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Erbunwürdigkeit – Anforderungen an Schriftgutachten über Testamentsfälschung

Oberlandesgericht  Sachsen-Anhalt – Az.: 12 U 15/19 – Urteil vom 13.05.2020

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18. Januar 2019 verkündete Einzelrichterurteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Halle abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Wegen der Einzelheiten des in erster Instanz unstreitigen und streitigen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Ergänzend und klarstellend wird ausgeführt:

Das Landgericht hat die Beklagte auf die Anfechtungsklage hin für erbunwürdig für den Erbfall nach L. R. erklärt und zur Begründung ausgeführt, dass die Anfechtung innerhalb der Jahresfrist des § 2082 BGB mit Schriftsatz vom 21. August 2015 erfolgt sei, denn die Klägerin habe zuverlässige Kenntnis von den Anfechtungstatsachen frühestens mit dem von ihr eingeholten Gutachten des Sachverständigen Sch. vom 24. August 2014 gehabt. Die Klägerin sei auch anfechtungsberechtigt gemäß § 2341 BGB, denn sie wäre bei Wegfall der Beklagten als Erbin Alleinerbin des Erblassers. Da unstreitig sei, dass das Testament nicht vom Erblasser selbst geschrieben worden sei, sei es formunwirksam, so dass gesetzliche Erbfolge eingetreten sei, wonach der Erblasser zu gleichen Teilen von seiner Mutter – ihr nachfolgend die Klägerin – und der Beklagten beerbt worden sei.

Die Beklagte sei erbunwürdig gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB, da sie eine Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB begangen habe, weil sie das Testament vom 27. Januar 2003 selbst geschrieben, unterschrieben und mit der Unterschrift ihres Ehemannes versehen habe. Die Kammer stütze ihre Überzeugung auf das Gutachten der Sachverständigen N. vom 15. März 2018, wonach die Zeilen 1 bis 6 des gemeinschaftlichen Testaments mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht von dem Erblasser stammten, sondern dass diese Schreibleistungen mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Beklagten geschrieben seien. Die Sachverständige habe die Schreibleistungen der Beklagten mit den streitigen Schreibleistungen im Testament verglichen sowie im Anhang visualisiert und durchgehend Übereinstimmungen festgestellt. Sie habe gut nachvollziehbare und überzeugende Ausführungen zu den Abbildungen der Schreibleistungen gemacht. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeitsaussagen müsse die Bewertung „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ – so die Sachverständige – mehr in Richtung der fünften Stufe „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ als in Richtung der ersten Stufe „non liquet“ eingestuft werden. Das Gutachten der Sachverständigen N. sei ausführlich, plausibel und überzeugend. Sie habe ihre Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 6. September 2018 nochmals nachvollziehbar erläutert und alle Nachfragen der Beklagten so beantwortet, dass für die Kammer keine Zweifel hinsichtlich Güte und Verwertbarkeit des Gutachtens bestünden.

Erbunwürdigkeit - Anforderungen an Schriftgutachten über Testamentsfälschung
(Symbolfoto: Robie Online/Shutterstock.com)

Auch die von der Beklagten mit dem nachgelassenen Schriftsatz vom 2. November 2018 erhobenen Einwendungen verfingen nicht. Soweit sie das Gutachten der Sachverständigen N. durch neue Stellungnahmen von drei weiteren Sachverständigen angreife, sei sie mit diesem Vortrag gemäß § 296 Abs. 1 und 2 ZPO ausgeschlossen, jedenfalls soweit sie die Fortsetzung der Beweisaufnahme begehre, weil dies zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen würde, nachdem über die Einwendungen der Beklagten am 6. September 2018 bereits die Anhörung der Sachverständigen durchgeführt worden sei. Auch habe dort ausreichend Gelegenheit bestanden, der Sachverständigen Fragen zu ihrem schriftlichen Gutachten zu stellen. Die Beklagte hätte sich bei der Anhörung sachverständig beraten lassen können. Der Beklagtenvertreter habe zahlreiche Fragen gestellt, die die Sachverständige auch beantwortet habe. Den Parteien sei sodann am Ende der mündlichen Verhandlung unter Fristsetzung Gelegenheit zur Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme gegeben worden. Dieser Schriftsatznachlass habe aber nicht dazu gedient, neue Einwendungen gegen das schriftliche Gutachten zu erheben, soweit diese in der Anhörung der Sachverständigen schon hätten erhoben werden können. Soweit der Sachverständige P. das der Sachverständigen N. vorliegende grafische Material als nicht hinreichend ergiebig kritisiere, fehle es ihm und auch dem Sachverständigen K. an einer ausreichenden Beurteilungsgrundlage. Auch bestünden Zweifel an der Wissenschaftlichkeit seines Gutachtens. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe die Sachverständige N. die Einzelfragen klar beantwortet, auch Nachfragen zum Vergleichsmaterial in der mündlichen Verhandlung habe die Sachverständige ausführlich und überzeugend, nicht ausweichend beantwortet. Die Sachverständige sei öffentlich bestellt und vereidigt, was grundsätzlich ihre fachliche Qualifikation für die Erstellung von Schriftgutachten ausweise.

Das Gericht stütze seine Überzeugung zusätzlich und maßgeblich auch auf das Vortragsverhalten der Beklagten. Gegenüber dem Amtsgericht Eisleben – Nachlassgericht – habe die Beklagte mehrfach versichert, dass der Erblasser das Testament eigenhändig in ihrer Gegenwart errichtet habe. Sodann habe die Beklagte behauptet, dass das Testament während des stationären Krankenhausaufenthaltes errichtet worden sei. Schließlich habe die Beklagte erklärt, dass sie nicht mehr mit Sicherheit sagen könne, dass das handschriftliche Testament durch ihren Ehemann persönlich geschrieben worden sei und dass sie nicht ausschließe, dass es auch durch eine dritte Person vorbereitet worden sein könne. Ihr Ehemann habe ihr das Testament im Krankenhaus vorgelegt, sie sei nicht dabei gewesen, als er es verfasst habe. Dieser Vortrag sei nicht glaubhaft, denn die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments sei von erheblicher persönlicher Bedeutung. Daher sei davon auszugehen, dass sich der Testierende an die Umstände der Errichtung erinnere. Außerdem sei der Beklagten die Handschrift des Erblassers vertraut gewesen, da sie 28 Jahre verheiratet gewesen seien. Die Anpassung des Vortrages der Beklagten an den jeweiligen Verfahrensstand sprächen vielmehr entscheidend dafür, dass die Beklagte das Testament selbst geschrieben habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie die Klagabweisung weiterverfolgt und zur Begründung ausführt, dass die Anfechtung nicht innerhalb der Frist der gesetzlichen Frist erfolgt sei. Die Klägerin sei ihrer Behauptung nicht entgegengetreten, dass die Klägerin das Eröffnungsprotokoll über die Testamentseröffnung des Nachlassgerichts gemeinsam mit dem Testament spätestens Ende 2010 erhalten habe. Da sie unwidersprochen die Handschrift ihres Bruders gekannt habe, hätte sie bereits zu diesem Zeitpunkt Einwendungen erheben können. Selbst wenn angenommen werden könnte, dass die Klägerin erst 2013 Zweifel an der Echtheit des Testaments gehabt habe, habe sie sich dazu erst Ende Mai 2014 anwaltlich beraten lassen und sodann sogar erst im Juli 2014 den Auftrag an den Sachverständigen Dr. Sch. erteilt. Die Klägerin hätte wesentlich eher handeln müssen, dann hätte sie das Gutachten bis zum März 2014 erhalten, so dass bis spätestens 31. März 2015 Anfechtungsklage hätte erhoben werden müssen.

Das Landgericht hätte das Gutachten der Sachverständigen N. nicht als Beweismittel verwerten dürfen. Aus den Darlegungen der Einzelrichterin ergebe sich nicht, wie sie zu der Einschätzung als ausführlich, plausibel und überzeugend gelangt sei. Auf die von ihr im Schriftsatz vom 26. April 2018 gegen das Gutachten vom 15. März 2018 erhobenen Einwendungen sei die Kammer nicht eingegangen, obwohl sie unter Vorlage der gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen M. vom 9. April 2018 Mängel aufgezeigt habe. Auch ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 27. August 2018 sei von der Kammer nicht gewürdigt worden, obwohl darin auf Empfehlung der Sachverständigen P. ine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Sachverständigengutachtens N. erfolgt sei. Ihre Einwendungen habe die Einzelrichterin übergangen. Auch wäre die Kammer verpflichtet gewesen, sich mit ihren Privatgutachten der Sachverständigen M. und P. auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhaltes hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergebe. Die Kammer hätte ihre Einwendungen zumindest diskutieren und begründen müssen, warum die dortigen Einwendungen gegen die Verwertbarkeit des Sachverständigengutachtens N. unbeachtlich seien. Im Urteil gebe die Kammer nur die Auffassung der Sachverständigen wieder, begründe aber nicht, warum diese gegen ihre Einwendungen als richtig anzusehen sei. Die Beweiswürdigung sei unvollständig. Sie sei mit ihrem Vorbringen im nachgelassenen Schriftsatz vom 2. November 2018 nicht gemäß § 296 ZPO präkludiert. Da weder ihr Prozessbevollmächtigter noch sie selbst über ausreichend Sachverstand verfügten, sei beantragt worden, zum Ergebnis der Beweisaufnahme – Anhörung der Sachverständigen N. – und zum Klägerschriftsatz vom 27. August 2018 Stellung nehmen zu können. Der Schriftsatznachlass – verlängert bis zum 5. November 2018 – sei ihr gewährt worden. Hinsichtlich der im Schriftsatz vom 2. November 2018 dargelegten Begutachtungs-ergebnisse des Sachverständigen K. sei sie nicht präkludiert, soweit dieser sich mit den Antworten der Sachverständigen N. auf die in der Sitzung vom 6. September 2018 gestellten Fragen auseinandergesetzt habe. Die Kammer habe verfahrensfehlerhaft ihre rechtzeitig vorgebrachten Beanstandungen nicht gewürdigt. Auch habe es den Sachverständigen K. bzw. P. nicht an einer ausreichenden Beurteilungsgrundlage gefehlt. Sie seien in der Lage gewesen, ihr Schriftgutachten auf der Grundlage von Kopien zu erstellen. Mangels eigener Sachkunde könne die Kammer nicht die Wissenschaftlichkeit des Gutachtens des Sachverständigen K. hinsichtlich eines „Charakterabgleichs“ bezweifeln. Bestehende Zweifel hätten jedenfalls nachvollziehbar begründet werden müssen.

Außerdem wende sie sich dagegen, dass das Landgericht ihre Angaben für nicht glaubhaft gehalten habe. Sie habe nachgewiesen, dass sie sich seit Oktober 2014 erneut in psychologischer Behandlung befunden habe, sie habe schwere depressive Episoden gehabt und an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten. Sie erhalte seit dem 1. März 2010 aufgrund ihrer psychischen Erkrankung Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die psychologische Stellungnahme der Dipl.-Psychologin D. vom 20. März 2019 bescheinige ihr aus medizinischer Sicht, dass sie zu allen genannten Zeitpunkten der Aussagen aufgrund der zu diesem Zeitpunkt ausgeprägten depressiven Erkrankung unter Gedächtnisstörungen gelitten und sich deshalb nicht mehr an konkrete Details wie Zeitpunkt, Ort u.ä. habe erinnern können. Sie sei psychisch krank und leide an starken kognitiven Einschränkungen. Sie habe Probleme, sowohl auf aktuelle als auch auf länger zurückliegende Erinnerungen zurückzugreifen. Ihr von dem Landgericht gewürdigter Vortrag lasse sich daher auf die ausgeprägte depressive Erkrankung und die damit im Zusammenhang stehende Gedächtnisstörung zurückführen. Sie habe auch an der Aufklärung des streitbefangenen Sachverhalts nach ihren Möglichkeiten mitgewirkt, so habe sie Unterlagen beschafft und dem Gericht vorgelegt, obwohl sie im Gegensatz zum bisherigen Prozessvortrag gestanden hätten.

Soweit das Landgericht auf ihren Vortrag hinweise, dass sie und der Erblasser anschließend verschiedenen Personen von der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments erzählt hätten, so sei dieses Vorbringen im Erbscheineinziehungsverfahren vor dem Amtsgericht Eisleben unter Beweis der Zeugen J. und S. gestellt gewesen. Wenn das Landgericht zur Begründung seiner Entscheidung auf ihren Vortrag im Verfahren vor dem Nachlassgericht zurückgegriffen habe, hätte es auch ihren dortigen Vortrag zu jenem Erzählen gegenüber den vorgenannten Zeugen mit entsprechenden Beweisanträgen berücksichtigen müssen. Wenn nach Einvernahme der Zeugin J. festgestanden hätte, dass der Erblasser und sie – die Beklagte – gemeinsam über das von ihnen errichtete Testament berichtet hätten, hätten durchgreifende Zweifel am Begutachtungsergebnis der Sachverständigen N. bestanden.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des am 18. Januar 2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Halle zu Geschäfts-Nr.: 5 O 319/16 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.

Im Ergebnis der durch den Senat ergänzten Beweisaufnahme ist die Beklagte für den Erbfall nach L. R. , geboren am … . … 1953, verstorben am … . … 2008 in U. , zuletzt wohnhaft M. , W. Straße, nicht für erbunwürdig zu erklären.

Die Erbunwürdigkeit der Beklagten nach § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB wegen der Verwirklichung des Straftatbestands der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB kann nicht festgestellt werden.

1. Zwar ist die Klägerin anfechtungsberechtigt gemäß § 2341 BGB, weil ihr der Wegfall der Beklagten als Alleinerbin zustatten kommt. Gemäß § 2344 BGB gälte der Anfall der Erbschaft an den Erbunwürdigen als nicht erfolgt; die Erbschaft fiele demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Erbunwürdige zur Zeit der Erbschaft nicht gelebt hätte. Damit sind die gesetzlichen Erben – einschließlich deren Abkömmlingen – berechtigt, den Erbschaftserwerb eines unwürdigen Testamentserben anzufechten (z. B. Rudy, in: OGKBeck BGB, Stand 1. März 2020, Rdn. 3 zu § 2341 BGB). Fiele die Beklagte als Erbin aus, träte gesetzliche Erbfolge ein, wonach, da der Erblasser keine Kinder hatte, gemäß § 1925 BGB die Mutter des Erblassers erben würde. Diese ist wiederum von der Klägerin beerbt worden.

Anders als das Landgericht gemeint hat, muss hierfür nicht festgestellt werden, dass das Testament vom 17. Januar 2003 unwirksam ist, weil es – so die Kammer – unstreitig sei, dass es nicht von dem Erblasser eigenhändig errichtet und unterschrieben sei, so dass gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Dabei kann dahinstehen, ob die Kammer zutreffend die mangelnde Urheberschaft des Erblassers als unstreitig angesehen hat. Hierfür spricht der erstinstanzliche Vortrag, mit dem die Beklagte im Grunde hingenommen hat, dass der Sachverständige Mr. in seinem im Nachlassverfahren 41 VI 39/11 vor dem Amtsgericht Eisleben erstatteten Gutachten vom 27. März 2015 ausgeführt hat, dass der Erblasser mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Zeilen 1 bis 6 (die Zeilen 7 und 8 sind unstrittig von der Beklagten geschrieben worden) nicht geschrieben hat. Anders war dies noch im Nachlassverfahren bzw. in den verschiedenen einstweiligen Verfügungsverfahren, in denen die Beklagte durchaus behauptet hatte, das Testament stamme von dem Erblasser. Im vorliegenden Rechtstreit versucht die Beklagten eher zu erklären, dass krankheitsbedingte Schreibschwierigkeiten des Erblassers dazu geführt haben könnten, dass ein Dritter die Zeilen 1 bis 6 für ihn geschrieben hat. Erst mit dem Schriftsatz vom 2. November 2018 wird in diesem Rechtsstreit seitens der Beklagten ausdrücklich behauptet, dass der Erblasser die Zeilen 1 bis 6 des Testaments geschrieben habe. Dass das Landgericht dies fehlerhaft nicht beachtet habe, wird zwar von der Beklagten mit ihrer Berufung geltend gemacht, kann jedoch für die Klärung der Anfechtungsberechtigung dahinstehen. Denn, wie ausgeführt, wäre die Mutter der Klägerin und des Erblassers (und ihr nachfolgend die Klägerin selbst) gesetzliche Erbin bereits dann, wenn die Beklagte wegen Erbunwürdigkeit als Erbin wegfiele.

Insofern trifft die Einschätzung der Kammer nicht zu, dass der Erblasser im Falle der Feststellung der Erbunwürdigkeit von seiner Mutter und der Beklagten (als seiner Ehefrau) zu gleichen Teilen beerbt worden sei. Richtig ist vielmehr, dass im Falle der Feststellung der Erbunwürdigkeit der Erbunwürdige rückwirkend als nicht vorhanden angesehen wird, wie wenn er zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte. Damit schiede die Beklagte als Erbin vollständig aus, so dass die Mutter (und ihr nachfolgend die Klägerin selbst) alleinige gesetzliche Erbin würde.

2. Die Klägerin hat die Anfechtung nach § 2340 Abs. 3 i. V. m. § 2082 BGB auch fristgerecht innerhalb eines Jahres ab Kenntnis von dem Anfechtungsgrund geltend gemacht. Dabei beginnt die Jahresfrist in dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte zuverlässige Kenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen des Erbunwürdigkeitsgrunds und des Anfalls der Erbschaft beim unwürdigen Erben hat und ihm auf Basis dieser Kenntnis – und unter Würdigung der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel – die Erhebung einer Anfechtungsklage zumutbar ist. Dies ist der Fall, wenn der Anfechtende bei einer behaupteten Testamentsfälschung gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB die Tatsache der Fälschung und die Person des Fälschers als des Anfechtungsgegners aus dem Gutachten eines gerichtlich vereidigten Sachverständigen kennt. In dem Moment, in dem der Anfechtende über das Gutachten verfügt, hat er Kenntnis gemäß §§ 2340, 2082 BGB. Dann hat sich seine Vermutung zur beweisbaren Tatsache verdichtet (z. B. BGH, Urteil vom 19. April 1989, IVa ZR 93/88, zitiert nach Juris).

Im vorliegenden Fall hätte die Klägerin, da sie die Klage am 21. August 2015 per Faxschreiben eingereicht hat und die Klage „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO an die Beklagte am 23. September 2015 zugestellt worden ist, nicht vor dem 21. August 2014 Kenntnis in dem o.g. Sinne gehabt haben dürfen, damit die Anfechtungsfrist eingehalten ist. Die Klägerin wusste hier jedenfalls nicht vor dem Erhalt des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Sch. vom 24. August 2014 (Bl. 15 I bzw. Nachlassakte Bl. 29 I) darum, dass das Testament nicht von dem Erblasser gefertigt worden war. Aber genau genommen bot selbst dieses Gutachten noch keine zureichende Grundlage für die Kenntnis der Klägerin, denn weder war es von einem öffentlich vereidigten Sachverständigen erstellt, noch ergab sich aus ihm, dass das Testament gerade von der Beklagten im Wege einer Urkundenfälschung verfasst worden ist. Hierzu hat der Sachverständige Sch. ausgeführt, dass es mittels der Schriftexpertise nicht entscheidbar sei, ob es sich um Schreibleistungen der Beklagten handelte. Anders als die Beklagte meint, reicht es für die Kenntnis im Sinne des § 2082 BGB nicht aus, dass die Klägerin das Testament seit der Übersendung des Eröffnungsprotokolls im Jahre 2011 kannte und schon bald nach dessen Eröffnung hätte geltend machen können, dass es – wegen ihrer unstrittigen Kenntnis von der Handschrift ihres Bruders – nicht von diesem verfasst worden sein könne. Dieser Kenntnisstand gab allenfalls Anlass für einen Verdacht. Dabei blieb es auch zunächst. Es bestand auch weiterhin nur die Vermutung einer Testamentsfälschung, wenn der Klägerin – so auch von der Beklagten zugrunde gelegt – Zweifel an der Echtheit des Testaments erst 2013 entstanden seien, als sie vor ihrem Umzug auf das ehemals elterliche Grundstück die Unterlagen der Mutter neu geordnet habe, und sie bei dem zufälligen Vergleich des Testaments mit einem Vertragsdokument den Eindruck gewonnen habe, dass der Text nicht von dem Erblasser stamme. Sie habe vielmehr den Eindruck gehabt, dass das angebliche Ehegattentestament, weil es lediglich ein einziges Schriftbild aufweise, vermutlich nur von einer Person geschrieben und unterzeichnet worden sei. Dass die Klägerin erst nach vergleichsweise langer Zeit im Juli 2014 auf anwaltlichen Rat den Schriftsachverständigen Sch. beauftragt hat, spricht eher dafür, dass sie bis dahin nur eine Vermutung hatte, der sie nicht schnellstmöglich nachgehen wollte. Letztlich kann von einer zureichenden Kenntnis über eine Fälschung des Testaments erst nach dem Vorliegen des Gutachtens des Sachverständigen Sch. vom 24. August 2014 ausgegangen werden, wobei, wie ausgeführt, durch dieses Gutachten an sich auch noch gar keine gesicherte Kenntnis von einer Urkundenfälschung gerade durch die Beklagte bewirkt werden konnte.

3. Die Beklagte ist allerdings nicht erbunwürdig nach § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB. Der Senat vermag auf das Bestreiten der Beklagten nicht festzustellen, dass sie zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde hergestellt und damit den Straftatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB verwirklicht hat.

Es kann nicht festgestellt werden, wie von der beweisbelasteten Klägerin behauptet, dass die Beklagte tatsächlich selbst die Zeile 6 des vorgeblich von dem Erblasser aufgesetzten Testaments vom 27. Januar 2003 geschrieben hat, also die vorgeblich von dem Erblasser geleistete Unterschrift unter seiner letztwilligen Verfügung. Denn nur dann hätte sie eine unechte Urkunde hergestellt und diese sodann dem Amtsgericht zwecks Eröffnung vorgelegt, woraus auch vorsätzliches Handeln der Beklagten sowie das Handeln in der Absicht, den Rechtsverkehr zu täuschen, gefolgert werden könnte. Allein die Fertigung der Unterschriftszeile des Erblassers ist maßgeblich, denn nur dadurch wird eine Urkunde hergestellt, die vermeintlich von dem Erblasser stammt. Demgegenüber ist es für die Beklagte nicht als Urkundenfälschung strafbar, alle weiteren Bestandteile geschrieben zu haben (Zeile 1: „Molmerswende, d. 27.1.2003“; Zeile 2: „Testament“; Zeile 3: „Wir, die Eheleute L. und Elke R. , setzen uns gegenseitig als Alleinerben ein.“; Zeile 5: „Molmerswende, den 27. Januar 2003“; Zeile 7: „Molmerswende, den 27. Januar 2003“ und Zeile 8: „Elke R. “), weil es gemäß § 2267 BGB genügt, wenn einer der Ehegatten das Testament errichtet und der andere Ehegatte es unterschreibt.

a. Hinsichtlich der Feststellung des Landgerichts, dass die Beklagte Urheber der Zeile 6 des Testaments sei, ist der Senat an die von dem Landgericht hierzu getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht nach § 529 Abs. 1 ZPO gebunden. Denn es sind konkrete Anhaltspunkte ersichtlich, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachen-grundlage begründen und eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr.1 ZPO).

Der Senat hatte das Gutachten schon deshalb zu ergänzen, weil sich die Sachverständige N. noch mit den Einwendungen der Beklagten aus ihrem Schriftsatz vom 2. November 2018 auseinanderzusetzen hatte, die sich auf die gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen P. vom 5. Oktober 2018, auf das Schriftgutachten des Sachverständigen K. vom 25. Oktober 2018 und auf die Stellungnahme des Sachverständigen M. vom 27. September 2018 beziehen. Denn deren Zurückweisung durch die Kammer war nicht gerechtfertigt, da § 296 ZPO, mit dem die Kammer die Zurückweisung begründet hat, schon grundsätzlich nicht anwendbar ist auf Vorbringen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung (z. B. Greger, Zöller, ZPO, 33. Aufl., Rdn. 4a zu § 296 ZPO). Aus diesem Grunde hatte der Senat diese Zurückweisung nicht gemäß § 531 Abs. 1 ZPO zu respektieren.

b. Auch im Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme durch Einholung des Sachverständigengutachtens der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen N. vom 15. März 2018 (Sonderheft Gutachten) in Verbindung mit der mündlichen Anhörung der Sachverständigen am 6. September 2018 (Bl. 27 III), ergänzt durch das von dem Senat beauftragte Gutachten der Sachverständigen N. vom 20. November 2019 (Bl. 1 V), ist der erforderliche Beweis allerdings nicht geführt, dass die Beklagte gerade die Zeile 6 des Testaments, also die Unterschrift des Erblassers, verfasst hat.

Der Senat ist auch unter Berücksichtigung des ergänzenden Gutachtens der Sachverständigen N. vom 20. November 2019 nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte die allein maßgebliche Zeile 6 des Testaments geschrieben hat.

Im Ausgangspunkt bildet sich das Gericht gemäß § 442 ZPO seine freie Überzeugung über das Ergebnis der Schriftvergleichung (§ 286 Abs. 1 ZPO). Es vergleicht die Schrift entweder selbst (Augenschein) oder bedient sich eines Sachverständigen (z. B. Siebert, in: Saenger, ZPO, 8. Aufl., Rdn. 1 zu § 442 ZPO). Dabei können Schriftgutachten zwar zu dem Ergebnis gelangen, dass eine Schrift mit Sicherheit von einer bestimmten Person stammt, und sie können in solchen Fällen dann auch ohne weitere Beweisanzeichen Grundlage einer Verurteilung sein (z. B. BGH, Beschluss vom 24. Juni 1982, 4 StR 183/82, zitiert nach Juris). Nur der Schluss des Sachverständigen, der Beschuldigte sei mit Sicherheit der Urheber der Schrift, kann allein den vollen Beweis erbringen (z. B. El Duwaik, in: BeckOK StPO, Stand 1. Januar 2020, Rdn. 10 zu § 93 StPO).

aa. Hier hat die Sachverständige N. aber gerade nicht bestätigen können, dass die Beklagte „mit Sicherheit“ diejenige ist, die die Unterschriftszeile 6 des Testaments vom 27. Januar 2003 gefertigt hat. Zwar hat die Sachverständige im Rahmen ihrer nochmaligen ergänzenden Bewertung im Gutachten vom 20. November 2019 (dort Seite 16 ff.) folgendes ausgeführt:

„Diese Übereinstimmungen sind nach Art und Anzahl zu spezifisch, um mit einer bloßen Schriftähnlichkeit, bedingt durch einen standardisierten Schreibunterricht in der Schule, eine ähnliche Ausgangsmotorik und eine vergleichbare Schriftentwicklung, erklärt werden zu können.

Die von der Schrift der Beklagten abweichenden Befunde können mit der Absicht, die eigene Schrift nicht erkennbar werden zu lassen, prinzipiell erklärt werden. Eine derartige Erklärung, kann aber auch nicht mit Befunden aus der schriftvergleichenden Analyse belegt werden und dies verursacht eine gewisse Unsicherheit, die bei der Bewertung des Gesamtbefundbildes berücksichtigt werden muss.

Die Befundbewertung hat allerdings ergeben, dass die übereinstimmende Merkmalskonfiguration nach Art und Zusammenhang so spezifisch ist, dass die Chance, dass eine andere Person als die Beklagte eine ähnliche Merkmalskonfiguration in seiner oder ihrer Handschrift hat, als gering eingestuft werden kann. Dies bedeutet, dass die Untersuchungsergebnisse die Hypothese, dass die Beklagte die Urheberin der strittigen Schreibleistungen ist, stärker unterstützt als die Kontrahypothese.“

Diese Untersuchungen haben die Sachverständige allerdings nur zu dem Schluss gelangen lassen, dass der Text und die Unterschrift „L. R. “ in den Zeilen 1 bis 6 des strittigen Testaments „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ von der Beklagten geschrieben worden seien. Die Sachverständige hat also lediglich ein Wahrscheinlichkeitsurteil abgegeben. Sie ist mit der Qualifikation „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ sogar unter den höheren Wahrscheinlichkeitsgraden der von ihr verwendeten Wahrscheinlichkeitsskala, nämlich „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ oder „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“, geblieben. Das Schriftgutachten besagt demnach lediglich, dass die Beklagte – wenn auch mit hoher Wahrscheinlichkeit – der Täter einer Urkundenfälschung sein kann. Es besagt aber auch gleichzeitig, dass insoweit noch „vernünftige“ Zweifel bestehen, die nicht „rein theoretisch“ sind, und andere Möglichkeiten offenbleiben, die nicht nur gedanklicher Art sind und als „völlig abseits“ liegend hätten außer Betracht bleiben dürfen und müssen (z. B. BGH, Beschluss vom 24. Juni 1982, 4 StR 183/82, zitiert nach Juris).

Eine abweichende Bewertung ist aber auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Aussage der Sachverständigen N. nach ihren Ausführungen „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ keine mittlere Wahrscheinlichkeit beschreibe, sondern mehr in Richtung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ als in Richtung „non liquet“ eingestuft werden müsse (vgl. zuletzt Ergänzungsgutachten vom 20. November 2019 Seite 19). Auch Hecker (in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl., § 76 Rdn. 46) ordnet „hohe Wahrscheinlichkeit“ zwei Stufen unterhalb der „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ und drei Stufen oberhalb von „non liquet oder indifferente Wahrscheinlichkeit“ mit einer Aussagesicherheit von immerhin ca. 95 % ein. Aber wenn sich eine schematische Heranziehung der Wahrscheinlichkeitsstufen verbietet, kann doch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Einordnung durch die Sachverständige „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ nur zwei Stufen oberhalb der Stufe „non liquet (nicht entscheidbar)“ erfolgt. Auch wenn eine Aussagesicherheit von ca. 95 % angenommen werden kann, bedarf der erforderliche Vollbeweis ergänzender starker Indizien.

bb. Solche durchgreifenden starken Beweisanzeichen, die die nach dem Gutachten nicht ausgeschlossene Möglichkeit, dass die Zeile 6 nicht von der Beklagten stammt, als ausgeräumt erscheinen lassen, sind hier nicht zu erkennen.

(1) Strafgerichtliche Feststellungen, die in diesem Verfahren berücksichtigt werden könnten, gibt es nicht. Zwar war die Beklagte vor dem Amtsgericht Eisleben (11 Ds 381 Js 34430/14; Bl. 213 I; vgl. auch Zeitungsartikel Bl. 39 II) wegen Störung der Totenruhe (das betrifft mehrfaches Verunstalten des Grabes der Schwiegereltern der Beklagten) und wegen falscher Versicherung an Eides statt (das betrifft die Erklärung der Beklagten anlässlich der Testamentseröffnung vor dem Nachlassgericht am 25. Januar 2011) angeklagt worden. Sie wurde allerdings nur wegen Störung der Totenruhe verurteilt, im Übrigen wurde das Verfahren gemäß § 154 StPO eingestellt. Diese Strafverfahren lassen keinen Schluss zu, dass die Beklagte das Testament ihres Ehemannes gefälscht hat. Weitergehende Aufschlüsse aus dem Inhalt der Strafakten sind dabei nicht zu erwarten, so dass von ihrer Beiziehung für die Klärung der Urkundenfälschung abzusehen war.

(2) Kein durchgreifendes Indiz folgt nach der Überzeugung des Senats aus dem widersprüchlichen Vortrag der Beklagten im Verfahren über die Einziehung des Erbscheins vor dem Nachlassgericht des Amtsgerichts Eisleben (41 VI 39/11). Denn der Senat folgt der Argumentation der Kammer nicht, die Feststellung der Urkundenfälschung „zusätzlich und maßgeblich“ darauf zu stützen, dass sie den Vortrag der Beklagten nicht für glaubhaft halte, weil sie vor dem Nachlassgericht widersprüchliche Aussagen zur Errichtung des Testaments gemacht hat, obwohl dies ein Vorgang von erheblicher persönlicher Bedeutung ist, so dass an sich zu erwarten wäre, dass sich der Testierende an die Umstände der Errichtung erinnert. Zwar hat die Beklagte tatsächlich zunächst behauptet, dass sie das Testament am 27. Januar 2003 gemeinsam im Wohnhaus errichtet und jeweils eigenhändig unterschrieben hätten. Später hat sie behauptet, dass das Testament während des stationären Krankenhausaufenthaltes des Erblassers gemeinsam errichtet worden sei. Schließlich hat sie angegeben, dass sie nur angenommen habe, der Erblasser habe das Testament geschrieben, sie sei aber nicht persönlich anwesend gewesen. In dem vorliegenden Rechtsstreit hat die Beklagte demgegenüber einheitlich die dritte Variante behauptet. Zudem ist einem Indiz zulasten der Beklagten auch dadurch die Grundlage entzogen worden, dass die Beklagte mit der Klagerwiderung unwidersprochen und auch überzeugend vorgetragen hatte, dass ihre Erinnerungsfehler durch ihre psychische Erkrankung und den zwischenzeitlich verstrichenen Zeitraum von über 11 Jahren (bis 2014) erklärbar sein können. Sie hatte unter Vorlage entsprechender fachlicher Unterlagen ausgeführt, dass sie nach dem unerwarteten Tod ihres Ehemannes eine schwere depressive Episode entwickelt habe und vom 27. Januar 2010 bis 30. April 2010 stationär und vom 22. April 2009 bis zum 30. Oktober 2012 ambulant behandelt worden sei. Diesem Vortrag ist die Klägerin nicht entgegengetreten. Es ist jedenfalls durchaus plausibel, dass es sich um einen krankheitsbedingten Erinnerungsfehler gehandelt hat. Letztlich kann auch nicht unbeachtet bleiben, dass es die Beklagte selbst gewesen ist, die bereits gegenüber dem Nachlassgericht ungefragt offengelegt hat, dass ihre bisherigen Angaben zu dem Ort der Testamentserrichtung, nämlich zuhause, nicht stimmen könnten, weil der Erblasser nach ihrem letzten Kenntnisstand am 27. Januar 2003 im Krankenhaus gewesen ist.

(3) Sonstige objektive Umstände, die durchgreifend auf eine Urheberschaft der Beklagten für die vorgebliche Unterschrift des Erblassers auf dem Testament vom 27. Januar 2003 deuten würden, sind nicht ersichtlich. Die nur im Ausgangspunkt plausible allgemeine Überlegung, dass doch keine andere Person ersichtlich sei als die Beklagte, die von dem gefälschten Testament begünstigt wird, reicht als Beweisanzeichen für den Senat nicht, sich die Überzeugung zu bilden, dass die Beklagte das Testament tatsächlich gefälscht hat. Denn es ist nicht nur vordergründig etwas geschehen, das lediglich als normal bezeichnet werden kann, nämlich dass Eheleute ein sich wechselseitig begünstigendes Testament errichtet haben. Ob eine abweichende Beurteilung gerechtfertigt wäre, wenn im Wege der Handschriftenvergleichung „mit Sicherheit“ hätte festgestellt werden können, dass die Unterschrift „L. R. “ in Zeile 6 des Testaments nicht von dem Erblasser stammt, kann dahinstehen. Immerhin wäre der Urkunde dann der normale Charakter einer tatsächlich gemeinsamen Errichtung einer letztwilligen Verfügung genommen. Indes ist auch die Urheberschaft des L. R. für Zeile 6 nicht „mit Sicherheit“ zu verneinen. Keiner der beiden mit dieser Fragestellung konfrontierten gerichtlichen Sachverständigen hat eine solche Aussage getroffen. Sowohl der Sachverständige Mr. in seinem Gutachten vom 27. März 2015 im Verfahren vor dem Nachlassgericht als auch die Sachverständige N. in ihrem Gutachten vom 15. März 2018 (Seite 22; Sonderheft Gutachten) vor dem Landgericht haben lediglich ausgeführt, dass L. R. mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als Urheber des Testaments ausscheidet. Der von der Klägerin beauftragte Privatsachverständige Sch. hat in seinem Gutachten vom 24. August 2014 gar nur eine hohe Wahrscheinlichkeit angenommen, dass die fragliche Schreibleistung nicht von L. R. stammt. Die Bewertung der Sachverständigen bleibt also eindeutig hinter der Wahrscheinlichkeitsstufe „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ bzw. gar hinter dem Vollbeweis zurück, der im vorliegenden Fall die sachverständige Feststellung voraussetzen würde, dass „mit Sicherheit“ die Unterschrift von L. R. unter dem Testament nicht geleistet worden ist.

(4) Nach allem kann dahinstehen, ob die Sachverständige N. mit ihrem Ergänzungsgutachten vom 20. November 2019 die Anforderungen des Senats an eine vertiefte Darstellung der schriftvergleichenden Analyse aus seinem Beschluss vom 10. Juli 2019 erfüllt hat.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

 

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