Skip to content

Erbschaftsausschlagung – Beginn der Ausschlagungsfrist bei abgerissenen Familienbanden

Erbschaft wirksam ausgeschlagen: Land Niedersachsen bleibt Erbe

In einem aktuellen Fall hat das OLG Celle entschieden, dass das Land Niedersachsen Erbe bleibt, da die Kinder des Erblassers die Erbschaft wirksam ausgeschlagen haben. Das Gericht bestätigte damit die rechtliche Einschätzung des Amtsgerichts.

Direkt zum Urteil: Az.: 6 W 188/21 springen.

Erbschaft fristgemäß ausgeschlagen

Die beteiligten Kinder des am 10. September 2020 verstorbenen Erblassers hatten die Erbschaft jeweils mit notarieller Erklärung ausgeschlagen. Beide gaben an, seit über 20 Jahren keinen Kontakt zum Erblasser gehabt und von seinem Tod erst durch das Schreiben der Stadt H. erfahren zu haben. Sie waren davon ausgegangen, dass es ein Testament gebe, in dem die Lebensgefährtin des Erblassers als Erbin eingesetzt worden sei. Das Gericht stellte fest, dass die Ausschlagungen fristgemäß erfolgten.

Keine Kenntnis vom Anfall und Berufungsgrund

Die sechswöchige Ausschlagungsfrist (§ 1944 Abs. 1 BGB) hatte nicht begonnen, da die beteiligten Kinder keine Kenntnis vom Anfall und dem Grunde der Berufung hatten. Die Abwesenheit eines Kontakts zum Erblasser seit über 20 Jahren und die Annahme eines Testaments, das die Lebensgefährtin als Erbin einsetzt, waren nicht unbegründet. Daher hatte die Ausschlagungsfrist noch nicht begonnen.

Benötigen Sie Hilfe in einem ähnlichen Fall? Jetzt Ersteinschätzung anfragen oder Beratungstermin vereinbaren: 02732 791079.


Das vorliegende Urteil

OLG Celle – Az.: 6 W 188/21 – Beschluss vom 07.02.2022

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Das Land Niedersachsen hat den Beteiligten zu 1 und 2 die notwendigen Aufwendungen des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe

Die Beschwerde, mit der das beteiligte Land sich gegen die Feststellung des Fiskuserbrechts wendet, ist unbegründet.

Der Senat kann nicht feststellen, dass andere Erben als das Land Niedersachsen vorhanden sind, nämlich die Beteiligten zu 1 und 2 als Kinder des am 10. September 2020 verstorbenen Erblassers. Die rechtliche Einschätzung des Amtsgerichts, dass die Beteiligten zu 1 und 2 die Erbschaft wirksam ausgeschlagen haben, ist zutreffend.

1.

Die Beteiligten zu 1 und 2 haben die Erbschaft mit am 17. Mai 2021 bzw. am 10. Juni 2021 bei dem Nachlassgericht eingegangener notarieller Erklärung jeweils ausgeschlagen (Bl. 6 ff. bzw. 16 ff. d. A.) und mit einer Anfechtungserklärung wegen Versäumung der Ausschlagungsfrist verbunden.

Beide haben u.a. vorgetragen, dass sie seit über 20 Jahren keinen Kontakt zum Erblasser gehabt und von seinem Tod erst durch das Schreiben der Stadt H. (vom 12. Oktober 2020, vgl. Anlage B1, Bl. 67 f. d. A.) erfahren haben. In der Folge sei ihnen bekannt geworden, dass der Erblasser eine Lebensgefährtin hatte, die die Beerdigung geregelt, deren Kosten übernommen und auch sonst den gesamten Nachlass abgewickelt habe. Sie seien davon ausgegangen, dass es ein Testament gebe, in dem die Lebensgefährtin als Erbin eingesetzt worden sei. Ob es tatsächlich ein Testament gebe, sei ihnen bis heute nicht bekannt.

a) Es ist nicht feststellbar, dass zum Zeitpunkt der Ausschlagungen die sechswöchige Ausschlagungsfrist (§ 1944 Abs. 1 BGB) bereits jeweils zu laufen begonnen hatte. Die Ausschlagungen sind daher fristgemäß erfolgt.

Gemäß § 1944 Abs. 2 BGB beginnt die Ausschlagungsfrist mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Kenntnis setzt ein zuverlässiges Erfahren der maßgeblichen Umstände voraus, aufgrund dessen ein Handeln erwartet werden kann. Ein Irrtum im Bereich der Tatsachen kann Kenntnis in diesem Sinne ebenso verhindern wie eine irrige rechtliche Beurteilung, wenn deren Gründe nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind (BGH, Urteil vom 05. Juli 2000 – IV ZR 180/99 -, juris, dort Rn. 9 m. w. N.). Im Fall gesetzlicher Erbfolge ist Kenntnis vom Berufungsgrund dann anzunehmen, wenn dem Erben die Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen und seiner subjektiven Sicht keine begründete Vermutung hat oder haben kann, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. Juni 2016 – 3 Wx 96/15 -, juris, Rn. 16 m. w. N.; OLG Rostock, Beschluss vom 14. September 2011 – 3 W 118/10 -, juris, Rn. 14). Abgerissene Familienbande können es aus Sicht des Erben nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Erblasser ihn durch letztwillige Verfügung ausschließen wollte und ausgeschlossen hat (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht a.a.O. ). So liegt der Fall hier. Aus dem nunmehr vorgelegten E-Mail-Verkehr zwischen den Beteiligten zu 1 und 2 und der Lebensgefährtin des Erblassers H. D. (Anlagen B2, B3 – Bl. 69 ff.) ist ersichtlich, dass die Lebensgefährtin sich auf eine „Bevollmächtigung bzw. Verfügung vom Amtsgericht“ berufen und die Beteiligten zu 1 und 2 gebeten hat, den letzten Willen des Erblassers erfüllen und an dem von ihm gewünschten Ort auf ihre Kosten die Beerdigung organisieren zu dürfen. Auch wenn weder von einem Testament noch von einer Erbenstellung der Lebensgefährtin die Rede ist, erscheint die Annahme der Beteiligten zu 1 und 2, dass die Frau, die seit 20 Jahren an der Seite des Erblassers war, von ihm als Erbin bedacht worden ist, nicht abwegig, zumal die Lebensgefährtin offensichtlich in rechtlicher Hinsicht in der Lage war, den Nachlass des Erblassers auch im Übrigen abzuwickeln. Auch das Schreiben der Stadt H. vom 12. Oktober 2020 (Anlage B1 – Bl. 67 f. d. A.) steht dem nicht entgegen. Denn das Schreiben richtete sich an die Beteiligten zu 1 und 2 nur als Angehörige aufgrund öffentlich-rechtlichen Bestattungsgesetzes; ein Verweis auf eine (mögliche) Stellung der Beteiligten zu 1 und 2 als gesetzliche Erben erfolgte in dem Schreiben nicht.

Bis zum Eingang der Ausschlagungserklärungen sind keine weiteren Umstände hinzugetreten, aufgrund derer sich den Beteiligten zu 1 und 2 hätte aufdrängen müssen, dass ein sie enterbendes Testament nicht vorliegt und sie gesetzliche Erben des Erblassers geworden sind.

b) Der Einwand des Beteiligten zu 3, dass mittels der Verwendung von Textbausteinen jeder Erbe zu jeder beliebigen Zeit die Erbschaft noch anfechten könnte, verfängt nicht. Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die Beteiligten zu 1 und 2 seit über 20 Jahren keinen Kontakt zu dem Erblasser hatten und eine Enterbung nicht unwahrscheinlich war und deswegen die Ausschlagungsfrist nicht zu laufen begonnen hatte.

Auf die Frage, ob die Beteiligten zu 1 und 2 von einer Bekannten am 29. April 2021 erfahren haben, dass sie einem Irrtum unterlegen sind, soweit sie davon ausgegangen sind, dass man ohne Testament und Erbschein gar nicht Erbe werden könne, und ob dieser Irrtum zur Anfechtung berechtigte, kommt es danach nicht mehr an.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Bei der Festsetzung des Beschwerdewerts hat der Senat sich an dem in den Ausschlagungserklärungen genannten Wert von 3.000 € orientiert.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Erbrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Erbrecht. Vom rechtssicheren Testament über den Pflichtteilsanspruch bis hin zur Erbausschlagung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Erbrecht einfach erklärt

Erbrechtliche Urteile und Beiträge

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!