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Erbunwürdigkeit bei Straftat gegenüber der Allgemeinheit

Erbunwürdigkeit und Straftaten: Ein Streit unter Geschwistern um das Erbe der Mutter

Im Mittelpunkt des Urteils des LG Kassel (Az.: 6 O 542/22) vom 14. September 2022 steht ein erbitterter Streit zwischen zwei Schwestern um das Erbe ihrer verstorbenen Mutter. Die Klägerin wirft ihrer Schwester, der Beklagten, vor, sich durch die Beantragung eines Alleinerbscheins der mittelbaren Falschbeurkundung schuldig gemacht zu haben. Die Mutter der beiden war am 25. November 2021 verstorben und hatte in einem Testament ihre Töchter als Erbinnen eingesetzt. Die Beklagte hatte jedoch ein weiteres Testament vorgelegt, das sie als Alleinerbin ausweist. Das Hauptproblem in diesem Fall liegt in der Frage, ob die Beklagte durch ihr Verhalten erbunwürdig im Sinne des § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB geworden ist.

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Die Rolle der Testamente

Die Mutter der beiden hatte ursprünglich ein gemeinschaftliches Testament mit ihrem bereits verstorbenen Ehemann verfasst, in dem die Kinder als Erben eingesetzt wurden. Später tauchte jedoch ein weiteres Testament auf, das die Beklagte als Alleinerbin auswies. Dieses Dokument wurde von der Beklagten beim Nachlassgericht eingereicht. Die Klägerin argumentierte, dass dieses Testament nicht von der Mutter, sondern von der Beklagten selbst verfasst wurde, was eine Straftat darstellen würde.

Die Anschuldigungen und die Verteidigung

Die Klägerin war der Ansicht, dass die Beklagte durch die Beantragung des Alleinerbscheins eine mittelbare Falschbeurkundung begangen habe und somit erbunwürdig sei. Die Beklagte wies diese Vorwürfe zurück und erklärte, dass die Mutter sie gebeten habe, das Testament vorzuschreiben, da sie gesundheitlich eingeschränkt und der deutschen Sprache nicht vollständig mächtig war. Die Beklagte betonte, dass sie ihrer Mutter den Entwurf übergeben und darauf hingewiesen habe, dass dieser eigenhändig abgeschrieben werden müsse.

Das Urteil und seine Begründung

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Beklagte erbunwürdig ist. Es stellte fest, dass sie sich zumindest der versuchten mittelbaren Falschbeurkundung schuldig gemacht hat. Die Beklagte hatte eingeräumt, das strittige Testament eigenhändig verfasst zu haben und wusste, dass es von der Mutter hätte abgeschrieben werden müssen, um gültig zu sein. Da sie trotzdem einen Alleinerbschein beantragte, wurde sie für erbunwürdig erklärt.

Die Konsequenzen des Urteils

Das Urteil hat weitreichende Folgen für die Erbauseinandersetzung zwischen den Geschwistern. Die Beklagte wurde für erbunwürdig erklärt und muss die Kosten des Rechtsstreits tragen. Darüber hinaus ist das Urteil gegen eine Sicherheitsleistung von 130 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Damit wird die Klägerin voraussichtlich das Erbe ihrer Mutter erhalten, während die Beklagte leer ausgeht.


Das vorliegende Urteil

LG Kassel – Az.: 6 O 542/22 – Urteil vom 14.09.2022

1. Die Beklagte wird hinsichtlich des Nachlasses der am 25. November 2021 mit letztem Wohnsitz in „…“ verstorbenen „…“, geb. „…“, für erbunwürdig erklärt.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 130 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Mit der Klage macht die Klägerin die Erbunwürdigkeit der Beklagten, ihrer Schwester, nach der verstorbenen Mutter geltend.

Am 25. November 2021 verstarb mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in „…“ Frau „J.“, geb. „…“ (im Folgenden Erblasserin genannt). Sie war am „…“ in „…“ geboren. Aus der Ehe mit dem am „…“ vorverstorbenen Ehemann „…“ , dem Vater der Parteien, sind drei Kinder hervorgegangen, nämlich:

— „…“, geboren am „…“;

— die Beklagte, geboren am „…“;

— die Klägerin, geboren am „…“.

Gemeinsam mit ihrem vorverstorbenen Ehemann verfasste die Erblasserin am 23. Februar 2013 ein gemeinschaftliches privatschriftliches Testament, geschrieben von der Erblasserin und unterzeichnet von dieser und ihrem vorverstorbenen Ehemann, welches folgenden Inhalt hat:

„Wir setzen uns gegenseitig zum alleinigen Erben unseres gesamten Nachlasses ein. Unsere Kinder können ihren Vermächtnisanspruch erst nach unserem Tod geltend machen. Falls eines unserer Kinder nach dem Tod eines Elternteils seinen Pflichtteil geltend macht, bekommt es auch beim Tod des zweiten Elternteils kein Erbe.”

Am 30. November 2021 übergab die Beklagte dem Amtsgericht – Nachlassgericht – „…“ einen verschlossenen Umschlag, beschriftet mit dem Wort „Testament“, in welchem sich ein von der Beklagten geschriebener Text, bezeichnet als „Berliner Testament”, gefertigt am 10. Juli 2021, befand, welches unter anderem folgenden Inhalt hatte:

„Ich, „J.“ geb. am „…“ hinterlasse meiner Tochter „P.“ geb. „…“ geb. am „…“ mein gesamtes Vermögen Haus mit Inventar als allein Erbin.“

Der weitere Text dieses Schreibens begründet diese Erbeinsetzung und gleichzeitig die Enterbung der weiteren beiden Kinder der Erblasserin. Unterzeichnet ist dieses Schriftstück in ungelenker Schrift mit dem Namen „“J.“”.

Beide „Testamente“ wurden vom Amtsgericht „…“ unter dem Aktenzeichen „…“ am 15. Dezember 2021 eröffnet. Unter gleichem Datum wurden den drei Kindern der Erblasserin die Abschriften dieser „Testamente“ zur Kenntnisnahme übersandt.

Am 24. Januar 2022 beantragte die Beklagte die Erteilung eines Alleinerbscheins nach der Erblasserin aufgrund privatschriftlichen Testamentes vom 10. Juli 2021. Hierbei erklärte sie an Eides statt versichert, dieses „Testament“ sei von der Erblasserin eigenhändig ge- und unterschrieben worden.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe sich durch die Beantragung des Erbscheins (zumindest des Versuchs) der mittelbaren Falschbeurkundung nach § 271 StGB schuldig gemacht. Sie ist der Ansicht, die Beklagte sei deshalb erbunwürdig im Sinne von § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte wird hinsichtlich des Nachlasses der am 25. November 2021 mit letztem Wohnsitz in „…“ verstorbenen „J.“, geborene „…“, für erbunwürdig erklärt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, Erbunwürdigkeit liege nicht vor. Der Versuch einer mittelbaren Falschbeurkundung sei von § 2339 Abs. 1 nicht erfasst. Auch liege keine Urkundenfälschung (§ 267 StGB) vor. Die Erblasserin habe die letzten Jahre nur im Bett gelegen und habe kaum sitzen können, sie habe aber das ursprüngliche Testament ändern und ein neues verfassen wollen, aus dem im Testament von 10. Juli 2021 genannten Gründen. Die Erblasserin sei der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig gewesen. Die Erblasserin habe daraufhin sie, die Beklagte, gebeten, ihr das Testament vorzuschreiben, damit sie es nur abschreiben müsse. Sie, die Beklagte, habe zunächst eingewandt, dass es besser wäre, damit einen Notar zu beauftragen, dies wäre dann unproblematischer und rechtssicher. Dies sei der Erblasserin aber zu teuer gewesen und deshalb habe sie sie, die Beklagte, gebeten, ihr das Testament in Absprache mit ihr vorzuschreiben, sie werde es dann einfach abschreiben. So sei dann auch verfahren worden, wobei die Erblasserin ihr erklärt habe, was in dem Testament enthalten sein solle. Sie, die Beklagte, habe der Erblasserin dann ihren Entwurfstext überreicht und darauf hingewiesen, dass die Erblasserin es dann aber noch abschreiben müsse. Die Erblasserin habe daraufhin entgegnet, dies könne aber dauern, da es ja ganz schön viel Text sei. Nach einiger Zeit habe die Erblasserin ihr, der Beklagten, das Testament in einem verschlossenen Umschlag mit der Bitte übergeben, dies beim Nachlassgericht abzugeben. Da sie, die Beklagte, als Pflegekraft beruflich sehr eingespannt gewesen sei, zusätzlich auch noch die Erblasserin gepflegt und daher wenig Zeit gehabt habe, sei sie vor dem Tod der Erblasserin nicht mehr dazu gekommen, das Testament abzugeben. Sie habe den Umschlag dann erst nach dem Tode der Erblasserin dem Nachlassgericht übergeben, ohne vorher in den Umschlag zu schauen. Als ihr das Testament dann vom Nachlassgericht zugegangen sei, habe sie festgestellt, dass die Erblasserin das Testament doch nicht abgeschrieben, sondern nur unterschrieben habe.

Das Gericht hat die Akten des Amtsgerichts „…“ zum Aktenzeichen „…“ und „…“ zu Informationszwecken beigezogen. Wegen weiterer Einzelheiten hinsichtlich des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist hinsichtlich des Nachlasses der am 25. November 2021 verstorbenen „J.“, geborene „…“, erbunwürdig.

I.

Gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB ist erbunwürdig, wer sich in Ansehung einer Verfügung des Erblassers von Todes wegen einer Straftat nach den §§ 267, 271 bis 274 StGB schuldig gemacht hat.

Es kann vorliegend dahinstehen, ob sich die Beklagte in Bezug auf das Testament vom 10. Juli 2021 der Urkundenfälschung schuldig gemacht hat, mithin, ob die krakelige Unterschrift unter jenem Testament von der Beklagten stammt. Denn die Beklagte hat sich zumindest der versuchten mittelbaren Falschbeurkundung gemäß § 271 StGB schuldig gemacht, als sie unter dem 24. Januar 2022 einen Alleinerbschein beantragt hat.

Die Beklagte lässt im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 10. Juni 2022 selbst vortragen, dass sie das Testament vom 10. Juli 2021 eigenhändig (nach den Wünschen der Erblasserin) geschrieben habe. Sie, die Beklagte, habe die Erblasserin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Erblasserin den Text eigenhändig abschreiben müsse. Der Beklagten war mithin offenkundig bekannt, dass ein handschriftliches Testament nur dann wirksam verfasst werden kann, wenn es sowohl eigenhändig geschrieben als auch eigenhändig unterschrieben worden ist. Der Beklagten war außerdem bekannt, dass die Erblasserin – entgegen der ausdrücklichen Weisung der Beklagten – das Testament vom 10. Juli 2021 nicht noch einmal eigenhändig abgeschrieben hatte. Denn das Testament vom 10. Juli 2021 war vom Nachlassgericht unter dem 15. Dezember 2021 eröffnet und allen Kindern der Erblasserin, mithin auch der Beklagten, zur Kenntnisnahme übersandt worden. Den entsprechenden Sachverhalt räumt die Beklagte im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 10. Juni 2022 ein, wenn es dort heißt: „Als ihr das Testament dann vom Nachlassgericht zuging, stellte sie fest, dass die Mutter das Testament doch nicht abgeschrieben hatte, sondern nur unterschrieben.“

Die Beklagte wusste mithin, dass sie nicht alleinige Erbin ihrer Mutter geworden sein konnte, da das handschriftliche Testament vom 10. Juli 2021 formunwirksam war. Sie hat gleichwohl einen Erbscheinsantrag gestellt, in dem sie beantragt hat, sie als Alleinerbin zu bestimmen. Dieses Verhalten stellt eine Straftat gemäß § 271 StGB in Ansehung einer Verfügung des Erblassers dar.

Entgegen der Ansicht der Beklagten tritt Erbunwürdigkeit auch ein, wenn § 271 StGB im Versuchsstadium stecken bleibt. Denn § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB verweist auf § 271 StGB insgesamt, also auch auf § 271 Abs. 4 StGB. Im Übrigen ist es vorliegend nur der Aufmerksamkeit des Nachlassgerichts zu verdanken, dass § 271 StGB im Versuchsstadium stecken geblieben ist. Der Unwertgehalt des Verhaltens der Beklagten wird dadurch allerdings nicht geringer.

Der Verweis der Beklagten auf die historischen Veränderungen von § 267 StGB führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn es ist nicht recht ersichtlich, welche Veränderung an § 2339 BGB der Gesetzgeber denn hätte vornehmen sollen. Nachdem das StGB in Bezug auf Urkundsdelikte erweitert worden ist und auch der Versuch strafbar wurde, bedurfte es einer entsprechenden Anpassung von § 2339 BGB gar nicht mehr.

Der Klage war nach alledem stattzugeben.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich hinsichtlich der Kosten aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 704, 709 ZPO.

III.

Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt. Maßgeblich für den Gegenstandswert ist das klägerische Interesse. Ausgehend von den wirtschaftlichen Überlegungen in der Klageschrift hätte der auf die Beklagte entfallene Anteil am Nachlass einen Wert von 100.000,00 € gehabt. Dieser Wert fließt der Klägerin, da es neben den Parteien auch noch einen weiteren Erben gibt, beim Wegfall der Beklagten aufgrund Erbunwürdigkeit, allerdings lediglich zur Hälfte zu.

 

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