LG Kiel – Az.: 13 O 181/11 – Urteil vom 29.11.2012
Der Beklagte wird verurteilt, die Wohnung xxx, die in der anliegenden Zeichnung mit Keller 1 und Keller 3 bezeichnet sind, nebst Garage an den Kläger herauszugeben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Hilfswiderklage wird abgewiesen.
Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist von drei Monaten ab Verkündung dieser Entscheidung gewährt.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Herausgabe einer Wohnung in Anspruch, auf deren weitere Nutzung, hilfsweise zumindest eine Nutzungsentschädigung für die Zukunft, der Beklagte einen Anspruch zu haben meint.
Der Kläger ist Sohn und Alleinerbe seiner am 29.05.1997 verstorbenen Mutter. Diese war mit dem Beklagten beruflich und persönlich verbunden gewesen. Sie hatte das Blatt 8 d.A. in Kopie befindliche Testament vom 15.07.1994 errichtet, in welchem sie dem Beklagten ein lebenslanges Wohnrecht an der gemeinsam bewohnten, in einem ihr gehörenden Mehrfamilienhaus befindlichen Wohnung zuwendete. Die in Rede stehende Bestimmung lautet:
„Die gemeinsam bewohnte Wohnung mit allen dazu gehörenden Möbelteilen soll… bis an sein Lebensende mietfrei bewohnen. Nur die Verbrauchskosten sind mit dem Erben des Hauses abzurechnen.“
In einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Kiel zwischen den Parteien auch des vorliegenden Rechtsstreits wurde die Erbenstellung des Klägers festgestellt. Hinsichtlich der Kosten der Nutzung der Wohnung kam es zu einem Rechtsstreit darüber, was unter „Verbrauchskosten“ im Sinne des Testaments zu verstehen sei. Hierzu entschied das Landgericht Kiel mit Urteil vom 09.11.2010 rechtskräftig, dass der Beklagte Nachzahlungen auf Mietnebenkosten an den Kläger zu leisten habe und dass er , solange er aufgrund des Vermächtnisses von seinem Wohnrecht Gebrauch mache, verpflichtet sei, sämtliche Betriebskosten, die ab 01. Januar 2009 für die im Dachgeschoss des Hinterhauses gelegene Wohnung in dem Gebäude Langstücken 17 in Flintbek anfallen und von dem Kläger gemäß Betriebskostenverordnung umgelegt werden dürfen, an den Kläger zu zahlen habe. Der Beklagte zahlte gleichwohl auch für die Jahre 2009 und folgende keinerlei Mietnebenkosten, seien sie verbrauchsabhängig, seien sie nicht verbrauchsabhängig. Der Kläger kündigte das Wohnrecht darauf hin mit Blatt 21 ff d.A. in Kopie befindlichem Anwaltsschreiben vom 13.09.2011 mit sofortiger Wirkung und forderte Räumung bis 27.09.2011. In dem betreffenden Schreiben gestand er dem Beklagten für die vorzeitige Beendigung des Wohnrechts einen Zahlungs- Ausgleichsanspruch zu, den er mit titulierten Forderungen seinerseits verrechnete, so dass er dem Beklagten „vorsorglich“ die Zahlung von 1.051,58 € anbot und im Übrigen Verhandlungsbereitschaft über einen Auszugstermin mitteilte.
Der Kläger ist der Auffassung, der Beklagte sei zur Ausübung des Nutzungsrechts nicht länger berechtigt, da er die ihm obliegende Verpflichtung zur Tragung von Mietnebenkosten nicht erfülle und Rückstände aufgelaufen seien, die bis in das Jahr 2001 zurückreichten.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, die Wohnung xxxxxxx, die in der anliegenden Zeichnung mit Keller 1 und Keller 3 bezeichnet sind, nebst Garage an den Kläger herauszugeben, hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, die Wohnung xxxxxx, die in der anliegenden Zeichnung mit Keller 1 und Keller 3 bezeichnet sind, nebst Garage an den Kläger herauszugeben Zug um Zug gegen Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.051,58 EUR abzgl. der Tageszinsen in Höhe von 4,35 EUR ab dem 14.09.2011;
2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 546,69 € zu ersetzen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, ggf., die Einräumung einer angemessenen Räumungsfrist.
Hilfswiderklagend beantragt der Beklagte, den Kläger zu verurteilen, an den Beklagten 35.960,73 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %- Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Kläger beantragt, die Hilfswiderklage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass das ihm testamentarisch eingeräumte Wohnrecht nicht kündbar sei. Zur Zahlung von Mietnebenkosten sei er zwar grundsätzlich gewillt, jedoch nicht in der Lage. Auch zukünftig werde er nicht in der Lage zur Zahlung entsprechender Kostenanteile sein. Im Übrigen habe er zuletzt ausschließlich elektrisch geheizt und sei für den Fall eines Vergleichsschlusses bereit, seinen Anspruch gegen die öffentliche Hand auf Erstattung von Wohn- und Heizkosten an den Kläger abzutreten. Der vom Kläger hilfsweise konzedierte Ausgleichsanspruch gegen die gegebenenfalls vorzeitige Beendigung der Ausübung des Wohnrechts sei insofern fehlerhaft berechnet, als der Mietwert der in Rede stehenden Wohnung vom Kläger zu niedrig, der für eine Ausgleichszahlung zum derzeitigen Zeitpunkt anzuwendende Abzinsungsfaktor hingegen zu hoch angesetzt seien, so dass seinerseits ein Zahlungsanspruch in Höhe der Forderung verbleibe, die mit der Hilfswiderklage geltend gemacht wird.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB, da das Besitzrecht des Beklagten, das ihm durch Vermächtnis zugewandt worden ist, infolge Kündigung erloschen ist.
Ob der Kläger darüber hinaus einen schuldrechtlichen Rückgabeanspruch aus einem Leiheverhältnis gem. §§ 604 Abs. 1, 605 Nr. 2 BGB hat, kann dahinstehen.
Der Kläger ist infolge Erbfalls Eigentümer der in Rede stehenden Wohnung. Über die erbrechtliche Stellung der Parteien ist rechtskräftig entschieden. Der Erbe ist nach dem Wortlaut des Testaments vom Beklagten personenverschieden. Die Zuwendung des Wohnrechts an den Beklagten wäre darüber hinaus nicht verständlich, wenn dem Beklagten die Wohnung infolge Erbfalls zu Eigentum angefallen wäre.
Der Beklagte ist als Bewohner der Wohnung deren Besitzer. Seine zusammen mit ihm in der Wohnung lebende Ehefrau hat gegen den Kläger keinen Besitzanspruch aus dem Vermächtnis oder aus anderen Rechtsgrundlagen.
Das Besitz- und Nutzungsrecht des Beklagten ist erloschen, nachdem der Kläger gem. § 314 BGB wirksam gekündigt hat. Dem Beklagten war durch Testament der schuldrechtliche Anspruch auf lebenslange Nutzung der Wohnung bei Übernahme der „Verbrauchskosten“ zugefallen. Insoweit bestand zumindest ein einseitig verpflichtendes Dauerschuldverhältnis mit einem Anspruch des Beklagten auf eine Leistung des Klägers. Ob der Sachverhalt sich darüber hinaus so darstellt, dass zwischen den Parteien, etwa aufgrund Angebots des Beklagten und Annahme des Klägers, ein vertragliches Leiheverhältnis vereinbart worden ist, kann letztlich offen bleiben, da in jedem Falle ein Dauerschuldverhältnis vorliegt, welches von dem Kläger auch unabhängig von § 605 Nr. 2 BGB aus wichtigem Grund mit der Folge gekündigt werden konnte, dass er nunmehr Rückgabe der Wohnung verlangen kann. Maßgeblich sind, soweit vorhanden, für die inhaltliche Ausgestaltung des erbrechtlich zugewandten, schuldrechtlichen Nutzungsanspruchs die Vorschriften des Erbrechts (Palandt-Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 2174 Anm. 3 a.E. unter Hinweis auf LG Mannheim MDR 67, 1012). Das Erbrecht weist indessen für eine Konstellation der vorliegenden Art keine gesonderten Bestimmungen auf. Insbesondere liegt keine auflösende Potestativbedingung i.S. des § 2075 BGB für den Fortbestand des Nutzungsrechtes vor. Eine Bedingung in diesem Sinne einer fortgesetzten Verhaltensanforderung gem. § 2075 BGB, war testamentarisch nicht ersichtlich in Aussicht genommen. Hinsichtlich der testamentarisch vorgesehenen Zahlungs- und Abrechnungspflicht des Beklagten lag kein „lediglich in der Willkür des Bedachten“ liegendes Verhalten im Sinne einer vom Beklagen zu erfüllenden Voraussetzung für die weitere Nutzung der Wohnung vor. Vielmehr war angenommen, dass der Beklagte den Betrieb fortführen, weiter in der Wohnung wohnen und lediglich damit belastet sein sollte und würde, dem Erben anteilige „Verbrauchskosten“ zu ersetzen.
Ob dabei die Möglichkeit einbezogen war, dass neben dem Beklagten weitere Personen in der Wohnung wohnen und von den „Verbrauchskosten“ , jedenfalls vorbehaltlich von Zahlungen des Beklagten, profitieren würden, kann ebenso offen bleiben wie die Antwort auf die Frage, ob (bereits) die Nichtzahlung der Wohnnebenkosten die Annahme des vertragswidrigen Gebrauchs im Sinne des § 605 BGB begründet.
Jedenfalls liegt darin, dass die Beklagte sich dauerhaft außerstande und im Zweifel auch ungewillt zeigt, Wohnnebenkosten zu tragen, ein wichtiger Grund für die Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gem. § 314 BGB. Nach dieser Vorschrift ist eine derartige Kündigung zulässig, wenn die Fortsetzung des Verhältnisses unzumutbar ist. Diese Regel kann auf einseitig verpflichtende Verhältnisse ohne Weiteres entsprechend angewendet werden, wenn die Annahme der Unzumutbarkeit rechtfertigende Umstände vorliegen, etwa weil eine Partei Mitwirkungspflichten oder Obliegenheiten nicht erfüllt. So ist die Vorschrift etwa entsprechend anwendbar auf die Rechtsbeziehung zwischen Parteien, die durch ein langfristig bindendes Angebot bestimmt wird, an welchem auf Dauer festzuhalten dem Anbietenden durch vom Gegenüber gesetzte Umstände unzumutbar wird (Palandt-Grüneberg, BGB, 72. Aufl. § 314 Anm. 5 unter Hinweis auf OLG Düsseldorf NJW-RR 91, 312).
Vorliegend hat der Beklagte bereits trotz Vorliegens zumindest teilweise eindeutig bestimmter Zahlungspflichten im Testament („Verbrauchskosten“) seit 2001 keinerlei Wohnnebenkosten getragen, seien sie verbrauchsabhängig, seien sie nicht verbrauchsabhängig. Der Kläger hat insoweit titulierte Ansprüche in Höhe von unstreitig mehr als 43.000,00 €. Nach Ergehen der Entscheidung des Landgerichts Kiel, die den Umfang der Zahlungsansprüche des Klägers dem Streit der Parteien entzog, also nach November 2010, hat der Beklagte darüber hinaus bis zum heutigen Tage die unsubstantiiert bestrittenen Nebenkostenansprüche für 2009 und 2010 in Höhe von mehr als 4.600,00 € nicht, auch nicht teilweise, beglichen. Er erklärt sich hierzu, auch mit Wirkung für die Zukunft, als dauerhaft außerstande, so dass nach Maßgabe der testamentarischen Bestimmung, dass die „Verbrauchskosten“ abzurechnen seien, ein Ausübungshindernis und eine Obliegenheitsverletzung vorliegen. Ob der Beklagte tatsächlich außerstande ist , Zahlungen zu leisten, ist nicht maßgeblich. Dafür, dass die Kostentragungspflicht des Beklagten von seiner Fähigkeit abhängen sollte, entsprechende Kosten aufzubringen, ist dem Testament nichts zu entnehmen. Dies gilt um so mehr, als dem Beklagten in dem Testament ganz erhebliche, über das Wohnrecht hinausgehende Werte zugewandt worden waren, die es als annähernd ausgeschlossen erscheinen lassen mussten, dass der Beklagte irgendwann zur Tragung der Wohnnebenkosten für die in Rede stehende Wohnung nicht mehr in der Lage sein würde. Gleichwohl liegt ein Fall des Anpassungsbedarf auslösenden Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht vor, da die Leistungspflicht des Beklagten eindeutig in dessen Sphäre liegt und sein hier in Rede stehender Lebensbedarf in jedem Fall , auch Notfall, durch die öffentliche Hand gesichert wird.
Ohne dass diesbezüglich weitere Einzelheiten im Rahmen des Rechtsstreits erörtert werden mussten, ist nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Beklagten und dessen eigenem Vorbringen davon auszugehen, dass in Ansehung auch seiner Nutzung der Wohnung im Hause des Klägers Ansprüche auf öffentliche Leistungen geltend gemacht erfüllt werden, ohne dass dies dem Beklagten Veranlassung gibt, seinerseits auf die vom Kläger erhobenen Ansprüche Zahlungen zu leisten.
Zu keinem Zeitpunkt sind im übrigen Bemühungen und Bereitschaft erkennbar geworden, Zahlungen auf die ihm testamentarisch auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen.
Einer Fristbestimmung gem. § 314 Abs. 2 BGB bedurfte es vorliegend nicht, nachdem der Kläger bereits spätestens im Rechtsstreit 9 O 284/06 LG Kiel, nach vorgängigen Zahlungsaufforderungen erfolgreich Zahlung gefordert hatte und der Beklagte gleichwohl auch die Ansprüche für die nachfolgenden Kalenderjahre nicht erfüllt hat.
Schließlich ist die Kündigung als solche nicht verfristet. Fristbestimmungen für Kündigungen aus wichtigem Grund sind Sonderbestimmungen, die jeweils lediglich eine Ausformung der allgemeinen Regelung gem. § 314 Abs. 3 BGB darstellen. Die Bestimmung einer starren Frist verbietet sich in Fällen wie dem vorliegenden, in dem der Eintritt der Unzumutbarkeit an eine längerfristige, sich zuspitzende Entwicklung anknüpft, die zu einem durch Bewertung zu ermittelnden Zeitpunkt das Entstehung der Kündigungsvoraussetzungen erst ergibt. Dies gilt um so mehr in Fällen wie dem vorliegenden, in welchen der Kündigungsempfänger ihm auferlegte Verpflichtungen mit Dauercharakter nicht erfüllt und der Anspruchsberechtigte nicht sofort die Kündigung erklärt, sondern den Rechtsweg beschreitet, um den Umfang der streitigen Leistungspflicht auf dem Rechtswege zu klären. Wird auch eine dahingehende rechtskräftige Klärung nicht beachtet, wird die Fortsetzung des Nutzungsverhältnisses endgültig unzumutbar. Dementsprechend ist auch die in § 626 Abs. 2 BGB festgelegte zweiwöchige Frist nicht als Regelfall der Kündigungsvoraussetzungen zugrunde zu legen (BGH NJW 2011, 1438, 1440).
Eine Entschädigung für die vorzeitige Beendigung des Nutzungsrechtes an der Wohnung steht dem Beklagten nicht zu. Eine Rechtsgrundlage für einen derartigen Anspruch ist nicht ersichtlich. Sie wäre insbesondere auch dann nicht ersichtlich, wenn davon ausgegangen würde, dass zwischen den Parteien schlüssig ein Leihvertrag vereinbart worden sei, da auch diesenfalls kein Austauschverhältnis vereinbart gewesen wäre, sondern lediglich ein nach bestimmten Modalitäten ausübbares Nutzungsrecht, hinsichtlich dessen die Ausübungsvoraussetzungen, etwa entsprechend § 1093 BGB, entfallen wären.
Gem. § 721 ZPO war über die Einräumung einer Räumungsfrist zu entscheiden. Im Hinblick auf die bereits langjährige Nutzung der Wohnung durch den Beklagten war diesem eine trotz Setzens des wichtigen Grundes für die Kündigung nach den Umständen angemessene Frist von drei Monaten ab Verkündung des Urteils für die Räumung der Wohnung zu setzen.
Vorprozessuale Kosten der Rechtsverfolgung kann der Kläger nicht ersetzt verlangen, da seinem Schreiben vom 13.9.2011 die Klageerhebung unmittelbar folgte, das Schreiben selbst aber erst verzugsbegründend gewirkt hatte.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 Satz 1, 721 ZPO.