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Ergänzungsanspruch bei formeller Unvollständigkeit notarielles Nachlassverzeichnis

OLG Hamm – Az.: I-5 W 19/20 – Beschluss vom 16.03.2020

Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 30.01.2020 wird der Beschluss des Landgerichts Bochum vom 20.01.2020 (Az. 6 O 44/17) abgeändert.

Aufgrund der Verpflichtung aus dem vollstreckbaren Anerkenntnis-Teilurteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 09.05.2017 (Az. I-6 O 44/17) wird gemäß § 888 ZPO angeordnet:

Zur Erzwingung der im vorerwähnten Titel bezeichneten Handlung, nämlich Auskunft über den Bestand der am 06.06.2016 in L verstorbenen  M, geb. J, geboren am 19.06.1954, zum Stichtag des Erbfalls, dem 06.06.2016, zu erteilen und zwar durch Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses, welches insbesondere folgende Punkte umfasst:

a.

alle beim Erbfall vorhandenen Immobilien, Mobilien, Versicherungsagentur und Forderungen (Aktiva);

b.

alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und Erbfallschulden);

c.

alle pflichtteilsergänzungsrelevanten Zuwendungen, die die Erblasserin zu Lebzeiten getätigt hat und zwar ohne zeitliche Begrenzung auch über den Zehn-Jahres-Zeitraum hinaus;

d.

alle Güterstände, in dem die Erblasserin während der Ehe gelebt hat;

wird gegen den Schuldner ein Zwangsgeld in Höhe von 1.250 EUR festgesetzt. Für den Fall, dass dieses Zwangsgeld nicht beigetrieben werden kann, wird ersatzweise für je 50 EUR ein Tag Zwangshaft verhängt.

Die Kosten des Zwangsvollstreckungsverfahrens einschließlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Schuldner.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 2.500 EUR.

Gründe

I.

Die gemäß den §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 793 ZPO statthafte, form- und fristgerecht (§§ 78 Abs. 1, 569 Abs. 1 und 2 ZPO) eingelegte sofortige Beschwerde des Schuldners hat in der Sache Erfolg. Gegen den Schuldner war ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 1.250 EUR zu verhängen.

1.

Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 704 Abs. 1, 724 Abs. 1, 725, 750 Abs. 1 ZPO sind erfüllt. Der Vollstreckungstitel, das Teilanerkenntnisurteil vom 09.05.2017, ist den Prozessbevollmächtigten des Schuldners ausweislich des bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses bereits am 12.05.2017 zugestellt worden. Der Gläubiger hat zudem am 07.08.2018 eine vollstreckbare Ausfertigung dieses Urteils erwirkt.

2.

Die titulierte Verpflichtung, durch Vorlage eines notarielle aufgenommenen Vermögensverzeichnisses Auskunft zu erteilen, betrifft eine nach § 888 ZPO zu vollstreckende unvertretbare Handlung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. April 2013 – 7 W 20/13 -, Rn. 4, juris; OLG Köln, RNotZ 2013, 127; OLG Celle, DNotZ 2003, 62).

Der Erfüllungseinwand, den der Schuldner im vorliegenden Verfahren erhebt, ist im Falle der Zwangsvollstreckung zur Erzwingung vertretbarer Handlungen gem. § 887 ZPO auch im Vollstreckungsverfahren selbst zu beachten (BGHZ 161, 61). Für den hier gegebenen Fall der Zwangsvollstreckung zur Erzwingung der Vornahme einer nicht vertretbaren Handlung nach § 888 ZPO gilt nichts anderes (OLG Köln, RNotZ 2013, 127; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. April 2013 – 7 W 20/13 -, Rn. 6, juris; Zöller/Stöber, ZPO, § 888 Rz. 11).

3.

Der von dem Schuldner erhobene Erfüllungseinwand ist nicht berechtigt. Der Schuldner ist seinen Verpflichtungen aus dem Teilanerkenntnisurteil vom 09.05.2017 durch Vorlage der notariellen Urkunden des Notars C in I vom 04.12.2019 (UR-Nr. XXX) nicht in der geschuldeten Weise nachgekommen.

a)

Der Auskunftsanspruch ist nicht erfüllt, soweit zwar eine Auskunft erteilt wurde, diese aber bereits formell offensichtlich unvollständig ist. In diesem Fall besteht ein Anspruch auf Ergänzung der Auskunft (BGH, Urteil vom 16.09.1982 – X ZR 54/81, GRUR 1982, 723, 726 zu geschätzten Angaben statt eines konkreten Zahlenwerks; OLG Hamburg, Urteil vom 31.01.2003 – 3 U 72/01, NJW-RR 2002, 1292). Das gilt etwa, wenn zu einem abgrenzbaren Gegenstand keinerlei Angaben gemacht wurden (RG, Urteil vom 12.01.1914 – IV 492/13, RGZ 84, 41, 44).

Sind dagegen hinsichtlich eines einheitlichen Teils Angaben gemacht worden, berechtigt dies nicht zur Ergänzung der Auskunft wegen inhaltlicher Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit, sondern allenfalls zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (RG, Urteil vom 12.01.1914 – IV 492/13, RGZ 84, 41, 44; BAG, Urteil vom 26.11.1971 – 3 AZR 220/71, AP Nr. 26 zu § 611 BGB; BGH, Urteil vom 29.10.1957 – I ZR 192/56, LM Nr. 3 und 6 zu § 254 ZPO; a.M. OLG Kassel, Urteil vom 07.03.1921, I ZS, OLGE 41, 131).

Die Abgrenzung zwischen einer den Ergänzungsanspruch auslösenden offensichtlichen Unrichtigkeit und einer ggf. den Anspruch auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung auslösenden Unrichtigkeit, die – weil die richtigen Angaben fehlen – auch immer eine Unvollständigkeit ist, ist unter Abwägung der Interessen der Parteien zu treffen (BGH, Urteil vom 16.09.1982 – X ZR 54/81, MDR 1983, 128, 129). Dabei ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, ob die eidesstattliche Versicherung über die Richtigkeit und Vollständigkeit der Rechnungslegung als milderes Mittel genügt, um das Interesse des Gläubigers zu wahren, oder ob es des schärferen Mittels der Zwangsgeldfestsetzung nach § 888 ZPO bedarf.

b)

Gemessen an diesen Grundsätzen liegt hier eine formelle Unvollständigkeit des notariellen Nachlassverzeichnisses vor, die einen nach § 888 ZPO zu vollstreckenden Anspruch auf Ergänzung der Auskunft begründet.

aa)

Der Schuldner ist nach dem Tenor des Anerkenntnis-Teilurteils vom 09.05.2017 verpflichtet, unter anderem Auskunft über alle pflichtteilsergänzungsrelevanten Zuwendungen zu erteilen, die die Erblasserin zu Lebzeiten getätigt hat und zwar ohne zeitliche Begrenzung auch über den Zehn-Jahres-Zeitraum hinaus. In dem notariellen Nachlassverzeichnis des Notars C aus I heißt es auf S. 2, dass die Erblasserin nach Kenntnis des Schuldners während der letzten zehn Jahre vor dem Tode keine Schenkungen gemacht habe, die über Anstandsschenkungen hinaus gingen. Zu dem davorliegenden Zeitraum verhält sich das Nachlassverzeichnis mithin nicht. Damit ist es bereits formell offensichtlich unvollständig mit der Folge, dass die Gläubigerin gegen den Schuldner einen Anspruch auf Ergänzung der Auskunft hat.

bb)

Die weiteren Einwendungen der Gläubigerin gegen den Inhalt des notariellen Nachlassverzeichnisses sind dagegen unbegründet.

Das im Streitfall geschuldete durch einen Notar aufgenommene Nachlassverzeichnis gemäß § 2314 Abs. 1 BGB liegt nicht bereits dann vor, wenn der Notar lediglich Erklärungen des Auskunftspflichtigen über den Bestand bekundet, sondern setzt vielmehr voraus, dass der Notar den Nachlassbestand selbst ermittelt hat und durch Unterzeichnung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringt, dass er für dessen Inhalt verantwortlich ist (OLG Celle, DNotZ 2003, 62; OLG Celle, OLGR 2003, 370; OLG Koblenz, OLGR 2007, 468; OLG Karlsruhe, ZEV 2008, 189; OLG Düsseldorf, RNotZ 2008, 105; OLG Nürnberg, Beschluss vom 26.8.2009 – 12 W 1364/09, BeckRS 2009, 27573, beck-online; Palandt/Weidlich, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2314 Rz. 7). Die Aufnahme des Verzeichnisses durch eine Amtsperson soll dem Pflichtteilsberechtigten einen höheren Grad an Richtigkeit der Auskunft gewährleisten als die Privatauskunft des Erben. Sie ist schon begrifflich eigene Bestandsaufnahme, nicht nur Aufnahme von Erklärungen einer anderen Person (BGHZ 33, 373; OLG Koblenz, NJW 2014, 1972).

Der Notar entscheidet unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände nach eigenem Ermessen, welche Ermittlungen er vornimmt. Zu Nachforschungen ins Blaue hinein ist er nicht verpflichtet. Das Ergebnis dieser Ermittlungen muss er in der Urkunde niederlegen und als eigene Erklärung zum Ausdruck bringen, dass nach diesen Ermittlungen weitere Nachlassgegenstände nicht vorhanden sind. Seine Verantwortung für die abgegebene Erklärung kann er dabei dadurch eingrenzen, dass er die von ihm vorgenommenen Ermittlungen offenlegt, so dass deutlich wird, in welchem Umfang er überhaupt eigene Feststellungen treffen konnte (OLG Koblenz, Beschluss vom 18. März 2014 – 2 W 495/13 -, Rn. 28, juris).

Diesen Anforderungen genügt die notarielle Urkunde des Notars C in I.

Dieser lässt sich entnehmen, dass der Notar nicht nur Erklärungen des Schuldners entgegengenommen, sondern auch eigene Feststellungen zu dem Bestand des Nachlasses getroffen hat. Der Notar hat auf S. 1 und 2 des Nachlassverzeichnisses vom 04.12.2019 dargelegt, dass er mehrere ausführliche Gespräche mit dem Schuldner geführt, die drei im Nachlass befindlichen Immobilien in Augenschein genommen sowie eine Ortsbesichtigung des Wohnhauses der Erblasserin vorgenommen habe, bei der auch das Inventar und die persönliche Habe gesichtet worden seien. Zudem seien die vom Schuldner vorgelegten Unterlagen in Augenschein genommen worden. Damit hat der Notar in ausreichender Weise dargelegt, dass und welche Ermittlungstätigkeiten er nach seinem Dafürhalten für erforderlich gehalten und durchgeführt hat. Einer konkreteren Bezeichnung der durchgeführten Maßnahmen bedurfte es insoweit nicht. Ebenso wenig bedurfte es – über die noch offene Frage, ob pflichtteilsrelevante Zuwendungen über den Zehn-Jahres-Zeitraum hinaus erfolgt sind – weiterer Ermittlungen bezüglich vermeintlicher Schenkungen. Die pauschal gehaltenen Ausführungen der Gläubigerin zu der Führung der Versicherungsagentur, den finanziellen Verhältnissen der Eheleute und angeblichen Überweisungen des Schuldners von dem Geschäftskonto der Agentur auf sein Privatkonto begründen keine objektiven Anhaltspunkte für derartige pflichtteilsrelevante Zuwendungen, die den Notar zwingend zu weiteren Ermittlungen hätten veranlassen müssen. Der Schuldner bezog nach dem eigenen Vortrag der Gläubigerin eine Erwerbsunfähigkeitsrente in einer von seinerzeit bereits 4.000 DM, von der er problemlos seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte.

Der Notar hat zudem durch Unterzeichnung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck gebracht, dass er für dessen Inhalt verantwortlich ist.

cc)

Das Nachlassverzeichnis ist auch nicht deshalb evident unvollständig, weil die einzelnen Gegenstände der Auskunftspflicht in ihm nicht entsprechend der Tenorierung der Anerkenntnis-Teilurteile abschnittsweise „abgearbeitet“ worden sind; es genügt, wenn das notarielle Nachlassverzeichnis die geschuldeten Auskünfte überhaupt enthält.

3.

Ebenfalls mit Erfolg rügt die Gläubigerin indessen einen Verstoß gegen ihr Hinzuziehungsrecht nach § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB.

Ein Verstoß gegen die verlangte Zuziehung begründet einen Anspruch auf Wiederholung der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses. Ein nachträgliches Verlangen erfordert dagegen nur dann die Wiederholung, wenn nicht die §§ 226, 242 BGB entgegenstehen (Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl. 2020, § 2314 Rz. 6).

Hier ist das Zuziehungsrecht von der Gläubigerin mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Gläubigerin vom 11.07.2019 (Bl. 491 d.A.) geltend gemacht worden, damit lange vor Erstellung des notariellen Notarverzeichnisses vom 04.12.2019. Zwar hat der Schuldner bereits mit Schriftsatz seiner Anwälte vom 24.06.2019 ein Nachlassverzeichnis übermittelt, das von dem Notar C erstellt und übermittelt worden sein soll. Nach eigenen Angaben des Prozessbevollmächtigten des Schuldners handelte es sich dabei aber nur um ein vorläufiges Nachlassverzeichnis. Ob zu diesem Zeitpunkt bereits eine Sichtung des Nachlasses durch den Notar erfolgt war, ist nicht ersichtlich. Demzufolge lässt sich nicht feststellen, dass eine Wiederholung der Aufnahme des Verzeichnisses gegen das Schikaneverbot oder den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen würde.

4.

Die festgesetzte Höhe des Zwangsgeldes ist mit 1.250,00 EUR ausreichend, aber auch erforderlich. Insofern war zu berücksichtigen, dass es sich bereits um eine zweite Vollstreckungsmaßnahme handelt und der Schuldner inzwischen knapp drei Jahre Zeit hatte, um den titulierten Anspruch zu erfüllen, während andererseits nicht außer Betracht bleiben konnte, dass der Schuldner mittlerweile ein notarielles Nachlassverzeichnis vorgelegt hat, das in großen Teilen nicht zu beanstanden ist.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 891 S. 3 i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO analog.

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