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Erbengemeinschaft – Klage Miterbe auf Leistung an sich bei Nachlassforderung

OLG München – Az.: 7 U 5934/19 – Urteil vom 19.08.2020

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19.09.2019, Az. 27 O 18130/18, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 bezeichnete Endurteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Parteien streiten um die Rückzahlung eines der Beklagten zu 1) gewährten Darlehens sowie um die Auseinandersetzung des Nachlasses nach der am 17.02.2015 verstorbenen Frau Monika G. (im Folgenden als Erblasserin bezeichnet).

Die Erblasserin gewährte der Beklagten zu 1), die erhebliche Verluste erwirtschaftete, ein Gesellschafterdarlehen. Am 18.12.2013 schlossen die Erblasserin und die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführerin die Erblasserin zu diesem Zeitpunkt war, eine „Rücktrittsvereinbarung“ (Anl. B 2), die wie folgt lautete:

„1. Der Schuldner schuldet dem Gläubiger auf Grund Vertrag in Form von Darlehen einen Betrag in Höhe von € 225.976 (stand per 31.12.2012).

2. Soweit es sich bei der unter 1. bezeichneten Forderung zudem um Gesellschafterdarlehen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO handelt, so erklärt der Gläubiger hiermit, dass er bis zur Abwendung der Krise erst nach allen anderen Gläubigern der Gesellschaft, insbesondere auch nach allen anderen Gläubigern des § 39 Abs. 1 – 5 InsO und nur zugleich mit den Einlagenrückgewähransprüchen der anderen Gesellschafter befriedigt werden will. Der Gläubiger erklärt, dass er damit auch hinter ebenfalls zurückgetretenen Drittgläubigern steht.

Falls das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet werden sollte, so erlässt der Gläubiger die unter Ziffer1 bezeichnete Forderung mit Wirkung eines Verzichts.

3. Die Rückzahlung des unter 1. bezeichneten Darlehens erfolgt aus zukünftigen Überschüssen, aus einem Liquidationserlös und aus dem freien Vermögen der GmbH.“

Herr Sebastian G. gewährte der Erblasserin ein Darlehen in Höhe von 100.000 €, das die Erblasserin an die Beklagte zu 1) weiterreichte. Seinen Darlehensrückzahlungsanspruch gegen die Erblasserin trat Herr Sebastian G. an seine Ehefrau, die Klägerin ab, die in einem Verfahren vor dem Landgericht München I (Az. 34 O 11788/19) derzeit gegenüber den Beklagten die Rückzahlung des Darlehens geltend macht.

Aufgrund Testaments der Erblasserin vom 13.02.2012 (Anl. BGHL 2) wurden die beiden Söhne der Erblasserin, Herr Sebastian G., der Ehemann der Klägerin, sowie der Beklagte zu 2), Erben je zur Hälfte.

Am 09.02.2015 ergänzte die Erblasserin ihr Testament wie folgt:

„Es ist mein Wille, dass mein Sohn Christian G. die Firmenanteile erhalten soll und mein Sohn Sebastian G. das Grundstück in der M.str. 4 erhalten soll. Der Wert der Firma ist zwar höher, bedeutet jedoch die Existenz für meinen Sohn Christian G.

Im Übrigen soll es bei meinen getroffenen Bestimmungen verbleiben.“

Zum 31.12.2014 hatte das Darlehen einen Stand von 321.933,88 €.

Mit notarieller Urkunde vom 24.08.2018 (Anl. BGHL 1) überließ Sebastian G. seinen hälftigen Miterbenanteil am Nachlass der Erblasserin unentgeltlich seiner Ehefrau, der Klägerin.

Die Klägerin behauptet, sie könne aufgrund eines Beschlusses der Erbengemeinschaft vom 04.04.2016 von der Beklagten zu 1) Rückzahlung des hälftigen Darlehensbetrages an sich verlangen. Die Rangrücktrittsvereinbarung habe höchstens zwei Jahre gegolten. Der Beklagte zu 2) sei verpflichtet, dieser Zahlung zuzustimmen.

Die Klägerin beantragte daher:

1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, einen Betrag in Höhe von 160.966,94 € nebst gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von 5 % Prozentpunkten [sic] über dem Basiszinssatz seit dem 04.04.2016 zu bezahlen, sowie Zinsen in Höhe von 4,5 % für den Zeitraum ab dem 01.01.2015 bis einschließlich zum 03.04.2016.

2. Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, der Zahlung des klagegegenständlichen Betrages an die Klägerin zuzustimmen.

Die Beklagten beantragten: Klageabweisung.

Mit Endurteil vom 19.09.2019, Az. 27 O 18130/18, wies das Landgericht München I die Klage ab, da die Klägerin gemäß § 2039 BGB nur Zahlung an die Erbengemeinschaft, nicht jedoch Zahlung an sich selbst verlangen könne. Da der Nachlass noch nicht völlig auseinandergesetzt sei, könne auch keine Ausnahme von der Regelung des § 2039 BGB gemacht werden.

Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Endurteils wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich weiter.

Sie beantragt:

I. Das Urteil des Landgerichtes München I, Az. 27 O 18130/18 vom 29.04.2019 [sic] wird aufgehoben.

II. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, einen Betrag in Höhe von 160.966,94 € nebst gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.04.2016 zu bezahlen, sowie Zinsen in Höhe von 4,5 % für den Zeitraum ab dem 01.01.2015 bis einschließlich zum 03.04.2016.

III. Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, der Zahlung des klagegegenständlichen Betrages an die Klägerin zuzustimmen.

Hilfsweise: Das Verfahren wird an das Landgericht München I zurückverwiesen.

Die Beklagten beantragen: die Zurückweisung der Berufung.

Der Senat hat am 24.06.2020 mündlich verhandelt.

Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 23.07.2020 beantragte die Klägerin die Wiedereröffnung der Verhandlung.

Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2020, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.

B.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet, da das Landgericht zu Recht sowohl einen Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) als auch einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 2) auf Zustimmung zu der beantragten Zahlung der Beklagten zu 1) an die Klägerin verneint hat.

I.

Bei dem mit ihrer Zahlungsklage von der Klägerin geltend gemachten Anspruch handelt es sich um einen ursprünglich der Erblasserin zustehenden Darlehensrückzahlungsanspruch gegen die Beklagte zu 1), der mit dem Tod der Erblasserin in deren Nachlass gefallen ist und deshalb von einem Miterben und damit auch der Klägerin nur unter den Voraussetzungen des § 2039 BGB geltend gemacht werden kann. Demnach kann ein Miterbe jedoch grundsätzlich nur Leistung an die Erbengemeinschaft, nicht jedoch – wie es die Klägerin mit ihrer Klage tut – an sich selbst verlangen.

Die Voraussetzungen für eine der beiden von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen vom Grundsatz des § 2039 BGB, denen zufolge ein Miterbe von einem Nachlassschuldner Leistung unmittelbar an sich selbst verlangen kann, wenn er von den übrigen Miterben hierzu ermächtigt wurde oder eine Leistung an die Erbengemeinschaft reiner Formalismus wäre, weil die Erbringung der Leistung an den klagenden Miterben nur das Ergebnis der zulässigen Teilauseinandersetzung hinsichtlich dieser Nachlassforderung vorwegnähme (Gedanke des § 242 BGB), sind im streitgegenständlichen Fall nicht erfüllt.

1. Eine Ermächtigung der übrigen Erben liegt nicht vor. Die Klägerin hat in erster Instanz vortragen lassen, dass am 04.04.2016 folgender Beschluss der Erbengemeinschaft gefasst worden sei:

„Sebastian G. wird bevollmächtigt, die in den Bilanzen der Firma Grabmalkunst G. GmbH und der G. GmbH (d.h. der Beklagten zu 1)) aufgeführten Darlehensverbindlichkeiten zu Gunsten der Erbschaft zu kündigen. Er wird bevollmächtigt, diese Darlehen ggf. gerichtlich geltend zu machen und eine Zahlung zu Gunsten der Erbengemeinschaft zu fordern“ (vgl. Klageschrift S. 7, Bl. 7 d.A.).

Ob die Klägerin diese von den Beklagten bestrittene Beschlussfassung nachgewiesen hat, kann dahinstehen. Denn selbst wenn man die von der Klägerin behauptete Beschlussfassung unterstellt, ergäbe sich daraus keine Ermächtigung der Klägerin, von der Beklagten zu 1) Zahlung an sich zu verlangen. Im Beschlusstext ist nämlich entsprechend der Regelung des § 2039 BGB ausdrücklich nur die Rede davon, dass Sebastian G. „Zahlung zu Gunsten der Erbengemeinschaft“ und damit eben gerade nicht Zahlung an sich selbst fordern kann. Daran ändert auch die in dem Beschluss enthaltene „Bevollmächtigung“ des Sebastian G. nichts, das Darlehen „ggf. gerichtlich geltend zu machen“. Denn diese Bevollmächtigung bezieht sich ausdrücklich nur auf die Prozessführungsbefugnis und wiederholt insoweit ebenfalls nur, was sich ohnehin schon aus § 2039 BGB ergibt.

2. Eine ausnahmsweise materiell-rechtliche Berechtigung der Klägerin, Zahlung in Abweichung von § 2039 BGB unmittelbar an sich selbst verlangen zu können, ergibt sich auch nicht aus § 242 BGB.

Nach der Rechtsprechung des BGH findet der Grundsatz, dass ein Miterbe nur Leistung an alle Erben verlangen kann, dann keine Anwendung, wenn mit der Leistung an einen Miterben die Auseinandersetzung in zulässiger Weise vorweggenommen wird. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn andere Miterben als die Parteien nicht vorhanden sind, ein Bestehen von Nachlassverbindlichkeiten nicht geltend gemacht ist und die Klägerin nur den Anteil verlangt, der ihr bei der endgültigen Auseinandersetzung in jedem Fall zufallen würde (vgl. BGH, Urteil vom 13.03.1963 – V ZR 208/61, Rdnr. 10 und Weidlich in Palandt, 79. Auflage, München 2020, Rdnr. 9 zu § 2039 BGB).

a. Im streitgegenständlichen Fall sind zwar außer der Klägerin und dem Beklagten zu 2) keine weiteren Erben vorhanden, jedoch ist der vom BGH entwickelte Ausnahmetatbestand zur Regelung des § 2039 BGB schon deshalb nicht erfüllt, weil noch Nachlassverbindlichkeiten bestehen.

aa. In ihrer Berufungserwiderung (dort S. 6, Bl. 173 d.A.) behaupten die Beklagten, der Beklagte zu 2) habe noch einen Erstattungsanspruch gegen den Nachlass, da er eine Kirchensteuerschuld der Erblasserin in Höhe von 861,31 € beglichen habe. Ob dieser von der Klägerin im Schriftsatz des Klägervertreters vom 18.06.2020 (dort S. 2, Bl. 183 d.A.) bestrittene Erstattungsanspruch des Beklagten zu 2) gegen den Nachlass besteht, kann dahinstehen. Denn wenn der Beklagte zu 2) entsprechend dem klägerischen Vortrag die Kirchensteuerschuld der Erblasserin nicht beglichen und deshalb keinen Erstattungsanspruch gegen den Nachlass haben sollte, bestünde die im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin bestehende Kirchsteuerschuld, die sich aus der Mitteilung des Katholischen Kirchensteueramts M. vom 14.12.2017 (Anl. 8 zum Insolvenzgutachten laut Anl. B 1) ergibt, fort. Dabei würde es sich um eine Nachlassverbindlichkeit handeln, die eine teilweise Auseinandersetzung hindern würde.

Selbst wenn der Ehemann der Klägerin (d.h. Herr Sebastian G.) wie im Schriftsatz des Klägervertreters vom 18.06.2020 (dort S. 2 vorletzter Absatz letzter Satz, Bl. 183 d.A.) behauptet „seinen 50%igen Anteil an der Kirchensteuerschuld selbst bezahlt“ haben sollte, bestünde die Kirchensteuerschuld des Nachlasses jedenfalls noch zur Hälfte, da die Klägerin gleichzeitig behauptete, der Beklagte zu 2) habe ausschließlich Zahlungen geleistet, die sich auf seine eigene Kirchsteuerschuld bezogen hätten, sodass demnach die Kirchensteuerschuld des Nachlasses, die keine eigene des Beklagten zu 2) ist, nicht restlos getilgt wäre.

Der Berücksichtigung der Kirchensteuerschuld in der Berufungsinstanz steht auch § 531 ZPO nicht entgegen. Denn das Landgericht hat in seiner Entscheidung für die Frage einer nach § 242 BGB von § 2039 BGB zu machenden Ausnahme nur auf die seiner Meinung nach noch nicht vollständig erfolgte Auseinandersetzung des Nachlasses abgestellt. Darauf kommt es aber streitgegenständlich nicht entscheidend an. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob noch Nachlassverbindlichkeiten vorhanden sind. Aus diesem Grund war der Vortrag der Beklagten zur Kirchensteuerschuld nach § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen.

bb. Darüber hinaus bestehen aber nach dem eigenen Vortrag der Klägerin noch Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von weiteren 100.000,00 €. Denn der Klägervertreter trug in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 24.06.2020 vor, der Ehemann der Klägerin habe der Erblasserin ein persönliches Darlehen in Höhe von 100.000,00 € gewährt, das nunmehr an die Klägerin, an die ihr Ehemann den Darlehensrückzahlungsanspruch gegen die Erblasserin und damit nunmehr gegen den Nachlass abgetreten habe, zurückzuzahlen sei (vgl. S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2020, Bl. 188 d.A.). Der Darlehensrückzahlungsanspruch der Klägerin sei Gegenstand eines Verfahrens vor dem Landgericht München I (Az. 34 O 11788/19). Dieser Vortrag der Klägerseite wurde von den Beklagten nicht bestritten (vgl. S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2020, Bl. 188 d.A.).

cc. Eine Wiedereröffnung der am 24.06.2020 geschlossenen mündlichen Verhandlung war auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 23.07.2020 nicht geboten, da kein Fall des § 156 Abs. 2 ZPO vorliegt.

Die Klägerin meint, der Senat hätte darauf hinwirken müssen, dass sie eine Äußerungsfrist erhält, innerhalb derer sie zu der nahen Verhandlung vor dem Landgericht München I in der Sache 34 O 11788/19 hätte Stellung nehmen können (vgl. S. 7 des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 23.07.2020, Bl. 196 d.A.). Dies ist jedoch nicht der Fall, da der Hinweis des Senats zur Einordnung des von der Klägerin im Verfahren 34 O 11788/19 vor dem Landgericht München I behaupteten Darlehensrückzahlungsanspruchs auf dem erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2020 von der Klägerin selbst erbrachten Vortrag beruht, sodass auf § 283 ZPO nicht abgehoben werden kann. Dieser betrifft nämlich nur die Möglichkeit zur Stellungnahme auf Vortrag der Gegenseite, nicht aber auf den eigenen Vortrag.

Nur weil aber – wie der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2020 angegeben hatte – am 13.07.2020 eine Verhandlung im Verfahren 34 O 11788/19 vor dem Landgericht München I anberaumt war, war der Klägerin eine Schriftsatzfrist – noch dazu ohne Antrag – nicht zu gewähren. Es ist unklar – und wird auch im Schriftsatz des Klägervertreters vom 23.07.2020 nicht ausgeführt – was die Klägerin bei Gewährung der Schriftsatzfrist zum Hinweis des Senats vorgetragen hätte. Dass die Klägerin sich nicht sofort auf den Hinweis des Senats hätte äußern können, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Eine Schriftsatzfrist zu gewähren, nur damit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2020 vor dem Landgericht einen Vergleich zur Veränderung der Tatsachengrundlage schließen kann, war nicht geboten. Die Gewährung einer Schriftsatz erfolgt nur zur Sicherstellung des rechtlichen Gehörs.

Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstandene Tatsache des Vergleichsschlusses allein reicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht aus (§ 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

b. Eine Ausnahme von § 2039 BGB ist unabhängig von den noch bestehenden oben unter a dargestellten Nachlassverbindlichkeiten auch schon deshalb nicht möglich, weil nicht sicher ist, dass bei Zuerkennung eines Darlehensrückzahlungsanspruchs der Klägerin in der beantragten Höhe die Klägerin nur den Anteil verlangt, der ihr auch bei der endgültigen Auseinandersetzung zufallen würde.

Mit dieser von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzung für eine Abweichung von der Regelung des § 2039 BGB soll sichergestellt werden, dass durch die faktische Teilauseinandersetzung in Form der Klage eines Erben auf Leistung des Nachlassschuldners an sich der verbleibende Erbe am Ende wirtschaftlich nicht schlechter gestellt ist als der gegen den Nachlassschuldner für sich klagende Erbe.

aa. Im Nachlass befindet sich kein von der Beklagten zu 1) als Darlehensnehmerin bereits zurückbezahlter Geldbetrag, sondern nur die Darlehensrückzahlungsforderung gegen die Beklagte zu 1). Ob und gegebenenfalls inwieweit sich diese Darlehensrückzahlungsforderung wirtschaftlich realisieren lässt, ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin lässt vortragen, dass die Beklagte zu 1) zumindest zu Teilzahlungen in der Lage sei (Schriftsatz des Klägervertreters vom 18.04.2019, S. 7 und 8, Bl. 43 und 44 d.A.), während die Beklagten behaupten, die Beklagte zu 1) müsse schon bei Geltendmachung nur der Klageforderung, das heißt nur der Hälfte der Darlehensrückzahlungsforderung, Insolvenz anmelden (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 20.05.2019, S. 4, Bl. 64 d.A.). Ob dies der Fall ist, kann dahinstehen, da – wie sich aus dem als Anl. B 4 vorgelegten Jahresabschluss 2017 ergibt – bei der Beklagten zu 1) ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag iSd. § 268 Abs. 3 HGB in Höhe von 322.481,11 € bestand und damit eine buchmäßige Überschuldung vorlag. Zwar ist dies aufgrund der Möglichkeit stiller Reserven und gegebenenfalls abweichender Wertansätze nicht mit dem insolvenzrechtlichen Tatbestand der Überschuldung iSd. § 19 Abs. 1 und 2 InsO, der einen Insolvenzeröffnungsgrund darstellt, gleichzusetzen (vgl. Reiner/Haußer in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Auflage, München 2013, Rdnr. 28 zu § 268 HGB und Grottel/Waubke in Beck´scher Bilanzkommentar, 12. Auflage, München 2020, Rdnr. 12 zu § 268 HGB), jedoch ergibt sich daraus jedenfalls eine Existenzgefährdung der Beklagten zu 1) (vgl. insoweit Grottel/Waubke, aaO, Rdnr. 13 zu § 268 HGB), die ihrerseits substantielle Zweifel an der Werthaltigkeit der im Nachlass enthaltenen Darlehensrückzahlungsforderung begründet. Somit ist nicht nur offen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Beklagte zu 1) im Falle eines Obsiegens der Klägerin die dieser zugesprochene hälftige Darlehensrückzahlungsforderung erfüllen kann. Offen ist auch, ob und in welchem Umfang die Beklagte zu 1) daneben oder zu einem späteren Zeitpunkt noch in der Lage ist, die andere Hälfte der Darlehensrückzahlungsforderung zu erfüllen. Damit besteht jedenfalls das Risiko, dass die Klägerin im Obsiegensfall wirtschaftlich mehr erhält, als ihr letztendlich bei der Auseinandersetzung des Nachlasses aufgrund einer nicht vollständigen Realisierung der Darlehensrückzahlungsforderung gegenüber der Beklagten zu 1) zustehen würde. Diese Unsicherheit reicht nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen aus, um eine Ausnahme von § 2039 BGB zu verneinen, da damit nicht sicher ist, dass die Klägerin nur den Anteil verlangt, der ihr bei der endgültigen Auseinandersetzung in jedem Fall zufallen würde. Unerheblich ist deshalb auch, dass die Klägerin nur den hälftigen Darlehensrückzahlungsbetrag geltend macht und dies nominal dem ihr zustehenden Erbteil (Hälfte des Nachlasses) entspricht.

bb. Ein weiteres Realisierungsrisiko, das einer Ausnahme vom Grundsatz des § 2039 BGB entgegensteht, ergibt sich aus Nr. 3 der Rücktrittsvereinbarung vom 18.12.2013 laut Anl. B 2, der zufolge die Rückzahlung des Darlehens „aus zukünftigen Überschüssen, aus einem Liquidationserlös und aus dem freien Vermögen der GmbH“, d.h. der Beklagten zu 1) zu erfolgen hat. Da aufgrund der oben unter aa. dargestellten wirtschaftlichen Lage der Beklagten zu 1) nicht vorhersehbar ist, ob und gegebenenfalls wann diese Fälligkeitsvoraussetzungen vorliegen werden, besteht wiederum das Risiko, dass die Klägerin im Obsiegensfall wirtschaftlich mehr erhält, als ihr bei einer Auseinandersetzung endgültig zustehen würde. Daran ändert auch nichts, dass sich die „Rücktrittsvereinbarung“ gemäß ihrer Ziffer 1. nicht auf das gesamte von der Erblasserin der Beklagten zu 1) gewährte Darlehen erstreckt, sondern nur auf einen Teilbetrag von 225.976 €.

Entgegen der Ansicht der Berufung kann die „Rücktrittsvereinbarung“ laut Anl. B 2 auch weiterhin Gültigkeit beanspruchen. Denn dabei handelt es sich um einen Rangrücktritt, mit dem eine bilanzielle Überschuldung der Beklagten zu 1) verhindert oder beseitigt werden sollte (“zur Abwendung der Krise“). Auch nach Inkrafttreten des MoMiG ist ein lediglich zeitlich begrenzter Rücktritt nicht geeignet, eine Forderung im Überschuldungsstatus einer Gesellschaft unberücksichtigt zu lassen und dadurch ihre Insolvenz zu vermeiden (vgl. BGH, Urteil vom 05.03.2015 – IX ZR 133/14, Rdnr. 18 und 16 aE). Da stets davon auszugehen ist, dass Vertragsparteien Sinnvolles vereinbaren wollten, ein zeitlich begrenzter Rücktritt aber keine insolvenzrechtliche Wirkung entfalten würde, ist die Rücktrittsvereinbarung dahingehend auszulegen, dass eine zeitliche Begrenzung der Vereinbarung auf das Jahr 2013 und/oder 2014 nicht erfolgen sollte.

Da eine Rangrücktrittsvereinbarung ein Vertrag zu Gunsten Dritter ist, kann er grundsätzlich nicht ohne Mitwirkung der begünstigten Gläubiger aufgehoben werden (vgl. BGH, aaO, Rdnr. 42). Die Rechte der begünstigten Gläubiger sind nur dann nicht betroffen, wenn eine zur Deckung sämtlicher Verbindlichkeiten genügende Vermögensmasse vorhanden ist (vgl. BGH, aaO). In Anbetracht des als Anl. B 4 vorgelegten Jahresabschlusses 2017, der eine buchmäßige Überschuldung im Umfang von 322.481,11 € auswies, kann davon bei der Beklagten zu 1) jedoch nicht ausgegangen werden; vielmehr dauert die Krise iSd. Ziffer 2 der „Rücktrittsvereinbarung“ laut Anl. B 2 an, sodass die Nachrangvereinbarung weiter gilt.

cc. Wie schon oben unter a cc ausgeführt war eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung aufgrund der Ausführungen im Schriftsatz des Klägervertreters vom 23.07.2020 (dort S. 9 ff., Bl. 198 d.A.) nicht geboten. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass und inwiefern der von den Parteien im Verfahren 34 O 11788/18 vor dem Landgericht München I am 13.07.2020 geschlossenen Vergleich zu einer Änderung der Beurteilung des Realisierungsrisikos bzw. zur Beendigung der Krise (s. o. bb) führt. Aus der Beurkundung einer Zahlungsverpflichtung folgt dies jedenfalls nicht.

Nach alledem liegen die Voraussetzungen, unter denen ein Miterbe abweichend von § 2039 BGB von einem Nachlassschuldner Zahlung an sich selbst verlangen kann, unter mehrerlei Gesichtspunkten nicht vor, sodass das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.

II.

Zutreffend hat das Landgericht auch die Klage gegen den Beklagten zu 2) auf Zustimmung zur Zahlung der geltend gemachten 160.966,94 € durch die Beklagte zu 1) an die Klägerin abgewiesen.

Da es sich bei der Klage gegen den Beklagten zu 2) um eine Auseinandersetzungsklage gemäß § 2042 BGB handelt, ist die Klage auf Abschluss eines konkreten schuldrechtlichen Auseinandersetzungsvertrages zu richten und muss die Klägerin deshalb einen detaillierten Auseinandersetzungsplan vorlegen, der das Ergebnis der vorzunehmenden Auseinandersetzung zutreffend wiedergeben muss. Denn nur dann kann die Klägerin die Zustimmung des Beklagten zu 2) als ihres Miterbens verlangen.

Ein solcher Auseinandersetzungsplan fehlt jedoch. Der Klageantrag zu 2) ist auch in Verbindung mit dem Klageantrag zu 1) kein Auseinandersetzungsplan. Daraus lässt sich nämlich nicht entnehmen, wie hinsichtlich der noch nicht regulierten Nachlassverbindlichkeiten (vgl. oben I 2 a) und der im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Realisierbarkeit unsicheren und darüber hinaus nur teilweise fälligen Darlehensrückzahlungsforderung gegen die Beklagte zu 1) (vgl. oben I 2 b) verfahren werden soll.

Nach alledem bleibt die Berufung der Klägerin vollumfänglich ohne Erfolg.

C.

I. Der Ausspruch zu den Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, da die Klägerin mit ihrer Berufung ohne Erfolg blieb.

II. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

III. Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch weicht der Senat bei seiner Entscheidung von einer Entscheidung des BGH oder eines anderen Oberlandesgerichts ab.

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