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Erbscheinerteilung – Funktionelle Zuständigkeit des Richters

OLG Köln – Az.: I-2 Wx 89/20 und I-2 Wx 95/20 – Beschluss vom 18.05.2020

Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 1) und 2) vom 30.03.2020 wird der Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts – Nachlassgerichts – Aachen vom 18.03.2020, 704 VI 430/11, aufgehoben.

Gründe

I.

Am xx.xx.2008 ist Herr A B (im Folgenden: Erblasser) verstorben. Er war ursprünglich marokkanischer Staatsangehöriger. Der Erblasser heiratete am 03.10.1975 in C D E, geborene F. Am 28.08.1987 heiratete er in Marokko die Beteiligte zu 1), die damals ebenso wie der Erblasser die marokkanische Staatsangehörigkeit hatte. Nach der Eheschließung zog die Beteiligte zu 1) zum Erblasser nach Deutschland, wo dieser schon damals dauerhaft lebte. Aus dieser Ehe sind die Beteiligten zu 3) bis 7) hervorgegangen. Im Jahr 2005 wurden die Beteiligte zu 1) und der Erblasser deutsche Staatsangehörige. Eine Verfügung von Todes wegen hat der Erblasser nicht hinterlassen.

Am 24.02.2011 hat die Beteiligte zu 1) zur Niederschrift des Nachlassgerichts die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Erbin zu 1/4-Anteil und die Beteiligten zu 2) bis 7) als Erben zu je 3/24-Anteil ausweist (Bl. 2 ff. d.A.). Hierzu hat sie vorgetragen, dass sie die 4. Ehefrau des Erblassers gewesen sei. Die ersten beiden Ehen seien kinderlos geblieben. Die eine Ehefrau, Frau F, sei am xx.xx.1993 verstorben, die andere, G, sei nach der Scheidung in Marokko verstorben. Aus der am 05.07.1983 in Marokko geschlossenen und später geschiedenen 3. Ehe mit H B sei die Beteiligte zu 2) hervorgegangen.

Mit Schreiben vom 09.03.2011 hat das Nachlassgericht die Beteiligte zu 1) aufgefordert, Nachweise bezüglich des Wegfalls der beiden Ehefrauen in Marokko beizubringen und die Anschrift der Beteiligten zu 2) mitzuteilen. Die angeforderten Nachweise wurden zunächst nicht vorgelegt.

Mit notarieller Urkunde vom 16.12.2015 – UR.Nr. 1xxx/2015 des Notars Dr. I in J – haben die Beteiligten zu 1) und 2) – erneut – die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der die Beteiligte zu 1) als Erbin zu 1/4-Anteil und die Beteiligten zu 2) bis 7) als Erben zu je 3/24-Anteil ausweist (Bl. 16 ff. d.A.).

Mit Schreiben vom 28.01.2016 hat das Nachlassgericht darauf hingewiesen, dass in dem Antrag vom 24.02.2011 von 4 und nicht nur von 3 Eheschließungen die Rede gewesen und der Wegfall der anderen Ehefrauen nicht nachgewiesen sei (Bl. 32 d.A.).

Mit notarieller Urkunde vom 02.05.2017 – UR.Nr. 5xx/2017 des Notars Dr. I in J – hat die Beteiligte zu 1) ihren Antrag vom 24.02.2011 zurückgenommen und haben die Beteiligten zu 1) und 2) ihren Sachvortrag in der Urkunde vom 16.12.2015 ergänzt (Bl. 36 ff. d.A.). Sie haben vorgetragen, sei die Beteiligte zu 1) die 3. Ehefrau des Erblassers. Die ersten beiden Ehen seien geschieden worden, die Ehe mit Frau F in Deutschland und die Ehe mit Frau H B in Marokko. Die Beteiligte zu 2) sei ein Kind aus der Ehe mit Frau H B. Die Angaben im gerichtlichen Protokoll vom 24.02.2011 bezüglich einer 4. Ehefrau namens G seien unzutreffend. Der Beteiligten zu 1) sei nicht erklärlich, wie diese Aussage in das Protokoll hineingekommen sei. Damals habe sie die deutsche Sprache noch nicht gut beherrscht.

Durch Beschluss vom 18.03.2020 hat die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts den Antrag der Beteiligten zu 1) und 2) auf Erteilung eines Erbscheins vom 16.12.2015 zurückgewiesen (Bl. 83 ff. d.A.). Zur Begründung wird ausgeführt, die erforderlichen Nachweise seien nicht erbracht worden. Der Vortrag sei bezüglich der Zahl der Ehefrauen des Erblassers widersprüchlich. Es sei nur eine Scheidungsurkunde vorgelegt worden. Darin sei nur eine widerrufliche Scheidung beurkundet worden. Zudem sei das Geburtsjahr des Erblassers in der Urkunde unrichtig angegeben worden. Es fehle die erforderliche Legalisation der Urkunde.

Gegen diesen dem Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) und 2) am 24.03.2020 zugestellten Beschluss haben diese mit am 01.04.2020 beim Amtsgericht Aachen eingegangenen Schriftsatz vom 30.03.2020 Beschwerde eingelegt (Bl. 98 f. d.A.). Sie haben vorgetragen, dass die erforderlichen Nachweise erbracht worden seien. Bei dem Umstand, dass die Scheidung nicht widerrufen worden sei, handele es sich um eine negative Tatsache, die durch Urkunden nicht bewiesen werden könne. Die eidesstattlichen Versicherungen der Antragstellerinnen seien insoweit ausreichend.

Durch Beschluss vom 17.04.2020 hat das Nachlassgericht den Beschwerden nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Köln zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 101 f. d.A.).

II.

Die zulässigen Beschwerden der Beteiligten zu 1) und 2) haben in der Sache Erfolg.

Der Beschluss der Rechtspflegerin des Nachlassgerichts vom 18.03.2020 ist gem. § 8 Abs. 4 S. 1 RPflG unwirksam. Die Entscheidung über den Antrag der Beteiligten zu 1) und 2) auf Erteilung eines Erbscheins ist weder auf den Rechtspfleger übertragen noch kann sie vom Richter auf den Rechtspfleger übertragen werden.

Zwar sind dem Rechtspfleger gem. § 3 Nr. 2 c) RPflG die Geschäfte in Nachlasssachen übertragen. Hier greift jedoch der Richtervorbehalt gem. § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG. Danach ist der Richter anstelle des Rechtspflegers u.a. dann funktionell zuständig, wenn die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt. Hier kommt ausländisches Recht zur Anwendung. Zwar richtet sich die Erbfolge gem. Art. 25 Abs. 1 EGBGB in der bis zum 16.08.2015 geltenden Fassung (Art. 229 § 36 EGBGB) nach deutschem Recht, weil der Erblasser vor dem 17.08.2015 verstorben ist und zum Zeitpunkt seines Todes deutscher Staatsangehöriger war. Im Rahmen der Feststellung der gesetzlichen Erbfolge und der Erbquoten der Beteiligten ist im vorliegenden Fall jedoch zumindest bezüglich der Vorfragen der Wirksamkeit der Ehe gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB (Eheschließungsvoraussetzungen) und gem. Art. 11 Abs. 1 EGBGB (Formwirksamkeit der in Marokko geschlossenen Ehe) sowie bezüglich des Güterrechts der im Jahr 1987 geschlossenen Ehe gem. Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB in der in der Zeit vom 01.09.1986 bis zum 28.01.2019 geltenden Fassung (Art. 220 Abs. 1, 229 § 47 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EGBGB) marokkanisches Recht anzuwenden. Da § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG nicht zwischen ausländischem Erbrecht und sonstigem ausländischem Recht differenziert, eine solche Differenzierung aber auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechen würde, weil die mit der Anwendung ausländischen Rechts verbundenen Schwierigkeiten, die für die funktionelle Zuständigkeit des Richters sprechen, in der Regel auch dann auftreten, wenn nur bezüglich der Vorfragen ausländisches Recht in Betracht bzw. zur Anwendung kommt, greift der Richtervorbehalt ein.

Die Vornahme des Geschäfts war auch nicht auf den Rechtspfleger übertragbar (§§ 8 Abs. 4 S. 1, 16 Abs. 3 Nr. 1 RPflG). Es ist nicht trotz Vorliegens einer Verfügung von Todes wegen die gesetzliche Erbfolge maßgeblich. Es fehlt bereits an einer Verfügung von Todes wegen. Auch wenn es nicht darauf ankommt, ist darauf hinzuweisen, dass sich die Erbfolge hier auch nicht ausschließlich nach deutschem (Erb-) Recht richtet. Zumindest die Grundlage des Erbrechts der Beteiligten zu 1), ihre Ehe mit dem Erblasser, und die jeweiligen Erbquoten aller Beteiligten, die u.a. davon abhängen, in welchem Güterstand der Erblasser gelebt hat, beurteilen sich nach ausländischem Recht (s.o.).

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes – ohne Bindungswirkung -hin:

Die Abstammung der Beteiligten zu 2) vom Erblasser ist grundsätzlich durch eine öffentliche Urkunde nachzuweisen (§ 352 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 1 FamFG). Zwar kann eine ausländische Personenstandsurkunde unter Umständen dieselbe Beweiswirkung wie eine deutsche Personenstandsurkunde haben (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 438 Rn. 8). Dies setzt jedoch u.a. ihre Echtheit voraus. Die marokkanische Geburtsurkunde (Bl. 29 d.A.) ist nicht gem. §§ 30 FamFG, 438 Abs. 2 ZPO legalisiert. Die Legalisation ist bezüglich marokkanischer Urkunden auch nicht aufgrund von multilateralen oder bilateralen Staatsverträgen entbehrlich. Die Feststellung der Echtheit der Urkunden kann daher nur gem. § 438 Abs. 1 ZPO erfolgen. Insoweit bestehen indes Bedenken. Nach ihren eigenen Angaben sowie der „nach Einsicht in das Familienbuch/die Geburtsurkunde“ ausgestellten „Geburtsbescheinigung“ des Generalkonsulats des Königreichs Marokko in K (Bl. 5 d.A.) ist die Beteiligte zu 2) am 28.08.1983 geboren. Der marokkanischen in französischer Sprache verfassten Geburtsurkunde vom 28.05.2015 (Bl. 29 d.A.) ist dagegen das Geburtsdatum 05.02.1984 zu entnehmen. Das Geburtsjahr der Mutter ist in der Geburtsurkunde mit 1965 angegeben, in der Scheidungsurkunde indes mit 1968.

Das Erbrecht der Beteiligten zu 1) stützt sich auf § 1931 Abs. 1 S. 1 BGB. Dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Eheschließung mit der Beteiligten zu 1) möglicherweise noch mit der vorverstorbenen Frau F verheiratet war, dürfte der Anwendung des § 1931 Abs. 1 S. 1 BGB nicht entgegenstehen, weil die Eheschließung des Erblassers mit der Beteiligten zu 1) marokkanischem Recht unterliegt und § 1318 Abs. 5 BGB keine Anwendung finden dürfte. Ihr Erbrecht könnte aber gemindert werden, wenn auch die 2. Ehefrau erben würde. Dies hängt auch davon ab, ob die Scheidung der 2. Ehe des Erblassers wirksam geworden ist. Auch die marokkanische Scheidungsurkunde betreffend die angeblichen 2. Ehe des Erblassers (Bl. 46 d.A.) ist nicht gem. §§ 30 FamFG, 438 Abs. 2 ZPO legalisiert. Die Feststellung der Echtheit der Urkunde kann daher ebenfalls nur gem. § 438 Abs. 1 ZPO erfolgen. Auch insoweit bestehen Bedenken. Denn das Geburtsjahr der Mutter ist nach der Geburtsurkunde der Beteiligten zu 2) das Jahr 1965, nach der Scheidungsurkunde ist das Geburtsjahr der „Ehefrau“ dagegen das Jahr 1968 (s.o.). In der Scheidungsurkunde ist das Geburtsjahr des Erblassers mit 1941 angegeben, ansonsten durchgehend mit 1939. Hinzu kommt, dass die Scheidungsurkunde nur eine widerrufliche Scheidung bestätigt. Bei dem Umstand, dass ein Widerruf der Scheidung nicht erfolgt ist, handelt es sich zwar um eine negative Tatsache, deren Nachweis unter Umständen durch eidesstattliche Versicherung erfolgen kann. Ob hierfür die eidesstattliche Versicherung der Beteiligten zu 1), der 3. Ehefrau, ausreicht, ist indes zweifelhaft. Zudem stellt sich die Frage, ob es nach marokkanischem Recht nicht noch einer gerichtlichen Bestätigung dafür bedarf, dass ein Widerruf nicht erfolgt ist.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

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