Die obsiegende Partei forderte nach dem Erbscheinsverfahren die Erstattung der Anwaltskosten nach Kostenentscheidung gemäß FamFG von der unterlegenen Gegenseite. Obwohl das Gericht die „Kosten des Verfahrens“ auferlegte, verweigerte der Rechtspfleger die Festsetzung der außergerichtlichen Aufwendungen.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Kosten des Verfahrens: Deckt diese Klausel auch Ihre Anwaltskosten?
- Wie ein Erbstreit zu einem zweiten Verfahren über die Kosten führte
- Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?
- Warum die pauschale Kostenentscheidung nicht für Anwaltskosten ausreichte
- Was bedeutet das Urteil jetzt für Sie? Eine Checkliste
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Umfasst die Formulierung „Kosten des Verfahrens“ auch meine Anwaltskosten im FamFG?
- Wann muss die Gegenseite meine Anwaltskosten im Nachlassverfahren wirklich erstatten?
- Wie muss das Gericht die Kostenerstattung nach § 81 FamFG begründen?
- Was kann ich tun, wenn die Kostenentscheidung meine Anwaltskosten nicht explizit nennt?
- Welche Formulierungen muss ich prüfen, um meine Anwaltskosten vor Gericht abzusichern?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 9 W 95/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Schleswig‑Holstein
- Datum: 08.10.2025
- Aktenzeichen: 9 W 95/25
- Verfahren: Kostenfestsetzung im Nachlassverfahren
- Rechtsbereiche: Nachlassrecht, Kostenrecht, Familienverfahrensrecht
- Das Problem: Eine Erbin gewann einen Streit um den Erbschein gegen ihre Schwester. Das Gericht ordnete an, die unterlegene Schwester trage „die Kosten des Verfahrens“. Die Erbin forderte daraufhin die Erstattung ihrer eigenen Anwaltskosten.
- Die Rechtsfrage: Muss ein Unterlegener die Anwaltskosten der Gegenseite bezahlen, wenn das Gericht nur allgemein anordnet, er trage „die Kosten des Verfahrens“?
- Die Antwort: Nein. Die allgemeine Formulierung „Kosten des Verfahrens“ reicht nicht. Das Gericht muss ausdrücklich und begründet entscheiden, dass auch die Anwaltskosten der Gegenseite zu erstatten sind.
- Die Bedeutung: Gerichte müssen Kostenentscheidungen im Nachlassverfahren klar formulieren. Ohne eine konkrete Anordnung des Richters trägt jede Partei ihre eigenen Anwaltskosten, selbst wenn sie den Prozess gewonnen hat.
Kosten des Verfahrens: Deckt diese Klausel auch Ihre Anwaltskosten?
Ein Sieg vor Gericht fühlt sich oft erst dann vollständig an, wenn die unterlegene Partei nicht nur den Rechtsstreit verliert, sondern auch die Kosten dafür übernehmen muss. Doch was genau bedeutet die richterliche Anordnung, jemand trage „die Kosten des Verfahrens“? Umfasst diese scheinbar klare Formulierung auch die teils erheblichen Rechnungen des eigenen Anwalts? In einem aufschlussreichen Beschluss vom 8. Oktober 2025 (Az. 9 W 95/25) hat das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein diese Frage präzise beantwortet und eine weit verbreitete Annahme korrigiert. Der Fall zeigt, dass es auf eine entscheidende juristische Feinheit ankommt, die den Unterschied zwischen voller Kostenerstattung und einem hohen finanziellen Eigenanteil ausmachen kann.
Wie ein Erbstreit zu einem zweiten Verfahren über die Kosten führte

Am Anfang stand ein klassischer Konflikt innerhalb einer Familie. Nach dem Tod ihrer Mutter beantragte eine Frau am 3. März 2023 beim Amtsgericht Neumünster einen Erbschein. Dieser sollte sie auf Grundlage eines handschriftlichen Testaments vom 19. Juli 2022 als alleinige Erbin ausweisen. Doch ihre Schwester war mit diesem letzten Willen nicht einverstanden. Sie hielt das Testament für unwirksam und beantragte, den Erbscheinsantrag ihrer Schwester zurückzuweisen.
Das Nachlassgericht nahm den Streit ernst. Es holte zwei Sachverständigengutachten ein und vernahm Zeugen, um die Gültigkeit des Testaments zu prüfen. Am 25. März 2025 fällte das Gericht seine Entscheidung: Es stellte fest, dass die Fakten für die Erteilung des Erbscheins an die antragstellende Schwester vorlagen. Sie hatte den Erbstreit also gewonnen. In diesem Beschluss regelte das Gericht auch die Kosten und formulierte den entscheidenden Satz: „Die Kosten des Verfahrens trägt die Beteiligte zu 2) [die unterlegene Schwester] mit Ausnahme der Kosten, die für die Beantragung des Erbscheins anfallen, diese trägt die Beteiligte zu 1) [die siegreiche Schwester].“
Nachdem der Beschluss rechtskräftig war, erhielt die Siegerin den Erbschein. Sie ging davon aus, dass ihre Schwester nun auch für ihre Anwaltskosten aufkommen müsse, und beantragte am 22. Mai 2025 die Festsetzung dieser Kosten in Höhe von 7.410,73 €. Das Amtsgericht Neumünster stimmte zu und erließ am 3. September 2025 einen entsprechenden Kostenfestsetzungsbeschluss. Dagegen legte die unterlegene Schwester umgehend Beschwerde ein. Ihr Argument: Die ursprüngliche Gerichtsentscheidung habe sie nur zur Übernahme der Gerichtskosten verpflichtet, nicht aber zur Erstattung der Anwaltskosten ihrer Schwester. Der Streit ging in die nächste Runde vor das Oberlandesgericht.
Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?
Um die Entscheidung des Oberlandesgerichts zu verstehen, müssen Sie zwei zentrale Paragraphen aus dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) kennen.
Der erste ist § 80 FamFG. Er definiert, was unter dem Begriff „Kosten“ zu verstehen ist. Dazu gehören zum einen die Gerichtskosten (also Gebühren und Auslagen des Gerichts) und zum anderen „die zur Durchführung des Verfahrens notwendigen Aufwendungen der Beteiligten“. Anwaltskosten sind ein klassisches Beispiel für solche notwendigen Aufwendungen. Liest man nur diesen Paragraphen, könnte man annehmen, dass der Satz „trägt die Kosten des Verfahrens“ automatisch alles umfasst.
Doch der zweite, und wie sich herausstellte entscheidende, Paragraph ist § 81 FamFG. Diese Vorschrift gibt dem Gericht die Befugnis, die Kosten nach billigem Ermessen einem der Beteiligten ganz oder teilweise aufzuerlegen. „Billiges Ermessen“ bedeutet, das Gericht muss eine faire und gerechte Entscheidung treffen, die alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Es kann beispielsweise eine Rolle spielen, wer das Verfahren veranlasst hat, wie komplex der Fall war oder ob ein Beteiligter unbegründete Einwände erhoben hat. Entscheidend ist: Das Gericht muss dieses Ermessen aktiv ausüben und seine Entscheidung begründen.
Warum die pauschale Kostenentscheidung nicht für Anwaltskosten ausreichte
Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hob den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts auf und wies den Antrag der siegreichen Schwester auf Erstattung ihrer Anwaltskosten zurück. Die Richter folgten damit vollständig der Argumentation der unterlegenen Schwester. Die Begründung ist eine präzise Lektion darüber, wie Kostenentscheidungen in Nachlassverfahren auszulegen sind.
Die entscheidende Mehrdeutigkeit im Wortlaut
Das Gericht stellte zunächst fest, dass die Formulierung „Die Kosten des Verfahrens trägt…“ mehrdeutig ist. Sie lässt sich auf zwei Weisen lesen: Entweder sind damit, wie von der siegreichen Schwester angenommen, die Gesamtkosten gemeint – also Gerichts- und Anwaltskosten. Oder es sind, wie von der unterlegenen Schwester argumentiert, nur die Gerichtskosten gemeint. Um diese Mehrdeutigkeit aufzulösen, muss man die Entscheidungsgründe des ursprünglichen Urteils betrachten. Fehlen dort klare Anhaltspunkte, kann nicht einfach die für den Sieger günstigere Variante angenommen werden.
Das Vorrangprinzip: Warum § 81 FamFG wichtiger ist als § 80 FamFG
Die siegreiche Erbin stützte ihre Forderung maßgeblich auf die weite Definition der Kosten in § 80 FamFG. Das Oberlandesgericht machte jedoch deutlich, dass dies ein Trugschluss ist. Zwar definiert § 80 FamFG den Begriff der Kosten, aber die entscheidende Regel für die Auferlegung der Kosten findet sich in § 81 FamFG.
Die Richter zitierten hierzu die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (u.a. BGH, Beschluss vom 29.01.2025 – IV ZB 2/24). Demnach muss ein Gericht eine explizite Billigkeitsentscheidung treffen, wenn es einem Beteiligten die Anwaltskosten eines anderen auferlegen will. Es muss also abwägen und in den Gründen darlegen, warum es fair und gerecht ist, dass die unterlegene Partei diese zusätzliche finanzielle Last tragen soll. Ein Gericht kann zwar anordnen, die Gerichtskosten zu erheben oder zu erlassen, aber es hat keinen direkten Einfluss darauf, ob sich ein Beteiligter einen Anwalt nimmt. Daher erfordert die Anordnung, diese externen Kosten zu erstatten, eine gesonderte, nachvollziehbare Begründung.
Das Argument der unterlegenen Schwester: Warum fehlte die nötige Billigkeitsentscheidung?
Genau diese nachvollziehbare Begründung fehlte im ursprünglichen Beschluss des Amtsgerichts Neumünster. Das Gericht hatte zwar pauschal auf § 81 FamFG verwiesen, aber es hatte in seinen Entscheidungsgründen mit keinem Wort dargelegt, warum es die Auferlegung der Anwaltskosten für billig, also für fair und angemessen, hielt. Es fand sich keine Abwägung der Umstände des Einzelfalls. Ohne eine solche erkennbare Ausübung des Ermessens, so das Oberlandesgericht, kann eine so weitreichende Kostenfolge wie die Erstattung von über 7.400 Euro Anwaltshonorar nicht gerechtfertigt werden.
Die abgelehnte Position der Erbin: Warum reichte der Verweis auf das Gesetz nicht aus?
Das Argument der siegreichen Schwester, die pauschale Formulierung sei doch klar genug, verfing nicht. Das Oberlandesgericht stellte klar, dass in Nachlassverfahren – anders als oft im Zivilprozess – nicht automatisch gilt, dass der Verlierer alles zahlt. Das FamFG-Verfahren folgt eigenen Regeln. Die Richter stellten fest: Wenn aus den Entscheidungsgründen nicht klar hervorgeht, dass das Gericht auch die Erstattung der Anwaltskosten anordnen wollte, dann beschränkt sich die Formulierung „Kosten des Verfahrens“ im Zweifel nur auf die Gerichtskosten. Die siegreiche Schwester blieb daher auf ihren Anwaltskosten sitzen.
Was bedeutet das Urteil jetzt für Sie? Eine Checkliste
Die Entscheidung des OLG Schleswig-Holstein hat direkte praktische Konsequenzen für jeden, der in einem Nachlass- oder Familienverfahren vor Gericht steht. Sie zeigt, dass man sich nicht auf vermeintlich klare Formulierungen verlassen sollte.
Checkliste für die Prüfung einer Kostenentscheidung:
- Lesen Sie den Tenor genau: Steht dort nur „Die Kosten des Verfahrens trägt Partei X“ oder gibt es eine explizite Ergänzung wie „…einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen von Partei Y“? Nur eine solche präzise Formulierung schafft Klarheit.
- Analysieren Sie die Entscheidungsgründe: Suchen Sie nach einem Abschnitt, in dem das Gericht seine Kostenentscheidung begründet. Finden Sie dort eine Abwägung, die erklärt, warum es fair und gerecht (also „billig“ im Sinne von § 81 FamFG) ist, dass die Gegenseite Ihre Anwaltskosten übernehmen soll?
- Achten Sie auf mehr als einen pauschalen Gesetzesverweis: Ein bloßer Hinweis auf § 81 FamFG genügt nicht. Das Gericht muss darlegen, dass es sein Ermessen auch tatsächlich ausgeübt hat.
- Handeln Sie bei Unklarheit sofort: Wenn die Kostenentscheidung unklar formuliert ist, sollten Sie oder Ihr Anwalt umgehend eine Klarstellung oder Berichtigung beim Gericht beantragen. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass die Formulierung später in Ihrem Sinne ausgelegt wird.
- Kalkulieren Sie das Risiko: Gehen Sie im Zweifel davon aus, dass Sie Ihre eigenen Anwaltskosten tragen müssen, solange das Gericht deren Erstattung nicht ausdrücklich und mit einer nachvollziehbaren Begründung angeordnet hat. Ein Sieg im eigentlichen Verfahren ist keine Garantie für die Übernahme aller Kosten.
Die Urteilslogik
Gerichtliche Kostenentscheidungen in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit setzen eine klare und begründete Abwägung des billigen Ermessens voraus.
- Aktive Ausübung des Ermessens: Ein Gericht muss explizit darlegen und begründen, warum es die Auferlegung der Anwaltskosten der Gegenseite als fair und angemessen erachtet (Billigkeitsentscheidung), da die bloße Definition der Verfahrenskosten (§ 80 FamFG) hierfür nicht ausreicht.
- Mehrdeutigkeit der Kostenformel: Fehlt in der Gerichtsentscheidung eine nachvollziehbare Begründung für diese Billigkeit, beschränkt sich die pauschale Anordnung, die „Kosten des Verfahrens“ zu tragen, im Zweifel ausschließlich auf die Gerichtskosten und umfasst nicht die außergerichtlichen Aufwendungen der Beteiligten.
- Sieg garantiert keine Kostenerstattung: Der erfolgreiche Abschluss eines Verfahrens begründet keinen Automatismus, wonach die unterlegene Partei die notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen des Gewinners erstatten muss.
Parteien können die Kostenfestsetzung nur fordern, wenn der ursprüngliche Beschluss die Erstattung der Anwaltskosten eindeutig und begründet anordnet.
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Experten Kommentar
Wer im Familien- oder Nachlassrecht siegt, atmet oft auf und rechnet fest mit der Kostenerstattung – ein finanzieller Trugschluss, wie dieser Fall eindrücklich zeigt. Die pauschale Anordnung, der Gegner trage „die Kosten des Verfahrens,“ deckt in FamFG-Verfahren ohne eine explizite und begründete Billigkeitsentscheidung des Gerichts im Zweifel nur die reinen Gerichtsgebühren ab. Wer seine Anwaltskosten vom Unterlegenen erstattet sehen will, muss daher darauf achten, dass die Richter die Übernahme durch den Gegner nach § 81 FamFG nachvollziehbar begründen. Fehlt diese Begründung, bleibt der Sieger trotz klarem Erfolg auf seiner Rechnung sitzen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Umfasst die Formulierung „Kosten des Verfahrens“ auch meine Anwaltskosten im FamFG?
Nein, die pauschale Formulierung „Kosten des Verfahrens“ in Verfahren nach dem FamFG (wie Nachlasssachen) deckt Ihre Anwaltskosten nicht automatisch ab. Diese Formulierung ist juristisch mehrdeutig. Ohne eine explizite und begründete Billigkeitsentscheidung des Gerichts beschränkt sie sich im Zweifel lediglich auf die reinen Gerichtskosten und Auslagen. Die Unklarheit kann dazu führen, dass Ihr Sieg teuer wird, wenn die Erstattung der Anwaltskosten nicht ausdrücklich angeordnet wurde.
Im Gegensatz zum klassischen Zivilprozess gilt im FamFG-Verfahren nicht automatisch das Prinzip, dass der Verlierer alle Kosten trägt. Obwohl § 80 FamFG die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten (einschließlich Anwaltskosten) definiert, ist die Regelung der Auferlegung gesondert in § 81 FamFG festgelegt. Dieses Gesetz verlangt vom Gericht, die Kosten nach fairem, billigem Ermessen anzuordnen. Fehlt diese spezielle Anordnung, kann nicht einfach die für den Sieger günstigere Variante angenommen werden, die alle Kosten umfasst.
Richter müssen ihr Ermessen aktiv ausüben und dies in den Entscheidungsgründen nachvollziehbar darlegen. Ein pauschaler Verweis auf die Norm genügt dabei nicht. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein stellte fest, dass eine siegreiche Erbin ihre Anwaltskosten in Höhe von 7.410,73 Euro selbst tragen musste, weil die Gerichtsgründe keine Begründung für die Billigkeit der Kostenerstattung enthielten. Eine so weitreichende Kostenfolge wie die Erstattung von Anwaltshonoraren ist nur bei einer klaren, nachvollzogenen Abwägung gerechtfertigt.
Öffnen Sie den Gerichtsbeschluss sofort und suchen Sie in den Entscheidungsgründen nach einem Abschnitt, der mit einer Billigkeitsabwägung die Auferlegung Ihrer Anwaltskosten explizit begründet.
Wann muss die Gegenseite meine Anwaltskosten im Nachlassverfahren wirklich erstatten?
Die Gegenseite muss Ihre Anwaltskosten im Nachlassverfahren nur dann zahlen, wenn das Gericht eine explizite Billigkeitsentscheidung nach § 81 FamFG trifft. Diese Entscheidung muss zwingend auf einer nachvollziehbaren Abwägung der Umstände des Einzelfalls basieren. Ein juristischer Sieg allein garantiert keine Kostenerstattung, da die Regeln des FamFG anders funktionieren als die der Zivilprozessordnung.
Der zentrale Punkt liegt im Vorrang des § 81 FamFG. Zwar definiert § 80 FamFG Anwaltskosten als notwendige Aufwendungen, doch regelt erst § 81 FamFG die tatsächliche Anordnung der Erstattung. Das Gericht muss sein Ermessen aktiv ausüben; ein bloßer Verweis auf die gesetzliche Norm in der Kostenentscheidung ist dafür nicht ausreichend. Die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt, dass die Entscheidungsgründe genau darlegen, warum die Auferlegung der Kosten als fair und gerechtfertigt gilt.
Fehlt diese spezifische Begründung der Billigkeit, wird die Kostenentscheidung bei einer späteren Überprüfung oft nur auf die reinen Gerichtskosten beschränkt. Die Richter müssen konkret darlegen, warum die Gegenseite auch Ihre Anwaltskosten tragen soll, beispielsweise wegen mutwilliger Einwände oder einer unnötigen Verfahrensverlängerung. Ohne diese nachvollziehbare Darlegung der Ermessensausübung kann die Auferlegung von außergerichtlichen Anwaltskosten nicht durchgesetzt werden.
Prüfen Sie, ob Ihre Gerichtsanträge bereits Argumente enthalten, die eine Billigkeitsentscheidung untermauern, und fordern Sie deren Aufnahme in die Gerichtsgründe.
Wie muss das Gericht die Kostenerstattung nach § 81 FamFG begründen?
Das Gericht erfüllt seine Pflicht zur Begründung der Kostenerstattung nur, indem es eine aktive Billigkeitsentscheidung trifft. Ein bloßer Verweis auf die gesetzliche Grundlage des § 81 FamFG reicht dafür nicht aus. Die richterliche Begründung muss detailliert darlegen, warum die Auferlegung der Anwaltskosten der Gegenseite im konkreten Fall fair und angemessen ist. Es genügt nicht, die Norm pauschal zu erwähnen; das Gericht muss die Gründe substanziell in den Entscheidungsgründen aufführen.
Das Gericht muss sein Ermessen tatsächlich ausüben. Diese richterliche Pflicht verlangt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den spezifischen Umständen des Verfahrens. Richter berücksichtigen dabei Faktoren wie die Komplexität des Falles, wer das Verfahren ursächlich veranlasst hat und ob ein Beteiligter unnötige oder mutwillige Einwände erhoben hat. Fehlt diese nachvollziehbare Darlegung der Ermessensausübung, dann ist die Kostenentscheidung mangelhaft, weil sie keine inhaltliche Auseinandersetzung erkennen lässt.
Nehmen wir an: Ein Gericht verweist zwar auf § 81 FamFG, begründet aber mit keinem Wort, warum es die Anwaltskosten für billig hält. Eine solche unzureichende Begründung macht die gesamte Kostenentscheidung angreifbar. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hob in einem Erbscheinsverfahren einen Kostenfestsetzungsbeschluss auf, weil die notwendige Darlegung der aktiven Abwägung fehlte. Ohne die konkrete Darlegung der Abwägung rechtfertigt das Gericht die Auferlegung der Anwaltskosten nicht.
Prüfen Sie in Ihrem Beschluss, ob der Abschnitt zur Kostenentscheidung konkrete Fallumstände nennt; ist er nur kurz, ist die Begründung wahrscheinlich unvollständig.
Was kann ich tun, wenn die Kostenentscheidung meine Anwaltskosten nicht explizit nennt?
Wenn die Kostenentscheidung unklar formuliert ist oder Ihre Anwaltskosten nicht explizit nennt, müssen Sie sofort handeln. Beantragen Sie umgehend beim Gericht eine Klarstellung oder Berichtigung des Beschlusses. Passivität ist in diesem Fall ein fataler Fehler, denn ohne eine explizite Regelung verfällt Ihr Erstattungsanspruch. Sie müssen die kurze Frist zur Rüge, die meistens nur zwei Wochen beträgt, unbedingt nutzen.
Der Beschluss wird ohne eine solche Klärung später nur auf die reinen Gerichtskosten beschränkt. Für die Auferlegung Ihrer Anwaltskosten braucht es eine ausdrückliche Billigkeitsentscheidung nach § 81 FamFG, die das Gericht in den Entscheidungsgründen begründen muss. Fordern Sie das Gericht deshalb aktiv auf, den Tenor zu präzisieren und die notwendige Abwägung der Billigkeit schriftlich nachzuliefern.
Das Risiko des Abwartens ist erheblich. Fehlt die explizite Anwaltskostenregelung, verlieren Sie Ihren Anspruch, sobald der Beschluss rechtskräftig wird. Konkret: Spätere Kostenfestsetzungsbeschlüsse, die Ihre Anwaltskosten festsetzen sollten, werden ohne die klare Grundlage vom Beschwerdegericht aufgehoben. Lassen Sie sich nicht darauf ein, dass das Gericht die unklare Formulierung später zu Ihren Gunsten auslegt.
Adressieren Sie Ihr Anliegen als „Antrag auf Klarstellung der Kostenentscheidung gemäß § 81 FamFG“ an das erlassende Gericht, um Ihre Anwaltskosten rechtssicher einzubeziehen.
Welche Formulierungen muss ich prüfen, um meine Anwaltskosten vor Gericht abzusichern?
Um maximale Sicherheit für die Kostenerstattung zu gewährleisten, benötigen Sie eine präzise Formulierung im gerichtlichen Tenor. Die pauschale Anordnung „Kosten des Verfahrens trägt Partei X“ ist nicht ausreichend, besonders in Verfahren nach dem FamFG. Der Goldstandard verlangt die explizite Nennung Ihrer Ausgaben, um Missverständnisse bei der späteren Kostenfestsetzung zu vermeiden.
Der sicherste Weg zur Absicherung ist die Ergänzung im Tenor des Gerichtsbeschlusses. Achten Sie darauf, dass das Gericht Formulierungen verwendet, die explizit die außergerichtlichen Aufwendungen einschließen. Eine rechtsichere Vorlage lautet: „Die Kosten des Verfahrens trägt Partei X, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen von Partei Y.“ Fehlt diese Präzisierung, droht die Beschränkung der Kostenauferlegung auf die reinen Gerichtskosten, selbst wenn Sie das Verfahren gewonnen haben.
Diese Formulierung im Tenor ist jedoch nur die erste Stufe der Absicherung. Sie müssen zusätzlich die Entscheidungsgründe des Beschlusses prüfen, da die explizite Kostenauferlegung zwingend durch eine detaillierte Billigkeitsentscheidung nach § 81 FamFG untermauert werden muss. Das Gericht muss darlegen, warum es im vorliegenden Fall fair und angemessen ist, dem Gegner die Anwaltskosten aufzuerlegen. Nur die Kombination aus präzisem Tenor und begründeter Entscheidung schafft die nötige Klarheit für die spätere Kostenfestsetzung.
Vergleichen Sie Ihre Kostenentscheidung sofort mit dieser präzisen Formulierung: Suchen Sie nach den Schlüsselbegriffen „außergerichtliche Aufwendungen“ und „zweckentsprechende Rechtsverfolgung“ und prüfen Sie die Entscheidungsgründe.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Billigkeitsentscheidung
Billigkeitsentscheidung nennen Juristen die aktive Ausübung des richterlichen Ermessens, mit dem bestimmt wird, ob eine Partei die Anwaltskosten der Gegenseite tragen muss. Das Gesetz verlangt in Verfahren wie Nachlasssachen eine faire Abwägung aller Umstände, bevor eine so weitreichende Kostenfolge angeordnet wird. Damit wird sichergestellt, dass die Auferlegung von Anwaltskosten nicht automatisch, sondern nur bei tatsächlicher Angemessenheit erfolgt.
Beispiel: Im vorliegenden Erbscheinsverfahren fehlte die explizite Billigkeitsentscheidung des Gerichts in den Begründungen, weshalb die siegreiche Schwester ihre eigenen Anwaltskosten in Höhe von 7.410,73 Euro selbst tragen musste.
Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe sind der zwingend notwendige Teil eines Gerichtsbeschlusses oder Urteils, in dem die Richter detailliert darlegen, welche Sachverhalte sie als bewiesen ansehen und welche rechtlichen Überlegungen zu ihrer Endentscheidung geführt haben. Diese Begründung dient der Nachvollziehbarkeit und ermöglicht den Parteien, die Gerichtsentscheidung zu verstehen und zu prüfen, ob eine Beschwerde sinnvoll ist.
Beispiel: Das Oberlandesgericht rügte im Streit um die Anwaltskosten, dass die Entscheidungsgründe des Amtsgerichts die notwendige Abwägung des billigen Ermessens nach § 81 FamFG nicht erkennen ließen.
FamFG
Das FamFG, ausgeschrieben Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, regelt die Abläufe bei Scheidungen und Unterhaltsstreitigkeiten, aber auch in speziellen Verfahren wie dem Erbscheinsverfahren (Nachlassverfahren). Diese spezielle Verfahrensordnung folgt anderen Grundsätzen als der Zivilprozess und kennt insbesondere nicht den Automatismus, dass der Verlierer alle Kosten trägt.
Beispiel: Weil der zugrundeliegende Erbstreit ein Nachlassverfahren nach dem FamFG darstellte, galten die speziellen, strengeren Regelungen des § 81 FamFG für die Anordnung der Kostenerstattung.
Kostenfestsetzungsbeschluss
Nachdem ein Verfahren abgeschlossen ist, legt ein Kostenfestsetzungsbeschluss exakt fest, welche Kostenpositionen (Anwaltsgebühren, Gerichtskosten, etc.) die unterlegene Partei dem Gewinner erstatten muss und legitimiert die spätere Zwangsvollstreckung dieser Forderung. Dieser Beschluss wird auf Antrag der siegreichen Partei vom Gericht erlassen, setzt jedoch voraus, dass die ursprüngliche Kostenentscheidung klar und rechtskräftig war.
Beispiel: Die siegreiche Schwester beantragte die Ausstellung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses über ihre Anwaltskosten, doch die unterlegene Gegenseite legte umgehend Beschwerde gegen diese Festsetzung ein.
Tenor
Als Tenor bezeichnet man den Kern der richterlichen Entscheidung, also den Satz, der festlegt, wie das Gericht entscheidet und was die Parteien zukünftig zu tun oder zu unterlassen haben. Juristisch betrachtet ist der Tenor der unmittelbare Befehl des Gerichts, während die Entscheidungsgründe lediglich die juristische Begründung dazu liefern.
Beispiel: Im Tenor des ursprünglichen Gerichtsdispositivs stand lediglich die Formulierung „Die Kosten des Verfahrens trägt die Beteiligte zu 2)“, deren Mehrdeutigkeit den anschließenden Streit über die Anwaltskosten auslöste.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 9 W 95/25 – Beschluss vom 08.10.2025
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Dr. jur. Christian Gerd Kotz ist Notar in Kreuztal und seit 2003 Rechtsanwalt. Als versierter Erbrechtsexperte gestaltet er Testamente, Erbverträge und begleitet Erbstreitigkeiten. Zwei Fachanwaltschaften in Verkehrs‑ und Versicherungsrecht runden sein Profil ab – praxisnah, durchsetzungsstark und bundesweit für Mandanten im Einsatz.
