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Deutsches Ehegattenerbrecht unter Berücksichtigung des gesetzlichen griechischen Güterstands

AG Stuttgart-Bad Cannstatt – Az.: 74 VI 1354/19 – Beschluss vom 22.03.2021

Gründe

Mangels Vorhandensein einer Verfügung von Todes wegen und infolge Anwendung des Art. 21 EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO) bei letztem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers in Deutschland beruht der Erbscheinsantrag der Antragsteller, der Beteiligten 2 und 3, vom 22.10.2020, auf der gesetzlichen Erbfolge nach deutschem Recht. Die Beteiligten 2 bis 5 sind Abkömmlinge des Erblassers.

Der Erblasser war mit der Antragsgegnerin, der Beteiligten 1, in zweiter Ehe verheiratet, die Ehe wurde am 05.08.1987 in Nea Vyssa / Griechenland geschlossen. Die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe richteten sich sonach über die Anknüpfungsregeln der Art. 15 und 14 EGBGB nach griechischem Recht (Art 15,14, Art 229 § 47 Abs. 2 EGBGB; Art. 1397, 1400 griechisches ZGB).

Auf der Grundlage der §§ 1931 Abs. 1, 1924 BGB wurden in dem Antrag folgende Erbteile zugeordnet:

  • Beteiligte 1 zu 1/4
  • Beteiligte 2 zu 3/16
  • Beteiligte 3 zu 3/16
  • Beteiligte 4 zu 3/16
  • Beteiligte 5 zu 3/16.

Mit Schriftsatz vom 04.11.2020 wendet der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten 1 ein, der Ehefrau stehe wegen des gesetzlichen deutschen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft gemäß §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB das Erhöhungsviertel auf einen Erbteil von 1/2 zu. Auf Aufklärungsverfügung vom 10.11.2020 der Rechtspflegerin, dass griechisches Güterrecht gelte und dieses der deutschen Zugewinngemeinschaft nicht ähnlich sei, entgegnete der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin, dass nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 01.03.2018 (C-558/16 – Mahnkopf) die Vorschrift des § 1371 BGB trotz Stellung im Güterrecht erbrechtlich zu qualifizieren sei und in Verbindung mit § 1931 Abs. 3 BGB das Erhöhungsviertel rechtfertige.

In Bezug auf den ehelichen Güterstand der Ehegatten liegen Urkunden (Ehevertrag, Rechtswahl) nicht vor. Die EU- Güterrechtsverordnung (EuGüVO) gilt nur für nach dem 29.01.2019 eingegangene Ehen. Es bleibt sonach bei der Geltung des gesetzlichen griechischen Güterstandes (Art. 1397, 1400 grZGB).

Zur Frage der Qualifikation des § 1371 BGB als güterrechtlich oder erbrechtlich liegen zwei grundlegende Gerichtsentscheidungen vor:

  • des Bundesgerichtshofes vom 13.05.2015 (ZEV 2015, 409), der den pauschalen Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 1 BGB rein güterrechtlich qualifiziert mit der Folge, dass er nur bei Vorliegen des gesetzlichen Tatbestandes zum Tragen käme;
  • des EuGH, wie vorstehend erwähnt, der entschied, dass die (pauschale) Erhöhung des Erbteils in den Anwendungsbereich der (EU-Erbrechts-) Verordnung falle und sonach der Erbrechtsnachfolge unterliege.

Die Bedeutung dieser Entscheidungen für die Gerichtspraxis ist, vor allem im der Literatur, nach wie vor streitig (vgl. § 1371 BGB beck-online Grosskommentar Kuhn RN 18).

Deutsches Ehegattenerbrecht unter Berücksichtigung des gesetzlichen griechischen Güterstands
(Symbolfoto: Pavlo Lys/Shutterstock.com)

Bereits vor Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung (für Erbfälle ab 17.08.2015) hatte der Bundesgerichtshof als höchstes deutsches Zivilgericht Gelegenheit erhalten, die mit erbrechtlichem Inhalt ausgestattete Bestimmung des § 1371 BGB (Zugewinnausgleich im Todesfall) im Kontext internationaler Erbrechtsfälle zu prüfen (BGH, a.a.O.). Bis dahin war streitig, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der pauschalisierte Zugewinnausgleich durch Erbteilserhöhung stattzufinden hat, wenn aufgrund kollisionsrechtlichen Auseinanderfallens von Güter- und Erbstatut neben deutschem Güterrecht ausländisches Erbrecht zur Anwendung kommt. Zu dieser für den vorliegenden Fall nicht einschlägigen Ausgangslage erging der Beschluss des BGH vom 13.05.2015, den dieser nutzte, um zur Frage der kollisionsrechtlichen Wirkungen des § 1371 Abs. 1 BGB anhand dessen Normzwecks, nämlich im Rahmen eines ganz bestimmten Güterstandes einen güterrechtlich motivierten, sich im Erbrecht auswirkenden Ausgleich zu realisieren, dessen (rein) güterrechtliche Qualifikation zu postulieren.

Unter Zugrundelegung dieser BGH-Rechtsprechung sah sich nach Inkrafttreten der Europäischen Erbrechtsverordnung das Kammergericht Berlin (KG) in einem Verfahren zur Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) zu einer Beschlussvorlage an den Europäischen Gerichtshof gezwungen, und zwar zur Vorabentscheidung der Rechtsfrage, ob güterrechtliche Regelungen auch bzw. überhaupt dem Anwendungsbereich der Verordnung, die Rechtsnachfolge von Todes wegen betreffend (vgl. Art. 1 Abs. 1 EuErbVO), unterliegen würden. Der EuGH (a.a.O., ZEV 2018, 205) beschied diese mit der Formulierung …dass eine nationale Bestimmung, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt“, diese mithin für die Anwendbarkeit der VO erbrechtlich auszulegen sei.

Damit ist die Auslegung noch nicht zu Ende. Weber schreibt in NJW 2018, 1356 von einem „…Klassiker neu aufgelegt“: § 1371 BGB müsse kollisionsrechtlich neu eingeordnet werden.

Der EuGH selbst führt in seiner Begründung zum Leitsatz aus, dass im Hinblick auf die Aufgabe der EuErbVO (= grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung auch von Rechtsnachfolgern), die Funktion des ENZ (= Nachweisbarkeit von Rechtsstellungen und Erbansprüchen in anderen Mitgliedsstaaten) und den von deutscher Seite mitgeteilten Betreff des § 1371 Abs. 1 BGB (= nicht vorrangig die Vermögensaufteilung der Ehegatten, sondern die Rechte des überlebenden Ehegatten in Bezug auf den Nachlass) die Möglichkeit der Aufnahme des Anteils (Erhöhungserbteils) in das ENZ bestehen müsse, um abschließend festzustellen, „…dass die Erreichung der mit dem ENZ verfolgten Ziele…beeinträchtigt würde, wenn in diesem Zeugnis nicht alle Informationen betreffend die Ansprüche des überlebenden Ehegatten am Nachlass enthalten wären“.

Der erbrechtliche Aspekt der güterrechtlichen Norm des § 1371 Abs. 1 BGB ergibt sich somit ausschließlich aus der nach EuGH zulässigen Einbindung in die EuErbVO und Verlautbarung in dem ENZ dieser VO, da letztere für das Güterrecht nicht gilt (Art 1 Abs. 2 d) EuErbVO, EuGH, a.a.O. RN 37) und die Europäische Güterrechtsverordnung (VO 2016/1103) eine Rechtsnachfolgeregelung ausdrücklich ausnimmt (EuGH, a.a.O. RN 41).

Das Nachlassgericht bewertet sonach diese grundlegenden Entscheidungen von BGH und EuGH für die gerichtliche Praxis so, dass der Leitsatz des EuGH eine erbrechtliche Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB nicht explizit postuliere, sondern für diese durch den BGH als güterrechtlich qualifizierte Norm durch Auslegung und Konkretisierung der Regelungen der EuErbVO in Art. 1 Abs. 1 (Anwendungsbereich Rechtsnachfolge von Todes wegen) und in Art. 3 Abs. 1 a) (Begriff Rechtsnachfolge) deren Anwendung eröffnet, insbesondere für das ENZ-Verfahren (so im Ergebnis auch OLG München, ZEV 2019, 631, RN 13, 14 sowie OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 28805 RN 13, 14; offengelassen OLG Hamm, NJW 2019, 2180). Zur güterrechtlichen Einordnung bereits OLG Stuttgart, ZEV 2005, 443 Ls. 2.

„Dass der Ausgleich des § 1371 BGB mit Mitteln des Erbrechts bewirkt werde, mache die Regelung nicht zu einer erbrechtlichen… der EuGH differenziere zwischen (güterrechtlicher) Funktion und (erbrechtlicher) Form…“ so Koch in DNotZ 2020, 414, 416. Mankowski (ZEV 2016, 479, 482, 483) argumentierte bereits vor dem EuGH-Urteil, dass es beim Zugewinnausgleich der Substanz nach um eine güterrechtliche Frage gehe, während das Erbrecht nur das Gewand, das Mittel zum Zweck, stelle. Das Nachlassgericht schließt sich den inhaltlichen Wertungen dieser funktional-autonomen Auslegungen der Norm an.

§ 1371 BGB findet somit Anwendung unmittelbar nach seinem materiellen Gehalt, also bei Vorliegen des deutschen gesetzlichen Güterstandes und gesetzlicher Ehegattenerbfolge nach deutschem Recht (§ 1931 Abs. 3 BGB).

Ist dabei ausländisches Erbrecht tangiert, würde eine Erbteilserhöhung nach § 1371 Abs. 1 BGB ausscheiden, da dem deutschen Güterrecht ein unmittelbarer Eingriff in materielles ausländisches Erbstatut, z.B. durch Quotenänderung, nicht gestattet ist und eben nicht nur die erbrechtliche Form, also das für eine Anwendung im Ausland bedeutsame Instrumentarium, berührt wäre, sondern der Regelungsgehalt des dortigen Erbrechts.

Trifft deutsches Erbrecht mit ausländischem Güterrecht zusammen, wird für die Frage der Erhöhung des Ehegattenerbteils gem. §§ 1371 Abs. 1, 1931 Abs. 3 BGB unter dem Begriff „Substitution“ diskutiert, ob der nach ausländischem Güterrecht maßgebliche Güterstand das Tatbestandsmerkmal der Zugewinngemeinschaft im Sinne von § 1371 Abs. 1 BGB erfüllen kann, mithin eine gleichwertige Funktion bestehe (Dörner, ZEV 2019, 309, 312; Weber a.a.O., 1358). Dies wird jedenfalls bejaht für den Fall, dass das ausländische (Güter-) Recht zur Abwicklung eines bestimmten Güterstandes ebenfalls eine Erbteilserhöhung vorsieht, nicht dagegen, wenn ein anderer Kompensationsmechanismus greife (Weber a.a.O.; vgl. auch MüKo BGB § 1931 RN 39 FN 36, 37).

Für den dem Nachlassgericht vorliegenden Fall der Anwendung deutschen gesetzlichen Erbrechts bei griechischem gesetzlichem Güterrecht bedeutet dies:

Gesetzlicher griechischer Güterstand ist die Gütertrennung (Art. 1397 grZGB) mit einem Ausgleich des Zugewinns in Geld nach Art 1400 grZGB (vgl. Huebner/Vlachopoulos in Rieck, Ausländisches Familienrecht / Griechenland / EL Mai 2020). Dieser Ausgleichsanspruch richtet sich für den Fall, dass die Ehe durch den Tod eines Ehegatten endet, gegen die Erben des Verstorbenen in entsprechender Anwendung der familienrechtlichen Regelungen in den Art. 1400, 1402 grZGB (Balomatis in Burandt/Rojahn Erbrecht, Länderbericht Griechenland, 3. Aufl. 2019 RN 21, 101), und wäre vor Nachlassauseinandersetzung vorab zu berücksichtigen (km-bw.de/documents/jum1/JuM/Länderliste Griechenland) so dass im Sinne der Substitutionsfrage das griechische Recht bereits eine Kompensationsregel bereithält und eine Anwendung des Erhöhungsviertels daher nicht in Frage kommt (vgl. auch DNotI-Report 7/2018, Seite 55).

Demzufolge erachtet das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrages vom 22.10.2020 erforderlichen Tatsachen für festgestellt (§ 352 e FamFG) und weist die dagegen gerichtete Einwendung der Antragsgegnerin zurück.

 

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