AG Hamburg-Blankenese – Az.: 531 C 352/19 – Urteil vom 18.03.2020
1. Der Beschluss vom 13.12.2019 (einstweilige Verfügung) wird in den Ziff. 1b, 2, 4, 5 und 6 aufgehoben.
2. Die weitergehenden Anträge vom 13.12.2019 sowie die neuen Anträge vom 10.03.2020 werden zurückgewiesen.
3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in selber Höhe leisten.
Tatbestand
Die Antragstellerin mutmaßte am 13.12.2019, dass der Antragsgegner zu 2) (ihr Bruder) und/oder der Antragsgegner zu 1) (ihr Stiefvater) Regelungen nach dem Tod der Mutter der Antragstellerin (verstorben am 29.11.2019) treffen könnten.
Zugunsten der Mutter der Antragstellerin und zugunsten ihres Stiefvaters waren jeweils Wohnungsrechte gem. § 1093 BGB „löschbar bei Todesnachweis“ im Grundbuch von … Bl. … eingetragen.
Die Erblasserin und der Antragsgegner zu 1) lebten in Gütertrennung. Die Antragstellerin und der Antragsgegner zu 2) sind Miterben zu je ½ nach der am 29.11.2019 verstorbenen H.
Die Erblasserin hatte am 23.11.2018 eine Generalvollmacht zugunsten aller drei Verfahrensbeteiligten erteilt (Bl. 8 ff.).
Der Antragsgegner zu 1) hatte nach dem Tod seiner Ehefrau das Schloss zur Ehewohnung austauschen lassen und nur dem Antragsgegner zu 2) Zutritt gewährt.
Die Antragstellerin erwirkte noch am 13.12.2019 die hier nur durch Teilwiderspruch angegriffene einstweilige Verfügung. Der Beschluss wurde (zweifach) herausgegeben an die Antragstellerin „zwecks Parteizustellung“ (Bl. 15 d. A.) inklusive Abvermerk/Anschreiben vom 16.12.2019.
Die Antragstellerin beauftragte keinen Gerichtsvollzieher mit der Parteizustellung, sondern teilte dem Antragsgegner zu 1) unter zwei … Adressen mit, dass nur wenn bis 09.01.2020 ihr kein Schlüssel ausgehändigt werde, das Schloss „mit Hilfe eines Gerichtsdieners“ geöffnet und erneut ausgewechselt werde.
Die Antragstellerin lässt vortragen, dass der Antragsgegner zu 1) Schmuck im Wert von über 20.000,00 € an sich genommen habe/entwendete.
Außerdem vermisst die Antragstellerin eine Käthe Kollwitz Originalradierung „Frau am Tisch sitzend“, ein weiteres wertvolles Bild „Bauerntänzer“, eine Lithographie von Chagall etc.
Die anwaltlich vertretene Antragstellerin ist der Ansicht, sie habe einen – schon im einstweiligen Verfügungsverfahren realisierbaren – Anspruch auf Herausgabe aufgezählter Gegenstände, Herausgabe eines Schlüssels und das Recht im Notfall die Wohnung ohne Schlüsseldienst (allein) zu betreten.
Mangels „vollstreckbarer Ausfertigung und Verzögerung des Richters“ sei sie nicht in der Lage, den Nachlass ihrer Mutter festzustellen und in Besitz zu nehmen.
Die Entwendungen wären vermutlich nicht erfolgt, wenn die Antragstellerin unverzüglich die vollstreckbare Ausfertigung des Beschlusses – wie üblich – erhalten und damit zur Gerichtsvollzieherverteilerstelle hätte gehen und einen Gerichtsvollzieher hätte beauftragen können. Dies sei vom Gericht „behindert“ worden (Bl. 53 d. A.).
Den bereits durch Beschluss abgelehnten PKH-Antrag hat die Antragstellerin für erledigt erklärt.
Die Anträge 1. + 2. aus dem Schriftsatz vom 11.1.20, S. 2 (Bl. 30 d.A.) wurden übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss vom 07.01.2020 (Einstellung der Zwangsvollstreckung) aufzuheben sowie nunmehr gem. Schriftsatz vom 10.03.2020
1.) den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Blankenese vom 13.12.2019 unter Abänderung von 1b dahingehend aufrechtzuerhalten, dass der Antragstellerin zum Erhalt ihrer Gegenstände in Gegenwart eines Antragsgegners Zugang zum mütterlichen Hause bzw. ihrem Haus D in Hamburg gewährt wird,
2.) in Höhe des Teilwiderspruchs die Sache anerkannt werde,
3.) die ursprünglichen Anträge 1a, 2, 3, 4, 5 und 6 aufrechterhalten werden.
Die Antragsgegner beantragen, wie erkannt.
Die Antragsgegner verweisen darauf, dass es allein im Ermessen des Antragsgegners zu 1) stünde, wem er die Möglichkeit des freien Zutritts zu den von ihm genutzten Haus eröffne und welche Personen er lediglich bei eigener Anwesenheit und vorheriger Terminabsprache ins Haus lassen möchte.
Hinsichtlich der Ziff. 1a des nicht mit Widerspruch angegriffenen Beschlusses vom 13.12.2019 vertreten die Antragsgegner die Auffassung, dass es nur eines vorgerichtlichen Antrags bedurft hätte, um das Recht der Miterbin/Antragstellerin auf Sichtung der Bank-, Steuer- und Versicherungsunterlagen sowie sonstigen Geschäftsunterlagen der Verstorbenen zu realisieren.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Erörterungen im Termin zur mündlichen Verhandlung. Darüber hinaus wird Bezug genommen auf den PKH-Beschluss vom 26.02.2020 (Bl. 44 ff. d. A.).
Entscheidungsgründe
Die (streitigen) Anträge sind zum Teil unzulässig, in jedem Fall unbegründet.
1.
Soweit die Antragstellerin mit den neuen Anträgen vom 10.3.2020 letztlich eine Vorwegnahme der Hauptsache erreichen will, sind die Anträge bereits unzulässig (vgl. Baumbach, ZPO, § 938 Rn. 8 und 11 unter „Hauptsache“ < unzulässig ist ihre Vorwegnahme > sowie Verweis auf § 940 Rn.7)
2.
Die Anträge sind unbegründet.
2.1.
Die Antragstellerin hat auch als Miterbin zu ½ an der Immobilie D kein Betretungsrecht.
Schon der einfache Mietbesitz wird als Eigentum im Sinne des Grundgesetzes vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG FamRZ 1993, 1293: Das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum i. S. von Art. 14 I S. 1 GG) eingestuft. Die hier gegebene verdinglichte Stellung des Antragsgegners zu 1) durch ein dingliches Wohnrecht gem. § 1093 BGB verleiht diesem eine noch stärkere Stellung, wobei das dingliche Wohnrecht noch durch eine schuldrechtliche mietvertragsähnliche Abrede ergänzt werden kann.
Rechtlich ist jedenfalls der Antragsgegner zu 1) ab 29.11.2019 alleiniger Wohnungsberechtigter an der Immobilie D, eingetragen im Grundbuch von …..
Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn einer der Antragsgegner sich durch „Faustrecht“ – rechtlich verbotener Eigenmacht im Sinne des § 858 BGB – in den Besitz des Nachlasses gesetzt hätte.
Von gravierendem Rechtsirrtum beeinflusst, ist die Auffassung der anwaltlich vertretenen Antragstellerin, sie habe einen Anspruch darauf „im Notfall wie jeder andere Eigentümer ohne Schlüsseldienst die Wohnung betreten zu können“ (Bl. 52 d. A.).
2.2.
Soweit die Antragstellerin den Antrag vom 10.03.2020 auch noch „aufgezählte Gegenstände“ an sich (!) heraus verlangt, führt dies zu einer hier unzulässigen (vgl. oben Ziffer 1.) Vorwegnahme der Hauptsache.
Im Übrigen ist der Antrag auch unbegründet.
Die Antragstellerin verkennt die rein dienende Funktion der einstweiligen Verfügung gegenüber dem mit allen Rechtsschutzgarantien ausgestatteten Hauptsacheverfahren.
Im Übrigen wird eine einstweilige Verfügung ohne Anhörung des jeweiligen Schuldners gerade dann erlassen, um den Antragsgegner zu überraschen. Das nicht gewährte rechtliche Gehör wird durch das Widerspruchsverfahren quasi nachgeholt.
2.3.
Es besteht kein Anspruch auf vollstreckbare Ausfertigungen.
Wenn die anwaltlich vertretene Antragstellerin bis heute auf die vollstreckbare Ausfertigung des Beschlusses wartet und eine „Verzögerung des Richters“ (was immer das ist) moniert (Bl. 53 d. A.), verkennt sie elementare Grundsätze des Zivilprozessrechts. Die Antragstellerin hatte nur Anspruch auf zwei einfache Ausfertigungen des Beschlusses vom 13.12.2019 (vgl. Zöller § 929 ZPO Rn. 1).
Zugestellt werden muss lediglich eine ordnungsgemäße Ausfertigung der einstweiligen Verfügung (Beschluss). Teil der ordnungsgemäßen Ausfertigung ist lediglich der Ausfertigungsvermerk der Geschäftsstelle (nicht des Richters). Die Zustellung an die beiden Antragsgegner hat persönlich zu erfolgen, und zwar durch Beauftragung eines Gerichtsvollziehers (nicht Gerichtsdieners) über die Verteilersteller für Gerichtsvollzieheraufträge (in der ungenauen Diktion der Antragstellervertreterin: Gerichtsvollzieherverteilerstelle).
Die einstweilige Verfügung bedurfte auch keines Ausspruchs über die vorläufige Vollstreckbarkeit oder sofortige Vollstreckbarkeit und auch keiner Vollstreckungsklausel. Was hier in Augen der Antragstellervertreterin bei anderen Gerichten „üblich“ sein soll, wird dort nach Erkenntnis des seit über drei Jahrzehnten im Zivilrecht tätigen Prozessrichters nicht anders als hier in Hamburgs Westen gehandhabt.
2.4.
Die Antragstellerin hat auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung keinen Anspruch auf Herausgabe des Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen HH-… sowie der Kfz-Papiere. Dies alles ist erst im Hauptsacheverfahren – wenn überhaupt – durchsetzbar. Die Antragstellerin ist schließlich nicht Alleinerbin.
2.5.
Ebenso ist die Herausgabe von Standuhr, Lehnstuhl, antikem Blumenbild und Rahmen mit mittelalterlicher Notenschrift nicht im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbar. Darüber hinaus sind diese Gegenstände auch noch so unbestimmt beschrieben, dass sie nicht in vollstreckbarer Form tenoriert werden könnten.
Auch die Ausnahmen für eine sogenannte Befriedigungsverfügung sind hier nicht gegeben.
Eine solche Verfügung kommt nur dann in Betracht, wenn der einstweilige Rechtsschutz seine Funktion nur (!) durch Vorwegnahme der Hauptsache erfüllen kann. Eine solche Befriedigungsverfügung ist hier als ultima ratio nicht angebracht. Selbst wenn die beiden Miterben die Befürchtung hätten, dass der Antragsgegner zu 1) sich an Nachlassgegenständen vergreifen oder das zum nachlassgehörende Auto dergestalt nutzen würde, dass eine Beschädigung oder ein erheblicher Wertverlust zu befürchten ist, käme allenfalls eine Herausgabe an beide Miterben oder an einen Sequester in Betracht.
3.
Soweit die einstweilige Verfügung nicht angegriffen wurde, richtet sich die Kostenentscheidung nach § 93 ZPO analog.
Im Übrigen folgt die Kostenentscheidung aus § 91 a ZPO. Soweit die Anträge v. 11.1.20 für erledigt erklärt wurden, entspricht es billigem Ermessen der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Soweit die Entscheidung hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt wurde, ergibt sich die Entscheidung aus § 708 Nr. 6, 711 ZPO.