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Erbeinsetzung Nichte und Neffen von unverheirateter kinderloser Erblasserin – Vorversterben Neffe

OLG Düsseldorf – Az.: I-3 Wx 132/20 – Beschluss vom 12.01.2021

Das Rechtsmittel wird auf Kosten der Beteiligten zu 2. zurückgewiesen.

Geschäftswert: bis 45.000 €.

Gründe

I.

Die Erblasserin war unverheiratet und ohne Abkömmlinge. Sie hatte eine ältere Halbschwester, die zwei Kinder hatte: die Beteiligte zu 1. sowie einen 2011 verstorbenen Sohn Erwin, die Beteiligte zu 2. ist eine von dessen zwei Töchtern.

Am 1. Juli 1997 errichtete die Erblasserin ein notarielles Testament. In ihm setzte sie zu § 1 ihre Nichte: die Beteiligte zu 1. und ihren Neffen Erwin zu gleichen Teilen als Miterben ein; nachdem in § 2 einzig Grabpflegeanordnungen getroffen worden waren, hieß es unter § 3, weiter habe die Erblasserin nichts zu bestimmen.

Die Beteiligte zu 1. betrachtet sich nach dem Vorversterben des Neffen Erwin als Alleinerbin nach der Erblasserin und hat einen unter dem 31. Juli 2019 beurkundeten dahingehenden Erbscheinsantrag gestellt, die Beteiligte zu 2. meint, für den Neffen seien nunmehr dessen Abkömmlinge zu Miterben berufen, und tritt dem Antrag entgegen.

Durch die angefochtene Entscheidung hat das Amtsgericht den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. für gerechtfertigt erachtet. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 2. mit ihrem am 25. Juni 2020 bei Gericht eingegangen Rechtmittel.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Nachlassakte und der Testamentsakte 16 IV 346/97 AG Wesel Bezug genommen.

II.

Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 2. ist infolge der mit weiterem Beschluss des Nachlassgerichts vom 9. Juli 2020 erklärten Nichtabhilfe dem Senat zur Entscheidung angefallen, § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. FamFG. Es ist als befristete Beschwerde statthaft und insgesamt zulässig, §§ 58 Abs. 1 i.V.m. 352e Abs. 1 Satz 2, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG. In der Sache erweist es sich jedoch auch unter Berücksichtigung des Rechtsmittelvorbringens als unbegründet; zu Recht möchte das Nachlassgericht dem Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. entsprechen, weil sie Alleinerbin nach der Erblasserin geworden ist.

Die Ausgangspunkte sind zwischen den Beteiligten als solche nicht umstritten: Dem besagten Antrag wäre – nur – dann der Erfolg zu versagen, wenn die Beteiligte zu 2. und deren Schwester als Großnichten nach dem Vorversterben ihres Vaters, des Neffen der Erblasserin, statt seiner zu Miterbinnen berufen wären, also die Erblasserin die Anwachsung nach § 2094 Abs. 3 BGB ausgeschlossen hätte. Da hierbei die Zweifelsregel des § 2069 BGB weder unmittelbar noch entsprechend eingreift, weil es sich bei den im Testament bedachten Erben nicht um Abkömmlinge der Erblasserin handelte, kommt es darauf an, ob sich nach allgemeinen erbrechtlichen Auslegungsregeln ein Wille der Erblasserin zum „Nachrücken“ der Kinder des Neffen feststellen lässt. Das wiederum hängt nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen davon ab, ob der Neffe von der Erblasserin um seiner Person willen oder als Erster seines Stammes berufen wurde; falls sich letzteres ergäbe, erwüchse aus dem sogenannten Andeutungserfordernis keine zusätzliche Auslegungshürde, denn in diesem Fall könnte man in der Benennung des Erben selbst die notwendige Andeutung sehen. Indes kann sich, ungeachtet der von der Beteiligten zu 2. unterbreiteten Ermittlungsangebote, auch der Senat nicht davon überzeugen, die Erblasserin habe ihren Neffen Erwin als Ersten seines Stammes berufen wollen.

Dagegen spricht bereits, dass, hätte die Erblasserin einen Stamm berufen wollen, dies derjenige ihrer Halbschwester gewesen wäre; denn dieser war sie, dem eigenen Vorbringen der Beteiligten zu 2. zufolge, wegen ihr (der Erblasserin) gewährter finanzieller Hilfen zu Dank verpflichtet, wohingegen zu ihren übrigen Geschwistern kein Kontakt bestand. Gerade bei einer Vorstellung der Testierenden von einer Berufung dem Stamme nach wäre eine Benennung der Schwester auch problemlos möglich gewesen: Mochte wegen des Unterschieds im Lebensalter auch der Fall wahrscheinlich sein, dass die „Erstberufene“ vorverstürbe, träte dann eben das ein, was von der Testierenden beabsichtigt gewesen wäre, nämlich ein Nachrücken ihrer Abkömmlinge, zunächst der ersten Generation, der Nichte und Neffe angehörten, sodann der folgenden Generation, darunter die Beteiligte zu 2. und ihre Schwester. Mit anderen Worten deutet die Wahl von Nichte und Neffe als benannten Miterben einerseits an der Stelle der Benennung der Halbschwester der Erblasserin, andererseits als einzigen Abkömmlingen im Stamme der Halbschwester, bei Lichte betrachtet, gerade dagegen, Nichte und Neffe seien ihrerseits als erste ihres eigenen (!) Stammes berufen worden, und für eine Individualberufung, mag sie auch auf den Wunsch der Schwester erfolgt sein. Zumindest bezüglich der Beteiligten zu 1. wird diese Sicht dadurch bestätigt, dass die Erblasserin ihr nach den insoweit unwidersprochen gebliebenen Darlegungen der Beteiligten zu 1. 2001 eine Bankvollmacht erteilte. Es kann auch nicht etwa die Rede davon sein, die Erblasserin habe bei diesem Verständnis eine der beiden berufenen Personen gegenüber der anderen bevorzugt; dieser Gedanke ist nur nachvollziehbar, wenn man die unzutreffende Auffassung verträte, in einer Anwachsung liege eine Benachteiligung des weggefallenen Miterben. Ob man anders zu entscheiden hätte, wenn die Erblasserin zur Beteiligten zu 2. und deren Schwester eine von persönlicher Nähe getragene Vertrauensbeziehung gehabt hätte, kann auf sich beruhen; denn hierfür geben die eigenen Schilderungen jener Beteiligten nichts her, die lediglich – zunehmend seltenere – Kontakte innerhalb einer Fernbeziehung durch mehrtägige Besuche beschreiben.

Mit alledem steht § 3 des Testaments in Übereinstimmung. Aus ihm ergibt sich, dass die Erblasserin bei einem „Ausfall“ eines Miterben die Anwachsung beim anderen nach § 2094 Abs. 1 Satz 1 BGB entweder wünschte oder dieser Rechtsfolge mit Gleichgültigkeit gegenüberstand, jedenfalls keinen Ersatzerben berufen wollte. Aus der schriftlichen Bekundung des seinerzeit beurkundenden Notars folgt überdies zumindest, dass die allgemeine Annahme, bei einem notariellen Testament werde der Testator vom Notar über die Rechtsfolgen der von ihm formulierten Bestimmungen ebenso belehrt werden wie über etwa verbleibende Regelungslücken, auch im vorliegenden Fall gerechtfertigt ist. Im Ergebnis läuft der Standpunkt der Beteiligten zu 2. faktisch darauf hinaus, dass der Notar, nachdem er die Erblasserin gefragt hatte, was denn sein solle, wenn einer der beiden (berufenen Erben) vor ihr sterbe, und die Erblasserin antwortete, dann sollten dessen Kinder „an der Reihe“ sein, erklärt hätte, dann müsse man nichts weiter in das Testament schreiben, denn das ergebe sich bereits deutlich aus dem bisher Verfügten; dieser Geschehensablauf erscheint kaum vorstellbar.

Bei einer solchen, in sich stimmigen urkundlichen Entfaltung eines Erblasserwillens bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, an der festgehalten wird, schon der Darlegung qualifizierter mündlicher Äußerungen eines Erblassers, um gleichwohl eine anderweitige Auslegung des Urkundeninhalts noch in Betracht zu ziehen. Insbesondere ist der nur mündlich bekundete angeblich abweichende Erblasserwille präzise zu beschreiben und sind konkrete Umstände namhaft zu machen, aufgrund deren der Erblasser sich gehalten sehen musste, sich subjektiv wahrheitsgemäß zu äußern – und nicht etwa, wie nach der Erfahrung des Senats in Erbschaftsangelegenheiten zahlreich vorkommend, „um Ruhe zu haben“, „um sich Ärger zu ersparen“, aus Gleichgültigkeit oder gar zur gezielten Täuschung gegenüber Dritten Unzutreffendes mitzuteilen (so macht etwa die Beteiligte zu 2. selbst geltend, die Beteiligte zu 1. habe sie durch mündliche Erklärungen gezielt hintergangen). Daran fehlt es hier hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten zu 2. eindeutig: Wovon „alle Beteiligten in der Familie“ ausgingen, ist ebenso belanglos wie die Rechtslage im österreichischen Erbrecht, erst recht, was die Halbschwester der Erblasserin als Großmutter ihrer Enkelin, der Beteiligten zu 2., gesagt haben mag. Ein Gespräch, in dem die Erblasserin von ihrer Halbschwester eine Finanzierung zu erlangen hoffte, erfüllt die vorstehend dargestellten Voraussetzungen jedenfalls nicht. Bei dieser Lage bedarf es einer Einvernahme der als Zeugen Benannten nicht.

Der Tod des bedachten Neffen und das Unterbleiben einer Testamentsänderung durch die Erblasserin in der Folgezeit sind als Indiz hier – wie regelmäßig – gleichfalls nicht tragfähig, weil sie für sich genommen sowohl den Rückschluss erlauben, die Erblasserin habe die Großnichten bedacht sehen wollen und alles für in diesem Sinne geregelt gehalten, als auch denjenigen, sie habe geglaubt, nun falle alles an die andere Miterbin, als auch denjenigen, ihr sei gleichgültig gewesen, wie sich der Erbgang in seiner einen Hälfte nun entwickele. Eine Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten kann erst getroffen werden, wenn sich die ursprüngliche Willensrichtung der Erblasserin anderweitig feststellen lässt, und dann ist das besagte Indiz praktisch überflüssig.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 84 FamFG. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg gebliebenen Rechtsmittels demjenigen Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat. Für einen Ausnahmefall ist hier nichts ersichtlich.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor, da die entscheidungstragenden Erwägungen des Senats, von anerkannten Grundsätzen ausgehend, allein auf den gegebenen Einzelfall bezogen sind.

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 1, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 GNotKG in Verbindung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats, nach der es auf das im Rechtsmittelbegehren zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Interesse des Beschwerdeführers ankommt. Dieses geht vorliegend dahin, die Beteiligte zu 1. statt zu 100 % nur zu 50 % am Nachlass beteiligt zu sehen, mithin auf die Hälfte des Nachlassreinwertes, den der Senat mit der Gebührenstufe von 80.000 bis 95.000 € bemessen hat.

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