Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 3 Wx 96/15 – Beschluss vom 20.06.2016
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Meldorf vom 05.08.2015 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1) trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 3.000 €
Gründe
I.
Herr A, nachfolgend Erblasser genannt, war deutscher Staatsangehöriger und mit der Beteiligten zu 1) im gesetzlichen Güterstand verheiratet. Die Beteiligten zu 2) bis 4) sind die Kinder aus ihrer Ehe und die einzigen Abkömmlinge des Erblassers. Der Erblasser verstarb am 17.08.2014. Der Beteiligte zu 2) ist nachverstorben.
Die Beteiligte zu 1) hat mit notarieller Erklärung vom 13.02.2015 beim Amtsgericht – Nachlassgericht – Meldorf die Erteilung eines Erbscheins beantragt, Die Beteiligte zu 1) hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach der Erblasser von ihr zu 1/2 und von den Beteiligten zu 2) bis 4) zu jeweils 1/6 beerbt worden ist. Darin heißt es u.a., dass der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen habe.
Das Amtsgericht informierte mit Schreiben vom 3.03.2015 die Beteiligten zu 2) bis 4) über diesen Antrag durch Übersendung einer Abschrift desselben und gab ihnen Gelegenheit, innerhalb einer Frist von 10 Tagen etwaige Bedenken gegen den Antrag mitzuteilen.
Die Beteiligten zu 3) und 4) erklärten am 11.03.2015 zu Protokoll des Amtsgerichts die Ausschlagung der Erbschaft, die Beteiligte zu 4) auch für ihre beiden minderjährigen Kinder. In dem Protokoll heißt es zuvor:
„Von meiner/unserer Berufung habe (n) wir Kenntnis seit Erhalt der gerichtlichen Schreiben vom 03.03.2015 in der Erbschaftssache …. Bis dahin sind wir davon ausgegangen, dass unsere Mutter, B, als Ehefrau des Verstorbenen dessen Alleinerbin geworden ist“.
Auf das Protokoll über die Ausschlagungserklärungen der Beteiligten zu 3) und 4) wird verwiesen (Bl. 16 d.A.).
Die Beteiligte zu 1) hat in dem Erbscheinverfahren vorgetragen, die Ausschlagungserklärungen der Beteiligten zu 3) und 4) seien nicht wirksam. Die Frist zu einer Ausschlagung sei bereits abgelaufen gewesen. Sie habe die Beteiligten zu 3) und 4) unmittelbar nach dem Ableben des Erblassers telefonisch über den Eintritt des Erbfalls informiert und dabei darauf hingewiesen, dass eine letztwillige Verfügung des Erblassers nicht bestehe und ggfs. eine Ausschlagung erfolgen müsse, wenn sie, die Beteiligten zu 3) und 4), mit dem Nachlass nichts zu tun haben wollten. Hintergrund für die letztere Äußerung seien die angespannten familiären Verhältnisse gewesen.
Die Beteiligten zu 3) und 4) haben vorgetragen, die Beteiligte zu 1) habe am Abend des 17.08.2014 (nur) die Beteiligte zu 4) angerufen und zu dieser gesagt: „Ich weiß nicht, ob es dich interessiert, dein Vater ist tod, wenn zu willst, kannst du ja deinem Bruder Bescheid sagen“. Sie hätten jeweils seit vielen Jahren nur noch sporadischen Kontakt zu ihren Eltern gehabt. Insbesondere das Verhältnis zu ihrer Mutter sei stark belastet gewesen. Ihre Eltern hätten auch kaum Kontakt zu anderen, auch nicht zu anderen Verwandten gehabt. Sie, die Beteiligten zu 3) und 4), seien davon ausgegangen, dass der Erblasser seine Ehefrau, die Beteiligte zu 1), zu seiner Alleinerbin eingesetzt habe.
Mit Beschluss vom 05.08.2015 hat das Amtsgericht den Erbscheinantrag zurückgewiesen. In dem Beschluss heißt es u.a., die Ausschlagungserklärungen der Beteiligten zu 3) und 4) seien wirksam. Der Lauf der Frist zur Ausschlagung habe erst begonnen, als sie das Schreiben des Amtsgerichts vom 03.03.2015 erhalten hätten. Nach dem Vorbringen der Beteiligten zu 3) und 4) in den Schriftsätzen ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 02.06.2015 und 19.06.2015 könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie zuvor Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und dem Grunde ihrer Berufung gehabt hätten (§ 1944 Abs. 2 BGB).
Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 20.08.2015 Beschwerde eingelegt. Sie trägt u.a. vor, die Beteiligten zu 3) und 4) hätten sich nicht über den Berufungsgrund geirrt. Sie habe in den mit diesen geführten Telefongesprächen darauf hingewiesen, dass eine letztwillige Verfügung des Erblassers nicht bestehe. Es liege allenfalls ein Rechtsfolgenirrtum vor, der nicht zur Anfechtung der Annahme berechtige.
Die Beteiligten zu 3) und 4) treten der Beschwerde entgegen und tragen vor, sie seien vor Erhalt des gerichtlichen Schreibens vom 03.03.2015 nicht darüber die Kenntnis gesetzt worden, dass eine letztwillige Verfügung des Erblassers nicht bestehe.
Der Senat hat die Beteiligten zu 1), 3) und 4) in seiner mündlichen Verhandlung vom 14.06.2016 angehört. Insoweit wird auf den Anhörungsvermerk Bl. 71 ff d.A. Bezug genommen.
II.
Die nach den §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist nicht begründet. Das Amtsgericht hat ihren Erbscheinsantrag im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen, weil die Beteiligten zu 3) und 4) aufgrund rechtzeitiger Ausschlagung nicht Erben nach dem Erblasser geworden sind.
Allerdings hat sich das Amtsgericht bei seiner Entscheidung über den anwaltlichen Vortrag der Beschwerdeführerin in dem Schriftsatz vom 15.05.2015 hinweggesetzt und hat diesen Vortrag trotz dessen Wiederholung mit der Beschwerdeschrift im Abhilfeverfahren erneut nicht beachtet. Das Amtsgericht hätte den unterschiedlichen Darstellungen der Beteiligten zu den Telefonaten am Abend des Todes des Erblassers ersichtlich nachgehen und die Beteiligten anhören müssen. Dies hat der Senat im Beschwerdeverfahren nachgeholt.
Nach dem Ergebnis der Anhörung haben die Beteiligten zu 3) und 4) die Erbschaft rechtzeitig ausgeschlagen. Nach § 1944 Abs. 1 BGB kann die Ausschlagung allerdings nur binnen sechs Wochen erfolgen. Die Frist beginnt aber nach § 1944 Abs. 2 BGB erst mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Allgemein setzt Kenntnis ein zuverlässiges Erfahren der in Betracht kommenden Umstände voraus, aufgrund dessen ein Handeln erwartet werden kann.
Entscheidend ist hier die Kenntnis der Beteiligten zu 3) und 4) vom Grunde der Berufung. Es ist im Ausgangspunkt allgemeine Meinung, dass der Erbe Kenntnis von dem konkreten einschlägigen Berufungsgrund (Gesetz, letztwillige Verfügung oder Erbvertrag) haben muss (MüKo/Leipold, BGB, 6. Aufl., § 1944 Rn. 3). Nach der Rechtsprechung gelten in dem hier einschlägigen Fall gesetzlicher Erbfolge folgende Grundsätze: Kenntnis vom Berufungsgrund ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn dem gesetzlichen Erben die Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen keine begründete Vermutung haben kann oder hat, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist (OLG Rostock NJW-RR 2012, 1356 und FamRZ 2010, 1597; OLG Zweibrücken NJW-RR 2006, 1594; OLG Brandenburg FamRZ 1998, 1619; BayObLG NJW 1953, 1431; Erman/Schmidt, BGB, 14. Aufl., § 1944 Rn. 6; MüKo/Leipold, aaO., § 1944 Rn. 9; Palandt/ Weidlich, BGB, 75. Aufl., § 1944 Rn. 4).
Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls, also auf die Verhältnisse und die Persönlichkeit des fraglichen Erben und dessen subjektive Sicht an (BGH WM 1968, 542, in juris Rn. 26 und 27; OLG Rostock FamRZ 2010, 1597; OLG Zweibrücken NJW-RR 2006, 1594). So haben die Oberlandesgerichte Rostock und Zweibrücken in den vorgenannten Entscheidungen ausgeführt, dass dem Erben die Kenntnis von seiner Berufung fehlen kann, wenn die Bande innerhalb der Familie vor dem Erbfall längere Zeit abgerissen waren und er deshalb zu der Frage, ob der Erblasser ihn von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hat, auf bloße Mutmaßungen ohne realen Hintergrund angewiesen ist. Dabei kann die abgerissene Familienbande es aus der Sicht des Erben nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Erblasser ihn durch letztwillige Verfügung ausschließen wollte und ausgeschlossen hat. Dieser überzeugenden Rechtsprechung folgt der Senat auch für den vorliegenden Fall.
Allerdings hätten die Beteiligten zu 3) und 4) von dem Berufungsgrund – gesetzliche Erbfolge – schon am Abend des Todes des Erblassers Kenntnis erhalten, wenn der Vortrag der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 15.05.2015 und ergänzend in der Beschwerdebegründung zutreffend wäre, dass die Beschwerdeführerin ihren beiden Kinder, den Beteiligten zu 3) und 4), am 17.08.2014 jeweils telefonisch mitgeteilt hat, der Erblasser sei verstorben und habe keine letztwillige Verfügung hinterlassen, weshalb ggf. eine Erbausschlagung erfolgen müsste, wenn die Beteiligten zu 3) und 4) mit dem Nachlass nichts zu tun haben wollten.
Indes hat die Beteiligte zu 1), die Beschwerdeführerin, diesen anwaltlichen Vortrag bei ihrer Anhörung vor dem Senat gerade nicht bestätigen können. Entgegen diesem dortigen Vorbringen hat sie zunächst klargestellt, am Abend des Todes ihres Ehemannes nur mit der Beteiligten zu 4) telefoniert zu haben, nicht dagegen mit dem Beteiligten zu 3), dessen Telefonnummer ihr nicht bekannt gewesen sei. Darüber hinaus hat sich die Beteiligte zu 1) nur erinnern können, in dem kurzen und wenig freundlichen Telefonat mit der Tochter mitgeteilt zu haben, dass, falls die Tochter das interessieren würde, deren Vater gestorben sei. Die Beteiligte zu 1) konnte sich auch auf Nachfrage und auf Vorhalt des anwaltlichen Vortrags nicht entsinnen, was in dem Telefonat noch ansonsten gesprochen worden sei. Darüber, dass es kein Testament gegeben habe, sei von ihr mit ihrer Tochter nie gesprochen worden. Sie sei auch nicht der Meinung, dass über Ausschlagung gesprochen worden sei.
Die Beteiligte zu 1) hat mithin den anwaltlichen Vortrag aus der I. Instanz und aus der Beschwerdebegründung gerade nicht bestätigt, sondern sich hinsichtlich des eben doch nur mit ihrer Tochter geführten Telefonats nur so erinnert, wie es die Beteiligten zu 3) und 4) vorgetragen haben.
Danach gibt es keinen Anhalt, dass die Beteiligten zu 3) und 4) schon vor Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 03.03.2015 betreffend den Erbscheinsantrag der Beschwerdeführerin Kenntnis im oben genannten Sinne von dem Berufungsgrund – gesetzliche Erbfolge – gehabt haben. Denn die Beteiligten zu 3) und 4) haben mit Rücksicht auf die zerrissene Familienbande und den langjährig gestörten Kontakt zu ihren Eltern annehmen bzw. mutmaßen dürfen, dass sie aufgrund einer letztwilligen Verfügung des Erblassers von der Erbfolge ausgeschlossen sind. Nach den Umständen durften sie aus ihrer Sicht begründet vermuten, dass es eine sie ausschließende letztwillige Verfügung des Erblassers gibt. Dass sie dies auch tatsächlich angenommen haben, folgt aus ihren zu Protokoll gegebenen Erklärungen anlässlich der Ausschlagungen am 11.03.2015.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.
Der Geschäftswert war nach den §§ 40 Abs. 1 Ziff. 2, 61 GNotKG in Höhe des reinen Nachlasswertes festzusetzen, der dem notariellen Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) entnommen worden ist.