AG Rosenheim – Az.: VI 2059/14 – Beschluss vom 20.08.2018
1. Der Erbschein vom … 2015 wird eingezogen.
2. Die zur Begründung des Antrags der Beteiligten F. vom … 2017 auf Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet.
3. Die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses wird ausgesetzt.
Die Erteilung des Erbscheins wird bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückgestellt.
4. Eine Entscheidung über die Kostenpflicht ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Der Erblasser wurde 1947 in D. (Deutschland) als Kind der Eheleute F. geboren. Sein Vater starb am …1948. Seine Mutter heiratete am …1954 den Schweden B. und zog mit ihrem Kind zu ihrem neuen Ehemann nach Göteborg. Dort beantragte sie die schwedische Staatsbürgerschaft, die ihr und ihrem Sohn am …1953 durch königlichen „Bevis“ bewilligt wurde. Im Dezember 1953 adoptierte B. den Erblasser.
Dieser heiratete die Beteiligte F., die den Familiennamen ihres Ehemannes annahm, und hatte mit ihr einen ehelichen Sohn, den Beteiligten C. Dieser lebt in Großbritannien.
Nach dem Tod des Erblassers, mit dem sie zuletzt in A. (Deutschland) gewohnt hatte, nahm die Beteiligte F. wieder ihren Mädchennamen an und beantragte einen gemeinschaftlichen Erbschein, wonach sie ihren verstorbenen Ehemann nach deutschem Erbrecht aufgrund Rückverweisung durch das Internationale Privatrecht neben ihrem Sohn zu 1/2 beerbt habe. Der Erbschein wurde am …2015 antragsgemäß erteilt.
Mit Schriftsatz vom …2017 beantragte sie die Einziehung des Erbscheins und die Erteilung eines neuen Erbscheins, wonach sie gesetzliche Alleinerbin in Anwendung schwedischen Rechts sei. Der erteilte Erbschein sei unrichtig, weil der Erblasser Schwede gewesen sei und das schwedische internationale Privatrecht keine Rückverweisung kenne. Deshalb bleibe es bei der Anwendung schwedischen Erbrechts. Danach werde der überlebende Ehegatte Alleinerbe, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge hinterlasse, die keine gemeinsamen Kinder seien.
Der Beteiligte C. widersetzt sich dem: Der Erblasser sei aus deutscher Sicht nicht ausschließlich schwedischer, sondern schwedischer und deutscher Staatsangehöriger gewesen. Er habe die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Adoption nicht verloren und sei auch nicht aus der deutschen Staatsbürgerschaft entlassen worden, weil eine dafür erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nicht erfolgt und auch gar nicht möglich gewesen sei. Die Zuerkennung der schwedischen Staatsangehörigkeit sei außerdem nicht auf Antrag der Mutter auch für das Kind erfolgt, sondern kraft automatischer gesetzlicher Erstreckung. Auch sei die Mutter gar nicht alleine sorgeberechtigt gewesen, weil nach dem Tod des Kindsvaters die Genehmigung eines Beistandes für eine Veränderung des Aufenthaltsortes des Kindes erforderlich gewesen wäre.
Das schwedische Erbrecht widerspreche, soweit hier in Betracht kommend, dem deutschen ordre public. Es sehe nämlich beim Tode eines Ehegatten für gemeinschaftliche Kinder kein bedarfsunabhängiges Pflichtteilsrecht vor und mache den überlebenden Ehegatten zum Alleinerben.
II.
Der erteilte Erbschein ist gemäß § 2361 BGB einzuziehen, weil er unrichtig ist.
Er weist die Erbrechtslage unzutreffend aus. Die Beteiligte F. ist nach schwedischem Erbrecht gesetzliche Alleinerbin geworden.
Demgemäß wird ihrem aktuellen Erbscheinsantrag zu entsprechen sein.
1. Es findet schwedisches Erbrecht Anwendung, Art. 25 Abs. 1 EGBGB.
Der Erblasser war ausschließlich schwedischer Staatsangehöriger.
a) Die Feststellung der Staatsangehörigkeit, die der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes hatte, erfolgt nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des betreffenden Staates (Birk in: MünchKomm BGB, 5. Aufl. 2010, Art. 25 EGBGB Rn. 9). Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB findet deshalb keine Anwendung.
b) Der Erblasser verlor die deutsche Staatsangehörigkeit gem. § 17 Nr. 2 iV.m. § 25 und § 19 RuStAG in der damals gültigen Fassung infolge Erwerbs der schwedischen Staatsbürgerschaft durch „Bevis“ vom 12.06.1953. Seine Mutter hatte damals alleine die elterliche Gewalt über ihn inne; ihr alleine oblag auch die Personensorge. Ihr Antrag auf Zubilligung der schwedischen Staatsbürgerschaft war von ihr für sich selbst und für ihren Sohn gestellt worden, so dass es einer Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes nicht bedurfte.
Ein Vormund oder ein Beistand war zum Zeitpunkt des „Bevis“ (1953) nicht bestellt. Dafür fehlt jeder konkrete Anhalt (vgl. Mitteilung des Betreuungsgerichts D. vom 11.07.2018). Das die Auseinandersetzung betreffende Verfahren endete mit der Erteilung eines Auseinandersetzungszeugnisses. Dieses Verfahren betraf im Übrigen die güterrechtliche Auseinandersetzung, nicht aber die Regelung der elterlichen Sorge.
c) Der Einbürgerungsantrag der Mutter des Erblassers war auch für ihren Sohn gestellt. Das Nachlassgericht geht mit dem BVerwG (Beschluss vom 27.06.1956, Az. BVerwG I B 200.55, NJW 1956, 1411) davon aus, dass dafür jede Willensbetätigung des Gewalthabers ausreicht, die erkennen lässt, dass er mit seiner eigenen Einbürgerung auch diejenige des Kindes herbeiführen will. Die insoweit unbestrittenen damaligen Lebensverhältnisse der Mutter des Erblassers lassen bei vernünftiger Betrachtung eine andere Beurteilung nicht zu: Die Mutter des damals sechsjährigen Erblassers lebte mit ihrem zweiten Ehemann, einem Schweden, und ihrem Kinde seit 4 Jahren in Schweden. Nichts lässt darauf schließen, dass sie nach Deutschland zurückkehren wollte. Wenn sie in dieser Situation einen Antrag auf Aufnahme in die schwedische Staatsbürgerschaft stellte, sprach alles dafür, dass sie dieses Ziel (stillschweigend) auch für ihr minderjähriges Kind verfolgte. Demgemäß hat der Schwedische Staat entschieden.
2. Die demzufolge nach schwedischem Recht zu beurteilende Erbrechtslage (dazu OLG Hamm, Urteil vom 06.03.2014 – 10 U 76/13, BeckRS 2014, 09489, S. 7) steht nicht in Widerspruch zum deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB).
a) Bei Beerbung eines schwedischen Staatsangehörigen bestimmt das schwedische internationale Erbrecht in Kap. 1 Abs. 1 IDL die alleinige Anwendung schwedischen Rechts. Eine Rück- oder Weiterverweisung findet nicht statt (vgl. OLG Hamm vom 06.03.2014 10 U 76/13, BeckRS 2014, 09489, LS 1 und Seite 7 m.w.N.).
b) Danach erhält der überlebende Ehegatte, wenn der Erblasser – wie hier – nur mit dem Ehegatten gemeinsame Kinder hinterlässt, zunächst auf dem Weg des güterrechtlichen Ausgleichs die Hälfte der Netto-Vermögensmasse beider Ehegatten (§§ 7, 9 Abs. 5 Äktenskapsbalken (ÄktB). Nur die danach verbleibende Hälfte wird vererbt. Dieser Anteil fällt an die gesetzlichen Erben dergestalt, dass das Erbe zunächst der überlebende Ehegatte als Vorerbe erhält. Die gemeinsamen Kinder sind gesetzlich nur Nacherben. Der Vorerbe kann zu Lebzeiten frei über das „Nacherbe“ verfügen. Allerdings sind Verfügungen von Todes wegen und Schenkungen ausgeschlossen, Kap. 3 § 2 Abs. 1 und Kap. 3 § 3 Ärvdabalk (ÄB). Die gesetzliche Erbfolge ähnelt damit dem Berliner Testament (vgl. dazu Schlitt/Müller, PflichtteilsR, § 15 Länderübersichten, Rn. 671-674 – beck-online m.w.N.; Line Olsen-Ring/Gerhard Ring in: Kroiß/Ann/Mayer, BGB Erbrecht, 4. A. 2014, Skandinavien, Rn. 31, 32, 34, 35). Ein bedarfsunabhängiges Pflichtteilsrecht der gemeinsamen Kinder ist nicht vorgesehen.
c) Gleichwohl steht diese Erbrechtsregelung nicht in Widerspruch zum deutschen ordre public.
aa) Dies würde nach Art. 6 EGBGB die offensichtliche Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts oder mit den Grundrechten voraussetzen. Bei Art. 6 EGBGB handelt es sich um eine eng auszulegende, äußerst zurückhaltend anzuwendende Ausnahmevorschrift. Das Rechtsanwendungsergebnis muss zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stehen, dass es nach inländischer Vorstellung als schlechthin untragbar erscheint (Lorenz in: BeckOK BGB, 46. Edition, EGBGB Art. 6 Rn. 14). Auch eine Grundrechtsverletzung i.S.v. Art. 6 Satz 2 EGBGB muss sich aus dem Ergebnis der Rechtsanwendung ergeben. Nicht bei jedem Ergebnis, das bei einem reinen Inlandsfall als Verstoß gegen Grundrechte zu werten wäre, liegt auch im Falle der Auslandsberührung ein Verstoß gegen den ordre public vor. Auch nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist durch Auslegung der entsprechenden Verfassungsnorm festzustellen, ob sie nach Wortlaut, Sinn und Zweck bei Sachverhalten mit Auslandsbeziehung eine Differenzierung zulässt bzw. sogar verlangt (vgl. dazu insgesamt Lorenz aaO. Rn. 15 m.w.N.).
bb) So liegt der Fall hier.
Das anzuwendende schwedische Erbrecht sieht für gemeinsame Kinder des Erblassers und seines überlebenden Ehegatten keine bedarfsunabhängigen gesetzlichen Pflichtteilsansprüche vor. Darin liegt ein Unterschied zu den §§ 2303 ff. BGB. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem deutschen Inlandsfall entschieden, dass die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass gewährleiste (BVerfG vom 19.04.2005 – 1 BvR 1644-00, 188/03, BeckRS 2005, 26303).
Vorliegend steht ein Fall mit intensiver Auslandsberührung zur Entscheidung, weil der Erblasser schwedischer Staatsangehöriger war und – was hinzukommt – sein Sohn in Großbritannien lebt. Soweit darauf abgestellt wird, ob der nach deutschem Recht Pflichtteilsberechtigte infolge der Anwendung des ausländischen Rechts der deutschen Sozialhilfe zur Last fiele (so Dutta in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. A. 2015, EGBGB Art. 25 Rn. 113), wäre demnach ein Verstoß gegen den deutschen ordre public schon deshalb zu verneinen.
Unabhängig davon liegt nach Auffassung des Gerichts in der unterschiedlichen Ausgestaltung der Erbrechtslage für gemeinsame Kinder in Schweden einerseits, Deutschland andererseits deshalb kein Verstoß gegen den ordre public, weil wegen des manifesten Auslandsbezugs eine Differenzierung vorzunehmen ist:
Das schwedische Recht sieht – anders als das deutsche Erbrecht – in Fällen wie dem vorliegenden kraft Gesetzes zwingend eine Nacherbenstellung der gemeinsamen Kinder vor, stellt sie also grundsätzlich keineswegs mittellos. Der Vorerbe darf das zunächst ihm angefallene Erbe weder verschenken noch anderweitig vererben. Auch wenn im Einzelfall dadurch der eigennützige Verbrauch des Erbes durch den Vorerben nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, sieht das schwedische Erbrechtssystem doch ein gesetzliches Erbrecht der gemeinsamen Kinder vor, räumt allerdings der Versorgung des überlebenden Ehegatten den zeitlichen Vorrang ein. Dies ist eine Rechtsgestaltung, die dem (gewillkürten) deutschen Erbrecht nicht schlechthin fremd ist (Berliner Testament).
Sie stellt die gemeinsamen Nachkommen auch nicht infolge einer Enterbung rechtlos.
Es wird gerade kein Abkömmling des Erblassers „durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen“, wie dies § 2303 Abs. 1 BGB als Voraussetzung für ein Pflichtteilsrecht fordert. Die Einräumung eines gesetzlichen Nacherbrechts für gemeinsame Abkömmlinge durch die schwedische Rechtsordnung anstelle eines gesetzlichen „primären“ Vollerbrechts steht zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen keineswegs in so starkem Widerspruch, dass die dadurch bedingten Ergebnisse nach inländischer Vorstellung als schlechthin untragbar erschienen.
III.
Ziffer 3. des Tenors beruht auf § 352 Abs. 2 S. 2 FamFG.
IV.
Eine Abweichung von der grundsätzlichen gesetzlichen Regelung der Kostenlast ist nicht geboten. Die Verteilung der Gerichtskosten regelt § 22 Abs. 1 GNotKG. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen grundsätzlich die Beteiligten selbst. Zu einer davon abweichenden Entscheidung über Gerichtskosten und / oder notwendige Auslagen der Beteiligten (vgl. § 80 Abs. 1 FamFG) nach § 81 FamFG gibt der Fall keinen Anlass.