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Erlass einer öffentlichen Aufforderung nach § 2358 Abs. 2 BGB

Versäumtes Aufgebotsverfahren: Kammergericht Berlin korrigiert Nachlassgerichts-Entscheidung in Erbschein-Angelegenheit

In einem komplexen Fall, der die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins betrifft, hat das Kammergericht Berlin eine Entscheidung des Amtsgerichts Neukölln kassiert. Im Kern ging es um die Frage, ob ein Aufgebotsverfahren nach § 2358 Abs. 2 BGB durchgeführt werden sollte, um einen potenziell vorrangig erbberechtigten Abkömmling der Erblasserin auszuschließen. Das Nachlassgericht hatte dies abgelehnt, was das Kammergericht als verfahrensfehlerhaft einstufte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 W 56/19 >>>

Die Beschwerde und ihre Zulässigkeit

Die Beteiligten hatten ursprünglich einen Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins gestellt, der vom Nachlassgericht zurückgewiesen wurde. Dagegen legten sie Beschwerde ein, die form- und fristgerecht war und somit nach den §§ 58, 59, 63 FamFG zulässig ist. Das Nachlassgericht half der Beschwerde nicht ab und legte sie dem Kammergericht zur Entscheidung vor.

Mangelnde Ermittlungsmaßnahmen des Nachlassgerichts

Das Kammergericht stellte fest, dass die Entscheidung des Nachlassgerichts einer Überprüfung nicht standhält. Insbesondere wardie Ablehnung eines Aufgebotsverfahrens nicht mehr durch das pflichtgemäße Ermessen des Nachlassgerichts gedeckt. Die Beteiligten hatten alle erforderlichen Angaben gemacht und die zumutbaren urkundlichen Nachweise vorgelegt. Weitere Nachforschungsmaßnahmen konnten von ihnen nicht verlangt werden.

Unbekannter Verbleib des potenziell erbberechtigten Sohnes

Ein besonderes Problem in diesem Fall war der unbekannte Verbleib des Sohnes der Erblasserin. Trotz umfangreicher Recherchen, auch durch offizielle Stellen wie das DRK und die Deutsche Rentenversicherung, konnte der Aufenthaltsort des Sohnes nicht ermittelt werden. Der letzte Kontakt zur Familie bestand im Jahr 1952, und es gab keine weiteren erfolgversprechenden Ermittlungsmöglichkeiten.

Notwendigkeit eines Aufgebotsverfahrens

Das Kammergericht kam zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen für ein Aufgebotsverfahren nach § 2358 Abs. 2 BGB nicht nur gegeben, sondern sogar zwingend geboten sind. Das Nachlassgericht hätte dieses nicht ablehnen dürfen, ohne weitere erfolgversprechende Ermittlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Zweifel des Nachlassgerichts am Tod des Sohnes der Erblasserin rechtfertigten es nicht, von einem Aufgebotsverfahren Abstand zu nehmen.


Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.: 6 W 56/19 – Beschluss vom 03.01.2020

Auf die Beschwerde der Antragsteller vom 27. November 2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts Neukölln – Nachlassgericht – vom 18. Oktober 2019 aufgehoben.

Gründe

Durch hiermit in Bezug genommenen Beschluss vom 18. Oktober 2019 (Bl. 89 – 91 Bd. II d. A.) hat das Nachlassgericht den in notarieller Verhandlung vom 10. August 2018 (Bl. 3 – 7 Bd. II d. A.) gestellten Antrag der Beteiligten zu 1), ihnen zusammen mit weiteren Abkömmlingen der Eltern der Erblasserin einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1), der das Nachlassgericht nicht abgeholfen, sondern sie dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt hat.

Die Beschwerde ist gemäß den §§ 58, 59, 63 FamFG zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung hält einer Überprüfung im Ergebnis nicht Stand.

Die von dem Nachlassgericht abgelehnte Durchführung eines Aufgebotsverfahrens nach § 2358 Abs. 2 BGB (in der hier anzuwendenden, bis 2015 geltenden Fassung) zum Ausschluss eines gemäß § 1924 BGB vorrangig erbberechtigten Abkömmlings der Erblasserin ist nicht mehr durch das insoweit bestehende pflichtgemäße Ermessen, ob und welche Ermittlungsmaßnahmen das Nachlassgericht zu ergreifen hat, gedeckt. Die Ablehnung der Durchführung des Aufgebotsverfahrens stellt sich angesichts der Gegebenheiten des vorliegenden Falls als verfahrensfehlerhaft dar.

Die Beteiligten haben in der ihnen zumutbaren Weise alle gemäß § 2354 BGB (a. F.) erforderlichen Angaben gemacht und hierzu die von ihnen mit noch zumutbarem Aufwand beschaffbaren urkundlichen Nachweise vorgelegt. Auch in Ansehung der ihnen obliegenden Mitwirkungspflicht können von den Beteiligten weitere Angaben und weitere Nachforschungsmaßnahmen nicht verlangt werden.

Ausweislich der Geburtsurkunde des Sohnes der Erblasserin (Bl. 40 Bd. I d. A.) ist lediglich dessen Name und Geburtsdatum bekannt. Hinweise auf eine Eheschließung, den Tod, eine Testamentserrichtung, Anerkennung einer Vaterschaft oder sonstige Folgebeurkundungen sind dort nicht erhalten. Das Melderegister beim Landeseinwohneramt enthält keinerlei Angaben zu dem Gesuchten. Eine Anfrage beim DRK-Suchdienst ergab ausweislich des Antwortschreibens vom 1. August 2017 (Bl. 56 Bd. II d. A.) weder Hinweise auf seinen Aufenthalt noch andere Ermittlungsanhaltspunkte. Auskünfte der Deutsche Rentenversicherung Bund und Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg ergaben, dass dort weder eine aktuelle Anschrift, ein Arbeitgeber oder ein Sterbedatum des Sohns der Erblasserin bekannt sind; als letzte Beitragszeit wurde der 1. August 1955 mitgeteilt.

Der letzte Kontakt zur Familie bestand im Jahr 1952. Den Familienangehörigen ist zum Verbleib des Sohnes der Erblasserin nichts Konkretes bekannt. Der innerhalb der Familie geäußerten Vermutung, der Sohn der Erblasserin habe damals möglicherweise in die französische Fremdenlegion eintreten wollen, wurde nachgegangen; seitens des französischen Verteidigungsministeriums – Kommandatur der Fremdenlegion – wurde mitgeteilt, dass in den dortigen Unterlagen keine Informationen über den Gesuchten vorliegen.

Weitere Ermittlungen können vor diesem Hintergrund von den Beteiligten nicht mehr verlangt werden, zumal erfolgversprechende Ermittlungsmöglichkeiten nicht ersichtlich sind und dementsprechend von dem Nachlassgericht auch nicht aufgezeigt werden.

Der Antrag auf Todeserklärung des Sohnes der Erblasserin wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Neukölln vom 9. Juli 2018 (Bl. 67 – 70 der Beiakten Amtsgericht Neukölln 70 II 7/17) zurückgewiesen, weil auch die Tatsache, dass seit ca. 65 Jahren keine Nachrichten von dem Vermissten vorliegen, keine ernstlichen Zweifel an seinem Fortleben begründen.

Damit sind nunmehr nicht nur die Voraussetzungen für den Erlass einer öffentlichen Aufforderung nach § 2358 Abs. 2 BGB gegeben, eine solche erscheint vielmehr sogar zwingend geboten.

Unter Berücksichtigung der von den Beteiligten bereits gemachten Angaben und der von ihnen bereits durchgeführten Ermittlungen durfte das Nachlassgericht die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens nicht ablehnen, ohne aufzuzeigen, welche weiteren erfolgversprechenden Ermittlungsmöglichkeiten die Beteiligten unter Ausschöpfung welcher Erkenntnisquellen noch angehen sollten, um den Wegfall des vorrangig erbberechtigten Sohnes der Erblasserin (bzw. seiner Abkömmlinge) nachzuweisen.

Die Zweifel des Nachlassgerichts am Tod (bzw. Vorversterben) des Sohnes der Erblasserin mögen berechtigt sein, rechtfertigten es im vorliegenden Fall aber nicht, von einer öffentlichen Aufforderung nach § 2358 Abs. 2 BGB Abstand zu nehmen. In Abweichung von § 2359 BGB sind der Sohn der Erblasserin und dessen eventuelle Abkömmlinge nach einer erfolglosen Aufforderung bei der Erteilung des Erbscheins nämlich selbst dann nicht zu berücksichtigen, wenn eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für ihr Vorhandensein spricht (vgl. KG FamRZ 2011, 1337f. m. w. N.). Das folgt aus dem Zweck des § 2358 Abs. 2 BGB, die Erteilung des Erbscheins, mit dem nicht endgültig über das Erbrecht entschieden wird (§ 2361 Abs. 1 BGB), auf Grund einer Begrenzung der in Betracht kommenden Erben zu ermöglichen. Aus den gleichen Gründen ist unabhängig vom Grad der Wahrscheinlichkeit eine Aufforderung nach § 2358 Abs. 2 BGB zu erlassen, wenn – wie hier – auf Dauer praktisch keine andere Möglichkeit besteht, einen Erbschein zu erteilen (vgl. KG, aaO).

Einer Kostenentscheidung sowie einer Wertfestsetzung bedurfte es nicht.

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