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Erbschein – Feststellungslast für Zeugung vor Tod des Erblassers

OLG Köln – Az.: I-2 Wx 114/16 – Beschluss vom 04.07.2016

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2. vom 08.03.2016 wird der Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Bonn vom 23.02.2016 – 34 VI 300/11 – aufgehoben. Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3. vom 08.10./03.11.2014 wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten der ersten Instanz betreffend den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3) und die des Beschwerdeverfahrens hat die Beteiligte zu 3) zu tragen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Gründe

1.

Die Tochter der Erblasserin, Frau I, schlug am 27.01.2011 die Erbschaft aus jedem Berufungsgrunde aus (34 VI 70/11 AG Bonn).

Am 03.05.2011 erteilte das Amtsgericht einen gemeinschaftlichen Erbschein, der die Beteiligten zu 1) und 2) als Erben der Erblasserin zu je ½ Anteil ausweist (Bl. 14).

Die am 21.09.2011 als Tochter der Frau I geborene Beteiligte zu 3) hat mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 08.10.2014 die Einziehung des Erbscheins vom 03.05.2011 und die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der den Beteiligten zu 1) als Erben zu ½ Anteil sowie den Beteiligten zu 2) und sie selbst als Erben zu je ¼ Anteil ausweist (Bl. 44 ff.). Zur Begründung ist vorgebracht, die Beteiligte zu 3) sei bereits am 12./13.12.2010 gezeugt worden. Dem Antrag ist der Beteiligte zu 2) entgegengetreten (Bl. 56 ff.). Am 03.11.2014 hat die Mutter der Beteiligten zu 3) den Erbscheinsantrag vor dem Amtsgericht unter Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung wiederholt (Bl. 60 ff.).

Die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts hat nach Einholung eines gynäkologischen Gutachtens, zu dem der Beteiligte zu 2) umfänglich Stellung genommen hat, mit Beschluss vom 23.02.2016 die Tatsachen, die zur Begründung des von der Kindesmutter für die Beteiligte zu 3) gestellten Antrages erforderlich sind, für festgestellt erachtet, die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses ausgesetzt und die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses ausgesetzt (Bl. 222 ff.).

Gegen diesen ihm zu Händen seiner Verfahrensbevollmächtigten am 24.02.2016 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 2) mit per Telefax eingereichtem Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 08.03.2016, eingegangen per Fax bei dem Amtsgericht an diesem Tage, Beschwerde eingelegt, und diese begründet. Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit dem am 14.04.2016 erlassenen Beschluss vom 11.04.2016 nicht abgeholfen und die Sache zur Entscheidung dem Oberlandesgericht vorgelegt.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch mündliche Anhörung des Sachverständigen Dr. X; wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 01.06.2016 verwiesen.

2. Die Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere in rechter Form und Frist eingelegt worden.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Feststellungsbeschlusses und zur Ablehnung des Erbscheinsantrages der Beteiligten zu 3) vom 08.10./03.11.2014.

Die am 21.09.2011 geborene Beteiligte zu 3) ist nicht als Enkelin Miterbin nach der Erblasserin geworden, weil die Voraussetzungen des § 1923 Abs. 2 BGB nicht erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung gilt derjenige, der – wie die Beteiligte zu 3) – zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht lebte, als vor dem Erbfall geboren, wenn er zu diesem Zeitpunkt bereits gezeugt war. Als Zeitpunkt der Zeugung ist dabei die Einnistung des Eis in die Gebärmutter (Nidation) anzusehen (Palandt-Ellenberger, BGB, 75. Aufl. 2016, § 1 Rn. 8). Die Beweislast im Zivilprozess bzw. die Feststellungslast im Erbscheinsverfahren dafür, dass diese Voraussetzung spätestens im Zeitpunkt des Erbfalls vorlag, trägt das Kind, welches ein Erbrecht geltend macht (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 1923 Rn. 6). Im Streitfall kann nicht mit ausreichender Gewissheit zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, dass das Ei, aus dem die Beteiligte zu 3) hervorgegangen ist, im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin bereits in der Gebärmutter der Kindesmutter eingenistet war.

Der zunächst vom Amtsgericht und dann ergänzend vom Senat beauftragte Sachverständige Dr. X ist in seiner Anhörung vor dem Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass sich aus dem am 11.02.2011 bei der ersten Ultraschalluntersuchung festgestellten Schädelsteißmaß von 33,1 mm ergibt, dass die Einnistung im Zeitraum zwischen dem 18. und dem 26. Dezember 2010 erfolgt sein muss. Danach spricht mehr dafür, ist aber jedenfalls nicht mit hinreichender Gewissheit auszuschließen, dass die Einnistung erst nach dem Tod der in der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember 2010 verstorbenen Erblasserin stattfand. Auch aus dem bei der zweiten Ultraschalluntersuchung festgestellten Scheitelsteißmaß von 50,5 mm ergibt sich kein für die Beteiligte zu 3) günstiges Ergebnis; insoweit gelangt der Sachverständige zu einer Einnistung am 24. Dezember 2010.

Die Ausführungen des Sachverständigen in dem vorangegangenen schriftlichen Gutachten vom 01.10.2015 sind aus zwei unabhängig voneinander vorliegenden Gründen nicht geeignet, den Senat von einer Einnistung bis spätestens im Zeitpunkt des Erbfalls zu überzeugen. Zum einen ist die dem schriftlichen Gutachten zugrunde gelegte Methode, die in einer „Vorwärtsrechnung“ bezogen auf den Zeitpunkt der letzten Regelblutung bestand, nach den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Anhörung durch den Senat unsicherer als eine „Rückwärtsrechnung“ auf der Grundlage des Ultraschallbildes, das in Gestalt der Aufnahme vom 11.02.2011 dem Sachverständigen bei Fertigung des schriftlichen Gutachtens noch nicht vorlag. Hierdurch vermag der Senat den Feststellungen im schriftlichen Gutachten keine größere Überzeugungskraft beizumessen als den Angaben des Sachverständigen in der Anhörung. Zum anderen ergäbe sich auch bei Zugrundelegung der Feststellungen im schriftlichen Gutachten nicht mit ausreichender Gewissheit eine Einnistung vor der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember: Denn im Fazit des Gutachtens heißt es: „Eine Nidation beziehungsweise Einnistung der befruchteten Eizelle wird mit einer Abweichung von +/- 4 Tagen demzufolge zwischen dem 13.- 15.12.2010 stattgefunden haben.“ Bei der angegeben Unsicherheitsmarge von 4 Tagen ergäbe sich also als letzter Nidationstermin der 19. Dezember 2010, sodass auch insoweit eine Nidation erst nach dem Erbfall nicht auszuschließen wäre.

Die Stellungnahmen der Beteiligten zu 3) nach der Sachverständigenanhörung führen zu keinem ihr günstigeren Ergebnis.

Soweit sie mutmaßt, eine Begutachtung auf der Grundlage des Scheitelsteißmaßes sei mit Unsicherheiten befrachtet, vermag ihr dies nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn die Berechnungsmethode im schriftlichen Gutachten, auf welche sich die Beteiligte zu 3) beruft, bietet nach den Ausführungen des Sachverständigen in der Anhörung vor dem Senat keine größere Sicherheit; der Sachverständige hat – insoweit den Senat überzeugend – ausgeführt, dass eine Beurteilung auf der Grundlage des Ultraschallbildes richtiger sei. Zudem ist, wie oben bereits ausgeführt, die Feststellung des Nidationstermins im schriftlichen Gutachten mit einer „Abweichung von +/- 4 Tagen“ behaftet, sodass auch dann, wenn die Feststellungen im schriftlichen Gutachten und die ihm zugrunde gelegten Angaben der Kindesmutter als zutreffend unterstellt werden, eine Nidation vor dem Tod der Erblasserin sich auch hieraus nicht mit hinreichender Gewissheit ergibt.

Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens ist nicht veranlasst. Die von der Beteiligten zu 3) gegen den Sachverständigen erhobenen Vorwürfe wirken sich jedenfalls nicht in entscheidungserheblicher Weise aus. Soweit auf Angaben des Sachverständigen zum Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs abhebt, handelt es sich um ein im Rahmen des § 1923 Abs. 2 BGB unerhebliches Ereignis. Insoweit hat der Senat auch nicht zu beurteilen, ob die diesbezüglichen Angaben der Kindesmutter richtig sind. Soweit die Beteiligte zu 3) einen Widerspruch zwischen den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen in Bezug auf das Schwangerschaftsalter bei einer Scheitelsteißlänge von 33,1 mm und einer im schriftlichen Gutachten enthaltenen Tabelle ausmacht, ergibt sich nichts Günstigeres für sie: Denn nach den Angaben in der Tabelle, welche die Beteiligte zu 3) zitiert, soll ein Schwangerschaftsalter von 9+0 bis 10+6 vorliegen; angesichts eines unteren Wertes von nur 9+0 wäre also ein noch geringeres Schwangerschaftsalter als vom Sachverständigen in seiner Anhörung angegeben und damit eine noch spätere Nidation nicht auszuschließen. Auch der Vorwurf, der Sachverständige habe nicht erklären können, weshalb er die Scheitelsteißwerte aus der zweiten Ultraschalluntersuchung in seinem schriftlichen Gutachten nicht verwertet habe, führt nicht weiter: Denn auch aus dem bei der zweiten Untersuchung ermittelten Maß von 50,5 mm ist nach den Angaben des Sachverständigen in der mündlichen Anhörung keine Nidation vor dem Erbfall abzuleiten, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine Berücksichtigung im schriftlichen Gutachten zu einem für die Beteiligte zu 3) positiven Ergebnis geführt hätte. In entscheidungserheblicher Weise vermag sich daher auch nicht der von der Beteiligten zu 3) erhobene Vorwurf auszuwirken, wonach auf der Grundlage des Ultraschallbildes der zweiten Untersuchung der Nidationstermin sich um zwei Tage nach vorne – anstatt wie vom Sachverständigen angenommen nach hinten – verschiebe. Der Sachverständige gelangt durch eine Addition von zwei Tagen auf den 24. Dezember 2010, durch die von der Beteiligte zu 3) vertretene Subtraktion von zwei Tagen dagegen ergäbe sich ein Nidationstermin frühestens am 20. Dezember 2010, der indes auch nicht vor dem Erbfall läge.

Da es sich, wie ausgeführt, bei der im schriftlichen Gutachten herangezogenen, auf einer „Vorwärtsberechnung“ beruhenden Methode nicht um die genauere handelt, kann auch dahinstehen, ob die Angaben des Sachverständigen in der mündlichen Anhörung zu den Folgen eines unregelmäßigen Zyklus unverständlich sind, wie die Beteiligte zu 3) vorbringt.

Keiner Aufklärung durch einen Sachverständigen bedarf auch die aufgeworfene Frage, ob die vom Sachverständigen Dr. X angegebene Wahrscheinlichkeit von 95 % in Fachkreisen umstritten ist. Wäre nämlich die Wahrscheinlichkeit höher, wären die Angaben des Sachverständigen noch sicherer. Wäre sie dagegen geringer, folgte auch daraus nicht, dass das Gegenteil, nämlich eine Nidation vor dem Erbfall, mit genügender Gewissheit feststünde. Insoweit berücksichtigt die Beteiligte zu 3) nicht hinreichend die sie treffende Feststellungslast. Auch die Frage, ob es noch andere Kurven gibt, die man zur Berechnung des Schwangerschaftsalters auf der Grundlage des Schädelsteißmaßes gibt, bedarf keiner weiteren Begutachtung. Auch wenn es andere Kurven gibt, ist nichts dafür ersichtlich, dass die Verwendung der Hadlock-Kurve durch den Sachverständigen nicht mit der medizinischen Wissenschaft vereinbar ist; dies bringt auch die Beteiligte zu 3) nicht vor. Der Senat ist nicht gehalten, dem nicht näher konkretisierten Vortrag nachzugehen, ob es irgendeine Kurve gibt, aufgrund deren sich eine Nidation vor dem Erbfall errechnen ließe. Allein die von der Beteiligten zu 3) angeführte Angabe des Sachverständigen X, es gebe auch „andere Kurven“, gibt hierfür keinen Anhalt.

Zusammengenommen ist nicht festzustellen, dass die Nidation vor dem Erbfall stattgefunden hat. Dieses offene Beweisergebnis geht zu Lasten der Beteiligten zu 3), welche die Feststellungslast für die Voraussetzungen ihres Erbrechts trifft.

Der Antrag der Beteiligten zu 3) auf Einziehung des Erbscheins vom 03.05.2011 ist noch nicht vom Amtsgericht beschieden worden und nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

Die vom Senat getroffenen Kostenentscheidungen beruhen auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG.

Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens: 52.362,06 EUR

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