LG Gießen – Az.: 1 S 384/11 – Urteil vom 12.12.2012
Auf die Berufung des Klägers wird das am 16.11.2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Alsfeld abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Sachkontenbelege der Erbengemeinschaft nach …, bestehend aus den Parteien, für die Jahre 1997, 1998, 1999, 2000 und 2011 im Original herauszugeben.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, der Umwandlung des Kontos mit der Nummer … bei der Sparkasse … (BLZ …) mit der Bezeichnung „Erbengemeinschaft …“, dessen Inhaber der Kläger derzeit alleine ist, zu einem Konto der Erbengemeinschaft nach …, bestehend aus dem Kläger und dem Beklagten, mit der alleinigen Verfügungsbefugnis des Kläger und mit der Maßgabe, dass das Konto als Haben-Konto geführt wird, zuzustimmen.
Der Beklagte wird verpflichtet, sich gegenüber der Sparkasse … für das vorbenannte Konto als Mitinhaber durch Vorlage eines amtlichen Ausweises zu legitimieren.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung des Klägers, mit der er die nur teilweise erfolgte Klagestattgabe angreift und unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils, welches von dem Beklagten verteidigt wird, sein erstinstanzliches Prozessziel mit der Maßgabe weiterverfolgt, dass das Konto als Haben-Konto geführt wird, ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Mitwirkung bei der Einrichtung eines Kontos für die Erbengemeinschaft mit der alleinigen Verfügungsbefugnis des Klägers.
Wegen des der Entscheidung zugrunde zu legenden Lebenssachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO). Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, oder neue, in der Berufungsinstanz berücksichtigungsfähige Tatsachen bezeichnet die Berufungsbegründung nicht (§ 529 ZPO). Ergänzende Ausführungen werden im Rahmen der rechtlichen Würdigung gemacht.
Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhalts war das angefochtene Urteil abzuändern und der Klage voll stattzugeben (§ 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
Der Klage fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar ist der Kläger als Mehrheitserbe nach der aktuellen Entscheidung des BGH vom 19.09.2012 (Az. XII ZR 151/10) in der Lage, Mietzinsforderungen auf das von ihm eingerichtete Bankkonto mit Erfüllungswirkung für die Erbengemeinschaft einzuziehen, weil er aufgrund der durch seine Anteilsmehrheit am Nachlass ermöglichten Einziehungsermächtigung zur Entgegennahme der Zahlung befugt ist. Er ist demzufolge auch in der Lage, über dieses Konto, über das er als alleiniger Forderungsinhaber auch die alleinige Verfügungsbefugnis hat, Überweisungen durchzuführen und die laufenden Kosten der Erbengemeinschaft zu bestreiten. Allerdings hat der Kläger zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um eine Hilfskonstruktion handelt. Denn nach § 2039 Abs. 1 BGB kann, wenn ein Anspruch zum Nachlass gehört, der Schuldner nur an alle Erben gemeinschaftlich leisten und jeder Erbe nur die Leistung an alle Erben fordern. Da das derzeit bestehende Konto allein dem Kläger zusteht, der gegenüber der Bank auch alleiniger Forderungsinhaber ist, müsste der Kläger jedem Schuldner gegenüber im Einzelfall zunächst seine Einziehungsbefugnis darlegen und ggf. nachweisen. Hierbei riskiert er, dass der Schuldner im Zweifel doch die für ihn sichere Leistung in Form der Hinterlegung wählen könnte. Vor diesem Hintergrund besteht ein rechtliches Interesse des Klägers auf Einrichtung eines Kontos, das die Erbengemeinschaft als Inhaber ausweist.
Der genannte Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 2038 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 BGB i. V. m. § 745 Abs. 2 BGB.
Nach § 2038 Abs. 1 BGB steht die Verwaltung des Nachlasses den Erben gemeinschaftlich zu und jeder Miterbe ist den anderen gegenüber zur Mitwirkung an Maßregeln verpflichtet, die zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses erforderlich sind.
Eine Mitwirkungspflicht an der von dem Kläger begehrten Umwandlung des Bankkontos in ein Konto der Erbengemeinschaft besteht, weil sich diese Maßnahme trotz der ebenfalls begehrten Einräumung einer alleinigen Verfügungsbefugnis des Klägers für dieses Konto als eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung darstellt.
Die Verwaltung des Nachlasses umfasst alle Maßregeln zu seiner Verwahrung, tatsächlichen oder rechtlichen Erhaltung, Sicherung und Vermehrung sowie zur Gewinnung der Nutzungen und Bestreiten der laufenden Verbindlichkeiten (BGH NJW 2010, 765). Zur Verwaltung können außer Verpflichtungsgeschäften auch Verfügungen über Nachlassgegenstände gehören.
Vorliegend fällt die Einrichtung eines Bankkontos der Erbengemeinschaft zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs der Erbengemeinschaft unter eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung. Denn nach § 2039 BGB kann nur an alle Erben gemeinschaftlich geleistet werden. Da die Erbengemeinschaft als Vermieterin neben der Einziehung der Mieten laufende Kosten (Umsatzsteuer, Grundbesitzabgaben, Gebühren des Steuerberaters, Verwaltungskosten, Bankgebühren, Tilgung und Zinsen für Darlehensbeträge) zu bestreiten hat, würde eine an sich mögliche Hinterlegung der Mietzahlungen für beide Erben nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Im Falle einer Hinterlegung könnten die eingehenden Gelder nicht zur Bestreitung der laufenden Kosten verwandt werden.
Auch die Einräumung einer Alleinverfügungsbefugnis des Klägers über das Konto der Erbengemeinschaft entspricht ordnungsgemäßer Verwaltung. Zwar wird der Kläger hierdurch berechtigt, entgegen § 2040 BGB, wonach die Erben über einen Nachlassgegenstand nur gemeinschaftlich verfügen können, Verfügungen über einen Nachlassgegenstand im Außenverhältnis wirksam (soweit es sich um eine ordnungsgemäße Verwaltungsmaßnahme handelt) alleine vorzunehmen. Dennoch stellt sich die Einräumung einer Alleinverfügungsbefugnis als Maßnahme einer ordnungsgemäßen Verwaltung dar.
Dies ergibt sich zum einen daraus, dass – unabhängig von der Streitfrage, ob § 2038 BGB ohnehin im Falle mehrheitlich beschlossener Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung gegenüber § 2040 BGB vorrangig ist (Palandt-Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 2038 Rz. 5 m. w. N.) – davon ausgegangen werden muss, dass den Parteien bei gemeinsamer Verfügungsbefugnis eine Einigung über ein gemeinsames Vorgehen nicht möglich sein wird, sodass die Abwicklung des laufenden Zahlungsverkehrs nicht möglich wäre, was letztlich einer Hinterlegung gleichkommen würde.
Denn die Parteien streiten seit Jahren. So wurde bis in die zweite Instanz ein Rechtsstreit geführt über die Mietminderungsberechtigung der … GmbH als Mieterin eines Grundstücks, welches zum Nachlass gehört. Dem folgte ein Streit darüber, ob die … GmbH mit Erfüllungswirkung auf das von dem Kläger allein eingerichtete Bankkonto leisten konnte, was letztlich durch das Revisionsgericht am 19.09.2012 entschieden und bejaht wurde. In der Zwischenzeit hat der Beklagte allerdings in Vollstreckungsstandschaft für die Erbengemeinschaft gegen die … GmbH vollstreckt, weil er der Auffassung war, dass die Leistung keine Erfüllungswirkung hatte. Die vereinnahmten Beträge hat er nicht zurückbezahlt und auch keine Auskunft darüber erteilt, wie diese verwandt wurden. Außerdem gab es den hier durch das Amtsgericht bereits rechtskräftig entschiedenen Streit über die Rückgabe von Belegen, zu denen sich der Beklagte an sich schriftlich bis zum 20.10.2010 verpflichtet hatte. Über das Entgelt für die Hausmeistertätigkeit und Kontoführung des Klägers wurde ebenfalls ein gerichtliches Verfahren geführt.
Unabhängig von der Frage, welche der Parteien in einzelnen Punkten des Streits Recht zu geben ist oder war, zeigt sich doch jedenfalls, dass eine einvernehmliche Lösung zwischen den Parteien nicht zu erreichen ist, so dass in jedem Einzelfall ein Streit entstehen würde, der im Zweifel über mehrere Instanzen gerichtlich zu klären wäre und damit erhebliche Zeit in Anspruch nehmen und ganz erhebliche zusätzliche Kosten verursachen würde. Damit wäre letztlich eine ordnungsgemäße Verwaltung des Nachlasses, im Rahmen dessen auch kurzfristige Entscheidungen/Verfügungen zu treffen sind, nicht möglich. Zwar könnte der Beklagte im Falle einer unberechtigten Weigerung auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Ob ein eventueller Schadensersatzanspruch auch gegen den Beklagten vollstreckt werden kann, ist aber fraglich. Der Kläger hat insoweit unbestritten vorgetragen, dass bei dem Beklagten eine Haftungsmasse nicht vorhanden ist.
Außerdem ergibt sich die Ordnungsgemäßheit der begehrten alleinigen Verfügungsbefugnis des Klägers auch schon deshalb, weil der Kläger als Mehrheitserbe nach der bereits erwähnten Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 19.09.2012) ohnehin zur Einziehung von Forderungen berechtigt ist, solange dies ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht. Auch ohne Einrichtung des begehrten Kontos der Erbengemeinschaft ist er faktisch in der Lage, ohne Mitwirkung des Beklagten wirksam Forderungen der Erbengemeinschaft einzuziehen und laufende Kosten zu begleichen. Die Einrichtung des begehrten Kontos der Erbengemeinschaft verschafft somit lediglich eine formell gesicherte Position und führt zur Vereinfachung der Abwicklung. Außerdem wird die Rechtsposition des Beklagten sogar verbessert, weil er als Mitkontoinhaber Kontoauszüge erhalten und so die Verwaltung des Klägers kontrollieren kann. Verfügungen, die keine ordnungsgemäßen Verwaltungsmaßnahmen darstellen, sind ohnehin unwirksam. Da das umzuwandelnde Konto nach dem Antrag des Klägers in der Berufung als Habenkonto geführt werden soll, ist das Haftungsrisiko des Beklagten für unberechtigte Verwaltungsmaßnahmen des Klägers minimiert.
Der Klage war daher insgesamt stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre gesetzliche Grundlage in § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht gem. § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.