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Behindertentestament: Aufwendungsersatzanspruch des Betreuers

LG Leipzig, Az.: 1 T 471/13

Beschluss vom 07.10.2013

1. Die sofortige Beschwerde des Betreuers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Grimma vom 13.05.2013 (Az.: 2 XVII 5241/12) wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag des Betroffenen auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Betreuer wendet sich gegen den Rückgriffsanspruch der Staatskasse für den an die vorherige Betreuerin gezahlten Aufwendungsersatz.

Frau …, die Mutter des Betroffenen, ist mit Beschluss vom 05.10.1992 für den Betroffenen als Betreuerin bestellt worden. Der Betroffene leidet an einer Oligophrenie vom Grade einer Imbezillität bei angeborener Taubstummheit auf der Grundlage einer frühkindlichen Hirnschädigung.

Die bisherige Betreuerin Frau … ist am 15.09.2012 verstorben. Mit handschriftlichen Testament vom 30.06.2011 setzte sie ihren Sohn, den Betroffenen, als nicht befreiten Vorerben ein. Zum Nacherben bestimmt sie ihren Neffen, den Sohn ihres Bruders (Bl. 306 ff d. HA). Bezüglich des Erbes ihres Sohnes bestimmte sie eine Dauertestamentsvollstreckung mit unter anderem folgenden Wortlaut:

Behindertentestament: Aufwendungsersatzanspruch des Betreuers
Foto: Kasia Bialasiewicz/Bigstock

„…. Der Testamentsvollstrecker hat meinem Sohn …, die diesem gebührenden jährlichen Reinerträgnisse des Erbes nur in Form solcher Leistungen zuzuwenden, die zur Sicherung oder Verbesserung seiner Lebensqualität beitragen, aber nach dem jeweils geltenden Sozialhilfe- oder sonstigen Fürsorgerecht, nicht dem Zugriff des Hilfeträgers unterliegen und auch nicht auf Leistungen von dritter Seite anspruchsmindernd angerechnet werden. Das Erbe soll … dazu dienen, ihm eine Versorgung zu bieten, die auf Dauer über das gesetzliche Mindestmaß hinausgeht. Das Erbe soll nicht für die allgemeine Grundversorgung und die allgemeine Pflege verwendet werden. Der Testamentsvollstrecker soll aus den Erträgnissen (z.B. Kapitalzinsen, Mieten) – und, wenn es den Bedürfnissen meines Sohnes … entspricht, auch aus der Substanz der Vorerbschaft – Sachleistungen und Vergünstigungen erbringen, insbesondere und beispielsweise für: …“

Hinsichtlich des weiteren Wortlauts wird auf die Abschrift des Testaments Bl. 306 – 310 d. HA Bezug genommen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 25.09.2012 ist als neuer Betreuer … mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Vermögenssorge und Behördenangelegenheiten bestellt worden (Bl. 267 ff d. HA). Zum weiteren Betreuer des Betroffenen mit den Aufgabenkreis „Abschluss eines Mietvertrages mit den Betreuer …“ wurde Herr … mit Beschluss des Amtsgerichts Grimma vom 25.03.2013 bestellt.

Wegen der aus der Staatskasse gewährten Auslagenersatzes im Zeitraum 26.05.2009 – 25.05.2012 in Höhe von 969,00 Euro, bestimmte das Amtsgericht Grimma mit Beschluss vom 13.05.2013, dass der Betroffene an den Justizfiskus des Freistaates Sachsen gem. § 1908 i i.V.m. § 1836 e BGB den vorgenannten Betrag zurückzuzahlen hat (Bl. 76 d. UH).

Hiergegen legte der Betreuer … am 06.06.2013 Beschwerde ein. Nach Anhörung der Staatskasse hat das Amtsgericht Grimma der Beschwerde mit Beschluss vom 04.07.2013 nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landgericht Leipzig zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1.

Die nach §§ 59, 61 FamFG zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Zu Recht hat das Amtsgericht Leipzig angenommen, dass ein gesetzlicher Forderungsübergang nach § 1836e BGB stattgefunden hat und der Betroffene nicht mittellos im Sinne von §§ 1836c und 1836d BGB ist.

a)

Der Anspruch des Betreuers gegen den Betroffenen geht in Höhe der erbrachten Leistungen durch gesetzlichen Forderungsübergang auf die Staatskasse gemäß § 1836e BGB über. Voraussetzung ist, dass die Staatskasse die Ansprüche des Betreuers auf Aufwendungsersatz befriedigt hat, obwohl sie mangels Mittellosigkeit eigentlich ganz oder zumindest teilweise durchzusetzen gewesen wäre oder die Mittellosigkeit des Betroffenen zu einem späteren Zeitpunkt behoben wird (vgl. Palandt, Götz, BGB, 72. Aufl., § 1836e Rn 1).

Die Staatskasse hat im Zeitraum 26.05.2008 – 25.05.2012 insgesamt 3 mal 323,00 Euro mithin insgesamt 969,00 Euro an die damalige Betreuerin Frau … gezahlt. Gleichzeitig ist in den Auszahlungsverfügungen vom 28.07.2009, 01.07.2010 und 14.09.2011 darauf hingewiesen worden, dass mit der Auszahlung der Aufwandsentschädigung der Anspruch des Betreuers gegen den Betreuten auf die Staatskasse übergeht(vgl. Bl. 53, 56, 60 d.UH)

b)

Der Betroffene ist nicht mittellos im Sinne von §§ 1836c und 1836d BGB. Der Nachlass des Betroffenen umfasst einen Betrag von 26.800,00 Euro. Entgegen der Ansicht der für den Betroffenen eingelegten Beschwerde hindert die testamentarische Verfügung den Rückgriff, auf das im Rahmen der Erbschaft zugeflossene Vermögen, nicht.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH zum sogenannten Behindertentestament sind Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer – mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen – Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus (vgl. BGHZ 188, 96, BGH Beschluss vom 27.03.2013, Az.: XII ZB 679/11).

Vorliegend soll der Betroffene durch den angegriffenen Beschluss des Amtsgericht Grimma vom 14.05.2013 nicht durch einen Sozialträger in Anspruch genommen werden können, sondern durch den Justizfiskus des Freistaates Sachsen. Dem Testament der ehemaligen Betreuerin kann nicht entnommen werden, dass die angeordnete Testamentsvollstreckung auch einen Rückgriff der Staatskasse verhindern sollte.

Für die Feststellung des Erblasserwillens gelten die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 2084 BGB. Danach ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Mit der letztwilligen Verfügung der Erblasserin … hat diese die Testamentsvollstreckerin angewiesen, ihrem Sohn zur Sicherung oder Verbesserung seiner Lebensqualität Leistungen zukommen zu lassen, auf die Sozialhilfeträger nicht zugreifen können und die auch nicht auf gewährte Sozialleistungen anrechenbar sind. Vorliegend geht es aber nicht um anrechenbare Leistungen im Sozialhilfe- oder sonstigen Fürsorgerecht oder einen etwaigen Rückgriff eines Sozialhilfeträgers, sondern um Aufwendungsersatz, der im Rahmen der Betreuung an die vorherige Betreuerin gezahlt wurde. Diese Leistungen stellen keine Hilfsleistungen im Rahmen von Sozialhilfe / Fürsorgerecht dar. Der ursprüngliche Anspruch der ehrenamtlichen Betreuerin richtete sich nach §§ 1835, 1835a BGB und ist eine pauschalierte Entschädigung für verauslagte Geldbeträge und erbrachte geldwerte Leistungen. Die Erblasserin hat in ihrem Testament nicht verfügt, dass der von der Staatskasse erfüllte Aufwendungsersatzanspruch dem gesetzlichen Forderungsübergang entzogen werden sollte. Aufgrund des Hinweises in den Auszahlungsverfügungen wusste die Erblasserin um die Möglichkeit eines Rückgriffs durch die Staatskasse beim Betreuten, sobald dessen Mittellosigkeit entfiel. Unabhängig davon, ob eine solche Regelung durch letztwillige Verfügung zulässig und nicht sittenwidrig gewesen wäre, hat die Erblasserin eine entsprechende Anordnung im Testament jedenfalls nicht aufgenommen, sondern das vermachte Vermögen nur dem Zugriff von Sozialhilfeträgern entzogen.

Dem Rückgriff der Staatskasse steht entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht entgegen, dass die Zahlungen vor dem Erbfall geleistet worden sind. Die Anordnungen für die Testamentsvollstreckung bestimmen nicht, dass die zum Wohl des Betreuten erbrachten vergangenen Aufwandsentschädigungen nicht ersetzt werden sollten.

Der Betroffene hat als Erbe somit einen durchsetzbaren Anspruch darauf, dass die Testamentsvollstreckerin die vom Erblasser getroffenen Verwaltungsanordnungen im Sinne des § 2216 Abs. 2 BGB umsetzt. Der Anspruch richtet sich vorliegend auf Freigabe der zu entrichteten Aufwandsentschädigung aus dem Vermögen des Betroffenen.

2.

Der Antrag des Betroffenen auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe ist nach § 76 FamFG i.V.m. §§ 114, 115 ZPO zurückzuweisen, da der Betroffene – wie zuvor ausgeführt – aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Lage ist, die Kosten des Verfahrens – in diesem Fall der Verfahrensbevollmächtigten seines Betreuers – aufzubringen.

Eine Kostenentscheidung ist nach § 131 Abs. 5 KostO nicht veranlasst.

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