Ein Sohn sollte laut gemeinschaftlichem Testament das wertvolle Familienhaus erben. Seine drei Geschwister stellten trotzdem einen Antrag auf einen Erbschein für Miterben trotz Haus-Zuwendung an ein Kind. Die Zuwendung des Hauptvermögensgegenstandes warf eine komplexe juristische Frage auf, die den bestellten Testamentsvollstrecker das Amt ablehnen ließ.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was ist der genaue Unterschied zwischen einer Teilungsanordnung und einem Vorausvermächtnis?
- Die juristische Logik hinter der Anrechnung
- Ein passender Vergleich ist der Kuchen
- Ihr handlungsorientierter Ratschlag
- Wann macht die Zuwendung des gesamten Vermögens einen Miterben zum Alleinerben?
- Wie erzwinge ich meine Ausgleichszahlung, wenn der Miterbe das Haus behalten will?
- Kann ich als Miterbe die Teilungsversteigerung des Hauses verlangen, um mein Viertel zu erhalten?
- Welche Schritte muss die Erbengemeinschaft nach dem Entfallen der Testamentsvollstreckung selbst übernehmen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 10 W 102/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Hamm
- Datum: 03.02.2025
- Aktenzeichen: 10 W 102/24
- Verfahren: Erbscheinsverfahren
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Testamentsauslegung, Testamentsvollstreckung
- Das Problem: Vier Geschwister stritten darüber, wie das gemeinschaftliche Testament der Eltern auszulegen ist. Ein Kind forderte den Alleinerbschein, weil ihm das elterliche Haus zugewandt wurde. Die übrigen Kinder sahen sich alle als Miterben zu gleichen Teilen.
- Die Rechtsfrage: Gelten alle vier Kinder als gleichberechtigte Erben, wenn das Haus demjenigen Kind zugewiesen wurde, das es bewohnen wollte? Musste das Gericht einen neuen Testamentsvollstrecker bestimmen, weil der ursprünglich Benannte das Amt abgelehnt hatte?
- Die Antwort: Ja, alle vier Kinder sind Miterben zu je 1/4. Das Gericht entschied, dass die Zuweisung des Hauses an nur ein Kind lediglich eine spezifische Anweisung, also ein Vermächtnis war. Das Gericht muss keinen Ersatz-Testamentsvollstrecker ernennen, weil das Testament dies nicht ausdrücklich verlangt.
- Die Bedeutung: Der klare Wortlaut eines Testaments, der alle Kinder als Erben benennt, wiegt schwerer als die Zuwendung eines wertvollen Einzelgegenstands. Eine Testamentsvollstreckung entfällt, wenn der Benannte ablehnt und der Erblasser keinen gerichtlichen Ersatz wünschte.
Der Fall vor Gericht
Wer erbt, wenn das Testament das Haus nur einem Kind zuspricht?
Ein Ehepaar verfasst ein Testament, das auf den ersten Blick einfach scheint: „Erben des Letztverstorbenen sind unsere gemeinsamen Kinder.“ Vier an der Zahl. Ein klarer Satz. Doch wenige Zeilen später vermachen die Eltern das Familienhaus einem einzigen Sohn, falls dieser dort mit seiner Familie einziehen möchte.

Diese eine Klausel zündete einen erbitterten Streit unter den Geschwistern. Sie zwang das Oberlandesgericht Hamm zu einer fundamentalen Entscheidung: Wann ist ein Geschenk nur ein Geschenk – und wann macht es den Beschenkten heimlich zum König über das gesamte Erbe?
Wie löste das Gericht diesen scheinbaren Widerspruch auf?
Der Fall landete vor dem Senat für Familiensachen, nachdem die Geschwister mit gegensätzlichen Anträgen gescheitert waren. Eine Schwester beantragte einen Erbschein, der alle vier Kinder als Miterben zu je einem Viertel ausweist. Ein Bruder konterte mit dem Antrag, ihn als alleinigen Vorerben einzusetzen. Seine Logik: Das Haus sei der wertvollste Teil des Nachlasses. Wer das Haus bekomme, sei als Haupterbe gedacht. Die Eltern hätten mit dieser Regelung eine zerstrittene Erbengemeinschaft verhindern wollen.
Das Gericht musste den wahren Willen der Eltern ergründen, wie es § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vorschreibt. Die Richter sezierten das Testament Ziffer für Ziffer. Ihre Analyse offenbarte eine klare Systematik. Ganz am Anfang, in Ziffer 2, stand die unmissverständliche Einsetzung aller vier Kinder zu Erben. Erst danach, in den Ziffern 3 bis 6, listeten die Eltern einzelne Vermögenswerte wie das Haus oder Ackerland auf und wiesen sie bestimmten Kindern zu.
Dieser Aufbau war für das Gericht kein Zufall. Er spiegelte eine bewusste Entscheidung wider. Die Eltern wollten alle Kinder zu gleichberechtigten Rechtsnachfolgern machen. Die Zuwendung des Hauses war nicht die Einsetzung eines Alleinerben, sondern eine Teilungsanordnung – im Juristendeutsch ein Vorausvermächtnis. Das Gericht stützte diese Sicht auf eine wichtige Auslegungsregel im Erbrecht. Der Paragraph § 2087 Abs. 2 BGB legt fest, dass im Zweifel nicht davon auszugehen ist, dass jemand Erbe wird, dem nur einzelne Gegenstände zugewiesen werden. Genau das war hier der Fall. Weitere Klauseln im Testament zementierten diesen Befund. Der Sohn, der das Haus bekommen sollte, musste seinen Schwestern hohe Ausgleichszahlungen in D-Mark leisten. Der „übrige Nachlass“ sollte wertmäßig gleichmäßig verteilt werden. Selbst für den Fall einer späteren Hausveräußerung gab es Ausgleichsregeln. All das sprach eine deutliche Sprache: Es ging den Eltern um eine faire Balance, nicht um die Bevorzugung eines Kindes. Die Argumentation des Bruders, die Zuwendung des Hauptvermögens mache ihn zum Alleinerben, wurde damit pulverisiert.
Was geschah mit der angeordneten Testamentsvollstreckung?
Das Testament enthielt eine weitere Komplikation. Der Sohn, der das Haus übernehmen sollte, war in Ziffer 8 auch zum Testamentsvollstrecker ernannt worden. Seine Aufgabe wäre es gewesen, den letzten Willen der Eltern umzusetzen. Doch dieser Sohn lehnte das Amt offiziell ab. Das Nachlassgericht in der ersten Instanz stolperte über diesen Punkt. Es glaubte, die Eltern hätten gewollt, dass die Abwicklung des Erbes in jedem Fall von einem Testamentsvollstrecker überwacht wird. Da der benannte Sohn ausfiel, müsse das Gericht einen Ersatz ernennen. Aus diesem Grund verweigerte es zunächst die Ausstellung eines Erbscheins.
Das Oberlandesgericht Hamm sah das komplett anders. Es stellte klar: Ein Gericht darf nur dann von sich aus einen neuen Testamentsvollstrecker ernennen, wenn das Testament ein entsprechendes Ersuchen des Erblassers enthält (§ 2200 Abs. 1 BGB). Ein solches Ersuchen muss nicht wörtlich dastehen, aber der Wille muss durch Auslegung erkennbar sein. Im vorliegenden Testament fanden die Richter dafür keinerlei Anhaltspunkte. Die Eltern hatten ganz gezielt und namentlich einen ihrer Söhne benannt. Das deutete auf ein persönliches Vertrauensverhältnis hin – nicht auf den Wunsch, im Zweifel einen Fremden mit der Aufgabe zu betrauen. Die Richter prüften weiter, ob die Aufgaben im Testament so komplex waren, dass sie zwingend einen externen Abwickler erforderten. Das Ergebnis war negativ. Die Anordnungen – Grundbuchumschreibungen, klar bezifferte Ausgleichszahlungen – waren für die Erben ohne Weiteres selbst zu bewältigen.
Warum wurde der Erbschein am Ende wie beantragt erteilt?
Die Entscheidung des Gerichts war eine Kette logischer Schlussfolgerungen.
Erstens: Alle vier Kinder sind Erben zu gleichen Teilen.
Zweitens: Der als Testamentsvollstrecker vorgesehene Sohn hat das Amt wirksam abgelehnt.
Drittens: Das Testament enthält keinen Willen der Eltern, dass das Gericht einen Ersatz bestellen soll.
Im Klartext bedeutet das: Es gab schlicht keine Testamentsvollstreckung mehr.
Damit war der Weg frei für den Antrag der Schwester. Das Oberlandesgericht Hamm wies das Nachlassgericht an, einen gemeinschaftlichen Erbschein auszustellen. Dieser weist die vier Geschwister als Miterben zu je einem Viertel aus – ohne jeden einschränkenden Vermerk über eine Testamentsvollstreckung. Die Beschwerde des Bruders, der Alleinerbe werden wollte, wurde zurückgewiesen. Er musste die Kosten des Verfahrens tragen.
Die Urteilslogik
Gerichte legen den wahren Willen der Erblasser fest, indem sie die systematische Struktur eines Testaments über die emotionale Gewichtung einzelner Vermögenswerte stellen.
- Zuwendung großer Vermögenswerte definiert nicht den Haupterben: Wer durch Testament nur einzelne Gegenstände zugewiesen bekommt, selbst wenn diese den Hauptwert des Nachlasses darstellen, erbt im Zweifel nicht allein, sondern ist Miterbe oder Vermächtnisnehmer.
- Ersatz-Testamentsvollstrecker benötigen ausdrückliches Ersuchen: Das Nachlassgericht bestellt keinen Ersatz für einen abgelehnten Testamentsvollstrecker, wenn der Erblasser diesen aufgrund persönlichen Vertrauens und ohne zwingenden allgemeinen Überwachungsbedarf namentlich benannt hat.
- Die Systematik des Testaments klärt den wahren Willen: Die bewusste Anordnung einer allgemeinen Erbeinsetzung vor den konkreten Einzelzuwendungen untermauert das Ziel der Gleichbehandlung aller eingesetzten Miterben.
Die strikte Einhaltung der Auslegungsregeln verhindert, dass eine Einzelzuwendung die primäre Absicht der gleichmäßigen Erbeinsetzung konterkariert.
Benötigen Sie Hilfe?
Führt die Zuweisung des Hauses im Testament bei Ihnen auch zu Streitigkeiten über die Erbquoten? Lassen Sie die spezifischen Formulierungen Ihres Testaments durch eine unverbindliche Ersteinschätzung prüfen.
Experten Kommentar
Viele Testamentserrichter denken, eine einmal eingesetzte Testamentsvollstreckung sei für die Abwicklung des Nachlasses zwingend und in Stein gemeißelt. Dieses Urteil zieht eine klare rote Linie: Wurde nur eine konkrete, vertraute Person namentlich benannt, ohne ein explizites Ersuchen zur Ersatzbestellung, dann ist das Amt mit der Ablehnung der benannten Person erledigt. Die praktische Konsequenz ist enorm, denn das Nachlassgericht darf keinen Ersatz suchen, wenn kein expliziter Wille dazu vorliegt, und der Testamentsvollstrecker-Vermerk verschwindet aus dem Erbschein. Wer die Abwicklung seines Erbes auf jeden Fall durch einen externen Dritten gesichert sehen will, muss diesen institutionellen Wunsch zwingend und unmissverständlich im Testament festhalten.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist der genaue Unterschied zwischen einer Teilungsanordnung und einem Vorausvermächtnis?
Die Unterscheidung ist für Erben essenziell, da sie über die tatsächliche Höhe des Erbes entscheidet. Ein Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) stellt eine echte Begünstigung dar: Der Erbe erhält den zugewiesenen Gegenstand zusätzlich zu seinem regulären Anteil. Die Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) hingegen regelt lediglich, wie der Nachlass unter den Miterben aufgeteilt wird; der Wert des zugewiesenen Gegenstands wird voll auf den Erbteil angerechnet, um die wertmäßige Gleichheit unter den Miterben zu wahren.
Die juristische Logik hinter der Anrechnung
Juristen nennen den Unterschied die Frage der Anrechnung. Bei einer Teilungsanordnung erhält der Erbe zwar das spezifische Objekt, beispielsweise das Familienhaus. Trotzdem muss der Wert dieses Hauses zwingend in die Gesamtmasse der Erbteilung eingerechnet werden. Dies führt in den allermeisten Fällen zu Ausgleichszahlungen an die anderen Miterben. Ziel ist es sicherzustellen, dass am Ende alle Erben ihren rechnerisch gleichen Anteil am Gesamtwert erhalten.
Dagegen führt das Vorausvermächtnis zu einer klaren Bevorzugung des bedachten Erben. Der Begünstigte erhält den vollen Wert seines Erbteils aus dem Restnachlass und zusätzlich den vermachten Gegenstand. Das Testament muss diesen Willen zur Bevorzugung eindeutig klarstellen, da die meisten Erblasser primär Wert auf Ausgewogenheit legen. Gerichte müssen daher den Gesamtwillen der Erblasser ergründen, besonders wenn — wie im Fall des OLG Hamm — die Begriffe fälschlicherweise synonym verwendet werden.
Ein passender Vergleich ist der Kuchen
Denken Sie an die Aufteilung eines Kuchens unter vier Personen. Wenn die Teilungsanordnung besagt, Person A erhält das Stück mit der Kirsche, dann ist die Kirsche Teil ihres Viertels, und die anderen Stücke müssen entsprechend kleiner geschnitten werden, um das Gleichgewicht zu halten. Lautet die Anordnung aber als Vorausvermächtnis, erhält Person A zusätzlich zu ihrem Viertel die Kirsche als Extra-Geschenk, ohne dass ihr Kuchenstück kleiner wird.
Ihr handlungsorientierter Ratschlag
Suchen Sie in der Klausel, die Ihnen einen bestimmten Gegenstand zuweist, nach Formulierungen wie „unter Anrechnung auf seinen Erbteil“ oder nach einer expliziten Pflicht zu Ausgleichszahlungen. Solche Anordnungen sind fast immer ein sicheres Indiz dafür, dass der Erblasser eine wertmäßige Gleichheit schaffen wollte. Das identifiziert die Regelung als Teilungsanordnung, selbst wenn das Testament fälschlicherweise das Wort „Vorausvermächtnis“ verwendet.
Wann macht die Zuwendung des gesamten Vermögens einen Miterben zum Alleinerben?
Die Zuwendung eines einzelnen, selbst des wertvollsten Vermögenswerts (wie das Haus), macht den Begünstigten nicht automatisch zum Alleinerben. Die zentrale Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB besagt, dass solche Anordnungen im Zweifel nur als Vermächtnis oder Teilungsanordnung gelten, solange keine klaren Indizien für den Alleinerbenwillen des Erblassers vorliegen. Nur wenn der Erblasser den Begünstigten explizit als seinen universellen Rechtsnachfolger einsetzen wollte, kippt diese gesetzliche Vermutung.
Der Grund für diese strenge Hürde liegt in der juristischen Unterscheidung zwischen einem Erben und einem Vermächtnisnehmer. Juristen nennen das die Auslegung des Testaments nach dem tatsächlichen Willen des Erblassers (§ 133 BGB). Richter müssen die Systematik des gesamten Dokuments prüfen. Wurden anfangs alle Kinder gleichberechtigt als Erben eingesetzt, hat diese formale Einsetzung Vorrang.
Einzelzuweisungen, die später im Text folgen, dienen dann primär der praktischen Abwicklung der Erbengemeinschaft, nicht der Neubestimmung der Erbquoten. Enthält das Testament zudem konkrete Mechanismen zur Schaffung von Wertgleichheit, etwa die Pflicht zu hohen Ausgleichszahlungen an die Miterben, widerlegt dies die Absicht der Alleinerbschaft vollständig. Solche Anordnungen zeigen, dass der Erblasser eine faire Balance zwischen allen Nachfolgern wünschte, und keine Bevorzugung.
Denken Sie an die Situation eines Unternehmens, das eine Schatzkarte verteilt. Die primäre Zusage (Erbeneinsetzung) garantiert jedem Miterben einen gleichen Anteil am Gesamtgewinn (dem Nachlasswert). Dass einer von ihnen später angewiesen wird, das Hauptgebäude (das Haus) für die Gemeinschaft zu verwalten, bedeutet nicht, dass er nun 100 % des Gewinns erhält. Er ist nur der Verwalter eines bestimmten Postens und muss den Wert den anderen auszahlen.
Suchen Sie unbedingt nach der Reihenfolge der Klauseln im Testament. Befindet sich die klare Erbeneinsetzung aller Kinder (z.B. „Meine Kinder erben zu gleichen Teilen“) vor der spezifischen Zuweisung des Hauses, markieren Sie diesen Passus als Ihr wichtigstes Beweisstück. Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass die Eltern nur eine Teilungsanordnung treffen wollten.
Wie erzwinge ich meine Ausgleichszahlung, wenn der Miterbe das Haus behalten will?
Die Ausgleichszahlung, die aus einer Teilungsanordnung resultiert, ist ein direkter, gesetzlich geschuldeter Erfüllungsanspruch der Miterben untereinander. Sie wird sofort mit dem Erbfall fällig, sofern das Testament keine abweichende Frist festlegt. Verweigert der Miterbe, der den Vermögenswert (wie das Haus) erhalten hat, die Zahlung, müssen Sie diese Forderung mithilfe einer Leistungsklage vor dem zuständigen Zivilgericht durchsetzen.
Juristen betrachten Ihre Forderung nicht als eine Bittstellung, sondern als einen klaren Schuldanspruch, der im letzten Willen des Erblassers fixiert wurde. Dieser Anspruch ist oft die zwingende Konsequenz der Zuweisung eines höherwertigen Nachlassgegenstandes an einen einzelnen Erben, um die im Testament gewünschte wertmäßige Gleichheit herzustellen. Das deutsche Erbrecht kennt hier keinen Aufschub ohne triftigen Grund. Deshalb tritt die Fälligkeit des Betrags grundsätzlich unmittelbar mit dem Tod des Erblassers ein. Der Miterbe kann das Haus zwar behalten, muss aber die damit verbundene Last – die Auszahlung der anderen Miterben – sofort tragen. Die einzige Möglichkeit, diesen Anspruch gerichtlich durchzusetzen, ist die Erhebung einer Leistungsklage, um einen vollstreckbaren Titel zu erwirken.
Ein passender Vergleich ist der Kauf eines Autos auf Kredit. Sie erhalten zwar sofort den Schlüssel und das Eigentum, aber Ihre Verpflichtung, die Raten zu zahlen, ist bindend und einklagbar. Genauso verhält es sich mit der Immobilie im Erbfall: Der Miterbe, der das Haus erhält, übernimmt automatisch die Schuld gegenüber der Erbengemeinschaft, deren Liquidierung durch die Ausgleichszahlung erfolgt.
Bevor Sie den teuren Weg zum Gericht wählen, müssen Sie den Miterben formal in Verzug setzen. Senden Sie dem zahlungspflichtigen Miterben ein Einwurfeinschreiben. Setzen Sie ihm eine klare und angemessene letzte Frist zur Überweisung (zum Beispiel 14 Tage). Machen Sie deutlich, dass nach Ablauf dieser Frist nicht nur die Klage eingereicht wird, sondern auch automatisch Verzugszinsen fällig werden. Das schafft rechtliche Klarheit und erhöht den Druck.
Kann ich als Miterbe die Teilungsversteigerung des Hauses verlangen, um mein Viertel zu erhalten?
Nein. Wenn das Testament eine wirksame Teilungsanordnung enthält, die das Haus einem bestimmten Miterben zuweist, ist die Teilungsversteigerung des Hauses (§ 180 ZVG) grundsätzlich ausgeschlossen. Diese Anordnung bindet die Erbengemeinschaft zwingend an die vom Erblasser vorgegebene Aufteilungsweise. Ihr Recht liegt dann nicht in der Zerschlagung des Vermögenswerts, sondern im direkten Erfüllungsanspruch auf die fällige Ausgleichszahlung.
Juristen nennen die Teilungsanordnung nach § 2048 BGB eine zwingende Vorgabe zur Nachlassauseinandersetzung. Diese Anweisung des Erblassers hat Vorrang vor dem allgemeinen Recht der Miterben, die Gemeinschaft durch Versteigerung aufzulösen (§ 2042 BGB). Im Klartext bedeutet das: Solange die Anordnung durchführbar ist, sind Sie als Miterbe daran gebunden, die Immobilie dem designierten Übernehmer zu überlassen. Sie müssen den im Testament festgelegten Ausgleichsanspruch verfolgen, nicht versuchen, das Haus selbst zu liquidieren. Das Gericht geht davon aus, dass der Erblasser gerade die Versteigerung verhindern wollte, indem er eine klare Zuweisungsregel schuf.
Ein passender Vergleich ist der eines Auftrags zur Herstellung eines spezifischen Produkts. Die Erbengemeinschaft hat die vertragliche Zusage, den letzten Willen genau so umzusetzen, wie er formuliert wurde. Man kann nicht einfach die Bedingung (Hausübergabe gegen Geld) ignorieren und stattdessen die rohen Materialien auf den Markt werfen, nur weil die Liquidität des Miterben stockt. Die Hauptpflicht der Erbengemeinschaft ist die Erfüllung der Anweisung, nicht ihre willkürliche Änderung.
Prüfen Sie sofort sorgfältig, ob der begünstigte Miterbe nachweislich zahlungsunfähig ist. Nur wenn die Erfüllung der Teilungsanordnung unmöglich wird – beispielsweise weil der Übernehmer die notwendigen Ausgleichszahlungen dauerhaft und beweisbar nicht aufbringen kann – kann die Bindungswirkung der Anordnung entfallen. In diesem extrem seltenen Fall könnte der Weg zur Teilungsversteigerung wieder frei werden. Solange jedoch eine Zahlung möglich ist, müssen Sie Ihre Forderung zivilrechtlich einklagen, um den fälligen Ausgleich zu erzwingen.
Welche Schritte muss die Erbengemeinschaft nach dem Entfallen der Testamentsvollstreckung selbst übernehmen?
Nach dem Wegfall des Testamentsvollstreckers muss die Erbengemeinschaft die Nachlassabwicklung komplett selbst in die Hand nehmen. Dies erfordert Einstimmigkeit bei allen wesentlichen Schritten. Die Erben sind nun unmittelbar für die Umsetzung der testamentarischen Anordnungen verantwortlich, insbesondere für die Umschreibung des Immobilieneigentums und die Koordination der Ausgleichszahlungen. Jeder Miterbe kann im Prinzip nur zusammen mit den anderen handeln, um die Teilung rechtssicher abzuschließen.
Die Regel lautet: Die Erbengemeinschaft ist eine sogenannte Gesamthandsgemeinschaft. Juristen nennen das die gemeinschaftliche Bindung. Das bedeutet, dass die Miterben gemäß § 2038 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den Nachlass nur gemeinsam verwalten können. Sobald der Testamentsvollstrecker wegfällt, müssen die Erben die Lücke füllen. Jeder Einzelne ist am Vermögen beteiligt, kann aber über seinen Anteil am Nachlass insgesamt nicht allein verfügen.
Konkret heißt das: Alle wichtigen Maßnahmen, wie der Verkauf von Vermögenswerten oder die Durchführung der vom Erblasser gewünschten Teilungsanordnung, verlangen die aktive Zustimmung aller Miterben. Im vorliegenden Fall ist die Aufgabe klar definiert: Die Erben müssen gemeinsam zum Notar gehen, um die Grundbuchumschreibung des Hauses auf den begünstigten Miterben zu veranlassen. Auch die im Testament bezifferten Ausgleichszahlungen müssen koordiniert und juristisch korrekt abgewickelt werden.
Denken Sie an die Situation eines Ruderbootes: Wenn der Steuermann (der Testamentsvollstrecker) von Bord geht, sitzen vier Ruderer (die Erben) drin. Obwohl jeder kräftig rudern kann, kommen sie nur dann effektiv und in die richtige Richtung voran, wenn sie im absolut gleichen Takt und mit derselben Zielvorstellung handeln. Eine Blockade eines einzigen Ruderers führt sofort zum Stillstand oder zur Kreisbewegung.
Schaffen Sie sofort Transparenz und Dokumentation. Erstellen Sie ein formelles, internes Protokoll, in dem alle Miterben die nächsten notwendigen Schritte schriftlich festhalten. Definieren Sie klare Fristen für die Zahlung der Ausgleichssummen und den Termin für den Notar. Durch das Festhalten dieser Punkte können Sie später leichter den Verzug des zahlungspflichtigen Miterben nachweisen und somit den Druck aufbauen, um die Abwicklung endlich abzuschließen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Erbengemeinschaft
Juristen nennen die zwangsweise Gesamthandsgemeinschaft aller Miterben nach dem Erbfall eine Erbengemeinschaft. Die Erbengemeinschaft entsteht automatisch, wenn mehrere Personen zu Erben berufen werden und ist primär auf die gemeinschaftliche Verwaltung und Teilung des Nachlasses ausgerichtet. Der Zweck der Erbengemeinschaft besteht darin, das Vermögen des Erblassers gemeinschaftlich zu sichern und es dann entsprechend der Erbquoten und testamentarischen Anweisungen auseinanderzusetzen.
Beispiel: Im vorliegenden Fall bildeten die vier Geschwister eine Erbengemeinschaft zu je einem Viertel, da das Testament sie alle als gleichberechtigte Miterben eingesetzt hatte.
Leistungsklage
Eine Leistungsklage ist das gerichtliche Werkzeug, mit dem ein Gläubiger von einem Schuldner die Erfüllung einer konkreten Forderung – in der Regel die Zahlung einer Geldsumme – erzwingen kann. Diese Klageart dient dazu, einen vollstreckbaren Titel zu erwirken, falls der Schuldner seiner vertraglichen oder gesetzlichen Pflicht nicht freiwillig nachkommt. Das Gesetz stellt durch die Leistungsklage sicher, dass berechtigte finanzielle Ansprüche, die aus dem Testament resultieren, effektiv durchgesetzt werden können.
Beispiel: Verweigerte der das Haus übernehmende Bruder die Zahlung der Ausgleichssumme, müsste die Schwester eine Leistungsklage erheben, um ihren fälligen Erfüllungsanspruch gerichtlich geltend zu machen.
Nachlassabwicklung
Die Nachlassabwicklung umfasst alle notwendigen Schritte, um den Nachlass eines Verstorbenen zu verwalten, die Schulden zu begleichen und das verbleibende Vermögen unter den Erben aufzuteilen. Ohne einen bestellten Testamentsvollstrecker müssen die Miterben diese umfassenden Aufgaben, von der Grundbuchumschreibung bis zur Koordination der Ausgleichszahlungen, selbst und einstimmig übernehmen. Das Ziel der Nachlassabwicklung ist es, die Erbengemeinschaft formal aufzulösen und jedem Erben seinen endgültigen Anteil zukommen zu lassen.
Beispiel: Nachdem der Testamentsvollstrecker sein Amt ablehnte, mussten die vier Miterben die gesamte Nachlassabwicklung des Familienvermögens, einschließlich der Umschreibung der Immobilie, selbst in die Hand nehmen.
Teilungsanordnung
Die Teilungsanordnung nach § 2048 BGB ist eine Anweisung des Erblassers an seine Erben, die festlegt, wie ein bestimmter Nachlassgegenstand auf den Erbteil angerechnet und unter den Miterben verteilt werden soll. Mit diesem juristischen Instrument wird die wertmäßige Gleichheit unter den Erben gewahrt, denn der Wert des zugewiesenen Objekts muss dem Empfänger auf seine Quote angerechnet werden. Das Gesetz ermöglicht dem Erblasser durch die Teilungsanordnung, einen Streit über die Aufteilung spezifischer Objekte (wie einer Immobilie) innerhalb der Erbengemeinschaft zu verhindern.
Beispiel: Die Zuwendung des Familienhauses an den Sohn galt juristisch als Teilungsanordnung, weil er seinen Schwestern hohe Ausgleichszahlungen leisten musste, wodurch die Gleichheit der Erbteile gewahrt blieb.
Teilungsversteigerung
Hierbei handelt es sich um ein spezielles Zwangsversteigerungsverfahren, das ein Miterbe beantragen kann, um das gemeinschaftliche Eigentum der Erbengemeinschaft, wie eine Immobilie, zu Geld zu machen, wenn sich die Miterben nicht über den Verkauf einigen können. Die Teilungsversteigerung dient dazu, unbewegliche Gegenstände (Grundstücke, Häuser) liquidierbar zu machen, damit der Erlös anschließend entsprechend den Erbquoten aufgeteilt werden kann. Ist im Testament allerdings eine wirksame Teilungsanordnung enthalten, ist dieses Recht zur Teilungsversteigerung im Regelfall ausgeschlossen.
Beispiel: Da die Eltern eine klare Teilungsanordnung formuliert hatten, konnten die Schwestern keine Teilungsversteigerung des Familienhauses verlangen, um ihren Erbteil zu erhalten.
Testamentsvollstrecker
Ein Testamentsvollstrecker ist eine im letzten Willen benannte Person, die die Aufgabe hat, die letztwilligen Verfügungen des Erblassers nach seinem Tod umzusetzen und den Nachlass bis zur endgültigen Verteilung zu verwalten. Diese Position wird geschaffen, um die Erben zu entlasten und sicherzustellen, dass der Wille des Verstorbenen ohne Streitigkeiten ausgeführt wird, insbesondere wenn der Erblasser komplexe Anweisungen oder Vermächtnisse hinterlässt. Lehnt der benannte Testamentsvollstrecker das Amt ab und sieht das Testament keine Ersatzbestellung durch das Gericht vor, entfällt die Vollstreckung vollständig.
Beispiel: Im vorliegenden Fall lehnte der als Testamentsvollstrecker eingesetzte Sohn das Amt offiziell ab, was dazu führte, dass die Erbengemeinschaft die Nachlassabwicklung selbst übernehmen musste.
Vorausvermächtnis
Ein Vorausvermächtnis nach § 2150 BGB ist eine testamentarische Zuwendung an einen Erben, die dieser zusätzlich zu seinem regulären Erbteil erhält, wodurch er gegenüber den anderen Erben begünstigt wird. Im Gegensatz zur Teilungsanordnung wird der Wert des vermachten Gegenstands dem Erbteil des Begünstigten nicht angerechnet, was eine echte Bevorzugung darstellt. Der Erblasser muss durch klare Formulierungen im Testament seinen Willen zur Bevorzugung eindeutig dokumentieren, da die gesetzliche Auslegungsregel bei Zweifel eher von einer Gleichbehandlung ausgeht.
Beispiel: Die Richter mussten prüfen, ob die Zuweisung des Hauses ein Vorausvermächtnis war oder lediglich eine Teilungsanordnung, welche die im Testament angeordnete wertmäßige Gleichheit wahren sollte.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Hamm – Az.: 10 W 102/24 – Beschluss vom 03.02.2025
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Dr. jur. Christian Gerd Kotz ist Notar in Kreuztal und seit 2003 Rechtsanwalt. Als versierter Erbrechtsexperte gestaltet er Testamente, Erbverträge und begleitet Erbstreitigkeiten. Zwei Fachanwaltschaften in Verkehrs‑ und Versicherungsrecht runden sein Profil ab – praxisnah, durchsetzungsstark und bundesweit für Mandanten im Einsatz.
