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Erbausschlagung – Anfechtung wegen Irrtums

KG Berlin – Az.: 19 W 50/19 – Beschluss vom 11.07.2019

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lichtenberg vom 19. Februar 2019 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 40.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Ausstellung eines Erbscheins, der sie und ihre Tochter, die Beteiligte zu 2), als Erben zu je 1/2 ausweist.

Die Antragstellerin war mit dem 1960 geborenen Herrn M… M… (im Folgenden: Erblasser) verheiratet. Dieser wuchs in der DDR als sogenanntes „Heimkind“ auf, seine Mutter ist den Beteiligten unbekannt.

Aus der Ehe ging eine gemeinsame Tochter hervor, die Beteiligte zu 2). Diese bekam ihrerseits im Februar 2016 eine Tochter.

Am 8. Oktober 2018 starb der Erblasser. Er hinterließ keine Verfügungen von Todes wegen.

Mit notarieller Urkunde vom 13. November 2018 – beim Amtsgericht am 14. November 2018 eingegangen – erklärte die Beteiligte zu 2), dass sie die Erbschaft nach dem Erblasser „aus allen Berufungsgründen“ ausschlage. Als alleinige Sorgeberechtigte schlage sie die Erbschaft auch für ihre Tochter aus allen Berufungsgründen aus. Die rechtlichen Folgen einer Erbausschlagung seien ihr bekannt.

Mit notarieller Urkunde vom gleichen Tag und vor demselben Notar beantragte die Antragstellerin die Erteilung eines Erbscheins. Darin wird auf die Erbausschlagung der Beteiligten zu 2) und ihrer Tochter Bezug genommen. Der Erblasser sei somit nach gesetzlicher Erbfolge beerbt worden von seiner Ehefrau – der Antragstellerin – als Alleinerbin. Andere Personen, durch die dieser Erbe von der Erbfolge ausgeschlossen würde oder durch den sein Erbteil gemindert werden würde, seien nicht vorhanden. Die Erklärungen wurden eidesstattlich versichert.

Mit Verfügung vom 21. November 2018 wies das Amtsgericht darauf hin, dass die eidesstattliche Versicherung nicht zutreffend sei. Als Erben seien gemäß § 1931 BGB neben dem Ehegatten auch die Erben der zweiten Ordnung und Großeltern berufen. Es seien deshalb die Sterbeurkunden der Eltern und der Großeltern des Erblassers einzureichen.

Mit notarieller Urkunde vom 18. Dezember 2018 erklärte die Beteiligte zu 2) die Anfechtung der von ihr erklärten Erbausschlagung wegen Irrtums und erklärte zugleich die Annahme der Erbschaft.

Auf die Nachfrage des Amtsgerichts nach dem konkreten Irrtum und dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung erklärte die Beteiligte zu 2), dass die Erbausschlagung in der Erwartung erfolgt sei, dass der Nachlass damit der Antragstellerin nicht mehr nur zur Hälfte, sondern allein zufalle. Nach der Zwischenverfügung habe die Beteiligte zu 2) am 13. Dezember 2018 Rechtsrat eingeholt, wobei ihr die gesetzlichen Gegebenheiten und Rechtsfolgen der Erbausschlagungserklärung und die Erbfolge im Einzelnen erläutert worden seien.

Zur Begründung der Anfechtung verwies die Beteiligte zu 2) im Übrigen auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 21. September 2017 (I-3 Wx 173/17). Danach gehöre zu den unmittelbaren und wesentlichen Rechtsfolgen der Ausschlagung auch das Anfallen der Rechtsstellung beim Nächstberufenen gemäß § 1953 Abs. 2 BGB. Weiter zitiert die Beklagte zu 2) wörtlich aus dem Urteil: „Jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Ausschlagende – wenn auch fälschlicher Weise – davon überzeugt war, dass es außer ihr (resp. ihrer minderjährigen Tochter) und der Antragstellerin keine anderen potentiellen Erben gab und dass die Erbschaft daher nach der Ausschlagung zwangsläufig der Antragstellerin in voller Höhe anwachsen würde, liegt daher ein Irrtum über die unmittelbaren und wesentlichen Wirkungen der Ausschlagung vor.“

Mit notarieller Urkunde vom 12. Februar 2019 beantragte die Antragstellerin die Erteilung eines Erbscheins, der sie und die Beteiligte zu 2) jeweils zu 1/2 als gesetzliche Erben ausweise.

Mit Beschluss vom 19. Februar 2019 hat das Amtsgericht diesen Antrag zurückgewiesen. Die Anfechtung sei zwar frist- und formgerecht erfolgt, es liege jedoch kein wirksamer Anfechtungsgrund vor. Bei der Vorstellung, die Erbschaft falle aufgrund der Ausschlagung einer bestimmten Person an, handele es sich regelmäßig um einen unbeachtlichen Motivirrtum. Es sei davon auszugehen, dass sich alle Beteiligten über die gewünschten Rechtsfolgen einig gewesen seien, auch habe die Ausschlagung die Erklärung enthalten, dass die rechtlichen Folgen der Erklärung bekannt seien. Die zitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf sei nicht einschlägig, da es dort eine Erbin zweiter Ordnung gegeben habe, deren Existenz den Beteiligten nicht bekannt gewesen sei. Vorliegend gebe es keine positive Kenntnis von Erbberechtigten zweiter Ordnung. Es sei davon auszugehen, dass § 1931 BGB nicht beachtet wurde.

Der Beschluss ist der Beteiligten zu 2) am 22. Februar 2019 zugestellt worden. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. März 2019 hat die Beteiligte zu 2) dagegen Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus:

Es sei streitig, ob ein Irrtum über die Rechtsfolgen einen Anfechtungsgrund darstelle. Die bloße Formulierung in der Ausschlagungserklärung, ihr seien die Rechtsfolgen bekannt, gebe über die dabei gemeinte Rechtsfolge nichts her und sage nichts über die wirkliche Kenntnis der Beteiligten zu 2) als juristischer Laie über die Rechtsfolgen aus.

Nach Vorstellung der Beteiligten zu 2) sei die Rechtsfolge gewesen, dass der auf sie bzw. ihre Tochter entfallende Erbteil durch die Ausschlagung an ihre Mutter falle, die Alleinerbin werde. Hätte die Beteiligte zu 2) gewusst, dass in Folge ihrer Ausschlagung die Erbfolge quasi völlig neu bewertet und festgestellt würde und es möglich sei, dass eventuell vorhandene Verwandte des Erblassers zu Miterben werden, hätte sie nicht ausgeschlagen. Der Erblasser habe seine Vergangenheit „begraben“ wollen und habe mit seiner Verwandtschaft nichts zu tun haben wollen. Die Beteiligte zu 2) hätte die Ausschlagung nicht erklärt, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass auch nur die Möglichkeit bestünde, dass ggf. existierende Verwandte ihres Vaters eine Teilhabe am Nachlass bekämen.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts liege kein wesentlicher Unterschied zur Entscheidung des OLG Düsseldorf vor. Entscheidend sei, dass § 1931 BGB in der Vorstellung der Beschwerdeführerin offenbar keine Berücksichtigung gefunden habe.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 15. März 2019 nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin – nach einem Hinweis des Senats zu seiner vorläufigen Rechtsauffassung – ergänzend geltend gemacht, dass die Tochter der Beteiligten zu 2) die Ausschlagung nicht wirksam erklärt habe, da es hierfür einer gerichtlichen Genehmigung bedurft hätte; § 1643 Abs. 2 BGB, der in Fällen wie dem vorliegenden die Genehmigungsfreiheit vorsehe, sei insoweit teleologisch zu reduzieren. Allerdings wäre der derzeit gestellte Erbscheinsantrag dann dennoch unzutreffend, es könnte aber der Antrag entsprechend angepasst werden.

II.

Die gemäß den §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Recht den Erbscheinsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen, mit dem die Antragstellerin und die Beteiligte zu 2) als Beschwerdeführerin als gesetzliche Erben zu je 1/2 festgestellt werden sollte, da der Antrag die Erbfolge unzutreffend wiedergibt. Die Beschwerdeführerin ist aufgrund ihrer Ausschlagung nicht Erbin geworden. Die Ausschlagung ist wirksam. Die erklärte Anfechtung hat die Ausschlagungserklärung nicht erfolgreich beseitigt, da ein Anfechtungsgrund nach § 119 BGB nicht gegeben ist. Auch dies hat das Amtsgericht zutreffend angenommen.

1.

Worauf die Anfechtung einer Erbausschlagung gestützt werden kann, richtet sich allein nach § 119 BGB; die Sonderregeln der §§ 1954, 1955, 1957 BGB für Frist, Form und Wirkung der Anfechtung ändern oder erweitern die Anfechtungsgründe nicht (BGH v. 5.7.2006, IV ZB 39/05, Rn. 19). Dabei kann ein – hier allein in Betracht kommender – Inhaltsirrtum nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt aber nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrum (vgl. BGH v. 29.6.2016, IV ZR 387/15, Rn. 11; BGH v. 5.7.2006, IV ZB 39/05, Rn. 19; BGH v. 10.7.2002, VIII ZR 199/01 zum Irrtum über ein kaufrechtliches Rücktrittsrecht; BGH v. 5.6.2008, V ZB 150/07 zum Kalkulationsirrtum).

2.

Von diesen Grundsätzen ausgehend befand sich die Beschwerdeführerin bei Erklärung der Ausschlagung allenfalls in einem – rechtlich unbeachtlichen – Motivirrtum.

a)

Ihr Irrtum lag offensichtlich allein darin, dass sie die gesetzliche Erbfolge und dabei insbesondere die Rechtsfolge aus § 1931 BGB verkannt hat, wonach nämlich neben den Ehegatten auch noch Verwandte zweiter Ordnung oder Großeltern treten und der Ehegatte nur Alleinerbe wird, wenn solche Personen im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr vorhanden waren, § 1931 Abs. 2 BGB.

Die Anfechtende hat hingegen nicht angenommen, dass durch die Ausschlagung ihr Erbteil den neben ihr bereits vorhandenen Erben unmittelbar anwächst; eine solche Vorstellung könnte ein Irrtum über eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung darstellen (vgl. dazu BayObLG v. 27.10.2003, 1Z BR 60/03, Rn. 28; OLG Frankfurt v. 4.5.2017, 20 W 197/16, Rn. 19). Ihr war vielmehr bewusst, dass nach der Ausschlagung die gesetzliche Erbfolge neu zu bewerten ist, so als ob die Anfechtende zu keinem Zeitpunkt Erbin geworden wäre.

Dafür spricht schon, dass sie selbst die gesetzliche Erbfolge in der Ausschlagungserklärung darstellt und die Ausschlagung nicht nur für sich, sondern auch für ihre Tochter erklärt. Die Tochter aber wäre neben der Anfechtenden nicht gesetzliche Erbin, solange die Anfechtende nicht ausschlägt. Die Ausschlagung für die Tochter erklärt sich mithin einzig und allein mit der Rechtsfolge der Ausschlagung aus § 1953 Abs. 2 BGB. Ferner spricht für die abstrakte Kenntnis dieser unmittelbaren Rechtsfolge, dass die Ausschlagung vor einem Notar erklärt wurde und die Anfechtende selbst erklärt hat, dass ihr die rechtlichen Folgen einer Erbausschlagung bekannt seien.

Schließlich spricht auch für eine Kenntnis davon, dass grundsätzlich die gesetzliche Erbfolge so eintritt, als wäre die Anfechtende nicht Erbin geworden, dass taggleich vor demselben Notar die Mutter der Anfechtenden die Annahme der Erbschaft erklärt und einen Erbschein als Alleinerbin beantragt hat. Es spricht aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs alles dafür, dass der Anfechtenden dies bekannt war. In dieser Erklärung wird zur Begründung des Antrags auf Alleinerbschaft auf die gesetzliche Erbfolge abgestellt; auch dies belegt, dass sowohl die Anfechtende wie auch ihre Mutter vor demselben Notar grundsätzlich vom Eintritt der gesetzlichen Erbfolge nach der Ausschlagung ausgingen.

b)

Dieser Irrtum der Beteiligten zu 2) über die Rechtsfolge aus § 1931 BGB ist kein beachtlicher Rechtsfolgenirrtum, sondern ein unbeachtlicher (Motiv-) Irrtum über eine nur mittelbare abstrakte Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung. Diese Auffassung entspricht der immer noch ganz herrschenden Meinung, wonach der Irrtum über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung zugute kommt, nur einen unbeachtlichen Motivirrtum darstellt (im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt v. 4.5.2017, 20 W 197/16, Rn. 18; OLG Hamm v. 31.5.2011, I-15 W 176/11; OLG München v. 4.8.2009; 31 Wx 060/09 Rn. 14; BayObLG v. 27.10.2003, 1Z BR 60/03, Rn. 28; OLG Schleswig v. 11.5.2005, 3 Wx 70/04; OLG Düsseldorf v. 8.1.1997, 3 Wx 575/96, Rn. 17; KG v. 30.12.1907, 1 X 1479/1907; so auch – wenn auch kritisch – Staudinger-Otte, BGB 2017, § 1954 Rn. 6 und Musielak, Der Irrtum des Erblassers und der Erben in ZEV 2016, 353, 355 f. sowie Eickelberg, Die Ausschlagung zugunsten Dritter als taktisches Gestaltungsmittel, ZEV 2018, 489 ff.; aA OLG Düsseldorf v. 21.9.2017, 3 Wx 173/17; OLG Düsseldorf v. 12.3.2019, 3 Wx 166/17; MüKo-Leiphold, BGB 7. A., § 1954 Rn. 7).

Der Senat schließt sich dieser Auffassung jedenfalls für den vorliegenden Fall eines auf § 1931 BGB bezogenen Irrtums an. Denn die Anwendung des § 1931 BGB ist keine direkte und wesentliche Folge der Ausschlagung, sondern bei jedem Erbgang als Teil der Prüfung der gesetzlichen Erbfolge beachtlich (so auch OLG Frankfurt v. 4.5.2017 aaO und Hamm v. 31.5.2011 aaO). Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung sind demnach zwar – als zwei Seiten einer Medaille – der Verlust der Rechtsstellung als Erbe beim Ausschlagenden (§ 1953 Abs. 1 BGB) sowie der Anfall der Rechtsstellung als Erbe bei dem, der berufen sein würde, wenn der Ausschlagende im Zeitpunkt des Erbfalls nicht gelebt hätte (§ 1953 Abs. 2 BGB). Wer konkret dieser Erbe nach § 1953 Abs. 2 BGB dann ist, ergibt sich hingegen nicht aus den Regeln der Ausschlagung, sondern aus den allgemeinen Regeln zur gesetzlichen Erbfolge; unmittelbare Rechtsfolge ist mithin nur die Streichung des Ausschlagenden aus der gesetzlichen Erbfolge, nicht jedoch der Eintritt und die Ermittlung der gesetzlichen Erbfolge als solche (aA, aber diesen Punkt und § 1931 BGB nicht erörternd OLG Düsseldorf v. 12.3.2019, 3 Wx 166/17). Die gesetzliche Erbfolge ist vielmehr nur unmittelbare Rechtsfolge des Erbfalls. Gewollte und auch eingetretene Rechtsfolge der Ausschlagung ist demnach hier, dass die Beteiligte zu 2) ihre Erbenstellung verloren hat und bei der Neubewertung der gesetzlichen Erbfolge nicht mehr berücksichtigt wird. Hingegen ist die von der Beteiligten zu 2) angenommene Alleinerbschaft der Antragstellerin nur eine mittelbare Rechtsfolge, die zu den genannten gewollten Rechtsfolgen hinzutritt. Allein der Umstand, dass dies der Hauptgrund und die Hauptmotivation für die Ausschlagung gewesen sein mag, ändert nichts an der dargestellten Abgrenzung zwischen unbeachtlichem Motivirrtum und beachtlichem Inhaltsirrtum. Eine Rechtsfolge wird nicht allein dadurch zu einer im Sinne der oben genannten Rechtsprechung „unmittelbaren“ Rechtsfolge, nur weil diese Rechtsfolge der Hauptgrund für die Erklärung der Ausschlagung war (aA wohl OLG Düsseldorf v. 12.3.2019, 3 Wx 166/17 Rn. 26, das entscheidend auf den Lenkungswillen des Ausschlagenden abstellt). Würde man dies so vertreten, wäre nicht mehr die unmittelbare Rechtsfolge, sondern allein der Hauptzweck der Erklärung maßgeblich für die Frage der Anfechtbarkeit. Das aber wäre nach Auffassung des Senats von § 119 BGB nicht mehr gedeckt. Auch aus Gründen der Rechtssicherheit ist es geboten, die Anfechtbarkeit wegen eines Rechtsfolgenirrtums auf die Fälle zu begrenzen, in denen die Rechtsfolge, auf die sich der Irrtum bezieht, sich nach der gesetzlichen Regelung und Systematik – insoweit objektiv – unmittelbar aus dem Rechtsgeschäft bzw. der Willenserklärung ergibt.

c)

Ob etwas anderes gelten würde, wenn die Anfechtende sich konkret über die dann als Erbin anzusehende Person irrt, kann vorliegend offenbleiben. Dies wäre nur relevant, wenn die Anfechtende vorliegend angefochten hätte, weil feststeht, dass ihre Mutter nicht Alleinerbin wurde, sondern noch andere – der Anfechtenden vorher unbekannte – Miterben bestehen würden. Dies hat sie aber ausdrücklich nicht getan. Sie beruft sich allein auf die bloße Möglichkeit, dass es solche Miterben geben könnte. Dies ist jedoch aus den oben dargestellten Gründen kein beachtlicher Irrtum. Insoweit weicht der Fall maßgeblich ab von der zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorf v. 21.9.2017; dort war ein zuvor unbekannter weiterer Erbe aufgetaucht, so dass die gewollte Folge einer Alleinerbschaft der Ehefrau des Erblassers – trotz Kenntnis der Anfechtenden von dem rechtlichen Umfang der gesetzlichen Erbfolge – nicht eintreten konnte.

Der Senat neigt allerdings zu der Auffassung, dass es keinen Unterschied macht, ob der Ausschlagende die gesetzliche Erbfolge aus rechtlichen Gründen (zB wegen Unkenntnis von § 1931 BGB) oder aus tatsächlichen Gründen (zB wegen Unkenntnis der Existenz eines Geschwisterteils des Erblassers) verkennt. Das Gesetz sieht eine Anfechtung wegen Motivirrtums nicht vor. Ausnahmen im Rahmen der Auslegung des Begriffs des Inhaltsirrtums sollten deshalb nur unter engen Voraussetzungen zugelassen werden. Zulässig wäre demnach eine Anfechtung allenfalls dann, wenn der Ausschlagende annahm, dass durch die Ausschlagung eine Anwachsung des Erbteils bei den übrigen Erben erfolgt, also die gesetzliche Erbfolge nicht neu bewertet wird. Ein solcher Fall liegt hier jedoch aus den dargestellten Gründen nicht vor.

d)

Aus den Entscheidungen des BGH vom 29. Juni 2016 (IV ZR 387/15) und vom 5. Juli 2006 (IV ZB 39/05) ergibt sich nichts anderes. In den dort entschiedenen Fällen wurde einem die Erbschaft annehmenden Erben ein Anfechtungsrecht zugestanden, weil der Erbe nicht gewusst hatte, dass er das Pflichtteilsrecht im Falle der Ausschlagung nicht verlieren würde. Der Erbe hatte sich dort also über das ihm nach § 2306 Abs. 1 BGB zustehende Wahlrecht geirrt. Dieses Wahlrecht bzw. der Verlust des Pflichtteilsrechts als Rechtsfolge der Annahme einer Erbschaft hat der BGH als unmittelbare und wesentliche Rechtsfolge eingeordnet und deshalb einen Irrtum über diese Rechtsfolge als Inhaltsirrtum qualifiziert. Dem ist zuzustimmen. Dies führt aber im vorliegenden Fall zu keiner anderen Bewertung. Denn das Wahlrecht bzw. die Entstehung des Pflichtteilsrechts ist in § 2306 Abs. 1 BGB unmittelbar mit der Ausschlagung verknüpft. § 1931 BGB hingegen hat unmittelbar mit der Ausschlagung nichts zu tun und ist nur mit dem Eintritt des Erbfalls verknüpft. Ein Irrtum hierüber bleibt deshalb im Falle der Ausschlagung unbeachtlicher Motivirrtum.

3.

Da die Antragstellerin nicht gesetzliche Erbin geworden ist, ist schon allein deshalb der Erbscheinsantrag zurückzuweisen, da die Antragstellerin darin als Erbin zu ½ ausgewiesen wird.

Insoweit kommt es auf die Erwägungen der Beschwerdeführerin zu einer möglicherweise unwirksamen Ausschlagung der Tochter der Beteiligten zu 2) an sich nicht an. Zu der von der Beschwerdeführerin erwogenen Antragsänderung ist es in der Beschwerdeinstanz auch nicht gekommen. Nur vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass nach Auffassung des Senats die Ausschlagung durch die Tochter der Beteiligten zu 2) rechtswirksam gewesen sein dürfte, da gemäß § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB diese keiner gerichtlichen Genehmigung bedurfte. Eine teleologische Reduktion dieser Bestimmung erachtet der Senat für nicht geboten. Insoweit wird auf die Ausführungen im Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 13. Mai 2019 Bezug genommen.

4.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 84 FamFG, die Wertfestsetzung aus §§ 61, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GNotKG.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Zwar ist höchstrichterlich definiert, wann ein Rechtsfolgenirrtum eine Anfechtung nach § 119 BGB grundsätzlich zu rechtfertigen vermag. Die Frage allerdings, was dies im konkreten Fall der Ausschlagung und eines damit verknüpften Irrtums über die gesetzliche Erbfolge bedeutet, ist höchstrichterlich nicht entschieden und wird mittlerweile in Ansätzen unterschiedlich beurteilt. Das OLG Düsseldorf hatte in der Entscheidung vom 21.9.2017 (aaO) die Rechtsbeschwerde aus diesem Grund zugelassen, diese ist dort jedoch offenbar nicht eingelegt worden, so dass eine höchstrichterliche Klärung aussteht. Die aktuelle Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 12.3.2019 belegt, dass die Einordnung des Irrtums bei der Ausschlagung in Fällen des § 1931 BGB streitig ist und die Zulassung der Rechtsbeschwerde auch nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung rechtfertigt.

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