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Erbausschlagung testamentarischer Alleinerbe bei Ehegattentestament ohne Ersatzerbenregelung

Ausschlagung des Alleinerben: Schlusserben erben trotzdem

Das Oberlandesgericht Düsseldorf entschied, dass die Beteiligten zu 1 und zu 2 zu je ½ Miterben nach der Erblasserin werden, nachdem der Beteiligte zu 3 die Erbschaft wirksam ausgeschlagen hatte. Das Urteil basiert auf der Feststellung, dass die Erbausschlagung form- und fristgerecht erfolgte und dass bei einem Ehegattentestament ohne Ersatzerbenregelung die Kinder als stillschweigende Ersatzerben gelten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: I-3 Wx 91/23 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Wirksame Erbausschlagung des Beteiligten zu 3, was die Erbenstellung an die Beteiligten zu 1 und zu 2 übergehen lässt.
  2. Rechtsgrundlage: Die Erbfolge basiert auf dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute vom 03.12.2007.
  3. Formgerechte Ausschlagungserklärung gemäß § 1945 BGB durch notarielle Beurkundung gewährleistet.
  4. Einhaltung der Ausschlagungsfrist gemäß § 1944 Abs. 1 BGB, beginnend mit der Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen.
  5. Annahme der stillschweigenden Ersatzerbenregelung für die Kinder im Falle der Ausschlagung des Alleinerben.
  6. Keine Anzeichen für eine Erbanahme durch den Beteiligten zu 3, trotz des langen Zeitraums nach dem Erbfall.
  7. Schlusserben: Die Beteiligten zu 1 und zu 2 werden nach der Ausschlagung zu Miterben zu je ½.
  8. Keine Kostenentscheidung notwendig aufgrund des Erfolgs des Rechtsmittels.

Erbausschlagung und Testament: Ein rechtlicher Überblick

Erbschaftsangelegenheiten sind ein sensibles und oft komplexes Feld des Zivilrechts, das häufig Konflikte zwischen den Erbberechtigten nach sich zieht. Im Zentrum stehen dabei nicht selten Testamente, durch die Erblasser ihren letzten Willen hinsichtlich der Verteilung ihres Nachlasses festlegen. Ein spezieller Fall, der in der rechtlichen Praxis auftritt, ist die Erbausschlagung durch testamentarisch eingesetzte Alleinerben, insbesondere im Kontext von Ehegattentestamenten.

Die Dynamik einer solchen Konstellation offenbart sich, wenn ein Alleinerbe entscheidet, die ihm testamentarisch zugedachte Erbschaft nicht anzunehmen. Diese Entscheidung kann weitreichende Folgen haben, vor allem wenn im Testament keine klare Ersatzerbenregelung getroffen wurde. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Interpretation solcher Testamente sindoft Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Gerade in Fällen, in denen die formellen Anforderungen an eine wirksame Ausschlagung oder die Auslegung der testamentarischen Bestimmungen unklar sind, kommt es häufig zu juristischen Debatten und Beschwerden vor höheren Gerichtsinstanzen, wie dem OLG Düsseldorf.

Der nachfolgende Inhalt beleuchtet einen konkreten Fall, in dem diese Thematik zentral steht. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, wie das Gericht in einem spezifischen Fall von Erbausschlagung entschieden hat und welche rechtlichen Feinheiten dabei eine Rolle spielten.

Das juristische Ringen um ein Ehegattentestament

Im Zentrum des Falles steht ein gemeinschaftliches Ehegattentestament, errichtet von einem Ehepaar im Jahr 2007. Darin wurde festgelegt, dass sich die Ehepartner gegenseitig als Alleinerben einsetzen. Nach dem Tod des länger lebenden Ehepartners sollten die gemeinsamen Töchter, die Beteiligten zu 1 und zu 2, die Erbfolge antreten. Eine bedeutende Wendung nahm der Fall, als der Beteiligte zu 3, der Alleinerbe und Ehemann der Erblasserin, die Erbschaft ausschlug. Diese Erbausschlagung führte zu juristischen Auseinandersetzungen, da sie tiefgreifende Fragen zur Auslegung des Testaments und zur Wirksamkeit der Ausschlagung aufwarf.

Der Konflikt vor dem Nachlassgericht

Das Nachlassgericht in Mülheim an der Ruhr sah die Ausschlagung als unwirksam an, da sie nicht den Formvorschriften des § 1945 BGB entspreche und zudem die Ausschlagungsfrist abgelaufen sei. Diese Interpretation stützte sich auf die Annahme, dass der Beteiligte zu 3 als juristischer Laie von seinem Erbanspruch gewusst haben müsse. Die Beteiligten zu 1 und zu 2 widersprachen dieser Auffassung und legten Beschwerde ein. Sie argumentierten, dass der Beteiligte zu 3 keine Kenntnis von seiner Erbeinsetzung gehabt habe und somit die Frist zur Ausschlagung noch nicht begonnen hatte.

Die rechtliche Wende durch das OLG Düsseldorf

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hob in seinem Beschluss vom 17.07.2023 den Beschluss des Amtsgerichts auf. Es stellte klar, dass die Erbausschlagung des Beteiligten zu 3 formgerecht und innerhalb der Frist erfolgt sei. Hierbei war entscheidend, dass die Frist für die Ausschlagung erst mit der amtlichen Bekanntgabe des Testaments beginnt. Diese Erkenntnis war von großer Bedeutung, da sie die gesamte bisherige Annahme des Nachlassgerichts umstieß. Ferner betonte das Gericht, dass die Erbfolge sich ausschließlich nach dem gemeinschaftlichen Testament richtet, was bedeutet, dass nach der Ausschlagung des Beteiligten zu 3 die Töchter als Erbinnen eintreten.

Schlusserben und die Frage der Ersatzerbenregelung

Ein weiterer zentraler Punkt des Urteils betraf die Frage der stillschweigenden Ersatzerbenregelung. Das Gericht erkannte, dass die Eheleute in ihrem Testament keine ausdrückliche Regelung für den Fall der Ausschlagung des länger lebenden Ehegatten getroffen hatten. Das OLG Düsseldorf schloss sich der Ansicht an, dass bei einem gemeinschaftlichen Testament die Kinder als Schlusserben in der Regel auch als Ersatzerben für den ersten Erbfall anzusehen sind. Diese Auslegung berücksichtigt den mutmaßlichen Willen der Eheleute bei der Testamentserrichtung und stellt sicher, dass das Vermögen des Erstversterbenden letztendlich an die Schlusserben fällt.

Abschließend wurde festgestellt, dass die Beteiligten zu 1 und zu 2 nach der Erbausschlagung des Beteiligten zu 3 zu je einem halben Anteil Erbinnen nach der Erblasserin geworden sind. Dieses Urteil des OLG Düsseldorf stellt einen wichtigen Präzedenzfall im Erbrecht dar, insbesondere im Hinblick auf die Behandlung von Ehegattentestamenten ohne explizite Ersatzerbenregelung. Es zeigt, wie entscheidend die korrekte Anwendung und Interpretation erbrechtlicher Normen in komplexen Erbschaftsfällen ist.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was versteht man unter Erbausschlagung und wie wird sie durchgeführt?

Unter Erbausschlagung versteht man die ausdrückliche Erklärung, eine Erbschaft und alle damit verbundenen Rechte und Pflichten nicht anzunehmen. Die Gründe für eine Erbausschlagung können Überschuldung, persönliche Motive oder erbschaftsteuerliche Aspekte sein.

Die Erbausschlagung muss innerhalb einer Frist von sechs Wochen erfolgen, die mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Erbe von der Erbschaft und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt. Bei Aufenthalt außerhalb Deutschlands beträgt die Frist sechs Monate. Die Ausschlagung ist unwiderruflich und muss gegenüber dem Nachlassgericht erklärt werden. Dies kann entweder beim Nachlassgericht persönlich erfolgen oder durch eine öffentlich beglaubigte Erklärung vor einem Notar. Eine Erbausschlagung kann nicht unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung erfolgen und bezieht sich auf den gesamten Nachlass.

Nach der Erbausschlagung gilt der Anfall der Erbschaft an den Ausschlagenden als nicht erfolgt. Die Erbschaft fällt dann demjenigen zu, der Erbe geworden wäre, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte.

Was ist ein Ehegattentestament und welche Besonderheiten hat es?

Ein Ehegattentestament, auch als gemeinschaftliches Testament bekannt, ist eine Verfügung von Todes wegen, die nur von Ehepartnern oder eingetragenen Lebenspartnern erstellt werden kann. Es kann in notariell beurkundeter oder eigenhändiger Form errichtet werden. Bei der eigenhändigen Form genügt es, wenn ein Ehegatte das gemeinschaftliche Testament eigenhändig schreibt und unterschreibt und der andere einen eigenhändigen unterschriebenen Zusatz anfügt, der seine Zustimmung zu dem Inhalt des Testaments zum Ausdruck bringt.

In einem gemeinschaftlichen Testament können die Ehegatten alle in einem Testament zulässigen letztwilligen Verfügungen treffen. Sie können beispielsweise eine Person auf den Tod des ersten Ehegatten als Erben einsetzen (Erbeinsetzung), eine Person auf den Tod des letztversterbenden Ehegatten als Erben einsetzen (Schlusserbeneinsetzung), oder einzelne Gegenstände einer Person zuwenden (Vermächtnis).

Eine Besonderheit des Ehegattentestaments ist die sogenannte Wechselbezüglichkeit. Einzelne oder alle Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments können wechselbezüglich sein. Eine wechselbezügliche Verfügung hat Bindungswirkung. Von „Wechselbezüglichkeit“ ist auszugehen, wenn die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde. Dies bedeutet, dass nach dem Tod eines Ehegatten das Widerrufsrecht für sogenannte wechselbezügliche Verfügungen erlischt. Der überlebende Ehegatte ist in aller Regel daran gebunden.

Eine spezielle Form des Ehegattentestaments ist das Berliner Testament. Hier setzen sich die Eheleute gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen, dass die Kinder erst nach dem Tod des zuletzt versterbenden Ehegatten erben. Eine Besonderheit des Berliner Testaments ist die Bindungswirkung, die seine wechselbezüglichen Verfügungen entfalten. Nach dem Tod des zuerst versterbenden Partners ist der überlebende Ehepartner regelmäßig an zentrale Verfügungen in dem gemeinsam errichteten Testament gebunden.

Es sollte jedoch beachtet werden, dass das Berliner Testament unter steuerlichen Gesichtspunkten nachteilig sein kann, wenn es falsch gestaltet ist. Denn wenn die Kinder nur nach dem Letztversterbenden erben, können sie nur einmal die Freibeträge ausnutzen. Vermögensteile würden einmal nach dem Tod des Erstversterbenden und ein zweites Mal nach dem Tod des Letztversterbenden versteuert werden.


Das vorliegende Urteil

OLG Düsseldorf – Az.: I-3 Wx 91/23 – Beschluss vom 17.07.2023

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und zu 2 wird der Beschluss des Amtsgerichts Mülheim a.d. Ruhr – Rechtspflegerin – vom 12.05.2023 aufgehoben.

Das Nachlassgericht wird angewiesen, den Erbscheinantrag der Beteiligten zu 1 und zu 2 vom 10.02.2023 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Nebenentscheidungen sind nicht veranlasst.

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 3 war vom 04.06.1992 bis zu deren Tod in zweiter Ehe mit der Erblasserin verheiratet. Die Beteiligte zu 1 ist die einzige Tochter der Erblasserin, die Beteiligte zu 2 ist die einzige Tochter des Beteiligten zu 3. Aus der Ehe gingen keine gemeinsamen Kinder hervor.

Die Eheleute errichteten unter dem 03.12.2007 ein gemeinschaftliches eigenhändiges Testament. Darin setzten sie sich gegenseitig zu alleinigen Erben ein. Nach dem Tod des Letztversterbenden sollten ihre Töchter, die Beteiligten zu 1 und zu 2, Erben sein. Der Überlebende sollte zu Lebzeiten nach dem Tod des Erstversterbenden über den Nachlass als Erbe frei verfügen dürfen, nicht jedoch letztwillig.

Unter dem 01.02.2023 reichte der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1 und zu 2 bei dem Nachlassgericht die erste Ausfertigung des von ihm beurkundeten Erbscheinantrags der Beteiligten zu 1 und zu 2 vom 23.01.2023 ein, der die Erbausschlagungserklärung des Beteiligten zu 3 enthält. Des Weiteren reichte er die Testamentsurkunde vom 03.12.2007 im Original ein und beantragte die Eröffnung dieses Testaments (AG Mülheim a.d. Ruhr, 4 VI 204/23).

Am 10.02.2023 hat der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1 und zu 2 über das Elektronische Gerichtspostfach (EGVP) beim Nachlassgericht den Erbscheinantrag der Beteiligten zu 1 und zu 2 eingereicht, mit dem sie aufgrund der letztwilligen Verfügung vom 03.12.2007 einen gemeinschaftlichen Erbschein zu je ½ Anteil beantragen. Darin nehmen sie die „als Ersatzerbenregelung auszulegende Schlusserbeneinsetzung“ an. Dem Antrag beigefügt ist ein Beglaubigungsvermerk der Verfahrensbevollmächtigten, wonach die Übereinstimmung der in der Datei enthaltenen Bilddaten (Abschrift) mit dem ihm vorliegenden Papierdokument beglaubigt wird.

Das Testament wurde am 02.03.2023 eröffnet (AG Mülheim a.d. Ruhr, 4 IV 93/23).

Mit Verfügung vom 02.03.2023 hat das Nachlassgericht – Rechtspflegerin – mitgeteilt, dass der Erteilung des Erbscheins entgegenstehe, dass die Ausschlagungsfrist des Testamentserben abgelaufen und die Ausschlagung infolgedessen unwirksam sei.

Die Beteiligten zu 1 und zu 2 haben sich auf den Standpunkt gestellt, dass der Beteiligte zu 3 als Ausschlagender mangels Kenntnis des Testaments keine Kenntnis von seiner gewillkürten Erbeinsetzung hätte haben können.

Mit Verfügung vom 11.04.2023 hat das Nachlassgericht seinen Standpunkt aufrechterhalten und ferner beanstandet, dass die eingereichte Ausschlagungserklärung nicht der Form des § 1945 BGB entspreche. Diese sei im Original bei Gericht einzureichen.

Dem sind die Beteiligten zu 1 und zu 2 entgegengetreten.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12.05.2023 hat das Nachlassgericht – Rechtspflegerin – den Erbscheinantrag der Beteiligten zu 1 und zu 2 kostenpflichtig zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beteiligte zu 3 habe keine wirksame Ausschlagungserklärung abgegeben und sei Erbe geworden. Die elektronische Übermittlung der Ausschlagungserklärung genüge nicht der Form des § 129 BGB und damit auch nicht den Anforderungen des § 1945 BGB. Dem Nachlassgericht liege kein Original der Ausschlagungserklärung vor. Im Übrigen sei die Ausschlagungsfrist des § 1945 BGB abgelaufen. Diese beginne bei testamentarischer Erbfolge zwar regelmäßig nach Bekanntmachung dieser Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht. Vorliegend sei das Testament ohne Angabe von Gründen jedoch erst fast zwei Jahre nach dem Tod der Erblasserin eingereicht worden. Da es durch beide Ehegatten errichtet worden sei, sei von der Kenntnis des Beteiligten zu 3 auszugehen. Auch ohne Kenntnis des gemeinschaftlichen Testaments gingen juristische Laien in der Regel davon aus, gesetzlicher Allein- oder zumindest Miterbe nach einem verstorbenen Ehegatten zu sein. Hier werde davon ausgegangen, dass die Kenntnis der Erbenstellung, sei es aufgrund gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge, mit dem Tod der Erblasserin festgestanden habe.

Hiergegen richtet sich die am 05.06.2023 durch den Verfahrensbevollmächtigten eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 1 und zu 2. Sie meinen, dass ein Notar nicht verpflichtet sei, eine Urkunde mit Ausnahme einer letztwilligen Verfügung im Original dem Gericht vorzulegen. Die Ausfertigung ersetze das Original im Rechtsverkehr. Ferner habe die Ausschlagungsfrist erst zu laufen begonnen, als der Beteiligte zu 3 die eröffnete Verfügung vom Nachlassgericht erhalten habe. Das Amtsgericht sei nicht befugt, Mutmaßungen darüber anzustellen, ob ein Ehegatte wisse, welche Testamente es gebe und gegeben habe. Erst als klar gewesen sei, dass es nur die eine eröffnete Verfügung gab, habe er sinnvollerweise die Erbschaft ausschlagen können.

Mit Beschluss vom 15.06.2023 hat das Nachlassgericht – Rechtspflegerin – der Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf als Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie der Testamentsakte (AG Mülheim a.d. Ruhr, 4 IV 93/23) und der Akte über die Erbausschlagung (AG Mülheim a.d. Ruhr, 4 VI 204/23) Bezug genommen.

II.

Die nach Maßgabe der § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1 und zu 2 ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Das Nachlassgericht hat dem Erben auf Antrag ein Zeugnis über sein Erbrecht zu erteilen, § 2353 BGB. Der Erbschein bezeugt demnach das Erbrecht zur Zeit des Erbfalles (Grünewald/Weidlich, BGB, 82. Aufl. 2023, § 2353 Rn. 2). Der Erbschein ist nur zu erteilen, wenn das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet, § 352e Abs. 1 Satz 1 FamFG.

Vorliegend hat das Nachlassgericht zu Unrecht angenommen, die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen lägen nicht vor:

Die Beteiligten zu 1 und zu 2 sind Erbinnen zu je ½ nach der Erblasserin geworden, nachdem der Beteiligte zu 3 die Erbschaft wirksam ausgeschlagen hat.

Die Erbfolge nach der Erblasserin richtet sich allein nach dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute vom 03.12.2007.

An dessen Formwirksamkeit bestehen keine Bedenken (§§ 2247, 2265, 2267 BGB).

1. Der darin als Alleinerbe eingesetzte Beteiligte zu 3 hat die Erbschaft wirksam ausgeschlagen mit der Folge, dass der Anfall der Erbschaft an ihn als nicht erfolgt gilt (§ 1953 Abs. 1 BGB).

1.1. Der Beteiligte zu 3 hat die Ausschlagung formwirksam erklärt.

Gemäß § 1945 Abs. 1 BGB erfolgt die Ausschlagung durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht. Dabei ist die Erklärung zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form abzugeben.

Gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB i.d. seit dem 01.08.2022 geltenden Fassung setzt dies im Falle der Errichtung in Schriftform voraus, dass die Erklärung schriftlich abgefasst und die Unterschrift des Erklärenden von einem Notar beglaubigt ist. Gemäß § 129 Abs. 3 BGB n.F. wird die öffentliche Beglaubigung durch die notarielle Beurkundung ersetzt.

Vorliegend ist die Ausschlagungserklärung innerhalb des Erbscheinantrags der Beteiligten zu 1 und zu 2 am 23.01.2023 notariell beurkundet worden (Ur-Nr. 54/2023 HF). Unter Ziff. 7 der Urkunde heißt es: „Der Erschienene Wolfgang K.    schlägt hiermit die Erbschaft aus.“ Dies genügt den Anforderungen an die Beurkundung einer Willenserklärung gemäß §§ 8 ff. BeurkG.

Die im Verfahren AG Mülheim a.d. Ruhr 4 VI 203/23 am 01.02.2023 erfolgte Einreichung der ersten Ausfertigung des Erbscheinantrags, der die Ausschlagungserklärung enthält, mit Ausfertigungsvermerk vom 30.01.2023 beim zuständigen Nachlassgericht (§ 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG i.V.m. § 342 Abs. 1 Nr. 5, 343 Abs. 1 FamFG) genügt den Anforderungen des § 1945 Abs. 1 BGB. Denn gemäß § 47 BeurkG vertritt die Ausfertigung der Niederschrift die Urschrift im Rechtsverkehr. Dies gilt auch hinsichtlich der Abgabe der Ausschlagungserklärung (BeckOGK/Heinemann, Stand: 15.12.2022, BGB § 1945 Rn. 50; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 17.02.2011 – 5 W 245/10, BeckRS 2011, 18369).

1.2. Der Beteiligte zu 3 hat die Ausschlagung auch innerhalb der sechswöchigen Ausschlagungsfrist erklärt (§ 1944 Abs. 1 BGB).

Gemäß § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft grundsätzlich mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. § 1944 Abs. 2 Satz 2 sieht vor, dass die Frist bei gewillkürter Erbfolge nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht beginnt.

Diese gesetzliche Regelung ist eindeutig und – entgegen der Auffassung der Rechtspflegerin – nicht nur regelmäßig, sondern immer anwendbar. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit kann sie nicht aus Billigkeitsgründen, wie hier aufgrund einer als sicher angenommenen früheren Kenntnis des Erben von dem Testament, ausgehebelt werden. Neben dem Anfall der Erbschaft und dem Grund der Berufung – hier: der Verfügung von Todes wegen vom 03.12.2007 – ist als dritte Voraussetzung deren amtliche Verlautbarung erforderlich, was die Kenntniserlangung des Erben von der Eröffnung der Verfügung voraussetzt (BGH, Urteil vom 26.09.1990 – IV ZR 131/89, Rn. 25, juris zu § 1944 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F., der statt der Bekanntgabe die Verkündung der Verfügung vorsah; zu der seit dem 01.09.2009 geltenden Fassung: MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB § 1944 Rn. 18; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14.02.2023 – 3 W 60/22, Rn. 12, juris).

Mithin konnte die Ausschlagungsfrist nicht vor dem Zugang des Schreibens des Nachlassgerichts über die Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments vom 02.03.2023 an den Beteiligten zu 3 (§ 348 Abs. 3 FamFG) zu laufen beginnen.

Etwas anderes gilt entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts auch nicht im Hinblick auf eine etwaige Annahme eines gesetzlichen Erbrechts. Die Erbfolge richtet sich vorliegend allein nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 03.12.2007. Selbst wenn der Beteiligte zu 3 angenommen hätte, er sei (auch) gesetzlicher Erbe, wäre die Frist nicht gelaufen (BeckOGK/Heinemann, 15.12.2022, BGB § 1944 Rn. 33)

Die am 01.02.2023 beim Nachlassgericht eingegangene Ausschlagungserklärung erfolgte demnach bereits vor Beginn der Frist, was gemäß § 1946 2. Fall BGB möglich war, da sie nach Eintritt des Erbfalls am 05.03.2021 und zugleich mit der Ablieferung des Testaments erfolgte.

1.3. Die Ausschlagungserklärung ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam: Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beteiligte zu 3 die Erbschaft bereits angenommen hatte (§ 1943 1. Fall BGB). Dies gilt, obwohl seit dem Erbfall am 05.03.2021 bis zur Beurkundung der Ausschlagung am 23.01.2023 bereits nahezu zwei Jahre vergangen sind. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Beteiligte zu 3 einen Erbschein als Alleinerbe beantragt hat, um über den Nachlass verfügen zu können.

Ebensowenig liegt eine Unwirksamkeit nach § 1950 BGB vor, wonach die Ausschlagung der Erbschaft nicht auf einen Teil der Erbschaft beschränkt werden kann. Denn die Vorschrift findet keine Anwendung für den Fall, dass der Erbe aus unterschiedlichen Berufungsgründen zum Erbe berufen ist und Gegenstand der Ausschlagung die testamentarische Erbeinsetzung ist (OLG Brandenburg, Beschluss vom 14.02.2023 – 3 W 60/22, Rn. 14, juris).

2. Der Wegfall des Beteiligten zu 3 als Alleinerbe hat zur Folge, dass die in dem gemeinschaftlichen Testament als Schlusserben eingesetzten Beteiligten zu 1 und zu 2 Erbinnen zu je ½ Miterben nach der Erblasserin geworden sind.

Gemäß § 1953 Abs. 2 BGB fällt die Erbschaft demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte; der Anfall gilt als mit dem Erbfall erfolgt.

Die Ausschlagung eines gewillkürten Erben führt in erster Linie zu einem Erbschaftsanfall an den eingesetzten Ersatzerben (§ 2096 BGB). Schlägt der eingesetzte Alleinerbe, für den kein Ersatzerbe berufen ist, die Erbschaft im Ganzen aus, tritt der gesetzliche Erbe an seine Stelle (NK-BGB/Malte Ivo, 6. Aufl. 2022, BGB § 1953 Rn. 7).

Vorliegend haben die Eheleute bei der Errichtung des Testaments den Wegfall des länger lebenden Ehegatten durch Ausschlagung nicht bedacht. Eine ausdrückliche Ersatzerbeinsetzung enthält das Testament nicht.

Welche Rechtsfolge die Ausschlagung des testamentarischen Alleinerben bei einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament bei fehlender Ersatzerbenregelung hat, ist streitig:

Teilweise wird wegen der Zielrichtung des Berliner Testaments, den überlebenden Ehegatten zu begünstigen, die Ausschlagung der testamentarischen Erbfolge und die Annahme des gesetzlichen Erbes als wirksam angesehen (vgl. MüKoBGB/Leipold, a.a.O., § 1948 Rn. 8, § 1953 Rn. 12; BeckOGK/Heinemann, a.a.O., § 1953 Rn. 25.2). Nach anderer Ansicht wird eine stillschweigende Ersatzerbeneinsetzung der Schlusserben angenommen. Bei einer bindenden Schlusserbeneinsetzung führe im Regelfall die ergänzende Auslegung der letztwilligen Verfügung dazu, dass mit der Schlusserbeneinsetzung zugleich die Einsetzung der Kinder als Ersatzerben für den ersten Erbfall gewollt ist (Keim, ZEV 2020, 393-402, zit. nach juris; OLG Stuttgart Beschluss vom 16.03.1978 – 8 W 342/77, BeckRS 2013, 14911; Oberlandesgericht Brandenburg, Beschluss vom 14.02.2023 – 3 W 60/22, Rn. 15 ff., juris).

Dem ist zuzustimmen. Setzen Eltern in einem gemeinschaftlichen Testament ihre Kinder zu Schlusserben ein, so sollen die Kinder nach dem Willen der Eltern nach dem Tode des Längstlebenden das dann noch vorhandene Vermögen – auch, soweit es ursprünglich Vermögen des Erstversterbenden war – bekommen. Dem mutmaßlichen Willen der Ehegatten bei Testamentserrichtung entspricht es deshalb in der Regel, dass nach der von ihnen gewollten und im gemeinschaftlichen Testament zugrunde gelegten Nachlassplanung das Vermögen des Erstversterbenden auf jeden Fall an die Schlusserben fällt, auch bei einer Ausschlagung des länger Lebenden. Das wäre nicht gewährleistet, wenn der länger lebende Ehegatte sich über die Ausschlagung gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments löst und gemeinsam mit den Kindern gesetzlicher Erbe würde. Für eine stillschweigende Ersatzerbeneinsetzung der Schlusserben spricht auch die Auslegungsregel des § 2097 BGB. Danach ist derjenige, der für den Fall, dass der zunächst berufene Erbe nicht Erbe sein kann, zum Ersatzerben eingesetzt ist, im Zweifel auch für den Fall eingesetzt, dass jener nicht Erbe sein will. Die Bestimmung der Schlusserben in einem Berliner Testament kann man als Ersatzerbenbestimmung beider Ehegatten charakterisieren, von denen sich nur diejenige des länger Lebenden verwirklicht, da der primär zum Erben eingesetzte andere Ehegatte durch sein Vorversterben weggefallen ist (OLG Brandenburg, a.a.O. m.w.N.).

Vorliegend sind Anhaltspunkte für einen anderslautenden Willen der Eheleute bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments nicht ersichtlich. Im Gegenteil spricht der Umstand, dass die Eheleute dem Letztversterbenden nicht gestattet haben, eine abweichende letztwillige Verfügung über den Nachlass zu treffen, dafür, dass die Schlusserbeneinsetzung unumstößlich sein und auch hinter der Testierfreiheit des länger Lebenden zurückbleiben sollte. Ferner lässt auch die Erbausschlagungserklärung des Beteiligten zu 3 innerhalb des Erbscheinantrags der Beteiligten zu 1 und zu 2 darauf schließen, dass dieser diese Rechtsfolge – die Erbenstellung beider Kinder – als selbstverständlich annahm, was auf einen entsprechenden Willen bei Testamentserrichtung schließen lässt. Dies gilt vorliegend umso mehr, als die gesetzliche Erbfolge dazu führen würde, dass er zusammen mit der leiblichen Tochter der Erblasserin, der Beteiligten zu 1, Erbe würde (§§ 1924 Abs. 1, 1931 Abs. 1, Abs. 3, 1371 BGB), seine eigene leibliche Tochter, die Beteiligte zu 2, in diesem Fall nicht erben würde. Entsprechendes würde gelten, wenn der Beteiligte zu 3 vorverstorben wäre und die Erblasserin als länger Lebende die Erbschaft ausgeschlagen hätte. Dies würde bei Eingreifen der gesetzlichen Erbfolge zum Entfall der Erbenstellung ihres leiblichen Kindes, der Beteiligten zu 1, führen. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Eheleute bei der Errichtung des Testaments eine solche Situation vorgestellt und gewollt haben, die zu einer Ungleichbehandlung der beiden Kinder führte, bestehen nicht.

Demnach sind die Beteilige zu 1 und zu 2 nach der Erbausschlagung des Beteiligten zu 3 Erbinnen nach der Erblasserin zu je ½ geworden. Sie haben in der notariellen Urkunde vom 23.01.2023 die Annahme der Erbschaft erklärt (§ 1946 1. Fall BGB). Der von ihnen beantragte gemeinschaftliche Erbschein ist zu erteilen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist wegen des Erfolgs des Rechtsmittels entbehrlich (§ 25 Abs. 1 GNotKG). Aus demselben Grund erübrigt sich eine Geschäftswertfestsetzung ebenso wie eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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