OLG Karlsruhe – Az.: 14 W 113/16 (Wx) – Beschluss vom 27.02.2018
1. Die Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen vom 04.07.2016, Az. II NG 294/2015, wird zurückgewiesen.
2. Die Beteiligte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Erblasser ist zwischen dem 27. und 31.10.2015 in Deutschland verstorben und hat kein Testament errichtet. Er war in der Türkei geborener türkischer Staatsangehöriger und hatte seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Er war mit der Beteiligten, ebenfalls türkische Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, verheiratet. Die Ehe war am 15.07.2003 in der Türkei geschlossen worden. Die Eheleute hatten keine güterrechtlichen Regelungen getroffen. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Die Eheleute lebten getrennt, Scheidungsantrag war von keiner Seite gestellt.
Seit 02.03.2010 waren der Erblasser und die Beteiligte als Miteigentümer einer Immobilie in Deutschland im Grundbuch zu jeweils 1/2 eingetragen.
Die Beteiligte hat einen Erbschein beantragt, wonach für den in Deutschland belegenen Grundbesitz sie selbst Erbin zu 1/2 und die Kinder Erben zu je 1/4 und für den restlichen Nachlass sie selbst Erbin zu 1/4 und die Kinder Erben zu je 3/8 geworden sind.
Das Nachlassgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die Erbquote der Beteiligten für das in Deutschland belegene Grundvermögen betrage nicht 1/2, sondern nur 1/4. Die Regelung des § 1371 Abs. 1 BGB sei nicht anwendbar, so dass es nicht zu einer Erhöhung des der Beteiligten nach § 1931 Abs. 1 BGB zustehenden gesetzlichen Erbteils von 1/4 komme.
Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt.
Der Senat hat durch Beschluss vom 17.11.2016 (AS 235 ff.) zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 15 Abs. 2 des IPR-Gesetzes der Türkei Nr. 5718 vom 27.11.2007 (im Folgenden: TIPRG) und dazu, ob sich aus der Regelung nach türkischem Rechtsverständnis eine Rückverweisung auf § 1371 Abs. 1 BGB ergibt, ein Rechtsgutachten eingeholt.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu Recht zurückgewiesen.
1.
Welches Erbrecht vorliegend anzuwenden ist, ist in Ziffer 14 der Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrags zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28.05.1929 (RGBl 1930 II S. 748, im Folgenden: deutsch-türkisches Nachlassabkommen) geregelt. Dort heißt es:
„Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des beweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zur Zeit seines Todes angehörte.
Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Angehöriger dieses Landes gewesen wäre.“
Hieraus folgt, dass vorliegend für den beweglichen Nachlass türkisches Erbrecht gilt, weil der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes türkischer Staatsangehöriger war, und für den unbeweglichen Nachlass in Deutschland deutsches Erbrecht gilt.
Nach den Regelungen des deutschen Erbrechts erbt der überlebende Ehegatte 1/4 neben Erben der ersten Ordnung, die hier mit den Kindern vorhanden sind (§ 1931 Abs. 1 S. 1 BGB). Der restliche Nachlass von 3/4 geht je zur Hälfte an diese (§§ 1924, 1927 BGB). Einen solchen Antrag hat die Beteiligte nicht gestellt, auch nicht hilfsweise.
2.
Eine Erhöhung des gesetzlichen Erbteils der Beteiligten um 1/4 kommt nicht in Betracht. § 1371 Abs. 1 BGB, wonach dann, wenn der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten beendet wird, der Ausgleich des Zugewinns dadurch verwirklicht wird, dass sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten um 1/4 der Erbschaft erhöht, findet vorliegend keine Anwendung.
a.
Eine Anwendbarkeit der Vorschrift folgt nicht daraus, dass nach dem deutsch-türkischen Nachlassabkommen für die Rechtsnachfolge in den Miteigentumsanteil des Erblassers an der in Deutschland belegenen Immobilie deutsches Erbrecht in der gleichen Weise gilt, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Deutscher gewesen wäre. § 1371 Abs. 1 BGB setzt nämlich voraus, dass die Eheleute im Güterstand der Zugewinngemeinschaft nach § 1363 Abs. 1 BGB lebten. Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Eheleute lebten im Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung nach Art. 218 ff. des Zivilgesetzbuchs der Türkei vom 01.01.2002 (TZGB). Dieses ist vorliegend anzuwenden. Nach Art. 15 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB ist für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe zwischen dem Erblasser und der Beteiligten das Recht der Türkei maßgeblich ist, weil beide Eheleute die türkische Staatsangehörigkeit hatten und eine Rechtswahl gemäß Art. 15 Abs. 2 EGBGB nicht getroffen haben. Nachdem die Eheleute keine Wahl des Güterstandes getroffen haben, gilt für sie der gesetzliche Güterstand nach Art. 218 ff. TZGB. Auf die Frage, ob § 1371 Abs. 1 BGB als erbrechtliche oder güterrechtliche Regelung (so inzwischen BGH, Beschl. v. 13.052015 – IV ZB 30/14 – zit. n. juris) zu qualifizieren ist, kommt es damit von vornherein nicht an (ebenso OLG Köln – Beschl. v. 11.02.2014 – 2 Wx 245/13 -, zit. n. juris).
b.
Eine Anwendbarkeit von § 1371 Abs. 1 BGB ergibt sich aus nicht aus einer Rückverweisung aus dem türkischen auf das deutsche Recht.
Die Beteiligte meint, eine solche Rückverweisung ergebe sich aus Art. 15 Abs. 2 TIPRG. Dies trifft jedoch nicht zu.
(1) Art. 15 TIPRG ist zwar auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar.
Die Vorschrift bestimmt:
„(1) Die Ehegatten können hinsichtlich ihres ehelichen Vermögens ausdrücklich das Recht ihres Aufenthalts im Zeitpunkt der Eheschließung oder eines ihrer Heimatrechte im Zeitpunkt der Eheschließung wählen; falls eine solche Wahl nicht getroffen wird, wird hinsichtlich des ehelichen Vermögens das gemeinsame Heimatrecht im Zeitpunkt der Eheschließung und falls ein solches nicht vorhanden ist, das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts zur Zeit der Eheschließung und falls auch ein solches fehlt, türkisches Recht angewandt.
(2) Auf die Auseinandersetzung des Vermögens hinsichtlich unbeweglicher Sachen wird das Recht des Landes, in dem sie belegen sind, angewandt.
(3) Ehegatten, die nach der Eheschließung eine neue gemeinsame Staatsangehörigkeit erwerben, können sich unter der Voraussetzung, dass die Rechte Dritter unberührt bleiben, diesem neuen Recht unterstellen.“ (Übersetzung nach dem Rechtsgutachten, S. 4)
Die Verweisung in Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB erfasst Art. 15 TIPRG, denn es handelt sich um eine Gesamtverweisung, also eine Verweisung sowohl auf das türkische Sachrecht als auch auf das türkische Internationale Privatrecht (Art. 4 Absatz 1 S. 1 EGBGB). Das TIPRG ist vorliegend auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Zwar wurde die Ehe des Erblassers und der Beteiligten bereits am 15.07.2003, und damit vor dem Inkrafttreten des TIPRG, geschlossen. In entsprechender Anwendung von Art. 1 des Einleitungsgesetzes zum türkischen Zivilgesetzbuch (EinlG TZGB) Nr. 4722 ist bei Dauerrechtsverhältnissen für die allgemeinen Wirkungen der Ehe einschließlich der güterrechtlichen Wirkungen jedoch nicht auf das im Zeitpunkt des Zustandekommens der Ehe geltende Recht abzustellen, sondern auf das Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts des für die Beurteilung maßgeblichen Tatbestands gilt (Rechtsgutachten S. 3, AS 291; S. 14, AS 313). Dies ist hier der Tod des Erblassers, mit dem der Güterstand der Eheleute beendet wurde. Ob die Regelung nur für Vermögen gilt, das nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erworben wurde, kann offen bleiben, denn dies ist hier der Fall.
(2) Trotz seiner Anwendbarkeit von Art. 15 Abs. 2 TIPRG auf den vorliegenden Fall führt dies nicht zur Anwendbarkeit von § 1371 Abs. 1 BGB, denn die Norm enthält keine Verweisung auf § 1371 Abs. 1 BGB (so i. Erg. ohne Einholung eines Rechtsgutachtens auch OLG Köln a. a. O.; a. A., ebenfalls ohne Einholung eines Rechtsgutachtens, für den Fall des Zugewinnausgleichs im Rahmen eines Scheidungsverfahrens von Eheleuten türkischer Abstammung OLG Bremen, Beschl. v. 07.05.2015 – 4 WF 52/15 -). Art. 15 Abs. 1 TIPRG ist nämlich nicht als kollisionsrechtliche Norm anzusehen.
Bei der Anwendung ausländischen Rechts hat der deutsche Richter dieses so anzuwenden, wie es der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet, und nicht eine eigene Interpretation vorzunehmen. Maßgeblich ist daher weder das eigene Normverständnis des Senats, noch das des Gutachters, der Beteiligten oder der deutschen Rechtslehre, sondern das Normverständnis der türkischen Lehre und Rechtsprechung. Wie sich aus dem vom Senat eingeholten Rechtsgutachten ergibt, war die Vorschrift bisher nicht Gegenstand veröffentlichter türkischer Gerichtsentscheidungen. Die türkischen Rechtslehre legt, soweit sie den Regelungsgehalt der Norm überhaupt thematisiert, Art. 15 Abs. 2 TIPRG dahin aus, dass es sich nicht um eine kollisionsrechtliche Norm handelt. Dort herrscht die Ansicht vor, dass die Norm nicht zu einer Güterrechtsspaltung für bewegliches und unbewegliches Vermögen führt, sondern dass das Güterrechtsstatut einheitlich in Art. 15 Abs. 1 TIPRG geregelt ist, ohne dass zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterschieden wird. Demzufolge legt die türkische Rechtslehre Art. 15 Abs. 2 TIPRG einschränkend dahin aus, dass sie nicht das für die schuldrechtliche Seite der Auseinandersetzung anwendbare Recht bestimmt, sondern lediglich eine Bestimmung des Rechts trifft, das für die dingliche Seite der Auseinandersetzung des ehelichen Vermögens bei Beendigung des Güterstands gilt, und damit nur eine Bestätigung des Grundsatzes der lex rei sitae darstellt. Die Darstellung im Rechtsgutachten überzeugt, denn sie gibt die einschlägige Literatur und die dort verwendeten Argumente im Einzelnen wieder (insbes. S. 8-12, AS 301-309); darüber hinaus deckt sich die Einschätzung des Rechtsgutachters von dem in der türkischen Rechtslehre herrschenden Normverständnis auch mit der neueren Einschätzung von Rumpf/Odendahl in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht (Länderteil Türkei, Stand 24.02.2017, S. 23 f.). Darauf, dass die Beteiligte die Norm anders verstanden wissen möchte, kommt es, wie oben dargelegt, nicht an.
2.
Es kann dahinstehen, ob der Antrag der Beteiligten dahin auszulegen ist, dass sie hilfsweise die Erteilung eines Erbscheins nur für den beweglichen Nachlass, für den sich die Rechtsnachfolge nach türkischem Recht richtet, beantragt hat, denn eine solche Erteilung kommt von vornherein nicht in Betracht. Die Möglichkeit der Erteilung eines nicht den gesamten Nachlass erfassenden Erbscheins ist in § 352e Abs. 1 FamFG abschließend geregelt. Danach ist nur eine Beschränkung auf in Deutschland belegenes Vermögen möglich, nicht aber eine Beschränkung auf Teile des Nachlasses, die unterschiedlichem Erbrecht unterliegen.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Wertfestsetzung erfolgt gemäß § 34 Abs. 2, Abs. 3 i. V. m. Anl. 2 GNotKG mit dem dort vorgesehenen Mindestgeschäftswert von bis 500 €, weil der Nachlass nach Mitteilung der Beteiligten überschuldet ist (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 24.03.2014 – 3 Wx 17/14 -, Rn. 9, zit. n. juris).