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Erbschein – Schließung einer Regelungslücke mittels ergänzender Testamentsauslegung

KG Berlin – Az.: 6 W 58/19 – Beschluss vom 17.01.2020

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1.-3. vom 05.12.2019 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lichtenberg – Nachlassgericht – vom 05.11.2019 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1.–3. sind die Kinder der im April 2010 vorverstorbenen Schwester des Erblassers U… L… . Die bereits im Jahr 2003 verstorbene Mutter des Beteiligten zu 5. war eine Schwester der Beteiligten zu 1.–3., die Mutter der Beteiligten zu 4. war eine Halbschwester des Erblassers.

Der am 15.12.2018 verstorbene Erblasser war kinderlos und verwitwet. Er hat zwei letztwillige Verfügungen hinterlassen, ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Testament vom 10.02.2009, mit dem er seine Schwester U… zu seiner Alleinerbin bestimmt hat, und ein eigenhändig geschriebenes, aber nicht unterschriebenes Testament vom 10.06.2018, mit dem er die Beteiligten zu 1.–3. zu gleichen Teilen zu seinen Erben eingesetzt hat.

Mit Erbscheinverhandlung vom 28.05.2019 haben die Beteiligten zu 1.–3. beantragt, ihnen einen Erbschein zu erteilen, der sie als Erben je zu einem Drittel ausweist. Die Beteiligten zu 4. und 5. sind dem entgegengetreten.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 05.11.2019 den Erbscheinsantrag der Beteiligten 1.–3. zurückgewiesen mit der Begründung, das Testament vom 10.02.2009 sei dahingehend auszulegen, dass es auch eine Ersatzerbenanordnung zu Gunsten der Abkömmlinge der Schwester U… enthalte, zu denen aber auch der Beteiligte zu 5. gehöre.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1.–3., der das Nachlassgericht mit Beschluss vom 12.12.2019 nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1.–3. ist gemäß §§ 58 ff FamFG zulässig, sie ist insbesondere form– und fristgerecht (§§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 2 FamFG) eingelegt worden.

In der Sache bleibt die Beschwerde jedoch ohne Erfolg, denn das Nachlassgericht hat den Antrag der Beschwerdeführer auf Erlass eines Erbscheines, der sie als Erben zu je einem Drittel ausweist, zu Recht zurückgewiesen. Der Senat teilt aus den nachfolgenden Erwägungen die Ansicht des Nachlassgerichts, wonach der Erblasser auf der Grundlage des Testaments vom 10.02.2009 von den Beteiligten zu 1.–3. und dem Beteiligten zu 5. zu jeweils einem Viertel beerbt worden ist:

1. Die Erbfolge richtet sich – insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit– nicht nach dem Testament vom 10.06.2018, weil dieses nicht den erbrechtlichen Formvorschriften für die Errichtung eines eigenhändigen Testaments (§ 2247 Abs. 1 und 3 BGB) entspricht; der Erblasser hat es zwar eigenhändig geschrieben, aber nicht unterschrieben.

2. Mit dem damit grundsätzlich wieder maßgeblichen älteren Testament vom 10.02.2009 hatte der Erblasser seine Schwester U… zur Alleinerbin eingesetzt, die jedoch bereits im April 2010 vorverstorben war. Das Testament könnte deshalb für die Erbfolge nur noch maßgeblich sein – und den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge (§§ 1922, 1925 BGB) ausschließen–, wenn sich im Wege der Auslegung des Testaments feststellen ließe, dass der Erblasser mit der Bestimmung der Schwester U… zur Alleinerbin zugleich eine Ersatzerbfolge angeordnet hätte.

a) Eine solche Auslegung zu Gunsten der Abkömmlinge der zur Alleinerbin bestimmten Schwester U lässt sich nicht aus § 2069 BGB herleiten. Denn diese Auslegungsregel, findet ihrem eindeutigen Wortlaut nach nur Anwendung, wenn der Erblasser einen Abkömmling zu seinem Erben bestimmt hat und ist nach allgemeiner Auffassung im Falle der Einsetzung eines Erben der 2. oder weiteren Ordnung – wie hier der Schwester des Erblassers– auch nicht analog anwendbar (BGH, Urteil vom 05.07.1972 zu IV ZR 125/70, zitiert nach juris, dort Rdz. 43). Dies begründet sich damit, dass die Regelung des § 2069 BGB Ausprägung einer allgemeinen Lebenserfahrung ist, wonach ein Erblasser, der seinen Abkömmling zu seinem Erben bestimmt, damit zugleich auch dessen Abkömmlinge insoweit bedacht hat, als sie bei gesetzlicher Erbfolge an dessen Stelle treten würden, und dass eine solche Erfahrungsgrundlage bei Einsetzung einer nur in der Seitenlinie verwandten Person oder eines anderen nahen Verwandten fehlt (OLG München, Beschluss vom 25.07.2016 zu 31 Wx 156/15, zitiert nach juris, dort Rdz. 10 m.w.N.).

b) Dessen ungeachtet kann jedoch möglicherweise eine Auslegung des Testaments dazu führen, dass vom Erblasser eine dem § 2069 BGB entsprechende Regelung gewollt war (BGH a.a.O. Rdz. 44 m.w.N.). Es ist allgemein anerkannt, dass der dem § 2069 BGB zugrunde liegende Rechtsgedanke nicht lediglich für den dort geregelten Sonderfall Geltung besitzt. Vielmehr ist es der richterlichen Feststellung und Auslegung überlassen, ob sich ein Wille des Erblassers zur Berufung der Abkömmlinge des eingesetzten, aber weggefallenen Erben zu dessen Ersatzerben feststellen lässt und ob dieser Erblasserwille wenigstens andeutungsweise in dem Testament Ausdruck gefunden hat (OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.09.1995 zu 20 W 551/94, zitiert nach juris, dort Rdz. 15 m.w.N.). Eine Auslegung des Testaments nach §§ 2084, 133 BGB dahingehend, dass der Erblasser in diesem Sinne eine konkludente Ersatzerbeneinsetzung vorgenommen hat, kommt jedoch nur in Betracht, wenn das Testament konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Erblasser die Möglichkeit, dass seine jüngere Schwester vor ihm verstirbt, bereits im Zeitpunkt der Testamentserrichtung bedacht hatte (vgl. OLG München, Beschluss vom 06.07.2006 zu 31 Wx 35/06, zitiert nach juris, dort Rdz. 16; OLG Frankfurt a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 04.08.2004 zu 1 Z BR 44/04, zitiert nach juris, dort Rdz. 20/21). Daran fehlt es vorliegend; aus der Sicht des Senats spricht insbesondere die Tatsache, dass der Erblasser sich am 02.06.2018 veranlasst gesehen hat, eine weitere letztwillige Verfügung zu errichten, eher dafür, dass er selbst davon ausging, mit dem Testament vom 10.02.2009 keine Ersatzerbenanordnung getroffen zu haben.

c) Damit liegt eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung für eine so genannte ergänzende Testamentsauslegung vor (vgl. OLG München vom 25.07.2016 a.a.O. Rdz. 11), deren Ziel es ist, zu ermitteln, welchen Willen der Erblasser bei Errichtung des Testaments am 10.02.2009 mutmaßlich gebildet hätte, wenn er das Vorversterben seiner jüngeren Schwester für möglich gehalten hätte. Da durch eine ergänzende Testamentsauslegung – schon wegen der im Erbrecht geltenden Formvorschriften– kein Erblasserwille in das Testament hineingetragen werden darf, der darin nicht wenigstens andeutungsweise Ausdruck gefunden hat (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.11.2017 zu 3 Wx 295/16, zitiert nach juris, dort Rdz. 15; OLG München a.a.O.), setzt die Schließung einer planwidrigen Regelungslücke mittels ergänzender Testamentsauslegung weiter voraus, dass aus dem Gesamtbild des Testaments selbst oder unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung eine Willensrichtung des Erblassers erkennbar wird, die tatsächlich in Richtung der vorgesehenen Ergänzung geht (OLG München a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O; BGH, Urteil vom 15.12.1956 zu IV ZR 238/56, zitiert nach juris, dort Rdz. 18; Leipold in MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 2084 Rdnr. 99 m.w.N.). Handelt es sich bei dem im Testament Bedachten um eine dem Erblasser nahestehende Person, so kann bereits die Lebenserfahrung die Prüfung nahelegen, ob der Erblasser zugleich eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Bedachten gewollt hat oder gewollt haben würde (OLG München Beschluss vom 06.07.2006 a.a.O. Rdz. 16). Dabei ist entscheidend, ob anhand der Umstände des Einzelfalls festgestellt werden kann, dass die Zuwendung der Bedachten – hier seiner Schwester Ursula– als der ersten ihres Stammes oder nur ihr persönlich gegolten hat; die erforderliche Andeutung im Testament kann dann u.U. schon darin gesehen werden, dass der Erblasser diese Person zu seinem Erben bestimmt hat (vgl. OLG München a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 01.04.2004 zu 1Z BR 1/04, zitiert nach juris, dort Rdz. 17 m.w.N.).

Mit seiner letztwilligen Verfügung vom 10.02.2009 hat der Erblasser seine jüngere Schwester U… zu seiner Alleinerbin bestimmt und dadurch zugleich seine Halbschwester J…, zu der er keinen Kontakt pflegte, von der Erbfolge ausgeschlossen. Durch diese Anordnung hat er zunächst zum Ausdruck gebracht, dass er den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge, nach der auch seine Halbschwester J… erben würde, nicht wünscht (vgl. dazu OLG Schleswig, Beschluss vom 30.09.2011 zu 3 Wx 128/10, zitiert nach juris, dort Leitsatz und Rdz. 29). Dass er bei der Regelung seiner Rechtsnachfolge nicht nur seine Halbschwester, sondern auch deren Tochter, die Beteiligte zu 4., zu der ebenfalls kein Kontakt bestand, unberücksichtigt gelassen hat, deutet aus der Sicht des Senats weiter darauf hin, dass der Erblasser seiner Schwester U… den Nachlass nicht nur persönlich, sondern als erste ihres Stammes zukommen lassen wollte (vgl. dazu OLG München, Beschluss vom 25.07.2016, a.a.O. Rdz. 17; OLG Schleswig a.a.O. Rdz. 30; OLG München, Beschluss vom 06.07.2006, a.a.O. Rdz. 16; BayObLG a.a.O. Rdz. 18). Gestützt wird diese Auslegung auch dadurch, dass der Erblasser die von ihm bestimmte Alleinerbin in dem Testament nicht nur mit ihrem Namen, sondern auch mit dem für sie maßgeblichen Verwandtschaftsgrad (“meine Schwester”) bezeichnet hat. Denn auch dies deutet darauf hin, dass die Erbeinsetzung seiner Schwester U… nicht nur als Person, sondern gerade auch in ihrer Eigenschaft als in der Seitenlinie verwandte nahe Angehörige galt (vgl. dazu OLG München a.a.O. Rdz. 19; BayObLG a.a.O.).

Zu den Abkömmlingen der Schwester U… im Sinne des § 2069 BGB gehören jedoch neben den Beteiligten zu 1.–3. auch der Beteiligte zu 5., der Sohn ihrer bereits im Jahr 2003 verstorbenen weiteren Tochter D… . Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser seinen Großneffen bei Errichtung des Testaments im Februar 2009 nicht in diesem Sinne als dem Stamm seiner Schwester U… zugehörig angesehen hat, sind nicht erkennbar. Dass nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beschwerdeführer zu dieser Zeit bereits kein Kontakt mehr zwischen dem Beteiligten zu 5. und dem Erblasser bzw. seiner Schwester U… bestand, rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Feststellung, dass es dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entsprochen hätte, den Beteiligten zu 5. von der Ersatzerbfolge nach U… L… auszunehmen und nur die noch lebenden unmittelbaren Abkömmlinge seiner Schwester einzusetzen. Erst der Inhalt des Testaments vom 10.06.2018 legt einen Willen des Erblassers in diesem Sinne nahe. Im Hinblick auf den dazwischen liegenden Zeitraum von mehr als 9 Jahren, erlaubt dies jedoch keine verlässlichen Rückschlüsse auf den Willen, den der Erblasser bei Errichtung des formwirksamen Testaments vom 10.02.2009 gebildet hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Eine Wertfestsetzung kann derzeit noch nicht erfolgen, weil die Antragsteller trotz Zusage im Erbscheinsantrag den Nachlasswert noch nicht mitgeteilt haben.

Gründe, gemäß § 70 Abs. 2 FamFG die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor.

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