AG Northeim, Az.: 3 C 585/04, Urteil vom 14.07.2005
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Bezahlung der ausstehenden Heimkosten der verstorbenen Mutter der Beklagten.
Die Mutter der Beklagten wohnte zuletzt in der Einrichtung der Klägerin aufgrund des Heimvertrages vom 23.07.2003. Daraus entstanden von der Mutter nicht mehr beglichene Restkosten in Höhe von 1.051,73 EUR und 25,11 EUR.
Die Klägerin stellte den Beklagten diese Beträge in Rechnung, woraufhin sich der Beklagte zu 1.) telefonisch bei der Klägerin meldete und mit dieser vereinbarte, die 1.051,73 EUR in monatlichen Raten von je 100,- EUR zu bezahlen.
Mit ihren Widersprüchen gegen die von der Klägerin erwirkten Mahnbescheide wiesen die Beklagten vorprozessual darauf hin, dass „sie nichts geerbt hätten und auch kein Erbe anerkannt haben“ und dass zudem ihre Mutter bei ihrem Versterben vermögenslos war. Hierauf wurde die Klägerin auch durch anwaltliches Schreiben vor Klageerhebung nochmals hingewiesen.
Nach Klageerhebung haben die Beklagten jeweils die Versäumung der Ausschlagungsfrist gegenüber dem Nachlassgericht Northeim wegen Irrtums angefochten und die Ausschlagung der Erbschaft erklärt.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, mit der Ausschlagung der Erbschaft sei die Klage unbegründet geworden.
Sie hat ursprünglich beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 1.051,73 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 06.03.2004 sowie 25,11 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.
Mit Schriftsatz vom 26.04.2005 hat sie nunmehr die Klage für erledigt erklärt.
Die Beklagten stimmen der Erledigungserklärung nicht zu und beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie sind der Ansicht, die Klage sei von Anfang an gemäß § 1958 BGB wegen der erfolgten Erbschaftsausschlagung unzulässig gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die einseitige Erledigungserklärung der Klägerin stellt eine zulässige Klageänderung (§ 264 Ziff. 2 ZPO) auf den Antrag auf Feststellung dar, die Klage habe sich durch die Ausschlagungserklärungen erledigt und war bis dahin zulässig und begründet.
Diesem Feststellungsantrag kann jedoch nicht entsprochen werden, da zwar mit der Erbausschlagung der Beklagten ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, die Klage jedoch von Beginn an unbegründet war.
Die Klage war und ist nicht gemäß § 1958 BGB unzulässig, da diese Vorschrift keine Anwendung findet.
Voraussetzung des § 1958 BGB ist, dass die Erbschaft zum Zeitpunkt der Klageerhebung weder angenommen noch ausgeschlagen war. Vorliegend war die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft bei Klageerhebung abgelaufen, so dass die Erbschaft – vom Zeitpunkt der Klageerhebung aus betrachtet – als angenommen galt (§ 1943 BGB a.E.).
Aufgrund der Rückwirkung der Ausschlagungserklärungen nach Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist (§ 1953 Abs. 1 BGB) ist die Erbschaft nun wiederum – vom jetzigen Zeitpunkt aus gesehen – als von Beginn an ausgeschlagen anzusehen.
Unerheblich ist an dieser Stelle, auf welchen Betrachtungszeitpunkt man hierbei abstellt, da die Klage in jedem Fall bei Klageerhebung entweder als angenommen oder als ausgeschlagen galt, so dass die Voraussetzungen des § 1958 BGB nicht erfüllt sind.
Durch die Ausschlagungserklärungen fehlt den Beklagten die Erbenstellung und damit die materielle Verpflichtung, also die Passivlegitimation.
Die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist ist gemäß §§ 1954, 1955, 1956, 119 Abs. 1 BGB wirksam vorgenommen worden. Als Anfechtungsgrund reicht es aus, dass der Anfechtende keine Kenntnis von der Möglichkeit oder auch Notwendigkeit der Ausschlagung hatte und dementsprechend nicht wusste, dass sein Unterlassen die Annahme der Erbschaft bedeutete, wenn er also tatsächlich keinen Annahmewillen hatte (Palandt, 64. Auflage, § 1954 Rn. 2). Dass die Beklagten die Folgen ihres Unterlassens nicht kannten, d.h. nicht wussten, dass sie die Erbschaft angenommen hatten allein durch Versäumung der Ausschlagungsfrist, und dass sie die Erbschaft wegen der Vermögenslosigkeit der Erblasserin nicht annehmen wollten, steht aufgrund ihrer Äußerungen in ihren Widersprüchen gegen die Mahnbescheide zweifelsfrei fest.
Für den Zeitpunkt des Ausfalls der Passivlegitimation und damit des Eintritts der Unbegründetheit der Klage ist jedoch nicht darauf abzustellen, wann die Ausschlagungserklärungen erfolgt sind, sondern auf den Zeitpunkt, in dem diese ihre Wirkung entfalten. Gemäß § 1953 Abs. 1 BGB wirkt die Erbschaftsausschlagung auf die Zeit des Erbanfalls zurück. Damit ist die Klage als von Beginn an unbegründet anzusehen.
Die Entscheidung BGHZ 106, 359 ff. führt hierbei zu keiner anderen Beurteilung, obwohl dort für einen vergleichbaren Fall eine Erledigungserklärung des Klägers für sinnvoll erachtet wurde, was zugleich bedeutet, dass der Bundesgerichtshof (BGH) die Klage als erst mit der Ausschlagungserklärung unbegründet geworden ansah.
Diese Entscheidung berücksichtigt die Rückwirkungsfiktion der Ausschlagung nicht. Materiell- rechtlich ist die Erbschaft – auch bei späterer Erklärung – zum Zeitpunkt des Erbfalls ausgeschlagen.
Auch die neuere Rechtsprechung des BGH zur Prozessaufrechnung (Urteil vom 17.07.2003 – IX ZR 268/02, NJW 2003, 3143), wonach im Hinblick auf die Erledigungserklärung entgegen der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung nunmehr auf die Aufrechnungserklärung, nicht auf das erstmalige Bestehen der Aufrechnungslage abzustellen sei, führt zu keiner abweichenden Bewertung.
In dieser Entscheidung wurde ausdrücklich darauf abgestellt, dass eine andere Bewertung aus Billigkeitsgesichtspunkten gerechtfertigt sein kann. Derartige Aspekte wurden für den dort zu entscheidenden Fall der Aufrechnungserklärung mit dem Argument verneint, dem beklagten Schuldner sei es grundsätzlich zur freien Entscheidung überlassen, ob und wann er durch Erklärung der Aufrechnung die Erlöschenswirkung eintreten lassen will. Zudem gäbe es Fälle, in denen die Aufrechnung vorprozessual – trotz Bestehens der Aufrechnungslage – noch nicht erklärt werden könne, so dass eine Rückwirkung auch hinsichtlich der Begründetheit der Klage nicht in Betracht komme.
Beide Argumente greifen vorliegend nicht ein. Vielmehr bestehen im hier zu entscheidenden Fall Billigkeitsgesichtspunkte, die eine abweichende Bewertung erforderlich machen. Die Beklagten haben die Erbschaft nicht ausdrücklich angenommen und die Ausschlagungsfrist auch nicht bewusst verstreichen lassen. Vielmehr gesteht die Rechtsordnung den eigentlich berufenen Erben die Möglichkeit zu, eine unbewusste Fristversäumnis anzufechten mit der Begründung, man habe vom Erbanfall bei fehlender Ausschlagung keine Kenntnis gehabt (vgl. bereits oben).In diesen Fällen hatte der (Schein-) Erbe gerade – anders als der Aufrechnende – keine Möglichkeit, die Ausschlagung vorher zu erklären. Genau aus diesem Grund gibt man ihm die Gelegenheit, die Fristversäumnis anzufechten und damit noch später die Erbschaft auszuschlagen. Dies stünde in einem nicht nachvollziehbaren Widerspruch dazu, wenn man für die Erledigung auf den Erklärungszeitpunkt abstellte und den Ausschlagenden mit den Prozesskosten belastete.
Auch eine Abwägung mit dem (Kosten- ) Interesse der Nachlassgläubiger, die von der (verspäteten) Ausschlagung überrascht werden, bedingt hier keine andere Entscheidung. Dies muss zumindest in Fällen wie dem vorliegenden gelten, in dem der Gläubiger vor Klageerhebung mit den Widersprüchen gegen die Mahnbescheide und durch anwaltliches Schreiben darauf hingewiesen wurde, dass den Schuldnern die automatische Annahme der Erbschaft durch Fristablauf nicht bewusst war und dass diese die Erbschaft aufgrund der Vermögenslosigkeit des Erblassers nicht annehmen wollen. Dies kam aus den Widerspruchsschreiben der Beklagten sowie dem anwaltlichen Schreiben deutlich zum Ausdruck. Unter diesen Bedingungen kann das Kosteninteresse des Gläubigers nicht höher gewertet werden als dasjenige der Scheinerben.
Auch aus der Tatsache, dass der Beklagte zu 1.) nach Rechnungstellung eine Ratenzahlung mit der Klägerin vereinbarte, lässt sich kein Zahlungsanspruch zu Gunsten der Klägerin herleiten.
Diese Zusage seitens des Beklagten zu 1.) stellt lediglich ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis zur Bestätigung des aus Sicht des Beklagten zu 1.) bestehenden, und vor der Ausschlagung möglicherweise auch begründeten Anspruchs dar. Ein konstitutives, d.h. allein schuldbegründendes Anerkenntnis ist hierin nicht zu sehen. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte der Klägerin einen zusätzlichen Schuldgrund gewähren wollte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er nur versuchte, günstigere Zahlungsmodalitäten, nämlich eine ratenweise Zahlung der vermeintlich ohnehin begründeten Forderung zu erwirken.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 91 ZPO und bezüglich der Vollstreckbarkeit sowie der Abwendungsbefugnis auf den §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.