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Ergänzende Testamentsauslegung – Voraussetzungen

Erblasser wollte Enkel nicht bedenken

Das OLG Düsseldorf lehnte die ergänzende Testamentsauslegung ab und wies die Beschwerde eines Beteiligten zurück, der die Berufung der Kinder des Jörg … zu Ersatzerben ihrer Großmutter Ursula … im Testament des Erblassers geltend machte. Es wurde festgestellt, dass keine unbeabsichtigte Regelungslücke im Testament besteht und der Erblasser bei der letztwilligen Verfügung eine bewusste Entscheidung traf.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: I-3 Wx 76/23   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Beschwerde zurückgewiesen: Das OLG Düsseldorf wies die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ratingen zurück.
  2. Keine ergänzende Testamentsauslegung: Das Gericht verneinte die Voraussetzungen für eine ergänzende Testamentsauslegung.
  3. Klarheit des Testaments: Der Erblasser hatte klare Verfügungen hinsichtlich der Erbschaft getroffen, ohne unbeabsichtigte Lücken zu hinterlassen.
  4. Ersatzerbenstellung nicht erkennbar: Im Testament war keine Ersatzerbenstellung für die Kinder des Jörg … festgelegt.
  5. Bewusste Streichung eines Ersatzerben: Der Erblasser hatte bewusst seinen Neffen Jörg … als Ersatzerben gestrichen.
  6. Keine Anwendung von § 2069 BGB: Der Paragraf ist nicht anwendbar, da der Erblasser mit seiner Schwägerin Ursula … keinen Abkömmling bedacht hatte.
  7. Mutmaßlicher Wille des Erblassers: Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser wollte, dass die Kinder des Jörg … anstelle der Schwägerin Ursula … Erben werden sollten.
  8. Keine Berufung der Enkel als Ersatzerben: Der Erblasser hatte keine Absicht gezeigt, die Enkel als Ersatzerben zu berufen.

Das Testament und seine Interpretation: Rechtliche Herausforderungen und Konsequenzen

Das Testament eines Verstorbenen ist oft der letzte Wille, der die Verteilung seines Vermögens nach seinem Ableben bestimmt. Doch was passiert, wenn Unklarheiten oder Lücken in dieser letztwilligen Verfügung auftreten? In solchen Fällen tritt die ergänzende Testamentsauslegung in den Vordergrund, ein rechtliches Verfahren, das darauf abzielt, die wahren Intentionen des Erblassers zu erschließen und umzusetzen. Dieser Prozess kann komplex sein, besonders wenn es um die Berufung von Ersatzerben geht und wenn frühere Verfügungen des Erblassers Änderungen erfahren oder widerrufen wurden.

In der juristischen Praxis zeigt sich, wie herausfordernd es sein kann, den mutmaßlichen Willen eines Erblassers zu interpretieren, insbesondere in Fällen, in denen sich die familiären oder finanziellen Umstände nach der Erstellung des Testaments wesentlich geändert haben. So werden Gerichtsentscheidungen wie die des OLG Düsseldorf relevant, die exemplarisch veranschaulichen, wie solche Unklarheiten rechtlich behandelt werden. Tauchen Sie tiefer in einen konkreten Fall ein, in dem das Gericht über die Voraussetzungen einer ergänzenden Testamentsauslegung urteilte und erfahren Sie, welche Kriterien und Überlegungen in solchen juristischen Bewertungen eine entscheidende Rolle spielen.

Die Rolle der Ergänzenden Testamentsauslegung am OLG Düsseldorf

Im Fokus des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf stand die Frage, inwieweit eine ergänzende Testamentsauslegung bei Unklarheiten in der letztwilligen Verfügung eines Erblassers notwendig ist. Konkret ging es um das Testament eines kinderlos verstorbenen Mannes, das mehrere letztwillige Verfügungen beinhaltete. Ursprünglich hatte er seine Schwester und deren Ehemann als Erben eingesetzt, mit einer nachfolgenden Regelung für Ersatzerben, sollte er von diesen nicht beerbt werden. Spätere Testamente änderten diese Bestimmungen, indem verschiedene Familienmitglieder zu Ersatzerben ernannt wurden.

Die Komplexität testamentarischer Verfügungen

Die Komplexität des Falls zeigte sich in den vielfachen Änderungen, die der Erblasser an seinen Testamenten vorgenommen hatte. Besonders relevant war das Testament vom 6. Februar 2003, in dem der Erblasser seinen Bruder Walter und dessen Ehefrau Ursula als Alleinerben bzw. Ersatzerbin bestimmte. Eine spätere Änderung im November 2020 führte jedoch dazu, dass der Sohn Jörg, der Ersatzerbe von Ursula sein sollte, aufgrund von Streitigkeiten gestrichen wurde. Diese Streichung führte zu einer rechtlichen Grauzone bezüglich der Erbfolge und der Rolle von Ersatzerben.

Rechtliche Fragestellungen und die Entscheidung des Gerichts

Das rechtliche Dilemma in diesem Fall lag in der Auslegung der testamentarischen Verfügungen des Erblassers. Ein Beteiligter argumentierte, dass die Testamente dahingehend auszulegen seien, dass der Erblasser nur den Erbenstamm seines Bruders Walter bedenken wollte. Das Amtsgericht und später das OLG Düsseldorf mussten entscheiden, ob eine ergänzende Testamentsauslegung angebracht war, um eine mutmaßliche, aber nicht explizit formulierte Absicht des Erblassers umzusetzen. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass eine solche Auslegung nicht erforderlich sei, da keine planwidrige Regelungslücke im Testament vorlag und der Erblasser bei der Errichtung seines letzten Willens eine klare Entscheidung getroffen hatte.

Die Entscheidungsgründe und ihre Auswirkungen auf das Erbrecht

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf basierte auf der Feststellung, dass der Erblasser sich der Notwendigkeit und der Möglichkeit, Ersatzerben zu bestimmen, bewusst war. Das Gericht hielt fest, dass der Erblasser durch die Streichung seines Neffen Jörg als Ersatzerben im Jahr 2020 bewusst auf eine weitere Ersatzerbenregelung verzichtet hatte. Diese Entscheidung verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass Erblasser ihre testamentarischen Verfügungen klar und eindeutig formulieren, um spätere rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Sie zeigt auch, dass Gerichte bei der Interpretation von Testamenten sehr genau auf die Absichten des Erblassers und die Umstände zur Zeit der Testamentserrichtung achten.

Das Urteil des OLG Düsseldorf in diesem komplexen Erbrechtsfall bietet einen wichtigen Präzedenzfall für ähnliche Auseinandersetzungen und verdeutlicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen und bedachten Testamentsgestaltung.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet ergänzende Testamentsauslegung und wann wird sie angewendet?

Die ergänzende Testamentsauslegung ist ein juristisches Konzept, das in Deutschland angewendet wird, um den hypothetischen Willen eines Erblassers zu ermitteln. Sie kommt ins Spiel, wenn ein Testament eine ungewollte Regelungslücke aufweist, das heißt, wenn ein bestimmter, tatsächlich eingetretener Fall vom Erblasser nicht bedacht und deshalb nicht geregelt wurde, aber geregelt worden wäre, wenn der Erblasser ihn bedacht hätte.

Voraussetzungen

Die ergänzende Testamentsauslegung setzt voraus, dass der Erblasser bei der Errichtung des Testaments bestimmte, später eingetretene Umstände nicht bedacht hat. Diese Umstände müssen so wesentlich sein, dass sie, wären sie dem Erblasser bekannt gewesen, seine Verfügung beeinflusst hätten. Eine Regelungslücke liegt beispielsweise vor, wenn der Erblasser durch letztwillige Zuwendung einer Sachgesamtheit den Nachlass erschöpfen und einen Bedachten zum Alleinerben einsetzen wollte, und nach der Testamentserrichtung unvorhergesehenes Vermögen hinzukommt.

Anwendungsfälle

Die ergänzende Testamentsauslegung wird angewendet, wenn sich zwischen der Errichtung des Testaments und dem Erbfall wesentliche Veränderungen ergeben haben, die der Erblasser nicht vorhersehen konnte. Ein typisches Beispiel ist der Fall, dass der Erblasser nach der Errichtung des Testaments unerwartet ein Vermögen erbt.

Gesetzliche Grundlage

Die ergänzende Testamentsauslegung ist in der deutschen Rechtsprechung anerkannt, obwohl sie nicht ausdrücklich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert ist. Sie basiert auf den allgemeinen Grundsätzen der Testamentsauslegung, insbesondere auf § 133 BGB, der besagt, dass bei der Auslegung von Willenserklärungen auf den wirklichen Willen des Erklärenden abzustellen ist. Zudem greift § 2084 BGB den Grundgedanken jeder Testamentsauslegung auf, wonach dem Erblasserwillen und nicht dem vordergründig Erklärten zum Erfolg zu verhelfen ist.


Das vorliegende Urteil

OLG Düsseldorf – Az.: I-3 Wx 76/23 – Beschluss vom 31.07.2023

I. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ratingen vom 6. April 2023 wird zurückgewiesen.

II. Der Beteiligten zu 1. hat die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und dem Beteiligten zu 4. die ihm in der Beschwerdeinstanz entstandenen notwendigen Aufwendungen zu ersetzen.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

IV. Der Beschwerdewert wird auf bis 62.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der ledig und kinderlos verstorbene Erblasser hatte eine Schwester (Ilse …) und zwei Brüder (Kurt … und Walter …). Alle Geschwister sind vorverstorben – der Bruder Kurt im Jahr 1986 und der Bruder Walter im Jahr 2016 – und haben Abkömmlinge hinterlassen. Die Beteiligten zu 1. bis zu 3. sind die in den Jahren 1986, 1989 und 1991 geborenen Enkel des Bruders Walter; ihr Vater ist Jörg … Der Beteiligte zu 4. ist der Sohn des Bruders Kurt.

Der Erblasser errichtete mehrere letztwillige Verfügungen. Mit notariellem Testament vom 19. März 1991 setzte er seine Schwester und ersatzweise deren Ehemann Heinz … als Erben ein; für den Fall, dass er weder von seiner Schwester noch von seinem Schwager beerbt werden sollte, berief er Beate und Anja … zu weiteren Ersatzerben.

Mit notariellem Testament vom 17. August 1999 änderte der Erblasser das vorgenannte Testament in Bezug auf die zugunsten von Beate und Anja … getroffene Bestimmung. Er berief statt ihrer zu Ersatzerben seinen Neffen Jörg … zu ½-Anteil sowie seinen Bruder Walter … und dessen Ehefrau Ursula … je zu ¼-Anteil. Für den Fall, dass einer dieser weiteren Ersatzerben wegfällt, traf der Erblasser Regelungen, nach denen die schon berufenen Ersatzerben an die Stelle des weggefallenen Ersatzerben treten sollen.

Unter dem 6. Februar 2003 ließ der Erblasser erneut seinen letzten Willen notariell beurkunden. Er erklärte den Widerruf seiner früheren Verfügungen von Todes wegen und bestimmte seinen Bruder Walter … zum Alleinerben, dessen Ehefrau Ursula … zur Ersatzerbin und deren Sohn Jörg … zu deren Ersatzerben.

Mit weiterem notariell beurkundetem Testament vom 9. November 2020 änderte der Erblasser das Testament vom 6. Februar 2003 in Bezug auf die Ersatzerbenberufung und verfügte, dass Jörg … als Ersatzerbe seiner Mutter ersatzlos gestrichen werde. Anlass waren Streitigkeiten zwischen dem Erblasser und Jörg …

Ursula … erklärte mit notarieller Urkunde vom 8. August 2022 die Ausschlagung der Erbschaft und focht die Versäumung der Ausschlagungsfrist an. Grund für die Ausschlagung war die Tatsache, dass sie Grundsicherungsleistungen bezieht und die Annahme der Erbschaft zum Fortfall oder einer Kürzung dieser Leistungen geführt hätte.

Unter dem 8. August 2022 hat der Beteiligte zu 1. die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn und seine beiden Geschwister als Miterben zu je 1/3-Anteil ausweist. Die Testamente vom 6. Februar 2003 und 9. November 2020 seien – so macht er geltend – im Wege erläuternder, hilfsweise ergänzender Auslegung dahin zu verstehen, dass der Erblasser allein den Erbenstamm aus der Linie seines Bruders Walter habe bedenken wollen. Ausschließlich ihren Vater Jörg … habe der Erblasser nicht zum Ersatzerben berufen wollen.

Das Amtsgericht hat die Voraussetzungen für eine ergänzende Testamentsauslegung verneint und den Erbscheinantrag zurückgewiesen.

Dagegen wendet sich der Beteiligte zu 1. mit seiner Beschwerde. Er behauptet, seine Großmutter Ursula … habe mit dem Erblasser stets darüber gesprochen, dass die im Eigentum des Erblassers stehende Wohnung … von ihr unmittelbar an die Enkel (also die Beteiligten zu 1. bis zu 3.) vererbt werden würde. Dies sei stets im Sinne des Erblassers gewesen. Ursula … sei zunächst als Erbin berufen worden, um ihr für die langjährige Versorgung des Erblassers zu danken und mit dem Wissen, dass die Immobilie nach ihrem Tod an die Enkel fallen sollte.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie der Akte über die Verfügungen von Todes wegen (AG Ratingen, …) und der Nachlassakte betreffend die Ausschlagungserklärung der Ursula … (AG Ratingen, …) verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat mit Recht die von dem Beteiligten zu 1. begehrte ergänzende Testamentsauslegung abgelehnt und den darauf gestützten Erbscheinantrag folgerichtig zurückgewiesen.

A. Der Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1. ist nur dann begründet, wenn das notariell beurkundete Testament vom 6. Februar 2003 trotz der vom Erblasser am 9. November 2020 verfügten Modifikation dahin auszulegen ist, dass die Kinder des Jörg … zu Ersatzerben ihrer Großmutter Ursula … berufen sind. Andernfalls ist der Erblasser nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge (§§ 1924 ff. BGB) beerbt worden und gehört folglich auch der Beteiligte zu 4. zu den Erben.

B. Mit zutreffenden Erwägungen hat das Amtsgericht angenommen, dass sich eine testamentarisch angeordnete Ersatzerbenstellung der Beteiligten zu 1. bis zu 3. nicht feststellen lässt.

1. Das Testament vom 6. Februar 2003 enthält keine diesbezügliche Anordnung. Es bestimmt die Schwägerin Ursula … zur Ersatzerbin und deren Sohn Jörg … zu deren Ersatzerben, wobei der Erblasser den Letztgenannten wegen bestehender Streitigkeiten mit Erklärung vom 9. November 2020 als Ersatzerben wieder gestrichen hat.

2. Aus § 2069 BGB können die Beteiligten zu 1. bis zu 3. keine Erbenstellung herleiten. Nach der genannten Vorschrift sind dann, wenn der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht hat und dieser nach der Errichtung des Testaments wegfällt, im Zweifel dessen Abkömmlinge insoweit bedacht, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden. Die Auslegungsregel kommt vorliegend schon deshalb nicht zur Anwendung, weil der Erblasser mit seiner Schwägerin Ursula … keinen Abkömmling bedacht hat und eine analoge Anwendung der Norm auf solche Fälle ausscheidet (vgl. nur: KG, Beschluss vom 22.6.2020, 19 W 91/19).

3. Eine ergänzende Testamentsauslegung dahin, dass die Beteiligten zu 1. bis zu 3. nach dem mutmaßlichen Willen des Erblassers als Ersatzerben nach ihrer Großmutter Ursula … bedacht sind, scheidet ebenfalls aus.

a) Es lässt sich schon nicht feststellen, dass das Testament vom 6. Februar 2003 unter Berücksichtigung seiner am 9. November 2020 verfügten Änderung eine planwidrige Regelungslücke aufweist.

aa) Die ergänzende Testamentsauslegung setzt voraus, dass die letztwillige Verfügung eine unbeabsichtigte Lücke aufweist, die durch den festzustellenden Willen des Erblassers zu schließen ist. Dabei muss aus dem Gesamtbild des Testaments selbst eine Willensrichtung des Erblassers erkennbar sein, die tatsächlich in Richtung der vorgesehenen Ergänzung geht. Durch die Auslegung darf kein Wille in das Testament hineingetragen werden, der darin nicht andeutungsweise zum Ausdruck kommt. Eine durch den Wegfall des Bedachten entstandene Lücke kann deshalb nur geschlossen werden, wenn die für die Zeit der Testamentserrichtung anhand des Testaments oder unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung festzustellende Willensrichtung des Erblassers dafür eine genügende Grundlage bietet: Nach der Willensrichtung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung muss anzunehmen sein, dass er die Ersatzerbeinsetzung gewollt hätte, sofern er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte (KG, Beschluss vom 22.6.2020, 19 W 91/19; OLG Köln, Beschluss vom 14.1.2020, 2 Wx 16/20 m.w.N.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.5.2020, 3 W 74/20; BayObLG, Beschluss vom 27. Juni 1997, 1Z BR 240/96). Ein dahingehender Erblasserwille muss also bei Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht wirklich vorhanden oder dem Erblasser bewusst gewesen sein; erforderlich ist aber die Feststellung, dass der Erblasser bei Berücksichtigung der später eingetretenen Sachlage mutmaßlich die Berufung der in Rede stehenden Ersatzerben gewünscht hätte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 14.1.2020, 2 Wx 16/20). Ob sich die planwidrige Testamentslücke aus nach der Errichtung der letztwilligen Verfügung vom Erblasser nicht bedachten Veränderungen ergibt oder ob der Erblasser die Verhältnisse zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung falsch beurteilt hat, indem er beispielsweise aus einem bekannten tatsächlichen Umstand fehlerhafte rechtliche Schlussfolgerungen gezogen oder sich über den Inhalt eines Vertrages geirrt hat, ist demgegenüber unerheblich (OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.5.2020, 3 W 74/20).

bb) Eine planwidrige Regelungslücke in diesem Sinne liegt nicht vor.

Mit Recht hat das Amtsgericht berücksichtigt, dass dem Erblasser ausweislich der von ihm getroffenen letztwilligen Verfügungen die Möglichkeit (und Notwendigkeit) einer Bestellung von Ersatzerben bestens bekannt war. Mit notariellem Testament vom 19. März 1991 hatte er nicht nur seinen Schwager Heinz … zum Ersatzerben berufen, sondern als dessen Ersatzerben Beate und Anja … bestimmt. Eine noch weitergehende Ersatzerbenregelung enthält die letztwillige Verfügung vom 17. August 1999. Darin hat der Erblasser zu Ersatzerben seines Schwager Heinz … den Neffen Jörg … zu ½-Anteil sowie seinen Bruder Walter … und dessen Ehefrau Ursula … je zu ¼-Anteil bestimmt und für den Fall, dass einer dieser weiteren Ersatzerben wegfällt, eine Anwachsungsanordnung getroffen. Eine Ersatzerbenregelung enthält auch das Testament vom 6. Februar 2003. Darin hat der Erblasser seine Schwägerin Ursula … als Ersatzerbin und den Sohn Jörg … als deren Ersatzerben bestimmt.

Dem Erblasser war somit bewusst, dass er mit der am 9. November 2020 verfügten Streichung des weiteren Ersatzerben Jörg … – abweichend von seinen sämtlichen zuvor getroffenen letztwilligen Verfügungen – auf eine testamentarische Vorkehrung für den Fall verzichtete, dass seine zur Ersatzerbin berufene Schwägerin in der Erbfolge wegfallen sollte. Dabei war der als Erbe berufene Bruder Walter … im November 2020 bereits seit Jahren vorverstorben und seine Ehefrau Ursula … seither zur Alleinerbin bestimmt, weshalb das Testament ab diesem Zeitpunkt überhaupt keine Ersatzerbenbestimmung mehr enthielt. Dafür, dass der Erblasser diese Rechtslage verkannt und sich in einem Irrtum über die beschriebene Lückenhaftigkeit seiner testamentarischen Anordnung befunden hat, spricht bei vernünftiger Betrachtung nichts. Die pauschale Behauptung der Beschwerde, der Erblasser habe am 9. November 2020 die Notwendigkeit übersehen, nunmehr die Beteiligten zu 1. bis zu 3. als Ersatzerben zu berufen, widerspricht jeder Lebenserfahrung, ist substanzlos und nicht ansatzweise nachvollziehbar dargelegt; ihr ist aus diesem Grunde nicht nachzugehen. Der Umstand, dass der Erblasser vor seinem Tod den Wunsch geäußert hat, den Beteiligten zu 1. bis zu 3. seine Wohnung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zu übertragen, ist in diesem Zusammenhang ohne eine relevante Aussagekraft; er belegt weder unmittelbar noch indiziell die behauptete Fehlvorstellung des Erblassers über die nicht mehr vorhandene Ersatzerbenberufung.

Unter den dargestellten Umständen des Falles weist das Testament vom 6. Februar 2003 damit in Bezug auf die Bestimmung von Ersatzerben keine planwidrige Lücke auf. Dem Erblasser war vielmehr im November 2020 bewusst, mit der Streichung seines Neffen Jörg … den einzigen testamentarisch berufenen Ersatzerben von seiner Erbfolge auszuschließen.

b) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass es dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entsprochen hat, dass die Beteiligten zu 1. bis zu 3. an Stelle der Schwägerin Ursula … seine Ersatzerben sein sollen.

aa) Die Rechtsprechung zieht eine ergänzende Testamentsauslegung dahin, dass statt des testamentarisch bedachten (Ersatz-)Erben dessen Abkömmlinge bei der Erbfolge zum Zuge kommen sollen, dann in Betracht, wenn sich aus dem Umständen des Falles für den Zeitpunkt der Testamentserrichtung der Wille des Erblassers feststellen lässt, den Bedachten nicht nur persönlich, sondern als Ersten seines Stamms zur Erbfolge zu berufen (vgl. nur: KG, Beschluss vom 22.6.2020, 19 W 91/19 m.w.N.). Mit dieser Erwägung kann im Entscheidungsfall eine mutmaßliche Ersatzerbenberufung der Beteiligten zu 1. bis zu 3. nicht begründet werden. Zwar ist die bedachte Ursula … in Bezug auf die Beteiligten zu 1. bis zu 3. die Erste ihres Stamms; denn sie ist die Mutter des Jörg … und die Großmutter der Beteiligten zu 1. bis zu 3.. Daraus ist aber nicht der vermeintliche Wille des Erblassers abzuleiten, die drei Beteiligten an Stelle ihrer Großmutter zur Erbfolge zu berufen. Zwar mag der Erblasser mit der Erbeinsetzung seiner Schwägerin und der Ersatzerbenberufung ihres Sohnes Jörg … einen dahingehenden letzten Willen zum Ausdruck gebracht haben. Diesen Willen hat er aber aufgegeben, indem er Jörg … am 9. November 2020 aus Anlass bestehender Streitigkeiten von der Erbfolge ausgeschlossen hat. Dieser Ausschluss von der Ersatzerbfolge steht der Annahme entgegen, der Erblasser habe seine Schwägerin Ursula … nicht persönlich, sondern als die Erste ihres Stamms bedacht und bei ihrem Fortfall mutmaßlich den/die Nächsten im Stamm zur Erbfolge berufen.

bb) Eine ergänzende Testamentsauslegung zugunsten der Beteiligten zu 1. bis zu 3. lässt sich auch nicht mit der Behauptung der Beschwerde begründen, Ursula … habe mit dem Erblasser stets darüber gesprochen, dass die im Eigentum des Erblassers stehende Wohnung …. von dieser unmittelbar an die Beteiligten zu 1. bis zu 3. vererbt werde, sie selbst (Ursula …) sei aus Dankbarkeit für die langjährige Versorgung des Erblassers zunächst als Erbin berufen worden mit dem Wissen, dass die Immobilie nach ihrem Tod an die Enkel fallen solle.

(1) Der von der Beschwerde reklamierten ergänzenden Testamentsauslegung steht bereits entgegen, dass die Beteiligten zu 1. bis zu 3. nach ihrem eigenen Vorbringen erst als Erben der Ursula … zum Zuge kommen sollten.

Legt man die behauptete Vorstellung des Erblassers zugrunde, wonach sein Nachlass zunächst der Schwägerin Ursula … und sodann im Wege der weiteren Erbfolge den Beteiligten zu 1. bis zu 3. zufallen sollte, mag sich daraus der mutmaßliche Erblasserwille ergeben, die Beteiligten zu 1. bis zu 3. im Falle eines Vorversterbens der Ursula … zu eigenen Ersatzerben zu berufen. Denn mit einer solchen Ersatzerbenberufung der Beteiligten zu 1. bis zu 3. wäre aus Sicht des Erblassers wirtschaftlich das Gewollte erreicht.

Grundlegend anders gelagert ist der Streitfall. Die Erbin Ursula … ist nicht vorverstorben, sondern hat den Nachlass des Erblassers aus freien Stücken ausgeschlagen. Dass der Erblasser auch in diesem Fall die Beteiligten zu 1. bis zu 3. als seine Ersatzerben berufen hätte, ist offen. Ein dahingehender mutmaßlicher Erblasserwille versteht sich nicht von selbst, sondern ist anhand stichhaltiger Indizien festzustellen. Solche aussagekräftigen Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

(2) Zweifel sind im Gegenteil angezeigt, weil die Beteiligten zu 1. bis zu 3. von Anfang an die Wohnung des Erblassers von ihrer Großmutter unmittelbar – also ohne einen „Umweg“ über den Vater Jörg … – erben sollten und das familiäre Verhältnis des Erblassers zu seinem Neffen Jörg … seinerzeit noch intakt war. Nach dem Sach- und Streitstand hatte diese unmittelbare Erbeinsetzung der Beteiligten sachbezogene Gründe und war nicht darauf gerichtet, den Vater Jörg … bei der Erbfolge zu übergehen. Dafür sprechen nicht zuletzt die Ausführungen der Beschwerde zu dem Wunsch des Erblassers, die Familienhäuser im Familienbesitz zu belassen und das Familienerbe niemals an Dritte zu veräußern; an keiner Stelle ist dort von einer Benachteiligung des Jörg … die Rede. Dieser war im Gegenteil vom Erblasser im Februar 2003 testamentarisch zu seinem Ersatzerben bestimmt worden.

Dann drängt sich aber die Frage auf, ob die späteren Streitigkeiten, die am 9. November 2020 zum Ausschluss des Jörg … von der Ersatzerbfolge geführt haben, nicht auch den Nachfolgeerwägungen des Erblassers zugunsten der Beteiligten zu 1. bis zu 3. die Grundlage entzogen haben. Da die Beteiligten nach den Vorstellungen des Erblassers bei Testamentserrichtung nämlich nicht an ihrem Vater Jörg … vorbei, sondern statt seiner in den Genuss der Erbschaft kommen sollten, ist mit dem Ausschluss des Jörg … von der Ersatzerbfolge zugleich die mutmaßliche Erbenberufung der Beteiligten zu 1. bis zu 3. in Frage gestellt. Nach allgemeiner Lebenserfahrung liegt es nahe, dass der Erblasser, der die Beteiligten zu 1. bis zu 3. nur stellvertretend für ihren Vater Jörg … an seinem Nachlass beteiligen wollte, nach dessen Ausschluss von der Ersatzerbfolge auch seine ursprüngliche Absicht aufgegeben hat, seine Kinder zu begünstigen. Umstände, die diesen naheliegenden Schluss ausräumen, trägt die Beschwerde nicht vor. Ihre Behauptung, gerade nach dem Erbausschluss des Jörg … seien der Erblasser und Ursula … „davon ausgegangen“, dass die Wohnung an die Beteiligten zu 1. bis zu 3. fallen solle, ist substanzlos und offensichtlich unzureichend. Sie gibt nicht ansatzweise Aufschluss darüber, durch welche Äußerungen der Erblasser bei welcher Gelegenheit seine Absicht zum Ausdruck gebracht haben soll, den Beteiligten zu 1. bis zu 3. trotz des Erbausschlusses ihres Vaters unverändert seine Wohnung zukommen lassen zu wollen. Die Beschwerde legt auch nicht im Ansatz dar, aus welchen Gründen und mit welchen Erwägungen der Erblasser entschieden haben soll, an der stellvertretend für ihren Vater Jörg … beabsichtigten Nachlassbeteiligung der Beteiligten trotz der familiären Streitigkeiten festhalten zu wollen. Unter diesen Umständen ist der betreffende Gesichtspunkt nicht von Amts wegen aufzuklären.

III.

Der Kostenausspruch beruht auf § 84 FamFG und in Bezug auf die außergerichtlichen Aufwendungen des Beteiligten zu 4. auf § 81 FamFG.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor.

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG; der Beschwerdewert entspricht – dem wirtschaftlichen Interesse des Beteiligten zu 1. an dem nachgesuchten Erbschein folgend – einem Drittel des auf 185.000 Euro bezifferten Nachlasswertes.

 

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