am … 1981 kinderlos verstorbene A, der am … 1961 geborene, während des Beschwerdeverfahrens ebenfalls verstorbene B, der am … 1963 geborene C sowie der am … 1966 geborene D. Letzterer ist mit Frau E verheiratet. Er hat deren voreheliches Kind, den am … 2002 geborenen Beteiligten zu 2), adoptiert. Ferner ist er Vater von F, die am … 1988 geboren worden ist.

Zum Zeitpunkt ihres Todes war die Erblasserin mit dem Beteiligten zu 1) im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet. Aus der Ehe ging ein Sohn, nämlich der am … 1973 geborene G, hervor. Dieser ist Vater eines am … 2009 geborenen Kindes.

Mit am 9. Oktober 2007 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz erklärten die Herren G, D sowie C die Erbausschlagung (vgl. Bl. 29 ff. d. A.). Daraufhin erließ das Amtsgericht antragsgemäß einen Erbschein, wonach der Beteiligte zu 1) und B jeweils zur Hälfte Erben der Erblasserin seien (vgl. Bl. 62 d. A.).

Später erfuhr das Amtsgericht von den Nachkommen der die Erbschaft ausschlagenden Herren G und D. Daraufhin zog das Gericht den erteilten Erbschein mit Beschluss vom 26. November 2009 ein (Bl. 111 d. A.). Zugleich informierte es mit Verfügung vom 26. November 2009 Frau F und Herrn D, letzteren als den Vater des Beteiligten zu 2), dass wegen der Ausschlagung des Herrn D die Erbschaft bei ihnen angefallen sein dürfte (vgl. Bl. 113 f. d. A.). Frau F erklärte daraufhin ihrerseits die Ausschlagung der Erbschaft mit am 9. Dezember 2009 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz. Eine Ausschlagung für den Beteiligten zu 2), die seitens dessen Eltern am 1. März 2010 vor dem Notar N1 aus Limburg erklärt worden war, ging am 3. März 2010 bei Gericht ein.

Am 27. Juli 2011 hat der Beteiligte zu 1) einen Erbschein beantragt, wonach er zur Hälfte sowie der Beteiligte zu 2) und B jeweils zu einem Viertel Erben der Erblasserin seien. Im Rahmen seiner Anhörung hat der Beteiligte zu 2), vertreten durch seine beiden Eltern E und D, diese vertreten durch den Notar N1, mit am 3. August 2011 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz die „Anfechtung der verspäteten Ausschlagung“ wegen Überschuldung des Nachlasses erklärt (Bl. 186 d. A.).

Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss entschieden, dass es die für den Erlass des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachte. Zugleich hat es die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft der Entscheidung zurückgestellt (Bl. 199 f. d. A.). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Ausschlagung des Beteiligten zu 2) sei verspätet eingegangen und damit unwirksam.

Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 22. November 2011 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 2) am 12. Dezember 2012 Beschwerde eingelegt (Bl. 210 d. A.), der das Amtsgericht hingegen nicht abgeholfen hat (Bl. 213 d. A.). Zur Begründung hat der Beteiligte zu 2) angeführt, er halte seine Ausschlagung des Erbes für wirksam.

Der Senat hat die Mutter des Beteiligten zu 2) zunächst schriftlich angehört, wobei mit Blick auf die daraufhin erfolgte schriftliche Stellungnahme auf Bl. 222 f. d. A. verwiesen wird. Sodann hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung beider Erziehungsberechtigten des Beteiligten zu 2). Ferner hat er den Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) informatorisch angehört. Hinsichtlich der Angaben der gehörten Personen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. Juni 2012 Bezug genommen (Bl 242 ff. d. A.).

Ergänzend wird auf die im Beschwerdeverfahren von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und die ihnen beigefügten Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Zurückweisung des Antrags des Beteiligten zu 1), ihm einen Erbschein zu erteilen, wonach er neben seinem Sohn B und dem Beteiligten zu 2) Erbe der Erblasserin geworden ist.

1. Das Rechtsmittel des Beteiligten zu 2) ist zulässig. Es ist gemäß § 58 FamFG als befristete Beschwerde statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Der Beteiligte zu 2) ist zudem beschwerdeberechtigt. Denn berechtigt im Sinne von § 59 FamFG ist unter anderem, wer – wie der Beteiligte zu 2) – behauptet, er sei in dem von einem anderen Beteiligten begehrten und in der angegriffenen Entscheidung angekündigten Erbschein zu Unrecht als Erbe ausgewiesen (vgl. BayObLG, FamRZ 2003, 777 zur alten Rechtslage sowie Keidel/Zimmermann, FamFG, 17. Aufl., § 352 Rdn. 150 zum aktuellen Recht). Der Beschwerdewert von 600 € ist erreicht. Das Interesse des Beteiligten zu 2), nicht in dem angekündigten Erbschein als Erbe des mit etwa 120.000 € verschuldeten Nachlasses ausgewiesen zu werden, übersteigt den Mindestbeschwerdewert.

2. Die Beschwerde ist zudem begründet und führt zur Zurückweisung des Erbscheinantrags des Beteiligten zu 1) vom 27. Juli 2011. Denn der Beteiligte zu 2) ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht gesetzlicher Erbe der Erblasserin geworden. Er hat die Erbschaft rechtzeitig ausgeschlagen. Entsprechend ist im Erbschein – anders als beantragt – neben dem Beteiligten zu 1) nur der im Februar 2012 nachverstorbene B aufzuführen.

a) Zutreffend hat das Amtsgericht festgestellt, dass mangels letztwilliger Verfügung gesetzliche Erbfolge eingetreten ist. Ebenso ist dem Amtsgericht darin zu folgen, dass neben dem Beteiligten zu 1) nur noch der mittlerweile ebenfalls verstorbene Sohn der Erblasserin aus erster Ehe, Herr B, sowie der Beteiligte zu 2) als weitere Erben in Betracht kommen. Denn die übrigen gesetzlichen Erben erster Ordnung bzw. deren zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits gezeugte Abkömmlinge haben die Erbschaft wirksam ausgeschlagen.

Die neben Herrn B weiteren Kinder der Erblasserin, die Herren G, D sowie C haben jeweils am 8. Oktober 2010 in notariell beglaubigter Form erklärt, dass sie die Erbschaft ausschlagen wollten, weil ihnen bekannt geworden sei, dass der Nachlass überschuldet sei (Bl. 30 ff. d. A.).

Diese Erklärung ist, da sie – wie die Vernehmung des D ergeben hat – erst nach dem Ablauf der Ausschlagungsfrist erfolgte, als Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist auszulegen. Denn die Erklärenden haben unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie wegen der ihnen nachträglich bekannt gewordenen Überschuldung nicht Erbe sein wollten. Dieses Ziel erreichen sie durch die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist.

Dabei kann die Versäumung der Ausschlagungsfrist aus denselben Gründen und insbesondere wegen eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB wie die ausdrücklich erklärte Annahme der Erbschaft angefochten werden. Denn § 1956 BGB stellt die Anfechtbarkeit der fingierten Annahmeerklärung nach § 1943 2. Halbsatz BGB der Anfechtbarkeit der ausdrücklichen Erklärung gleich (vgl. MünchKommBGB/Leipold, 5. Aufl., § 1956 Rdn. 6; Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1956 Rdn. 1). Ihrer notariell beurkundeten Erklärung zufolge haben sich alle drei ausschlagenden Kinder der Erblasserin über die Überschuldung und damit eine Eigenschaft des Nachlasses im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB geirrt. Denn entgegen der ursprünglichen Vorstellung ist den korrigierten Angaben des Beteiligten zu 1) zufolge der Nachlass tatsächlich mit 125.000 € (Bl. 82 d. A.) überschuldet.

Die Anfechtung erfolgte fristgerecht. Der Vater des Beteiligten zu 2) erklärte während seiner Vernehmung durch den Senat glaubhaft, er und seine Brüder hätten erst wenige Tage, höchstens aber ein paar Wochen vor dem Termin am 8. Oktober 2010 von der sich abzeichnenden Überschuldung des Nachlasses Kenntnis erlangt. Mangels entgegen stehender Anhaltspunkte ist daher davon auszugehen, dass die gemäß § 1955 BGB i.V.m. § 1945 Abs. 1 BGB formgerecht erklärte Anfechtung rechtzeitig innerhalb der Anfechtungsfrist von 6 Wochen erfolgt ist, § 1955 i.V.m. § 1954 Abs. 1 BGB.

Damit verbleibt als denkbarer gesetzlicher Erbe neben dem Beteiligten zu 1) und Herrn B nur der Beteiligte zu 2) als Kind des D (vgl. § 1953 Abs. 2 i.V.m. § 1924 Abs. 3 BGB). Das einzige Kind des Herrn G kommt als gesetzlicher Erbe nicht in Betracht, weil das Kind zum Zeitpunkt des Todes noch nicht gezeugt worden war (vgl. § 1923 Abs. 1 BGB), und das weitere Kind des D, Frau F, hat seinerseits die Erbschaft form- und fristgerecht ausgeschlagen.

b) Nicht gefolgt werden kann allerdings dem Amtsgericht darin, der Beteiligte zu 2) sei Erbe der Erblasserin geworden. Vielmehr hat der Beteiligte zu 2) die Erbschaft mit einem am 3. März 2010 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz ausgeschlagen. Dass die Ausschlagungserklärung nicht fristgerecht erfolgt ist, konnte der Senat auch nach Durchführung der hierfür in Betracht kommenden Ermittlungen und Erhebungen der entsprechenden Beweise nicht feststellen.

aa) Die am 1. März 2010 erklärte Ausschlagung entspricht dem gesetzlichen Formerfordernis des § 1945 Abs. 1 BGB. Sie ist von den beiden Erziehungsberechtigten des minderjährigen Beteiligten zu 2) in notariell beglaubigter Form erklärt worden. Eine Genehmigung der Ausschlagung durch das Familiengericht war nicht erforderlich, weil der Beteiligte zu 2) seine Erbschaft erst infolge der Ausschlagung des vertretungsberechtigten Vaters, Herrn D, erlangt hat (vgl. § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB sowie OLG Hamm, NJW 1959, 2215; Palandt/Diederichsen, BGB, 71. Aufl., § 1643 Rdn. 2).

bb) Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Ausschlagung entgegen der Auffassung des Amtsgerichts fristgerecht erfolgt ist.

aaa) Gemäß § 1944 BGB kann die Ausschlagung nur binnen sechs Wochen erfolgen, wobei die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt. Bei einem Minderjährigen ist dabei nach zutreffender ganz herrschender Meinung nicht auf die eigene Kenntnis, sondern auf die Kenntnis des Vertretungsberechtigten abzustellen (vgl. BayObLG, RPfleger 1984, 403; OLG Hamm, MDR 1984, 54; Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1944 Rdn. 6 mwNachw). Vertretungsberechtigt für den Beteiligten zu 2) sind dessen Eltern D und E.

Aufgrund des an D gerichteten Schreibens des Amtsgerichts vom 26. November 2009 (Bl. 114 d. A.) ergibt sich bereits aus der Aktenlage, dass dieser spätestens im Dezember 2009 hinreichend sichere Kenntnis von der Berufung seines Sohnes zum Erben nach der Erblasserin hatte. Stellte man allein auf seine Kenntnis ab, wäre die erst Anfang März 2010 erfolgte Ausschlagung nach Ablauf der Ausschlagungsfrist und damit verspätet erfolgt.

Der Zeitpunkt der Kenntnis der weiteren Vertretungsberechtigten des Beteiligten zu 2), Frau E, lässt sich hingegen nicht anhand der Aktenlage feststellen, da das damalige Schreiben des Amtsgerichts allein an D gerichtet war und zudem auch der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 2) diesen erst später im Laufe des Beschwerdeverfahrens vertreten hat.

bbb) Damit kommt es auf die rechtliche Frage an, ob für den Beginn der Ausschlagungsfrist auf die Kenntnis beider Vertretungsberechtigten abzustellen ist, und gegebenenfalls ferner auf die tatsächliche Frage, wann E ausreichende Kenntnis von dem Erbfall und dem Berufungsgrund erlangt hat.

Mit Blick auf die rechtliche Fragestellung folgt der Senat der Auffassung, wonach für den Fristbeginn auf die Kenntnis beider Erziehungsberechtigten abzustellen ist. Da sich ferner in tatsächlicher Hinsicht der Zeitpunkt der Kenntnis von E nicht hinreichend sicher feststellen lässt, ist von der Wahrung der Ausschlagungsfrist auszugehen und diese mithin wirksam.

(1) Die Frage, ob für den Beginn der Ausschlagungsfrist die Kenntnis beider Eltern oder nur eines Elternteils erforderlich ist, ist umstritten. Die herrschende Auffassung hält die Kenntnis beider Eltern für erforderlich (vgl. LG Freiburg, BWNotZ 1993, 44; Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1944 Rdn. 6; Weidmann, in: JurisPK-BGB, 5. Aufl., § 1944 Rdn. 9; Ivo, in: AnwK-BGB, § 1944 Rdn. 11; Siegmann/Höger, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 1944 Rdn. 12; Ouart, in: Deutscher Erbrechtskommentar, § 1944 Rdn. 4; Damrau/Masloff, Praxiskommentar Erbrecht, § 1944 Rdn. 2; Lange, Erbrecht, § 38 Rdn. 27). Demgegenüber vertritt ein Teil der Literatur die Ansicht, es genüge für den Beginn der Frist die Kenntnis eines Elternteils (vgl. Soergel/Stein, BGB, 13. Aufl., § 1944 Rdn. 12; MünchKommBGB/Leipold, 5. Aufl., § 1944 Rdn. 14; Muscheler, Erbrecht, Bd. II, Rdn. 2965; ausdrücklich offen gelassen in: BayObLG, ZEV 2002, 283, 285). Der Senat schließt sich der herrschenden Meinung an.

Für die Frage, auf wessen Kenntnis im Rahmen von § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB abzustellen ist, kommt es – entgegen einer in der Literatur geäußerten Ansicht (vgl. Muscheler, Erbrecht, Bd. II, Rdn. 2965) – nicht auf die Reichweite von § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB an, da dort nur die gegenüber dem Kind abzugebenden Willenserklärungen behandelt sind, bei der Ausschlagung der Erbschaft aber keine Willenserklärung gegenüber dem Minderjährigen in Rede steht, sondern die Kenntnis von Tatsachen, die die Grundlage für die Entscheidung bilden, ob die Erbschaft ausgeschlagen werden soll oder nicht (vgl. LG Freiburg, BWNotZ 1993, 44).

Entsprechend ist bei der hier maßgeblichen Kenntnis von Tatsachen auf den Rechtsgedanken von § 166 BGB zurückzugreifen (so auch OLG Celle, FamRZ 2010, 836; aA Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1944 Rdn. 6; Erman, BGB, 13. Aufl., § 1944 Rdn. 6). Hiernach ist nicht auf die Person des Vertretenen, sondern auf die des Vertreters abzustellen. Doch der Rückgriff auf § 166 BGB schafft ebenfalls keine Klarheit hinsichtlich der hier maßgeblichen Frage, ob die Kenntnis beider Vertretungsberechtigten erforderlich ist. Denn der Wortlaut von § 166 BGB gibt insoweit keine eindeutige Auskunft. Entsprechend sind verschiedene Ansichten für den Beginn der Ausschlagungsfrist im Sinne von § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB möglich.

In Betracht kommt ein Fristbeginn mit der Kenntnis des ersten Ehegatten (so etwa für die Verjährung OLG Frankfurt, FamRZ 1992, 181). Umgekehrt ist es ebenfalls denkbar, für beide Erziehungsberechtigten gemeinsam auf die Kenntnis des letzten Vertretungsberechtigten abzustellen (vgl. Ouart, in: Deutscher Erbrechtskommentar, § 1944 Rdn. 4).

Da der Wortlaut von § 1944 BGB ebenso wie derjenige von § 166 BGB beide Ansichten zulässt, ist entscheidend auf den Normzweck von § 1944 BGB abzustellen. Dem Normzweck von § 1944 BGB zufolge soll die Ausschlagung dem Erben Gelegenheit geben, sich über den Bestand des Nachlasses zu unterrichten und sich über die Annahme oder Ausschlagung schlüssig zu werden. Dem steht das Interesse der übrigen Nachlassbeteiligten gegenüber, baldige Klarheit über die Erbenstellung zu erhalten (vgl. MünchKommBGB/Leipold, 5. Aufl., § 1944 Rdn. 1). Entsprechend ist bei der zu klärenden Frage im Kern abzuwägen zwischen einer angemessenen Überlegungsfrist der Vertretungsberechtigten und dem Interesse des Rechtsverkehrs an einer schnellen Klärung der Rechtslage.

Nach Auffassung des Senats ist der Ansicht zu folgen, die dem Interesse des minderjährigen Erben den Vorzug gibt und auf die spätere Kenntnis des zweiten Erziehungsberechtigten für den Beginn der Ausschlagungsfrist abstellt.

Hierfür spricht bereits, dass de lege ferenda die Frist von sechs Wochen allgemein als recht knapp bemessen angesehen wird (vgl. etwa Lange, Erbrecht, § 38 Rdn. 21) und ein Beginn mit der Kenntnis des ersten Erziehungsberechtigten die Überlegungsfrist jedenfalls für den anderen Elternteil weiter verkürzen würde.

Entscheidend für die Abwägung ist jedoch, dass für die Ausschlagung eine Erklärung durch beide Eltern gemeinsam erforderlich ist (vgl. BayObLGZ 1977, 163; Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1945 Rdn. 5; Siegmann/Höger, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 1944 Rdn. 12). Daher können die Erziehungsberechtigten erst dann in die Überlegungsphase eintreten, wenn beide von ihnen Kenntnis von Erbfall und Berufungsgrund haben. Entsprechend muss auf die Kenntnis des zweiten Erziehungsberechtigten abgestellt werden, damit dem schutzbedürftigen Minderjährigen bzw. dessen Vertretungsberechtigten faktisch die gleiche, knapp bemessene Frist wie einem Volljährigen zukommt. Diese Überlegungsfrist, innerhalb derer bei gemeinsam Sorgeberechtigten zur Entscheidung jedes Einzelnen zusätzlich ein Konsens zwischen den Eltern gefunden werden muss, ist dabei aufgrund einer häufig emotional behafteten Ausschlagungsentscheidung, bei der beide Elternteile zudem aufgrund unterschiedlicher Beziehungen zum Erblasser differierende Ansichten haben mögen, für eine im Sinne des Minderjährigen zu treffende, möglichst interessengerechte Entscheidung besonders wichtig.

Dass hierdurch etwaige, im Einzelfall vermeidbare Kommunikationsprobleme zwischen den Erziehungsberechtigten zulasten des Rechtsverkehrs gehen, ist hinzunehmen. Denn andernfalls gingen Kommunikationsschwierigkeiten, selbst wenn sie nicht auf ein Verschulden der Erziehungsberechtigten zurückzuführen sind, sondern der besonderen Situation der Eltern des Erben geschuldet sind, zulasten des schutzwürdigen Minderjährigen.

Zugleich zeigt sich an der verlängerten Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 3 BGB, dass der Rechtsverkehr auf die persönlichen Belange des ausschlagenden Erben Rücksicht zu nehmen hat. Durch die auf sechs Monate verlängerte Ausschlagungsfrist im Fall eines Auslandsaufenthaltes hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass besonderen Schwierigkeiten bei der Klärung der Frage, ob die Erbschaft angenommen werden soll, Rechnung zu tragen ist. Eine solche Schwierigkeit besteht auch dann, wenn die Abstimmung zwischen mehreren Erziehungsberechtigten erforderlich ist, um zu einer gemeinsamen Ausschlagungserklärung zu gelangen. Dies führt zwar nicht zu einer längeren Frist, aber konsequenterweise zu einem mit Blick auf die Situation eines Volljährigen späteren Fristbeginn.

Die hier vertretene Ansicht steht zugleich nicht in Widerspruch zu der Auffassung, wonach etwa bei der Verjährungsfrist auf die Kenntnis nur eines Elternteils abzustellen ist (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1992, 181). Denn die Verjährung kann faktisch regelmäßig bereits durch die Handlung nur eines Erziehungsberechtigten, etwa durch die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Schuldner gehemmt werden, § 1629 Abs. 1 Satz 4 BGB. Dies ist bei der von der Interessenlage des Minderjährigen her häufig ambivalenten Ausschlagung der Erbschaft anders. Zudem ist die Verjährungsfrist von drei Jahren deutlich länger bemessen als die Ausschlagungsfrist von sechs Wochen, so dass aus etwaigen Kommunikationsproblemen zwischen den Erziehungsberechtigten dem Minderjährigen bei der Verjährung regelmäßig kein Nachteil entsteht.

(2) In tatsächlicher Hinsicht hat der Senat sich nicht davon überzeugen können, dass die Mutter E bereits mehr als sechs Wochen vor dem 3. März 2010 zuverlässige Kenntnis von dem Anfall der Erbschaft und dem Grund der Berufung erlangt hat. Dies geht zulasten des Beteiligten zu 1). Denn dieser trägt für den Umstand, dass die Frist abgelaufen ist und damit das Ausschlagungsrecht des Beteiligten zu 2) weggefallen ist, die Feststellungslast (vgl. BGH, NJW-RR 2000, 1530; zit. nach Juris Rdn. 11 m.w.Nachw.).

Die Mutter E hat in ihrer Vernehmung angegeben, sie habe erst ca. eine Woche vor dem Notartermin am 1. März 2010 Kenntnis davon erhalten, dass ihr Sohn nunmehr seinerseits Erbe geworden und gehalten sei, die Erbschaft auszuschlagen.

Diese Angabe ist zwar gemessen an den äußeren Umständen nicht frei von Zweifeln. So ist – wie bereits dargelegt – der Ehemann schon Anfang Dezember 2009 vom Amtsgericht schriftlich informiert worden. Es ist nicht fernliegend, dass der Ehemann seine Frau, die zugleich die leibliche Mutter des Beteiligten zu 2) ist und mit dem Zeugen D zusammenlebt, von diesem Schreiben in Kenntnis gesetzt hat. Hierfür mag ebenfalls sprechen, dass die Mutter im Rahmen ihrer schriftlichen Anhörung trotz ausdrücklicher Nachfrage des Senats (Bl. 219 d. A.) sich nicht zu einer klaren Aussage veranlasst sah (Bl. 222 f. d. A.).

Umgekehrt ist die Aussage der Mutter aber auch nicht völlig von der Hand zu weisen. So ist es etwa ebenfalls denkbar, dass der Vater D zunächst allein den Termin beim Notar veranlasst hat und seine Frau – sei es aus Versehen, sei es aus anderen Gründen – erst kurz vor der gemeinsamen Erklärung von dem Termin und seinen näheren Umständen in Kenntnis gesetzt hat.

Zugleich lässt sich der wahre Sachverhalt auch unter Berücksichtigung weiterer Ermittlungsmöglichkeiten nicht mehr verlässlich aufklären. D konnte sich weder daran erinnern, wann er die Nachricht vom Amtsgericht erhalten hatte, noch daran, wann er E über das Schreiben und den von ihm veranlassten Notartermin informiert hat.

Auch der beglaubigende Notar N bekundete auf eine entsprechende Nachfrage des Vorsitzenden, er könne sich nicht mehr erinnern, wer den Termin bei der Ausschlagung im März 2010 mit ihm vereinbart habe. Entsprechend hätte auch seine Vernehmung zur Klärung der maßgeblichen Frage, wann die Mutter des Beteiligten zu 2) vom Erbfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt hat, nichts beitragen können. Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen von Amts wegen sind ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich – den Angaben des Notars zufolge – seinen Akten keine Notiz entnehmen, wer damals zu welchem Zeitpunkt den Termin vereinbart hatte. Auch im Übrigen ist es in Anbetracht der mittlerweile vergangenen Zeit von über zwei Jahren praktisch ausgeschlossen, dass einer der an dem damaligen Vorgang Beteiligten sich hinreichend sicher an die genauen Abläufe von damals und insbesondere die exakten Daten noch erinnern kann.

Bei dieser Sachlage kann eine Versäumung der Ausschlagungsfrist dem Beteiligten zu 2) nicht unterstellt werden. Dies führt dazu, dass nur noch der nachverstorbene B zu einem Halb neben dem Beteiligten zu 1) Erbe nach der Erblasserin geworden ist. Entsprechend ist der Antrag des Beteiligten zu 1), ihn neben B und dem Beteiligten zu 2) als Erben auszuweisen, zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 81 FamFG, §§ 2 Nr. 1, 131 Abs. 3 KostO. Aufgrund der Zurückweisung des Antrags des Beteiligten zu 1) hat dieser die Gerichtskosten erster Instanz zu tragen. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren fallen wegen des Erfolgs des Rechtsmittels nicht an, wie sich aus § 131 Abs. 3 KostO ergibt. Mit Blick auf die außergerichtlichen Kosten erster und zweiter Instanz besteht keine Veranlassung, dem Beteiligten zu 1) die außergerichtlichen Kosten des Beteiligten zu 2) aufzuerlegen. Es entspräche nicht der Billigkeit, eine Kostenerstattung anzuordnen, da die zögerlich erfolgte Ausschlagung zu vermeidbarer Rechtsunsicherheit geführt hat.

4. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 1 FamFG zuzulassen. Diese Vorschrift findet auf das vorliegende Einziehungsverfahren Anwendung. Denn der Antrag auf Erlass des streitgegenständlichen Erbscheins ist am 27. Juli 2011 und damit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familienangelegenheiten und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit am 1. September 2009 gestellt worden (vgl. OLG München, NJW-RR 2011, 157; OLG Köln, FGPrax 2009, 285). Die Frage, ob für den Beginn der Ausschlagungsfrist in § 1944 BGB die Kenntnis beider Eltern oder nur eines Elternteils erforderlich ist, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Sie wird zudem – wie dargelegt – in der Literatur unterschiedlich beantwortet und hat für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen Bedeutung.

 

 

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