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Erbschaftsannahme – Anfechtung wegen Irrtums

Ein kniffliger Erbschaftsfall: Fehleinschätzung der Steuerfolgen führt zur gerichtlichen Auseinandersetzung

Es geht um eine Erbschaft, die zu unerwarteten Steuerfolgen führt und einen Bruder gegen seine Mutter vor Gericht bringt. Nach dem Tod des Erblassers A, der keine letztwillige Verfügung hinterlassen hat, haben der Bruder und die Mutter je zur Hälfte geerbt. Der Bruder, in unserem Fall der Beteiligte zu 1), hat jedoch einen folgenschweren Irrtum begangen. Er hatte die Steuerfreibeträge, die er durch die Erbschaft seines Bruders erhalten würde, wesentlich höher eingeschätzt. Als er dies bemerkte, versuchte er, seine Annahme der Erbschaft anzufechten.

Direkt zum Urteil Az: I-10 W 125/21 springen.

Anfechtung der Erbschaftsannahme

Die Anfechtung der Erbschaftsannahme erfolgte in notariell beglaubigter Form aufgrund des Irrtums gemäß §§ 1954 Abs. 1, 119 Abs. 1 BGB. Der Beteiligte zu 1) argumentierte, dass er zum Zeitpunkt der Beantragung des Erbscheins von wesentlich anderen Steuerfreibeträgen ausgegangen war. Er bat um einen neuen Erbschein für die Beteiligte zu 2), seine Mutter.

Rückweisung der Anfechtung durch das Nachlassgericht

Das Nachlassgericht wies den Antrag auf Einziehung des Erbscheins zurück. Die Begründung: Der Irrtum über die Höhe der Erbschaftssteuer sei ein unbeachtlicher Motivirrtum, weshalb der Erbschein nicht einzuziehen sei. Gegen diese Entscheidung legte der Beteiligte zu 1) Beschwerde ein.

Rechtsfolgenirrtum oder Motivirrtum?

Der Beteiligte zu 1) argumentierte, dass ein Irrtum über die Rechtsfolgen der Annahme oder Anfechtung der Erbschaft ein beachtlicher Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB sei. Das Nachlassgericht konnte jedoch der Beschwerde nicht abhelfen und legte die Sache dem Senat zur Entscheidung vor.

Endgültige Entscheidung des OLG Hamm

Das OLG Hamm entschied, dass die Beschwerde unbegründet sei. Der Erbschein sei nicht unrichtig im Sinne des § 2361 S. 1 BGB, da kein Grund vorliege, der den Beteiligten zu 1) zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigen würde. Insbesondere befand sich der Beteiligte zu 1) am 21.07.2021 nicht in einem relevanten Rechtsfolgenirrtum.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens wurden dem Beteiligten zu 1) auferlegt und die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen. Das bedeutet, dass die Entscheidung des OLG Hamm in diesem Fall endgültig ist.


Das vorliegende Urteil

OLG Hamm – Az.: I-10 W 125/21 – Beschluss vom 04.11.2021

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 20.09.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Arnsberg vom 15.09.2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beteiligten zu 1) auferlegt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 140.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 1) ist der Bruder, die Beteiligte zu 2) die Mutter des ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung zwischen dem 00. und 00.00.2021 verstorbenen Erblassers A.

Auf Antrag des Beteiligten zu 1) vom 21.07.2021 und nach Anhörung der Beteiligten zu 2) erteilte das Amtsgericht – Nachlassgericht – Arnsberg unter dem 04.08.2021 einen Erbschein, nach dem der Erblasser von den Beteiligten je zu 1/2 beerbt worden ist.

Am 17.08.2021 erklärte der Beteiligte zu 1) in notariell beglaubigter Form die Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums gem. §§ 1954 Abs. 1, 119 Abs. 1 BGB mit der Begründung, im Zeitpunkt der Beantragung des Erbscheins sei er von wesentlich anderen Steuerfreibeträgen zu seinen Gunsten bzgl. der Erbschaft nach seinem Bruder ausgegangen. Der Notar reichte die Anfechtungserklärung am Folgetag bei dem Nachlassgericht ein und bat um Benachrichtigung, dass gegen die Beantragung eines neuen Erbscheins durch die Beteiligte zu 2) keine Bedenken bestünden.

Das Nachlassgericht legte dies als Antrag auf Einziehung des Erbscheins vom 04.08.2021 aus, den es mit Beschluss vom 14.09.2021 zurückwies. Zur Begründung ist ausgeführt, bei dem Irrtum über die Höhe der Erbschaftssteuer handele es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, so dass der richtige Erbschein nicht einzuziehen sei.

Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Beschwerde vom 20.09.2021. Er ist der Ansicht, ein Irrtum über die Rechtsfolgen der Annahme oder Anfechtung der Erbschaft sei ein beachtlicher Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB.

Mit Beschluss vom 24.09.2021 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die nach § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Nachlassgericht die sinngemäß beantragte Einziehung des Erbscheins vom 04.08.2021 abgelehnt, weil dieser nicht unrichtig im Sinne des § 2361 S. 1 BGB ist.

1.

Der Erbschein ist nicht durch die am 17.08.2021 erklärte Anfechtung der Erbschaftsannahme unrichtig geworden, denn ein Grund, der den Beteiligten zu 1) zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigen würde, liegt nicht vor, insbesondere befand sich der Beteiligte zu 1) am 21.07.2021 nicht in einem relevanten Rechtsfolgenirrtum.

Zwar kann ein Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1., 1. Alt. BGB auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt nach ständiger Rechtsprechung jedoch nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, Urteil vom 29.06.2016, IV ZR 387/15, NJW 2016, 2954 ff. m. w. N.).

Indem der Beteiligte zu 1) nach eigenen Angaben über die Höhe des zu seinen Gunsten greifenden Steuerfreibetrages zum einen nach dem Tod des Erblassers – seinem Bruder – als auch nach dem dereinstigen Ableben der Beteiligten zu 2) – seiner Mutter – irrte, irrte er nicht über den Eintritt wesentlich anderer Rechtsfolgen, sondern nur über die Höhe der ihn treffenden Erbschaftssteuer als einer mittelbaren Rechtswirkung. Er irrte nach den ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 21.10.2021 darüber, dass es für ihn steuerlich günstiger gewesen wäre, die Erbschaft nach seinem Bruder auszuschlagen, damit diese der gemeinsamen Mutter zufällt, um nach deren künftigen Tod als deren Alleinerbe deutlich höhere Steuerfreibeträge in Anspruch nehmen zu können. Ein solcher Irrtum über die günstigste steuerliche Gestaltung bei Annahme einer Erbschaft stellt jedoch keinen zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigenden relevanten Rechtsfolgenirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB dar (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.12.2019, 20 W 325/09, Rn. 9).

Mangels eines zur Anfechtung berechtigenden Grundes hat die Anfechtungserklärung nicht die Wirkung des § 1957 Abs. 1 BGB erzeugt, so dass der Beteiligte zu 1) weiter Miterbe seines Bruders zu 1/2 neben der Beteiligten zu 2) ist.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die hierfür nach § 70 Abs. 2 FamFG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GNotKG und den Angaben des Beteiligten zu 1) zur Höhe des Nachlasswertes in dem Wertermittlungsbogen vom 10.09.2021.

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