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Erbbaurecht – Anspruch auf Anpassung des Erbbauzinses

LG Stade –  Az.: 4 O 88/13 –  Urteil vom 19.11.2013

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für das im Erbbaugrundbuch von G Blatt  eingetragene Erbbaurecht einen weiteren, jeweils am 01. Juli eines jeden Jahres fälligen Erbbauzins in Höhe von € 263,17 für den Zeitraum ab dem 01. Juli 2012 zu zahlen und die Eintragung eines weiteren jährlichen Erbbauzinses für den Zeitraum ab 01. Juli 2012 in Höhe von jährlich weiteren € 263,17 als selbstständige Reallast für den jeweiligen Grundstückseigentümer im Erbbaugrundbuch von G Blatt zu bewilligen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 40 % und der Beklagte 60 %.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf einen Betrag von bis zu € 16.000 festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des im Grundbuch des Amtsgerichts L Gemarkung G Blatt eingetragenen Grundstücks, an dem deren Rechtsvorgängerin durch notarielle Urkunde des Notars O, vom 08. August 1962 (UR-Nr. 242/1962) für die Dauer von 99 Jahren ein Erbbaurecht bestellt worden ist. In § 4 des Erbbaurechtsvertrages heißt es u. a.:

„Die Erbbauberechtigten haben einen Erbbauzins von jährlich 246,20 DM zu zahlen, und zwar jeweils am 01. Juli eines jeden Jahres. Dieser jährliche Erbbauzins ist 5 % des Grundstückswertes von 1.231 mal 4,– DM gleich 4.924,– DM. (…).“

In § 4a ist weiter vereinbart:

„Sollten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse allgemein derart ändern, daß der vereinbarte Erbbauzins für die Parteien nicht mehr tragbar ist, sollen die Parteien den Erbbauzins neu vereinbaren. Kommt es zu keiner Einigung, soll die zuständige Preisbehörde den Erbauzins neu festsetzen.“

Der Beklagte hat das Erbbaurecht am 09. Februar 2011 im Wege der Zwangsvollstreckung erworben. Für die Jahre 2011 und 2012 hat der Beklagte jeweils einen Betrag in Höhe von € 125,88 (DM 246,20) im Voraus an die Klägerin gezahlt.

Die Klägerin hat ihrer Tochter mit notarieller Urkunde des Notars S, C vom 09. Juli 1997 (UR-Nr. 195/1997) eine Generalvollmacht erteilt. Mit Schreiben ihrer Generalbevollmächtigten vom 14. August 2012 reklamierte die Klägerin, dass sich der Erbbauzins ab 2012 auf jährlich € 462,60 belaufe und forderte den Beklagten auf, den Erbauzins in dieser Höhe und eine entsprechend neu formulierte Wertsicherungsklausel im Grundbuch eintragen zu lassen. Der Beklagte wies die Forderung der Klägerin zurück und erklärte, dass er lediglich bereit sei, den Erbbauzins auf einen Betrag anzupassen, der zwischen € 180,00 bis € 200,00 liege.

Die Klägerin beruft sich darauf, dass der Erbbauzins von € 125,88 (DM 246,20) den wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr entspricht und deshalb anzupassen sei. Sie meint, dass die Anpassung anhand des vom Statistischen Bundesamt ermittelten und veröffentlichten Verbraucherpreisindex für Deutschland zu erfolgen habe. Die prozentuale Veränderung vom Indexstand August 1962 bis zum Juli 2012 betrage 284,7 %. Um diesen Prozentsatz erhöht belaufe sich der ursprünglich mit € 125,88 (DM 246,20) vereinbarte Erbbauzins ab Juli 2012 auf € 494,58, weshalb der Erbbauzins um einen Betrag von € 368,70 (+ € 125,88 = € 494,58) anzupassen sei.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin für das im Erbbaugrundbuch von G Blatt eingetragene Erbbaurecht einen weiteren, jeweils am 01. Juli eines jeden Jahres fälligen Erbbauzins in Höhe von € 368,70 für den Zeitraum ab dem 01. Juli 2012 zu zahlen; den Beklagten weiter zu verurteilen, die Eintragung eines weiteren jährlichen Erbbauzinses für den Zeitraum ab 01. Juli 2012 in Höhe von jährlich weiteren € 368,70 als selbstständige Reallast für den jeweiligen Grundstückseigentümer im Erbbaugrundbuch von G Blatt zu bewilligen, festzustellen, dass jede der Vertragsparteien verlangen kann, dass der Erbauzins frühestens nach Ablauf von drei Vertragsjahren nach der letzten Anpassung auf seine Angemessenheit überprüft wird. Ergibt sich bei der Überprüfung, dass der vom statistischen Bundesamt festgelegte Verbraucherindex, wie er für den Durchschnitt eines Kalenderjahres für die Bundesrepublik Deutschland amtlich festgestellt wird (Verbraucherpreisindex) sich gegenüber der letzten Erbauzinssatzfestsetzung um mindestens 10 Punkte verändert hat, können der Grundstückseigentümer und der Erbbauberechtigte jeder für sich eine Erbbauzinserhöhung und/oder -verringerung verlangen. Diese Erhöhung oder Verringerung soll der seit der letzten Erbauzinsfestsetzung eingetretenen Änderung der allgemeinen Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse, mindestens aber der Änderung des vorgenannten Verbraucherpreisindexes entsprechen, sofern dies nicht unbillig ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er verweist darauf, dass in § 4a des Erbbaurechtsvertrages vom 08. August 1962 für den Fall des Scheiterns einer neuen Vereinbarung über die Höhe des Erbbauzinses vorgesehen sei, dass „die zuständige Preisbehörde den Erbauzins neu festsetzen“ solle. Es sei ihm nicht bekannt, um welche Behörde es sich hierbei gehandelt habe und er bestreitet, dass diese mit dem Statistischen Bundesamt vergleichbar sei. Er beanstandet, dass die von der Klägerin beanspruchte Erhöhung nicht der Billigkeit entspreche.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.

1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf Anpassung des Erbbauzinses. Mangels einer grundsätzlich nach § 4a des Vertrages vom 08. August 1962 zwischen den Parteien zu erzielenden Einigung, ist die Erhöhung durch das Gericht festzusetzen. Dies deshalb, weil eine – wie in § 4a des Vertrages vorgesehene – Festsetzung durch die „Preisbehörde“ nicht mehr in Betracht kommt, weil eine solche für den fraglichen Bereich nicht (mehr) existiert. Die Vertragsparteien dürften bei Abschluss des Erbbaurechtsvertrages im Jahre 1962 von der nach § 2 Abs. 2 Preisgesetz (vom 10. April 1948, BGBl. Teil III, Gliederungsnummer 720-1, geändert durch Artikel 22 des Gesetzes vom 18. Februar 1986 [BGBl. I S. 265]) zuständigen Stelle („Preisbehörde“) ausgegangen sein, die nach § 2 Abs. 1 Preisgesetz Anordnungen und Verfügungen erlassen konnte, durch die Preise, Mieten, Pachten, Gebühren und sonstige Entgelte für Güter und Leistungen jeder Art, ausgenommen Löhne, festgesetzt oder genehmigt, oder durch die der Preisstand aufrechterhalten wurde. Die Kammer legt die Formulierung in § 4a des Erbbaurechtsvertrages betreffend die Festsetzung durch die „Preisbehörde“ mithin dahin aus, dass die Vertragsparteien seinerzeit von der Vorstellung ausgegangen sind, dass die Höhe des Erbbauzinses im Falle einer fehlenden Einigung im Sinne von § 317 BGB von einem Dritten bestimmt werden solle und die Festsetzung hier deshalb nach § 319 BGB durch Urteil erfolgen muss.

Bei dem für die Anpassung des Erbbauzinses anzulegenden Berechnungsmaßstab ist darauf abzustellen, was die Parteien bei Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten; die fortgefallene Bemessungsgrundlage ist dabei durch diejenige zu ersetzen, die der ursprünglichen Vereinbarung am nächsten kommt (vgl. BGH NZM 2012, 640). In § 4a des Vertrages vom 08. August 1962 haben die Parteien eine Anpassung des Erbbauzinses für den Fall vorgesehen, dass sich die „wirtschaftlichen Verhältnisse allgemein ändern, daß der vereinbarte Erbbauzins für die Parteien nicht mehr tragbar ist“. Die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse lässt sich anhand der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Verbraucherpreisindizes nachvollziehen und feststellen (vgl. z. B. BGH NJW 1986, 1333). Der Verbraucherpreisindex für Deutschland misst die durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und Dienstleistungen, die von privaten Haushalten für Konsumzwecke gekauft werden und bildet damit die Teuerung für alle Haushaltstypen, alle Regionen Deutschlands und sämtliche dort nachgefragten Waren und Dienstleistungen in ganz Deutschland ab. In ergänzender Auslegung der zwischen den Parteien des Erbbaurechtsvertrages vom 08. August 1962 getroffenen Vereinbarung ist die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse anhand der jeweiligen Verbraucherpreisindizes festzustellen. Bis zum Jahr 2002 wurde der Verbraucherpreisindex unter dem Namen „Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland“ veröffentlicht. Dieser betrug im August 1962 für die Lebenshaltung im „4-Personenhaushalt von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen“ 33,5. Der Verbraucherpreisindex betrug im Juli 2012 104,1.

Ausweislich der von der Klägerin als Anlage K 5 vorgelegten Informationsbroschüre des Statistischen Bundesamtes ist ein aufgrund der Indexentwicklung veränderter Geldbetrag anhand folgender Formel zu ermitteln:

Geldbetrag alt     x     neuer Indexstand

—————————————————-    =   Geldbetrag neu.

alter Indexstand

Danach errechnet sich der Erbbauzins aus dem Jahr 1962 für den Zeitpunkt September 2012 auf einen Betrag von € 389,05:

€ 125,88      x        104,1

—————————————————-    =   € 389,05.

33,5

Abzüglich des gegenwärtig vereinbarten Erbbauzinses in Höhe von € 125,88 kann die Klägerin mithin einen um € 263,17 erhöhten Betrag von jährlich € 389,05 von dem Beklagten beanspruchen. Eine Anpassung in dieser Höhe entspricht auch im Sinne von § 9a ErbbauVO der Billigkeit, denn sie soll sich auch nach der zwischen den Parteien bestehenden Vereinbarung in § 4a an den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen orientieren. Dies ist durch die Berechnung anhand der Verbraucherpreisindizes gewährleistet.

Die Klägerin hat die Erhöhung zum 01. Juli 2012 von der Beklagten beansprucht und kann diese verlangen.

Soweit die Erbbauzinserhöhung gerechtfertigt ist, hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten auch Anspruch darauf, dass die Eintragung der Erhöhung in das Erbbaugrundbuch bewilligt wird (vgl. BGH NJW 1986, 1333).

2. Demgegenüber hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung, dass der Erbbauzins in der von ihr beantragten Weise in der Zukunft zur Überprüfung gestellt und angepasst werden kann.

Zwischen den Parteien besteht die in § 4a des Erbbaurechtsvertrages vom 08. August 1962, die – wie vorstehend dargelegt – auf die heutigen Verhältnisse im Wege der Auslegung angepasst und angewendet werden kann. Der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein einseitiges Recht zur Anpassung oder Neufassung einer vertraglichen Regelung zu. Soweit die Parteien eine Neufassung des Erbbaurechtsvertrages wünschen, steht es ihnen frei, sich auf entsprechende Regelungen zu verständigen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.

Die Höhe des Streitwertes errechnet sich nach §§ 3, 9 ZPO.

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