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Enterbung scheitert: Darum muss die Witwe den Nachlass unter Eid versichern

Ein Vater in Deutschland verfügte in seinem Testament, seinen Sohn aus erster Ehe zu enterben – ein drastischer Schritt, begründet mit einem schweren Vorwurf aus der Vergangenheit. Doch der Sohn wehrte sich und forderte von der Witwe, der Alleinerbin, lückenlose Auskunft über den Nachlass. Trotz anfänglicher Anerkennung des Gerichts blieben die Angaben so unvollständig, dass die Witwe den gesamten Nachlass unter Eid versichern muss.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 6 O 4687/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landgericht Nürnberg-Fürth
  • Datum: 29.10.2024
  • Aktenzeichen: 6 O 4687/21
  • Verfahren: Klageverfahren
  • Rechtsbereiche: Erbrecht, Zivilprozessrecht

Beteiligte Parteien:

  • Kläger: Der Sohn des Verstorbenen. Er forderte von der Witwe seines Vaters Auskunft über den Nachlass und die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung dazu.
  • Beklagte: Die zweite Ehefrau und Alleinerbin des Verstorbenen. Sie wehrte sich gegen die Forderungen des Sohnes und behauptete, er habe keinen Anspruch auf den Pflichtteil.

Worum ging es genau?

  • Sachverhalt: Ein Vater entzog seinem Sohn den Pflichtteil wegen angeblicher Falschaussagen. Der Sohn forderte von der Witwe als Alleinerbin Auskunft über den Nachlass.

Welche Rechtsfrage war entscheidend?

  • Kernfrage: Muss die Witwe des Verstorbenen unter Eid die Richtigkeit ihres Nachlassverzeichnisses bestätigen, obwohl der Vater den Sohn enterben wollte?

Entscheidung des Gerichts:

  • Urteil im Ergebnis: Die Beklagte muss eine eidesstattliche Versicherung über den Nachlass abgeben.
  • Zentrale Begründung: Der Anspruch auf eine eidesstattliche Versicherung besteht, weil die Beklagte den Pflichtteilsentzug nicht beweisen konnte und ihre Auskünfte zum Nachlass unzureichend waren.
  • Konsequenzen für die Parteien: Die Witwe muss nun unter Eid bestätigen, dass ihre Angaben zum Nachlass vollständig und richtig sind.

Der Fall vor Gericht


Worum ging es in diesem ungewöhnlichen Erbfall?

Ein Mann aus den USA, der seinen Lebensabend in Deutschland verbrachte, verstarb und hinterließ ein Testament, das eine tiefe familiäre Kluft offenbarte. Er setzte seine zweite Ehefrau als alleinige Erbin ein. Seinem Sohn aus erster Ehe wollte er nicht nur nichts vererben, sondern ihm sogar den gesetzlichen Pflichtteil entziehen – das absolute Minimum, das einem direkten Nachkommen in Deutschland zusteht. Der Sohn wehrte sich und zog vor Gericht.

Ein Mann zeigt auf ein Dokument in einem Ordner, während eine Frau mit verschränkten Armen und ernster Miene daneben sitzt Sie prüfen gemeinsam Unterlagen zum Nachlassverzeichnis.
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Er forderte von der Witwe seines Vaters, der Alleinerbin, nicht sofort Geld, sondern zunächst vollständige und wahrheitsgemäße Auskunft über den Wert des Erbes. Als diese Auskunft seiner Meinung nach lückenhaft und zögerlich erteilt wurde, eskalierte der Streit. Der Fall landete vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth, wo es um eine entscheidende Frage ging: Muss die Witwe unter Eid versichern, dass ihre Angaben zum Nachlass vollständig und richtig sind?

Warum sollte der Sohn laut Testament leer ausgehen?

Der Kern des Konflikts lag in der Vergangenheit des Vaters. Dieser hatte in den USA gelebt und war dort nach der Trennung von seiner ersten Frau, der Mutter des Sohnes, in ein Strafverfahren verwickelt worden. Seine eigenen Töchter, die Schwestern des Klägers, hatten ihn angezeigt. Worum es genau ging, blieb zwischen den Parteien umstritten; im Raum stand der Vorwurf eines Sexualdelikts. Nach einer Zeit in Untersuchungshaft verließ der Vater die USA, heiratete in Südkorea seine neue Frau und zog mit ihr nach Deutschland.

In einem handschriftlichen Testament aus dem Jahr 2002 hielt der Vater seine Sicht der Dinge fest. Er warf seinen Kindern vor, gemeinsam mit seiner Ex-Frau ein Komplott geschmiedet zu haben. Ihr Ziel sei es gewesen, ihn durch falsche Anschuldigungen für lange Zeit in den USA ins Gefängnis zu bringen. Dieser Verrat, so der Erblasser, sei der Grund, warum er seinen Kindern den Pflichtteil entziehe. Der Sohn argumentierte dagegen, er sei zum Zeitpunkt dieses angeblichen Komplotts erst sieben Jahre alt gewesen und habe damit nichts zu tun gehabt.

Welchen ersten Schritt unternahm der Sohn vor Gericht?

Ein Erbe zu beziffern, ohne den genauen Umfang des Nachlasses zu kennen, ist wie eine Rechnung ohne Beträge zu schreiben. Deshalb sieht das deutsche Recht eine sogenannte Stufenklage vor. Auf der ersten Stufe kann ein Pflichtteilsberechtigter vom Erben verlangen, eine detaillierte Liste aller Vermögenswerte und Schulden zu erstellen – ein Nachlassverzeichnis.

Genau diesen Weg beschritt der Sohn. Er zog vor Gericht und verlangte Auskunft. Die Witwe erkannte diesen Anspruch zunächst an, weshalb das Gericht bereits im Juni 2022 ein sogenanntes Teil-Anerkenntnisurteil erließ. Darin wurde sie verurteilt, ein umfassendes Verzeichnis zu erstellen. Dieses sollte nicht nur Kontostände und Immobilien umfassen, sondern auch alle Schenkungen an sie selbst oder an Dritte in den letzten zehn Jahren sowie weitere komplexe Vermögensverschiebungen.

Weshalb landete der Fall erneut vor Gericht?

Die richterliche Anordnung allein führte jedoch nicht zum Ziel. Die Alleinerbin kam ihrer Pflicht zur Auskunftserteilung nur schleppend nach. Die Zeit verging, ohne dass der Sohn ein vollständiges und nachvollziehbares Verzeichnis erhielt. Die Situation spitzte sich so zu, dass das Gericht im Februar 2023 ein Zwangsgeld gegen die Witwe verhängen musste, um sie zur Erfüllung ihrer Pflichten zu bewegen.

Auch danach blieben die vom Sohn erteilten Informationen aus seiner Sicht unzureichend und widersprüchlich. Er hatte den begründeten Verdacht, dass die Witwe nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen war oder bewusst Informationen zurückhielt. Deshalb zündete er die nächste Stufe seiner Klage: Er beantragte, die Witwe zu verurteilen, die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben an Eides statt zu versichern. Eine solche eidesstattliche Versicherung ist kein reiner Formalismus. Sie ist ein scharfes Schwert, denn eine falsche Versicherung an Eides statt ist eine Straftat. Sie soll den Erben dazu zwingen, noch einmal alle Unterlagen mit größter Genauigkeit zu prüfen und die Wahrheit zu offenbaren.

Musste das Gericht zuerst die Wirksamkeit des Testaments prüfen?

Die Witwe verteidigte sich mit dem Argument, der ganze Anspruch des Sohnes sei von vornherein haltlos. Wenn der Pflichtteilsentzug im Testament wirksam sei, habe der Sohn keinerlei Ansprüche – weder auf einen Anteil am Erbe, noch auf Auskunft und schon gar nicht auf eine eidesstattliche Versicherung. Ihre Logik war: Ohne einen grundlegenden Anspruch gibt es auch keine Nebenansprüche.

Das Gericht musste sich also einer fundamentalen Frage widmen, bevor es über die eidesstattliche Versicherung entscheiden konnte: War der vom Vater angeordnete Pflichtteilsentzug überhaupt rechtens? Das Gesetz erlaubt einen solchen drastischen Schritt nur unter sehr engen Voraussetzungen, beispielsweise wenn das Kind dem Erblasser nach dem Leben trachtet oder ein anderes schweres Verbrechen gegen ihn begeht.

Die entscheidende Regel hierbei ist die Beweislast. Wer sich auf einen Pflichtteilsentzug beruft – in diesem Fall die Witwe als Erbin –, muss lückenlos beweisen, dass die vom Erblasser im Testament genannten Gründe tatsächlich zutreffen. Es genügt nicht, dass der Verstorbene davon überzeugt war; die Anschuldigungen müssen objektiv wahr sein.

Hielt der im Testament genannte Grund für den Pflichtteilsentzug einer Prüfung stand?

Das Landgericht Nürnberg-Fürth kam zu einem klaren Ergebnis: Nein. Die Witwe scheiterte daran, die für den Pflichtteilsentzug notwendigen Tatsachen zu beweisen.

Der Vater hatte seinen Kindern vorgeworfen, ihn durch Falschaussagen in den USA ins Gefängnis gebracht zu haben. Juristisch wäre das eine schwere Straftat, etwa eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft. Doch die Witwe konnte dem Gericht keinerlei Beweise dafür vorlegen, dass die damaligen Anschuldigungen der Töchter tatsächlich falsch waren. Sie konnte auch nicht nachweisen, dass die Unschuld ihres verstorbenen Mannes jemals festgestellt wurde.

Im Gegenteil: Ihre eigenen Aussagen in der mündlichen Verhandlung ließen Zweifel an ihrer Darstellung aufkommen. Sie erwähnte eine Bewährungsstrafe nach US-Recht und eine nicht zurückgezahlte Kaution in Höhe von 100.000 US-Dollar. Das Gericht merkte an, dass eine Bewährungsstrafe bei erwiesener Unschuld kaum verhängt wird. Diese Details sprachen eher dafür, dass das Verfahren in den USA nicht, wie behauptet, völlig grundlos war.

Selbst wenn die Vorwürfe damals falsch gewesen wären, hätte die Witwe noch den zweiten, entscheidenden Punkt beweisen müssen: die konkrete Beteiligung des Sohnes an diesem Komplott. Hierzu trug sie nichts Substanzielles vor. Angesichts der Tatsache, dass der Sohn zum fraglichen Zeitpunkt erst sieben Jahre alt war, wäre ein solcher Nachweis ohnehin extrem schwierig gewesen. Da die Witwe die Beweislast trug, ging diese Unklarheit vollständig zu ihren Lasten. Der Pflichtteilsentzug war damit unwirksam, und der Anspruch des Sohnes auf Auskunft bestand fort.

Warum wurde die Witwe zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verurteilt?

Nachdem das Gericht den grundsätzlichen Anspruch des Sohnes bestätigt hatte, prüfte es, ob die Voraussetzungen für eine eidesstattliche Versicherung vorlagen. Das Gesetz verlangt hierfür einen begründeten Verdacht, dass das Nachlassverzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt wurde. Die Richter fanden gleich mehrere solcher Anhaltspunkte im Verhalten der Witwe:

  1. Erhebliche Verzögerung: Die Witwe wurde bereits im Juni 2022 zur Auskunft verurteilt. Eine solche Liste ohne notarielle Mitwirkung hätte sie innerhalb weniger Monate erstellen können. Stattdessen ließ sie den richterlichen Befehl über lange Zeit unbeachtet.
  2. Notwendigkeit von Zwangsmitteln: Erst die Androhung und Verhängung eines Zwangsgeldes brachte die Witwe überhaupt dazu, eine Auskunft zu erteilen. Wer erst durch gerichtlichen Druck handelt, erweckt nicht den Eindruck gewissenhafter Pflichterfüllung.
  3. Fehlende Kooperationsbereitschaft: Die Witwe hatte schriftlich und mündlich klar gemacht, dass sie dem Sohn keinerlei Pflichtteil zahlen wolle. Das Gericht schloss daraus, dass ihre Motivation, ein sorgfältiges Verzeichnis für jemanden zu erstellen, den sie ohnehin nicht auszahlen will, objektiv betrachtet gering sein musste.
  4. Inhaltliche Mängel: Das schließlich vorgelegte Verzeichnis war lückenhaft. Es fehlten Angaben zu Schenkungen und Lebensversicherungen, obwohl das Urteil dies ausdrücklich gefordert hatte. Zudem gab es Widersprüche: In einer früheren Auskunft wurde der Wert des Hausrats mit 2.600 € angegeben, im neuen Verzeichnis plötzlich mit 0 €.

Diese Kette von Versäumnissen, Verzögerungen und Widersprüchen genügte dem Gericht als stichhaltiger Grund für die Annahme, dass die Auskunft nicht mit der notwendigen Sorgfalt erstellt worden war. Die Klage des Sohnes war daher erfolgreich. Die Witwe wurde verurteilt, an Eides statt zu versichern, dass ihre Angaben zum Nachlass vollständig und richtig sind.

Wichtigste Erkenntnisse

Der Schutz gesetzlicher Pflichtteilsansprüche und die Forderung nach umfassender Transparenz prägen richterliche Entscheidungen in Erbstreitigkeiten.

  • Die Beweislast für den Pflichtteilsentzug: Wer einem Erben den gesetzlichen Pflichtteil entziehen will oder sich darauf beruft, muss die dafür im Testament genannten Gründe lückenlos und objektiv nachweisen.
  • Die Erzwingung von Transparenz im Erbrecht: Bleibt ein Erbe trotz gerichtlicher Anordnung die vollständige und sorgfältige Erstellung eines Nachlassverzeichnisses schuldig, erzwingen Gerichte die Offenlegung der Wahrheit durch eine eidesstattliche Versicherung.

Im Erbrecht muss die Wahrheit ans Licht kommen und sich die Rechtspflege stets auf objektive Tatsachen stützen.


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Das Urteil in der Praxis

Für jeden, der sich auf einen Pflichtteilsentzug berufen will, ist dieses Urteil eine klare Warnung. Es demonstriert schonungslos, wie hoch die Latte für die Enterbung in Deutschland liegt: Das Gericht akzeptiert keine vagen Anschuldigungen, sondern fordert knallharte Beweise vom Erben, die objektiv stichhaltig sind. Gleichzeitig wird klar: Wer als Erbe beim Nachlassverzeichnis mauert und trickst, muss mit der Eidesstattlichen Versicherung rechnen – ein scharfes Schwert gegen mangelnde Kooperationsbereitschaft und widersprüchliche Angaben. Dieser Fall ist somit ein eindringlicher Weckruf an Erben, ihre Auskunftspflichten ernst zu nehmen und an Erblasser, die Grenzen ihrer Testierfreiheit nicht zu überschätzen.


Das Bild zeigt auf der linken Seite einen großen Text mit "ERBRECHT FAQ Häufig gestellte Fragen" vor einem roten Hintergrund. Auf der rechten Seite sind eine Waage, eine Schriftrolle mit dem Wort "Testament", ein Buch mit der Aufschrift "BGB", eine Taschenuhr und eine Perlenkette zu sehen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Kann der Pflichtteil im Erbrecht vollständig entzogen werden und welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?

Der Pflichtteil kann im Erbrecht nur in sehr seltenen Ausnahmefällen vollständig entzogen werden und ist an extrem strenge gesetzliche Voraussetzungen gebunden. Es handelt sich um eine absolute Ausnahme, die nicht willkürlich erfolgen kann.

Stellen Sie sich dies vor wie bei einem Fußballspiel: Eine rote Karte, die zum Platzverweis führt, wird nur für ganz bestimmte, schwerwiegende Regelverstöße gezeigt, nicht etwa, weil ein Spieler dem Schiedsrichter persönlich missfällt. Der Schiedsrichter muss den Verstoß klar gesehen haben und beweisen können.

Das Gesetz erlaubt einen Pflichtteilsentzug nur, wenn der Pflichtteilsberechtigte schwerwiegend gegen den Erblasser oder ihm nahestehende Personen verstoßen hat. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn jemand dem Erblasser nach dem Leben trachtet oder ein anderes schweres Verbrechen gegen ihn begeht.

Wichtig ist, dass rein persönliche Abneigungen, langjährige Streitigkeiten oder Enttäuschungen des Erblassers keine ausreichenden Gründe für einen Entzug sind. Wer sich auf den Pflichtteilsentzug beruft – in der Regel der Erbe –, muss diese schwerwiegenden Gründe lückenlos beweisen. Es genügt nicht, dass der verstorbene Erblasser von den Anschuldigungen überzeugt war; die Vorwürfe müssen objektiv wahr sein und bewiesen werden können.

Diese hohen Hürden und die strenge Beweispflicht dienen dazu, das Recht auf den Pflichtteil als ein grundlegendes Recht nahestehender Personen zu schützen und eine willkürliche Enterbung zu verhindern.


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Was ist ein Nachlassverzeichnis und welche Bedeutung hat es für Pflichtteilsberechtigte?

Ein Nachlassverzeichnis ist eine detaillierte und vollständige Auflistung aller Vermögenswerte und Schulden, die ein Verstorbener zum Zeitpunkt seines Todes hinterlassen hat. Diesen Vorgang kann man sich vorstellen wie das Schreiben einer Rechnung, bei der man zuerst alle einzelnen Beträge kennen muss, bevor man eine Summe bilden kann.

Das Verzeichnis umfasst nicht nur das gesamte vorhandene Vermögen wie Immobilien, Bankkonten oder Wertpapiere (sogenannte Aktiva), sondern auch alle bestehenden Schulden (sogenannte Passiva). Darüber hinaus müssen auch relevante Schenkungen, die der Verstorbene zu Lebzeiten – insbesondere in den letzten zehn Jahren – gemacht hat, darin aufgeführt werden, da sie den Pflichtteil beeinflussen können.

Für Pflichtteilsberechtigte ist das Nachlassverzeichnis von zentraler Bedeutung, weil sie ohne genaue Kenntnis des Nachlasswertes ihren gesetzlichen Anspruch nicht beziffern und geltend machen können. Der Erbe erstellt das Verzeichnis, kann aber auf Verlangen des Pflichtteilsberechtigten auch dazu verpflichtet werden, es durch einen Notar oder eine andere neutrale Stelle erstellen zu lassen.

Diese detaillierte Übersicht sorgt für die notwendige Transparenz und ermöglicht eine faire und korrekte Abwicklung der Pflichtteilsansprüche.


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Unter welchen Umständen muss ein Erbe die Vollständigkeit eines Nachlassverzeichnisses an Eides statt versichern?

Ein Erbe muss die Vollständigkeit eines Nachlassverzeichnisses an Eides statt versichern, wenn ein Gericht einen begründeten Verdacht hat, dass das Verzeichnis unvollständig ist oder nicht sorgfältig erstellt wurde. Dies ist ein gerichtliches Druckmittel und eine sehr ernste Maßnahme.

Stellen Sie sich vor, ein Prüfer bittet Sie um eine Liste aller Gegenstände in einem Raum. Wenn diese Liste dann offensichtliche Lücken oder Fehler enthält, kann der Prüfer verlangen, dass Sie unter Eid versichern, alles korrekt und vollständig aufgeschrieben zu haben. Ähnlich verfährt ein Gericht bei einem Nachlassverzeichnis.

Ein Gericht ordnet die eidesstattliche Versicherung an, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Erbe seine Auskunftspflicht nicht gewissenhaft erfüllt hat. Solche Anzeichen sind zum Beispiel, wenn sich die Auskunftserteilung erheblich verzögert, erst Zwangsmittel wie ein Zwangsgeld nötig sind, oder wenn das vorgelegte Verzeichnis offensichtliche Mängel und Widersprüche aufweist. Auch fehlende Kooperationsbereitschaft oder die Verweigerung wichtiger Informationen können den Verdacht begründen.

Dieses Instrument zwingt den Erben, alle Angaben mit größter Sorgfalt zu prüfen und die Wahrheit zu offenbaren. Eine falsche Versicherung an Eides statt stellt eine Straftat dar, was die Ernsthaftigkeit dieses gerichtlichen Befehls unterstreicht und das Vertrauen in faire Verfahren schützt.


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Welche Rechte hat ein Pflichtteilsberechtigter, wenn der Erbe die Auskunft über den Nachlass verweigert oder unzureichend erteilt?

Verweigert ein Erbe die Auskunft über den Nachlass oder erteilt diese unzureichend, kann ein Pflichtteilsberechtigter seine Ansprüche gerichtlich durchsetzen. Dies geschieht typischerweise im Rahmen einer sogenannten Stufenklage.

Man kann sich das so vorstellen, als wollte man eine detaillierte Rechnung bezahlen, kennt aber die einzelnen Posten und deren Preise nicht. Um die Rechnung – den Pflichtteil – überhaupt erst berechnen zu können, benötigt man zunächst alle nötigen Informationen.

Der erste Schritt dieser gerichtlichen Auseinandersetzung ist der Auskunftsanspruch: Hier fordert der Pflichtteilsberechtigte vom Erben ein detailliertes Verzeichnis aller Vermögenswerte und Schulden des Nachlasses. Reichen diese Angaben nicht aus oder bestehen begründete Zweifel an ihrer Vollständigkeit und Richtigkeit, kann das Gericht den Erben dazu verpflichten, die Richtigkeit seiner Angaben an Eides statt zu versichern. Dies ist ein scharfes Schwert, da eine falsche eidesstattliche Versicherung eine Straftat darstellt. Bleibt der Erbe auch dann untätig oder verweigert die Auskunft weiterhin, kann das Gericht Zwangsmittel wie Zwangsgelder verhängen, um ihn zur Kooperation zu bewegen. Nur wenn diese Auskünfte vorliegen und der Wert des Nachlasses feststeht – wobei bei komplexen Werten wie Immobilien auch die genaue Wertermittlung durch Fachleute Teil der umfassenden Auskunft sein kann –, kann der eigentliche Zahlungsanspruch auf den Pflichtteil beziffert und geltend gemacht werden.

Diese gestufte Vorgehensweise stellt sicher, dass Pflichtteilsberechtigte die notwendige Transparenz erhalten, um ihren gesetzlichen Anspruch korrekt zu ermitteln.


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Welche Beweislast gilt bei der Begründung eines Pflichtteilsentzugs im Testament?

Wer sich auf einen Pflichtteilsentzug beruft, trägt die volle Beweislast dafür, dass die im Testament genannten Gründe tatsächlich zutreffen. Dies bedeutet, dass in der Regel die Person, die sich auf den Pflichtteilsentzug beruft – also meist der Erbe, der den Pflichtteil nicht auszahlen möchte – die entsprechenden Beweise vorlegen muss.

Man kann es sich vorstellen wie bei einem Fußballspiel: Wenn ein Spieler eine Regelverletzung begangen haben soll, muss der Schiedsrichter (hier: das Gericht) nicht beweisen, dass der Spieler unschuldig ist. Vielmehr muss die beschuldigende Partei (hier: der Erbe) belegen, dass die Regelverletzung tatsächlich stattgefunden hat.

Es genügt nicht, dass der Erblasser im Testament lediglich seine Überzeugung von den Gründen niederschreibt. Die im Testament angeführten Vorwürfe gegen den Pflichtteilsberechtigten müssen objektiv beweisbar und wahr sein. Die Beweisführung muss lückenlos erfolgen. Wenn das Gericht Zweifel an der Richtigkeit der Anschuldigungen hat, gehen diese Zweifel vollständig zu Lasten der Person, die den Pflichtteil entziehen möchte. Dabei handelt es sich stets um schwerwiegende Verfehlungen, die gesetzlich genau definiert sind und dem Pflichtteilsberechtigten zweifelsfrei nachgewiesen werden müssen.

Diese strenge Beweislast schützt den Pflichtteilsberechtigten davor, ohne objektive Gründe von seinem gesetzlich garantierten Mindestanspruch ausgeschlossen zu werden.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Beweislast

Die Beweislast regelt, welche Partei vor Gericht die Verantwortung dafür trägt, bestimmte Tatsachen zu beweisen. Es geht darum, wer die Nachteile trägt, wenn eine Behauptung nicht bewiesen werden kann. Derjenige, der sich auf eine bestimmte Rechtsfolge beruft (z.B. einen Pflichtteilsentzug), muss die dafür nötigen Tatsachen belegen.

Beispiel: Im vorliegenden Fall musste die Witwe als Erbin beweisen, dass die vom Vater im Testament genannten Gründe für den Pflichtteilsentzug des Sohnes objektiv wahr waren und der Sohn tatsächlich ein schweres Vergehen begangen hatte. Da sie diese Beweise nicht erbringen konnte, ging die Unklarheit zu ihren Lasten, und der Pflichtteilsentzug war unwirksam.

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Eidesstattliche Versicherung (Nachlassverzeichnis)

Die eidesstattliche Versicherung über ein Nachlassverzeichnis ist eine vom Gericht angeordnete, sehr ernste Erklärung, dass die Angaben im Verzeichnis vollständig und wahrheitsgemäß sind. Sie dient als starkes Druckmittel, um einen Erben dazu zu zwingen, ein mit hoher Sorgfalt erstelltes und korrektes Verzeichnis vorzulegen, besonders wenn der Verdacht auf Lücken oder Falschangaben besteht. Eine falsche Versicherung ist eine Straftat.

Beispiel: Nachdem der Sohn den begründeten Verdacht hatte, dass die Witwe das Nachlassverzeichnis unzureichend und zögerlich erstellt hatte, beantragte er erfolgreich, dass sie zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über dessen Richtigkeit und Vollständigkeit verurteilt wurde.

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Nachlassverzeichnis

Ein Nachlassverzeichnis ist eine detaillierte und vollständige Auflistung aller Vermögenswerte und Schulden, die ein verstorbener Mensch zum Zeitpunkt seines Todes hinterlassen hat. Es schafft Transparenz über den gesamten Nachlass. Für Pflichtteilsberechtigte ist es unerlässlich, da sie nur so den Wert des Erbes ermitteln und ihren Pflichtteil genau beziffern können. Es muss nicht nur vorhandenes Vermögen und Schulden umfassen, sondern auch relevante Schenkungen der letzten zehn Jahre.

Beispiel: Der Sohn des Erblassers verlangte von der Witwe ein Nachlassverzeichnis, um den Wert des Erbes zu erfahren und seinen Pflichtteil berechnen zu können. Da die Witwe dies nur schleppend und lückenhaft tat, kam es zum Rechtsstreit.

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Pflichtteil

Der Pflichtteil ist ein gesetzlich garantierter Mindestanteil am Erbe, der bestimmten nahen Angehörigen zusteht, auch wenn sie im Testament enterbt wurden. Er schützt enge Familienmitglieder wie Kinder, Enkel oder Ehepartner davor, völlig ohne einen Anteil am Nachlass dazustehen, selbst wenn der Erblasser sie im Testament nicht berücksichtigt hat. Die Höhe ist die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.

Beispiel: Obwohl der Vater seinen Sohn im Testament enterbte und ihm sogar den Pflichtteil entziehen wollte, forderte der Sohn diesen gesetzlichen Mindestanspruch von der Witwe seines Vaters ein.

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Pflichtteilsentzug

Der Pflichtteilsentzug ist eine seltene und drastische Maßnahme, bei der ein Erblasser einem eigentlich Pflichtteilsberechtigten auch diesen gesetzlichen Mindestanspruch entzieht. Dies ist nur unter sehr engen, gesetzlich genau definierten Voraussetzungen möglich, etwa wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser nach dem Leben trachtet oder ein anderes schweres Verbrechen gegen ihn begeht. Der Zweck ist, den Erblasser in extremen Ausnahmefällen vor schwerwiegendem Fehlverhalten des Berechtigten zu schützen, aber gleichzeitig den grundlegenden Schutz des Pflichtteils aufrechtzuerhalten.

Beispiel: Der Vater versuchte, seinem Sohn den Pflichtteil zu entziehen, weil er ihm vorwarf, an einem Komplott gegen ihn beteiligt gewesen zu sein. Das Gericht erklärte diesen Entzug jedoch für unwirksam, da die Witwe die gesetzlich erforderlichen schwerwiegenden Gründe nicht beweisen konnte.

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Stufenklage

Eine Stufenklage ist eine besondere Art von Gerichtsverfahren, bei dem ein Kläger mehrere Ansprüche nacheinander geltend macht, die voneinander abhängen. Man beginnt typischerweise mit einem Auskunftsanspruch (erste Stufe), um die nötigen Informationen zu erhalten, auf deren Basis dann der eigentliche Zahlungsanspruch (zweite Stufe) beziffert und eingeklagt werden kann. Wenn die Auskunft unzureichend ist, kann auf einer Zwischenstufe die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verlangt werden. Dies ermöglicht eine effiziente Klärung von Ansprüchen, deren genaue Höhe oder Begründung ohne Vorinformationen noch nicht feststeht.

Beispiel: Der Sohn des Erblassers nutzte die Stufenklage, um zuerst Auskunft über den Nachlass zu erhalten. Als die Auskunft unzureichend war, zündete er die nächste Stufe und beantragte die eidesstattliche Versicherung der Witwe, bevor er später seinen eigentlichen Zahlungsanspruch beziffern und geltend machen würde.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


  • Pflichtteilsentziehung (BGB § 2333)
    Dieser Paragraph legt die sehr strengen Voraussetzungen fest, unter denen ein Erblasser einem direkten Angehörigen den gesetzlichen Mindestanteil am Erbe entziehen darf.
    Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Vater des Klägers versuchte, seinem Sohn den Pflichtteil zu entziehen, und die Wirksamkeit dieses Entzugs war die entscheidende Vorfrage für alle weiteren Ansprüche des Sohnes.
  • Beweislast bei Pflichtteilsentziehung (BGB § 2336 Abs. 1 S. 1)
    Wer sich auf die Entziehung des Pflichtteils beruft, muss vor Gericht beweisen, dass die vom Erblasser im Testament genannten Gründe tatsächlich zutreffen und rechtlich ausreichend sind.
    Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Witwe musste beweisen, dass die Vorwürfe des Vaters gegen seinen Sohn, die zum Pflichtteilsentzug führten, objektiv wahr waren, was ihr nicht gelang.
  • Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten (BGB § 2314 Abs. 1 S. 1)
    Einem Pflichtteilsberechtigten steht das Recht zu, vom Erben Auskunft über den genauen Wert und Umfang des gesamten Nachlasses zu verlangen.
    Bedeutung im vorliegenden Fall: Dieser Anspruch bildete die Grundlage der Klage des Sohnes, um überhaupt erst den Wert seines potenziellen Pflichtteils berechnen zu können.
  • Eidesstattliche Versicherung des Nachlassverzeichnisses (BGB § 2314 Abs. 1 S. 2)
    Besteht ein begründeter Verdacht, dass das vom Erben erstellte Nachlassverzeichnis unvollständig oder unrichtig ist, kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass der Erbe dessen Richtigkeit an Eides statt versichert.
    Bedeutung im vorliegenden Fall: Da die Witwe nur lückenhafte und verzögerte Auskünfte erteilte, forderte der Sohn diese eidesstattliche Versicherung, um die Richtigkeit der Angaben verbindlich zu erzwingen.
  • Stufenklage (ZPO § 254)
    Dieses prozessuale Vorgehen ermöglicht es, mehrere Ansprüche, die voneinander abhängen (wie Auskunft und Zahlung), in einer einzigen Klage schrittweise geltend zu machen.
    Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Sohn nutzte die Stufenklage, um zunächst Auskunft über den Nachlass zu erhalten und erst danach, auf der nächsten Stufe, seinen Zahlungsanspruch zu beziffern und durchzusetzen.

Das vorliegende Urteil


LG Nürnberg-Fürth – Az.: 6 O 4687/21 – Teilurteil vom 29.10.2024


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