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Fehlende Testierfähigkeit – Feststellung nach dem Tod

OLG München – Az.: 7 U 4638/15 – Urteil vom 09.06.2021

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 28.10.2015, Az. 40 O 7178/14, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 genannte Urteil sind im Kostenpunkt ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann eine Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin begehrt die Feststellung ihres Alleinerbrechts nach ihrem am 3. Juli 2009 verstorbenen geschiedenen Vater aufgrund Testaments vom 4. Dezember 2008. Der Beklagte – neben der Klägerin der einzige weitere Abkömmling des Erblassers – hält demgegenüber das Testament für unwirksam nach § 2229 Abs. 4 BGB und beansprucht neben der Klägerin ein gesetzliches Erbrecht zu 1/2.

Im Erbscheinsverfahren erteilte das Amtsgericht Rosenheim nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens (Dr. G.), das eine Testierfähigkeit des Erblassers bejahte, den von der Klägerin beantragten Alleinerbschein. Das Oberlandesgericht München wies im Beschwerdeverfahren das Amtsgericht zur Einziehung des erteilten Erbscheins an, nachdem der von ihm bestellte Sachverständige Dr. H. – anders als zunächst schriftlich begutachtet – insbesondere aufgrund der Erkenntnisse aus einer Zeugeneinvernahme (Zeugin B.) eine paranoide Symptomatik hinsichtlich des enterbten Beklagten feststellte und Testierfähigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verneinte. Das Verfahren über den Antrag des Beklagten auf Erteilung eines Erbscheins, der gesetzliche Erbfolge bezeugt, ist ausgesetzt.

Im Zivilverfahren macht die Klägerin geltend, ihr Vater habe zwar einem esoterischen Weltbild angehangen, sei aber testierfähig gewesen. Der Erblasser habe sich im Vorfeld der Testamentserrichtung intensiv mit dessen Inhalt auseinandergesetzt. Wahnfreier Grund für die Enterbung des Beklagten sei das gestörte Vater-Sohn-Verhältnis gewesen; dieser habe ihn nur selten besucht, sei keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und habe sich um das Geschäft des Vaters und Immobilien nicht gekümmert. Nach Auffassung des Erblassers hätte der Beklagte mit dem Nachlass nicht sorgsam umgehen und – da der Beklagte, anders als die Klägerin, kinderlos sei – ihn an Nachkommen nicht weitergeben können.

Die Klägerin hat beantragt: Es wird festgestellt, dass die Klägerin Alleinerbin nach dem verstorbenen K. E., verstorben am …2009, geboren am ….1921, zuletzt wohnhaft in …, geworden ist.

Der Beklagte hat beantragt: Die Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Enterbung sei von wahnhaften Ideen – etwa dass der Beklagte dem Erblasser nach dem Leben trachte und dieser ihm kriminelle Machenschaften unterstelle – getragen gewesen.

Das Landgericht hat nach Beiziehung der Nachlassakte und Einvernahme von neun Zeugen die Klage, ebenfalls durch Dr. H. (der allerdings zunächst einige Lücken in seiner Erinnerung an seine frühere Begutachtung im Nachlassverfahren schließen musste, vgl. Protokoll vom 15.03.2015, insb. S. 5, Bl. 101 d.A.) mündlich sachverständig beraten, abgewiesen. Es stehe zur Überzeugung des Landgerichts fest, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung an einem chronischen Wahn gelitten habe, dass das Verhältnis zum Sohn wesentlicher Teil des Wahns gewesen sei und deshalb von Testierunfähigkeit im Sinne von § 2229 Abs. 4 BGB auszugehen sei. Konkret habe ein Beziehungs- und Beeinträchtigungswahn vorgelegen; die gestörte Realitätswahrnehmung werde durch den Inhalt der Zeugenaussagen aufgezeigt. Der Erblasser sei von seinem Tun wahnhaft und unkorrigierbar überzeugt. Anknüpfungspunkte seien das Leugnen der Vaterschaft hinsichtlich des Sohnes trotz Vorliegens eines Vaterschaftstests, der Vorwurf einer Manipulation des Autos durch den Sohn, das schwarzmagische Verhexen von Brot und Blumenstöcken. Auch wenn man einen Überschneidungsbereich zwischen Wahnsyndrom und esoterisch-religiösem Weltbild anerkenne, gehe das Verhalten des Erblassers über eine rein esoterische Beschäftigung weit hinaus und zeige eine wahn- und damit krankhafte Symptomatik, die zur Testierunfähigkeit führe. Ergänzend wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Landgerichts gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.

Gegen das ihr am 16.11.2015 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 15.12.2015 eingelegten und – nach Fristverlängerung bis zum 08.02.2016 – am 04.02.2016 begründeten Berufung.

In rechtlicher Hinsicht habe das Landgericht verkannt, dass Testierunfähigkeit nur vorliege, wenn eine Krankheit vorliege und der freie Wille tatsächlich ausgeschlossen sei. Jedenfalls zu letzterem Punkt fehle es an einer Feststellung im maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Auch fehle es an der Feststellung eines Zusammenhangs zwischen Wahn und Testament.

Das Sachverständigengutachten Dr. H. sei fehlerhaft, wie ein zwischenzeitlich eingeholtes Privatgutachten ergebe. Danach liege schon keine Krankheit vor. Die Auffälligkeiten des Erblassers bewegten sich im Rahmen eines – von Art. 4 GG geschützten – esoterischen Weltbilds. Im Übrigen sei nicht zu erklären, dass die behandelnden Ärzte des Erblassers, der vielfach in stationärer Behandlung war, eine Krankheit nicht bemerkt hätten. Die Einlassung des Sachverständigen (Dr. H.), ein Bezug des von ihm attestierten Wahns zum Beklagten sei „naheliegend“, genüge nicht für die Feststellung von Testierunfähigkeit. Die Zeugenaussage der Haushälterin Brummer sei fehlinterpretiert, jedenfalls könne die Testierunfähigkeit nicht aus den Aussagen nur einer Zeugin hergeleitet werden.

Auch das vom Oberlandesgericht eingeholte Sachverständigengutachten (Dr. D.) sei fehlerhaft. Es sei das erste Gutachten, das Schizophrenie diagnostiziere. Dieses Gutachten verkenne ebenfalls, dass lebzeitig keine Erkrankung festgestellt oder auch nur bemerkt worden sei. Unzulässig sei der Schluss der Diagnose aus vom Erblasser verfassten Büchern. Die Diagnose berücksichtige nicht hinreichend das esoterisch-fernöstlich beeinflusste Weltbild. Das Gutachten verliere überdies aus dem Blick, dass der Erblasser nachvollziehbare Gründe für die Enterbung des Beklagten angegeben habe. Er habe demnach eine sachgerechte Abwägung der seiner Entscheidung zugrunde liegenden Umstände vorgenommen. Schließlich ergebe sich ein Widerspruch zu einer Begutachtung desselben Sachverständigen in einem anderen Nachlassverfahren.

Die Klägerin beantragt:

1. Das Urteil des Landgerichts München I vom 28. Oktober 2015 (Az. 40 O 7178/14) wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die Klägerin Alleinerbin nach dem verstorbene K. E., verstorben am 3. Juli 2009, geboren am 2.8.1921, geworden ist.

Der Beklagte beantragt: Die Berufung wird zurückgewiesen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat Beweis erhoben durch erneute Einvernahme des Zeugen Prof. Dr. W. sowie durch Einholung eines weiteren gerichtlichen Sachverständigengutachtens (Dr. D.), eines Ergänzungsgutachtens und Anhörung des Sachverständigen. Auf die Gutachten, die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 27.07.2016, vom 15.07.2020 und vom 09.06.2021 sowie auf die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.

I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Für sie besteht ein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO, da nur sie im Verhältnis zu dem das Alleinerbrecht der Klägerin bestreitenden Beklagten eine abschließende Klärung des Streits zwischen den Erbprätendenten erlaubt. Dem (ausgesetzten) Erbscheinsverfahren kommt eine solche Wirkung nicht zu, da ein Erbschein aufgrund besserer (sachlicher oder rechtlicher) Erkenntnis jederzeit eingezogen werden kann (§ 2361 BGB, vgl. auch § 2362 Abs. 1 BGB; Weidlich in Palandt, BGB, 80. Aufl., § 2361 Rn. 1). Umgekehrt entfaltet die Einziehung des das Alleinerbrecht bezeugenden Erbscheins keine Sperrwirkung für eine entsprechende zivilgerichtliche Klage. Das Nachlassgericht ist vielmehr an die Rechtskraft eines zivilgerichtlichen Urteils gebunden (zum Ganzen: BGH, FamRZ 2010, 1068 Rn. 8-15 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

II. Die Klägerin kann ein Alleinerbrecht nicht beanspruchen, weil das Testament vom 04.12.2008 nach § 2229 Abs. 4 BGB unwirksam ist. Ein anderes Testament ist nicht vorhanden. Damit tritt gesetzliche Erbfolge ein, nach der Klägerin und Beklagter als Abkömmlinge und Erben ersten Grades Miterben zu 1/2 werden (§ 1924 Abs. 1 und 4, § 1930 BGB).

1. Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer infolge einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. So liegt der Fall hier:

2. Der Erblasser litt an einer krankhaften Störung.

Der Senat folgt – trotz der gegen das Gutachten erhobenen Einwendungen und der von den Vorgutachtern abweichenden Diagnose – den plausibel und nachvollziehbar begründeten Feststellungen des gerichtsbekannt auf dem einschlägigen Gebiet fachkundigen, zuverlässigen und unparteiischen Sachverständigen Dr. D. Die Angriffe der Klägerin gegen das Gutachten verfangen nicht; der Einholung des beantragten Obergutachtens (§ 412 ZPO) bedurfte es daher nicht.

Danach litt der Erblasser an einer chronischen paranoiden Schizophrenie (Gutachten, S. 75, Bl. 404 d.A.). Der Sachverständige begründet die Diagnose schlüssig unter Zugrundelegung der Leitlinien der ICD-10. Danach müsse aus der Symptomgruppe 1 eines von vier Merkmalen erfüllt sein. Vorliegend seien drei Merkmale erfüllt, nämlich Gedankeneingebung (Merkmal 1a); Gefühl des Gemachten bzw. Wahnwahrnehmung (Merkmal 1b); und anhaltender, kulturell unangemessener oder völlig unrealistischer (bizarrer) Wahn (Merkmal 1d) (Sachverständigengutachten, S. 68, Bl. 397 d.A.). Diese Diagnose leitet der Sachverständige überzeugend aus folgenden Umständen ab, die sich der Senat zu eigen macht.

a) Die Merkmale der Gedankeneingebung bzw. des Gefühls des Gemachten (Merkmale 1a und b der Klassifikation) bejaht der Sachverständige aufgrund der „Durchgaben“, die der Erblasser empfangen haben will.

aa) Der Erblasser schrieb selbst in Büchern, dass er Durchgaben empfange. Dabei empfand er diese ausweislich seiner Niederschriften nicht als Produkt eigenen Denkens. Die Einflussnahme beschreibt er beispielsweise dahin, dass ihm nicht nur „direkt durchgegeben würde“ – etwa von Gott Vater, Gott Sohn, der Mutter Gottes und von vielen „Meistern“ (Sachverständigengutachten, S. 51, Bl. 380 d.A.; Bl. 394 der Nachlassakte) -, sondern (durch Kursivdruck hervorgehoben) dass er „im Schlaf programmiert“ werde, um die Durchgaben besser verstehen zu können (Bl. 423 der Nachlassakte). An anderer Stelle führt er – ebenfalls optisch hervorgehoben – aus, dass ein Buch nicht von ihm selbst stamme, sondern: „Ich bekomme von einem L. durch, dessen Namen er aus seinem vorletzten Leben genommen hat, der aber auch vor zweitausend Jahren Johannes der Jünger war, der sich auch Maitreya nennt, und dieses Buch und wohl auch noch weitere sind von ihm“ (Bl. 394 der Nachlassakte). Über die Entstehung eines anderen Buches machte er folgende Angaben: „Könnt Ihr, liebe Leser begreifen, wie ich mich fühle, ja fühlen soll, wenn ich, K. E., einen alten Holzbuddha, ca. 250 Jahre alt, vor mir stehen habe, und ich kann zu ihm gedanklich sprechen: Willst Du mir, Du alte holzgeschnitzte Skulptur, etwas sagen? Und in meinem Hirn bilden sich Gedanken zu Worten, und dieser Buddha wird in mir zu einer Wesenheit und fängt zu sprechen an. Meine Gedanken formen sich von selbst zu Sätzen, die nicht mein Gehirn erdenkt, sondern dieses Wesen, das hinter der Plastik nun geistig zu mir spricht.“ (Bl. 314 der Nachlassakte). In diesen Passagen zeigt sich, dass der Erblasser Teile seiner Denkinhalte als aus dem Jenseits beeinflusst, gesteuert oder eingegeben empfand (Sachverständigengutachten, insb. S. 17, 19, 21, 65, Bl. 346, 348, 350, 394 d.A.), es sich nicht um Erleben handelt, „als ob“ er aus dem Jenseits Gedanken übermittelt bekäme (vgl. auch Ergänzungsgutachten, S. 6 f., Bl. 446 f. d.A. – dort auch in Auseinandersetzung mit dem Privatsachverständigen Prof. Dr. S.). In diesen Passagen manifestiert sich eine „Ich-Störung“ in Form von Gedankeneingebungen. Überzeugend weist der Sachverständige darauf hin, dass ein Vorgang, wonach das Denken des Erblassers im großen Umfang von Formulierungen erfüllt war, die er schriftlich niederlegte, aber nicht als Produkt seines eigenen Denkens empfand, aus psychiatrischer Sicht als höchst pathologisch zu werten ist und sich auch fundamental von „vertrauendem Glauben“ unterscheidet (Gutachten, S. 65, Bl. 394 d.A.). Eine metaphorische Deutung oder eine Deutung im Sinne eines Traumerlebnisses findet in diesen Anknüpfungsmaterialien keine Stütze (so auch Ergänzungsgutachten, insb. S. 7 und S. 12f., Bl. 447, 452 f. d.A.). Dies fügt sich darin ein, dass der Erblasser seinem Sohn in Briefen vorwirft, ihn habe nie interessiert, dass er „70 Bücher mit dem Jenseits“ geschrieben habe (Nachlassakte, hinter Bl. 61/64, dort Anlage 2, S. 9), dass ihm ein Buddha vier Bücher durchgegeben habe (vgl. Gutachten Dr. G., Anlage K 2, S. 40) bzw. dass er dem Sohn drei Bücher gegeben habe, „reine Durchgaben von hochgestellten Jenseitigen“ oder dass er „mindestens 100 Leitordner [sic]“ habe „voll mit Durchgaben die ich von höchsten Wesen von Jenseits durchbekommen habe“ (Nachlassakte, hinter Bl. 68, maschinenschriftlicher Brief mit handschriftlichem Vermerk auf Seite 1: „hat mir die Ungarin so falsch nach Diktat nachgeschrieben“, dort S. 7). Dass der Erblasser in anderen Bildern oder auch im TV-Interview „als ob“-Vergleiche anführt (etwa wenn er ausführt, man müsse sich das so vorstellen, „als ob ein Loch in seinem Schädel sei, durch das ein Schlauch direkt in sein Hirn führe“, vgl. Gutachten Dr. G., K2, S. 14), ändert nichts daran, dass der Erblasser in den aufgezählten Fällen nach der Überzeugung sowohl des Sachverständigen als auch des Senats die Grenze zur Ich-Störung überschritten hat. Vor diesem Hintergrund bejaht der Sachverständige schlüssig die Schizophreniemerkmale der „Gedankeneingebung“ (Merkmal 1a der Leitlinien der ICD-10) sowie des „Gefühls des Gemachten“ (Merkmal 1b der Leitlinien).

bb) Wenn die Klägerin dem in tatsächlicher Hinsicht entgegenhält (unter Vorlage der Anlage K42), der Erblasser habe sich sehr wohl hinterfragt, habe aufgefordert, selbst zu prüfen, erschüttert das nicht die subjektive Gewissheit, wie sie in den skizzierten Aussagen (und überdies in anderen Quellen wie dem Fernsehinterview) zum Ausdruck kommt (vgl. Ergänzungsgutachten, S. 12, Bl. 452 d.A.). Gerade die Briefe an den Sohn widerlegen, dass der Erblasser – mag er auch anderen Personen gegenüber Rückfragen wie „Was sagst Du dazu?“ gestellt haben – seine eigenen Positionen ernstlich hinterfragt hätte. Ebenso bekundete die Zeugin H. – als Teilnehmerin an entsprechenden Veranstaltungen eine esoterischen Sichtweisen grundsätzlich aufgeschlossene Person, überdies Krankenschwester und im Pflegedienst eingesetzt – (Protokoll vom 29.07.2015, S. 5 f., Bl. 168 d.A., deren Aussage das Landgericht im Urteil gefolgt ist), dass der Erblasser „einfach nur ohne Unterlass gesprochen“ habe. (Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass A. H. in seinem Buch Ähnliches berichtet, wenn er ausführt, dass der Erblasser „übergangslos […] in eine lange Rede über das Militär und das Geld verfiel, beides verderblich, ein langer Monolog, wie man ihn noch öfter zu erwarten hatte“.) Normale Gespräche über Alltagsthemen seien, so die Zeugin weiter, nicht mehr möglich gewesen. Sie habe aus den Gesprächen „rausgenommen, dass das, was er sagt Tatsache ist und unwidersprochen bleiben muss, sonst ist er wütend geworden.“ Im Übrigen bezichtigte der Erblasser – den die Klageseite als hinreichend tolerant und aufgeschlossen beschrieben wissen möchte – dieselbe Zeugin, schwarzmagisch vergiftete Blumen und Brot mitgebracht zu haben; deren Mann gegenüber bezeichnete der Erblasser die Zeugin als schwarzmagische Hexe, er möge sich von ihr scheiden lassen. Vor diesem Hintergrund vermag weder der Einwand der Klageseite zu verfangen, das Wort „Hexe“ sei nicht negativ besetzt, noch derjenige, mit schwarzmagisch verhext habe der Erblasser auf eine Pollenallergie hinweisen wollen.

Einer beantragten Parteieinvernahme der Klägerin bedurfte es insoweit nicht. Weder lagen die Voraussetzungen für eine Parteieinvernahme vor, da die Gegenseite einer solchen nicht zugestimmt hat (§ 447 ZPO), noch erschien dem Senat eine Einvernahme nach Ermessen (§ 448 ZPO) angezeigt, da die Beklagte nicht in Beweisnot war, zumal eine Vielzahl von Zeugen zu Auffälligkeiten des Erblassers vernommen worden war. Überdies hat der Sachverständige die schriftliche Stellungnahme der Klägerin (K42) in seinem Ergänzungsgutachten (dort S. 3 und 12, Bl. 443, 452) berücksichtigt.

cc) Fehl geht der Einwand der Klageseite, auf literarische Werke dürfe nicht zurückgegriffen werden. Richtig ist, dass aus literarischen Werken nicht unversehens geschlussfolgert werden kann, dass dort geäußerte Ansichten und Meinungen authentisch, gleichsam „1:1“ das Weltbild oder gar die innere Gedankenwelt des Autors widerspiegeln; es ist vielmehr mit schriftstellerischer Verfremdung, Dramatisierung und Veränderung zu rechnen. Diesen Umständen trägt das Sachverständigengutachten jedoch Rechnung, indem es eine Bestätigung der in den Werken geäußerten Ansichten des Erblassers in seinen persönlichen Briefen an den Erblasser – in denen etwa auf die Durchgaben des „Buddhas“ eingegangen wird – findet. Gleiches gilt für das vorliegende TV-Interview, in dem der Erblasser selbst von derartigen Durchgaben berichtet. Aufgrund dieses Abgleichs mit anderen Quellen steht für Sachverständigen und Senat fest, dass die schriftlich geäußerten Ansichten vorliegend tatsächlich das Gedankenbild des Erblassers wiedergeben. Dies erlaubt eine Heranziehung der vom Erblasser verfassten Bücher als Grundlage einer psychiatrischen Diagnose (vgl. Sachverständigengutachten, S. 8 f., Bl. 337 f. d.A.).

dd) Eine Diagnosestellung ist vorliegend – ausnahmsweise – auch post mortem möglich. Sämtliche Sachverständige – auch Dr. D. (Sachverständigengutachten, S. 61 ff., insb. S. 63, Bl. 390 ff., 392 d.A.) – stimmen darin überein, dass eine solche Diagnosestellung regelmäßig eine ärztliche Exploration zu Lebzeiten voraussetzt, weil nur durch psychiatrische Exploration zu klären ist, ob (wahnhafte) Gewissheit oder die Fähigkeit zur Relativierung besteht. Dr. D. weist aber zu Recht darauf hin, dass im vorliegenden Einzelfall – ausnahmsweise – besondere Umstände gegeben sind: Der Erblasser hat eine außergewöhnliche Vielzahl von schriftlichen – nicht nur literarischen, sondern auch brieflichen – Erzeugnissen hinterlassen, die der Sachverständige sehr sorgfältig ausgewertet hat; es gibt überdies Interviews mit dem Erblasser, die teilweise auf DVD aufgezeichnet vorliegen, so dass ein ungewöhnlich reichhaltiges, authentisches Material für die Begutachtung zur Verfügung stand, das über das üblicherweise zur Verfügung stehende Material im Falle einer lebzeitigen Exploration (bei der im Übrigen ihrerseits mit mangelnder Kooperation oder bewusster Verstellung des Patienten gerechnet werden muss) hinausgeht. Dieses umfassende und authentische Material, das überdies noch mit Zeugenaussagen abgeglichen werden konnte, ergibt ein in sich stimmiges, widerspruchsfreies Bild von dem Vorstellungsbild des Erblassers. Dementsprechend hat der Sachverständige dieses Material – einzelfallbezogen – für hinreichend gehalten, um eine entsprechende Anamnese zu erstellen. Es erschließt sich dem Senat nicht (weder aus medizinischen noch aus juristischen Gründen), warum es selbst bei den vorliegenden, äußerst umfassenden Erkenntnissen, deren Aussagekraft für das Vorstellungsbild des Erblassers der Sachverständige überprüft hat, per se ausgeschlossen sein soll, sich anhand der vorliegenden schriftlichen Unterlagen die Überzeugung zu bilden, dass sich der Erblasser tatsächlich als Werkzeug fühlte. Letztlich steht im Streit, ob die schriftlich dokumentierten Äußerungen wörtlich zu nehmen sind oder auch metaphorisch (im Sinne eines „als-ob“-Vergleichs) verstanden werden könnten. Der Sachverständige schließt dies – für den Senat überzeugend – aus. Es handelt sich auch für den Senat um eindeutige – in den Werken oftmals optisch hervorgehobene, also offenbar aus Sicht des Erblassers besonders wichtige – Beschreibungen erlebter Fremdbestimmungen (programmiert werden; Gedanken einer Buddha-Statue, die nicht die „meinen“ sind), die in unterschiedlichen Ausformungen (also nicht stereotyp) in unterschiedlichen Werken niedergelegt wurden und die (etwa die Durchgaben des Buddha) der Erblasser in Briefen an den enterbten Sohn – auch an zentralen Stellen des Vater-Sohn-Streits, nicht nur beiläufig – aufgegriffen hat. Diese Einschätzung verteidigt der Sachverständige überzeugend gegen Einwendungen der Klageseite in seinem Ergänzungsgutachten (insb. S. 3 f., S. 6 f. Bl. 443 f., 446 f. d.A.), in denen er sich auch mit den Einwendungen des Privatsachverständigen Prof. Dr. S. auseinandersetzt. Vor diesem Hintergrund vermag der Vorwurf einer unzulässigen Fehl- bzw. Überinterpretation schriftlicher Unterlagen durch den Privatsachverständigen Prof. Dr. S. an den gerichtlichen Sachverständigen (zuletzt im Gutachten vom 09.09.2019, K 44, S. 2, 5) den Senat nicht zu überzeugen.

Der Senat hat bei seiner Beurteilung auch nicht aus dem Blick verloren, dass der Sachverständige Dr. H. in seinem schriftlichen Gutachten (Anlage K8, S. 9) seinerzeit ausgeführt hat, er vermöge nicht hinreichend zuverlässig aus den Schriftstücken zu schließen, inwieweit die Gedankenwelt mit einer Störung der Realitätswahrnehmung verbunden sei. Die Äußerung ist ihrerseits nicht losgelöst von den sonstigen Umständen des Einzelfalls zu sehen. So hat der Sachverständige nur eine Seite zuvor (in Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Privatsachverständigen Dr. Sch.) ausgeführt, es sei zwar – grundsätzlich – zutreffend, dass eine Schizophrenie posthum nicht hinreichend sicher diagnostiziert werden könne. „Einschränkend könnte man auch hier anmerken, dass die Sicherheit schon wesentlich höher sein könnte, wenn entsprechende Befunde zugrunde gelegt werden könnten und man sich nicht auf schriftliche Aufzeichnungen des Erblassers beschränken müsste.“ Vorliegend lag zwar keine psychiatrische Exploration vor, wohl aber weiteres authentisches Material, etwa die DVD. Nachdem der Sachverständige Dr. H. diese angesehen hatte, bezeichnete auch dieser Sachverständige die Angaben des Erblassers als bizarr und warf selbst die Frage auf, ob dort nicht Wahnvorstellungen geäußert wurden (vgl. Aussage, K 9, S. 6 f.). Auf diese Frage kam es letztlich für den Sachverständigen Dr. H. nicht abschließend an, da er (bereits) aufgrund der Zeugenaussagen und den dort enthaltenen Anknüpfungstatsachen einen progredienten Wahn (Anlage K9, S. 6) bzw. eine anhaltende wahnhafte Störung (Protokoll vom 29.07.2015, S. 8, Bl. 171 d.A.) in Bezug auf den Sohn attestierte. Auch dieser Sachverständige gelangte somit zu dem Schluss (wenn auch in Bezug auf den Sohn), dass der Erblasser an einer paranoiden Symptomatik mit Realitätsverzerrungen litt. Die vormalige Aussage zum Beweiswert – allein – der schriftlichen Unterlagen ist vor dem Hintergrund der zusätzlichen, bestätigenden Erkenntnisquellen – nicht nur der DVD, sondern auch etwa der Zeugin H.- überholt.

b) Der Sachverständige bejaht des Weiteren das Merkmal der Wahnwahrnehmung, ebenfalls ein Kriterium der Kategorie 1b.

aa) In einem Brief (Anlage 2 zu Bl. 61/64 der Nachlassakte, dort S. 7f.) beschreibt der Erblasser, wie der Beklagte einem Gentest ausweichen wollte, um ein Millionenerbe nicht zu gefährden, indem er bei Besuchen weder etwas aß noch trank. „Beim 3-ten oder 4-ten mal nahmst du in der Küche vor meinen Augen doch ein Glas zum Mund – ja, ich sah es ganz genau – du trankst in dem du die Unterlippe nach innen zogst dass ja kein Speichel an die Tasse kam.“ Diese (schon für sich genommen höchst auffällige, weil nur schwerlich beobachtbare) Wahrnehmung erfüllt das einschlägige Kriterium, wonach reale Sinneswahrnehmungen eine abnorme Bedeutung erhalten, meist im Sinne einer Eigenbeziehung, ohne dass hierfür ein rational oder emotional verständlicher Anlass vorliegt. Zu Recht weist der Sachverständige – in seinem Ergänzungsgutachten, S. 4 f., Bl. 444 d.A., gegen Angriffe der Klageseite – darauf hin, dass es nicht darauf ankomme, ob der Erblasser zu Recht Zweifel an der Vaterschaft hege. Entscheidend sei, dass weder ersichtlich sei, dass der Beklagte einen Gentest überhaupt verweigern würde (ein solcher Gentest wurde nämlich durchgeführt), noch – was aus Sicht des Senats wesentlicher ist – dass das Vorgehen des Sohnes aus Sicht eines „rationalen“ Dritten anstelle des Vaters geeignet gewesen wäre, DNA-Spuren zu vermeiden; es wäre vielmehr ein Leichtes gewesen, es überhaupt zu vermeiden, während des Besuchs überhaupt etwas zu trinken. Hinzu kommt, dass der Erblasser diese Episode, wie sich aus der Aussage der Zeugin B.im Nachlassverfahren ergibt (Anlage K9, S. 6), auch nach dem Vaterschaftstest immer wieder mündlich berichtete, von ihr also nicht etwa nach dem Vaterschaftstest abließ. Im Übrigen hat auch der Sachverständige Dr. H. den Vorgang als Beispiel für eine gestörte Realitätswahrnehmung gewertet (Anlage K9, S. 7, erster Absatz).

bb) Im Übrigen ist die geschilderte Episode im Kontext einer wahnhaft gestörten Wahrnehmung des Verhältnisses zum Sohn zu sehen, wie bereits erstinstanzlich – und damit für das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 ZPO bindend – festgestellt. Insbesondere ist der Senat davon überzeugt, dass der Erblasser nicht in der Lage war zu akzeptieren, dass der Beklagte sein Sohn war. Vielmehr hat er auch nach Durchführung des genetischen Vaterschaftstests die Sohneseigenschaft immer wieder in Abrede gestellt. Dies ergibt sich aus der Aussage der Zeugin Brummer.

Die Zeugin hat ausgesagt, dass die Vaterschaft immer wieder Thema gewesen sei (Anlage K9, S.5 (“Er hat dennoch immer wieder gesagt, der Beschwerdeführer [Anm.: der Beklagte des hiesigen Verfahrens] sei nicht sein Sohn, dann musste man ihn wieder an den Vaterschaftstest erinnern.“). Zwar hat die Zeugin auf Frage der Klägervertreterin in ihrer Vernehmung vor dem Nachlasssenat des OLG München erklärt (Anlage K9, aaO), es sei möglich, dass der Erblasser gemeint habe, dass der Erblasser nicht die biologische Sohnesstellung gemeint habe, sondern ihm lediglich die moralische Stellung als Sohn absprechen wollte (wie es auch die geschiedene Ehefrau des Erblassers annimmt); dabei handelt es sich jedoch um keine Wahrnehmung der Zeugin, sondern um eine Schlussfolgerung. Ein solches Verständnis erscheint dem Senat – wie schon seinerzeit dem 31. Zivilsenat, der über das Erbscheinsverfahren zu entscheiden hatte (Anlage K10, S. 5 f.) – ausgeschlossen, da mit einer solchen Sichtweise weder die Aussage im Einklang steht, dass man den Erblasser an den Vaterschaftstest habe erinnern müssen, (Anlage K9, aaO), noch fügt sich dieses Verständnis in die Aussage der Zeugin vor dem Landgericht ein, der Erblasser habe seine fortdauernden Zweifel an der Vaterschaft mit einer möglichen Unfruchtbarkeit, also mit einem physischen Leiden, begründet, also nicht an moralischen Kategorien festgemacht (Protokoll vom 15.07.2015, S. 6, Bl. 150 d.A.). Der Erblasser war demnach im Verhältnis zu seinem Sohn nicht in der Lage, den biologischen Realitäten ins Auge zu sehen, sondern glitt in wahnhafte Zweifel ab. Der Annahme wahnhafter Zweifel steht nicht entgegen, dass er in anderen Momenten die Vaterschaft anerkannte, wie ein Brief aus dem Jahr 2003 zeigt. Ohne Aussagewert ist, dass der Erblasser erkannte, dass sein Sohn pflichtteilsberechtigt war – diese Einsicht war lediglich Ausfluss der rechtlichen Stellung zum Sohn, nicht der biologischen. Diese Einschätzung des Verhaltens des Erblassers als wahnhaft teilen die Sachverständigen Dr. H. (Anlage K7; Protokoll vom 29.07.2015, S. 8, Bl. 171 d.A.) und Dr. D. (Gutachten, S. 68f., Bl. 397f. d.A.)

Zweifel an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin sind – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht veranlasst; das Landgericht ist ihr ebenso gefolgt wie seinerzeit der 31. Zivilsenat im Nachlassverfahren (Anlage K 10, S. 6). Die Zeugin hat zwar in ihrem (in Eigeninitiative verfassten) Schreiben vom 06.04.2011, Anlage K11, an das Nachlassgericht zu auffälligem Verhalten des Beklagten nichts berichtet; es spricht jedoch nicht gegen eine Zeugin, wenn sie keinen Anlass sieht, ungefragt zu konkreten Auffälligkeiten des Erblassers Stellung zu beziehen. Die Aussagen vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht (im Nachlassverfahren) waren im wesentlichen konsistent. Der Hinweis darauf, dass die Angabe dazu variiere, wann sie die Klägerin kennengelernt habe, verfängt als bedeutungsloses Detail nicht; es entspricht der Erfahrung des Senats, dass insoweit häufig Erinnerungsdefizite bestehen, ohne dass man daraus die Schlussfolgerung ziehen kann, ein Zeuge sei nicht glaubwürdig. Im Übrigen hat die Zeugin bei Anlass dem Beklagten dezidiert widersprochen (Anlage K9, S. 5), außerdem auch die Spannungen zwischen ihm und dem Erblasser nicht verschwiegen (Protokoll vom 15.07.2015, S. 3, Bl. 147 d.A.). Es ist daher nicht ersichtlich, dass die Zeugin – nunmehr – im Lager des Beklagten stehe und nicht neutral ausgesagt habe.

cc) Die Zeugin hat überdies weitere Umstände bekundet, die als Anknüpfungspunkte für Realitätsverzerrungen im Verhältnis zum Sohn herangezogen werden können.

So hat die Zeugin – zur Überzeugung des Landgerichts – ausgesagt, der Erblasser habe ihr gegenüber dem Beklagten vorgeworfen, er habe durch schwarzmagische Kräfte das Auto, das die Klägerin habe benutzen wollen, manipuliert (Protokoll vom 15.07.2015, S. 3f., Bl. 147 f. d.A.; die geschiedene Ehefrau bestätigte diese Aussage im Kern, Protokoll vom 29.07.2015, S. 4, Bl. 167 d.A., rückt aber den Begriff der Manipulation in einem Brief an das Nachlassgericht in einen anderen Kontext, Anlage K29, S. 5: „hätte das auch ein Marderverbiss sein können“; dazu passt allerdings nicht die Aussage der Zeugin B., der Sohn (Beklagter) habe das Fahrzeug „schwarzmagisch“ manipuliert.). In Wirklichkeit hat es keine Manipulation am Auto gegeben. Ferner hat die Zeugin ausgesagt, der Erblasser habe dem Beklagten vorgeworfen, dieser würde ihm nach dem Leben trachten; deshalb solle die Zeugin den Sohn bei der Polizei anzeigen (Anlage K9, S. 4; Protokoll vom 15.07.2015, S. 7, Bl. 151 d.A.).

Auch diese Episoden zeigen – wie der Sachverständige Dr. Hollweg herausgearbeitet hat (vgl. Anlage K9, S. 7, Protokoll vom 29.07.2015, S. 9, Bl. 172 d.A.) – eine gestörte Realitätswahrnehmung des Erblassers zum beklagten Sohn. Der Sachverständige Dr. D. – der freilich bereits aufgrund anderer Merkmale eine Schizophrenie bejaht, für den die hier aufgeführten Aspekte daher von untergeordneter Bedeutung sind – wertet die Geschichte um die Automanipulation ebenfalls als auffällig (Gutachten, S. 68f., Bl. 397 f. d.A.).

dd) Ebenso wird man als wahnhaft ansehen können, wenn der Erblasser gegenüber dem Beklagten äußerte, dessen Seele habe sich bei ihm beschwert (vgl. Gutachten, S. 11, 77, Bl. 340, 406 d.A.; zum Inhalt der „Beschwerde“, vgl. B9). Die gegenteilige Sichtweise des Sachverständigen Prof. Dr. S., es handele sich um ein letztlich gesundes „Sich-in-andere-einfühlen-können“ (Anlage K40, S. 33f.; K41, S. 10), verfängt – jedenfalls in der Zusammenschau mit den vorliegend gegebenen weiteren wahnhaften Vorstellungen – nicht.

c) Der Sachverständige bejaht schließlich das Merkmal des bizarren Wahns.

Zum Einen sprenge die vom Erblasser geäußerte Sichtweise (Sachverständigengutachten, S. 66, Bl. 395 d.A.; Ergänzungsgutachten, S. 7, Bl. 447 d.A.), im Jenseits (“drüben“) würden von ihm 680 Seelen existieren, da man sich dort irgendwie „verdoppeln“ könne, und mit denen er in Kontakt treten könne. Der Sachverständige sieht die bizarre Vorstellung nicht etwa darin, dass – wie aus fernöstlichen Kulturen vertraut – Reinkarnationen auftreten, sondern in den darüber hinausgehenden Spezifika (680 Leben, die sich „irgendwie verdoppeln“ und mit denen man in Kontakt treten könne). Das überzeugt den Senat auch unter Berücksichtigung der Einwände des Privatsachverständigen Prof. Dr. S. Der Senat ist sich bewusst, dass die Abgrenzung zwischen religiösen Vorstellungen und Wahnvorstellungen im Einzelfall schwierig sein kann. Gerade aber die Annahme einer „Verdoppelung“ „irgendwie“ bei Möglichkeit der Kontaktaufnahme erscheint dem Senat nicht mehr nachvollziehbar. Es sei darauf hingewiesen, dass auch der Sachverständige Dr. H. (Anlage K9, S. 6) Äußerungen des Erblassers im Interview als bizarr ansah.

Als Ausfluss bizarren Wahns wertet der Sachverständige des Weiteren, dass bei einem Besuch der Zeugin H. 15.000 Indianer im Vorgarten erschienen seien und von deren Ehemann eine Entschuldigung verlangt hätten (einen Vorgang, den die Eheleute H. in ihrer Einvernahme zur Überzeugung des Landgerichts übereinstimmend bekundeten). Der Privatsachverständige Prof. Dr. S. sieht darin ein psychiatrisch unauffälliges Karma-Clearing. Der gerichtlich bestellte Sachverständige entgegnet, dass diese Ansicht dann nicht „völlig abwegig“ wäre, wenn sich der Erblasser in einer Gruppe Gleichgesinnter aufhalten hätte. Insoweit ist der Klageseite zuzugestehen, dass die Zeugin H. selbst esoterischen Kreisen angehörte. Angesichts des Umstandes, dass es sich um einen Familienbesuch (der Zeugin mit Ehemann und 9-jährigem Kind) bei dem Erblasser handelte, nicht um ein spiritistisches Treffen Gleichgesinnter, schließt sich der Senat der Wertung des Privatsachverständigen an, die Situation stehe „im Widerspruch zur mitmenschlich-kommunikablen Wirklichkeit“ (Ergänzungsgutachten, S. 5, Bl. 445 d.A.). Letztlich kommt es dem Senat auf diese Episode nicht entscheidend an.

d) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Sachverständige vorliegend drei von vier Merkmalen der Symptomgruppe 1 nach dem ICD-10-Standard für Schizophrenie bejaht. Da ausweislich des Standards bereits die sichere Bejahung nur eines Merkmals genügen würde, ist die vom Sachverständigen Dr. D. erstellte Diagnose einer chronischen paranoiden Schizophrenie (Gutachten, S. 69, Bl. 398 d.A.) belegt. Ergänzend hat der Sachverständige weitere auf Schizophrenie hindeutende Symptome (Vergiftungsgefühle, Zweifel an Vaterschaft, Automanipulation) angeführt. Erst recht in dieser Gesamtwürdigung aller Umstände und Indizien ist die Diagnose einer (chronischen, paranoiden) Schizophrenie durch den Sachverständigen für den Senat überzeugend hergeleitet. Mit Blick auf diese Gesamtschau vermag der Senat auch nicht den Einwand der Klageseite zu teilen, der Sachverständige hätte einen höheren Grad an Beurteilungsunsicherheit in Rechnung stellen und daher eine Schizophrenie verneinen müssen.

e) Sachverständiger und Senat haben berücksichtigt, dass insbesondere die Schizophrenie (aber auch der Wahn) oftmals mit sozialen Auffälligkeiten einhergeht, die zu verbergen dem Umfeld gegenüber regelmäßig schwerfällt. Der Sachverständige H. hatte seinerzeit angegeben, dass beispielsweise das gepflegte Erscheinungsbild des Erblassers tendenziell gegen eine Schizophrenie spreche (vgl. seine Aussage vor dem Oberlandesgericht im Nachlassverfahren, Anlage K9, S. 6). Unvereinbar ist die Diagnose Schizophrenie mit diesem Umstand jedoch nicht. Der Sachverständige Dr. D. hat nämlich ausgeführt, dass die sog. negativen Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, zumeist mit sozialem Rückzug und verminderter sozialer Leistungsfähigkeit (Gruppe 2d, Gutachten, S. 68, 70, Bl. 397, 399 d.A.) bei 7% der Patienten der Schizophrenie völlig fehle. Gerade das Fehlen der Negativsymptome war aber für den Sachverständigen Dr. H. – der ihr Vorliegen selbst nicht für zwingend hielt – ein wesentlicher Grund für die Ablehnung der Diagnose Schizophrenie im landgerichtlichen Verfahren (vgl. seine Aussage vor dem Landgericht, Protokoll vom 11.03.2015, S. 4, Bl. 100 d.A.).

f) Der Senat ist sich des Umstandes bewusst, dass sich der Sachverständige Dr. D. als einziger auf die Diagnose einer Schizophrenie festlegt. Gleichwohl bestehen keine Bedenken, dem Sachverständigen – der sich selbst mit den unterschiedlichen Diagnosen der anderen Sachverständigen auseinandersetzt, S. 69 (unten) ff., Bl. 398 ff. d.A.; ebenso im Ergänzungsgutachten, S. 13f., Bl. 453f. d.A. – zu folgen:

aa) Die Abweichungen zum ersten (durch das Nachlassgericht eingeholten) gerichtlichen Sachverständigengutachten Dr. G., der eine akzentuierte Persönlichkeit mit paranoiden, narzisstischen sowie schizophrenen Zügen, somit eine Persönlichkeit ohne Krankheitswert, attestierte, erklären sich zwanglos daraus, dass diesem Sachverständigen wesentlich weniger Anknüpfungstatsachen zur Verfügung standen. Ihm lagen nur wenige schriftliche Zeugnisse des Erblassers vor, nicht aber dessen Bücher. Seine Begutachtung fand auch vor der Einvernahme von Zeugen statt.

bb) Der Privatsachverständige Dr. Sch. gelangt zwar ebenfalls zur Testierunfähigkeit, allerdings auf der Grundlage einer wahnhaften Störung. Da auch der Sachverständige Dr. D. Wahnelemente bejaht, besteht ein Widerspruch nur, soweit dieser (Privat-)Sachverständige eine Schizophrenie (die auch er keineswegs für völlig ausgeschlossen hält) für posthum nicht hinreichend sicher diagnostizierbar hielt, im Übrigen darauf hinwies, dass die intakte Persönlichkeit gegen Schizophrenie spreche. Der erste Einwand wurde bereits oben (II.2.a)cc)) behandelt; bezüglich des zweiten Aspekts gilt das unter e) Gesagte. Der Privatsachverständige konstatiert im Übrigen selbst, dass es unterschiedliche Verlaufsformen der Schizophrenie gebe (Anlage K3, S. 17). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Privatsachverständige Dr. Sch. ebenfalls nicht über die vollständige Tatsachengrundlage verfügte, ihm insbesondere die Zeugenaussagen nicht bekannt waren.

cc) Unterschiede zum Gutachten Dr. H. wurden ebenfalls bereits im jeweiligen Sachzusammenhang erörtert. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dieser Sachverständige – insoweit in voller Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. D. – Wahnvorstellungen des Erblassers in Bezug auf den Beklagten und eine Erkrankung aus dem paranoiden Formenkreis attestierte. Auch dieser Sachverständige kam zu dem Ergebnis einer Testierunfähigkeit.

dd) Dem Gutachten des Privatsachverständigen Prof. Dr. S. ist nach Auffassung des Senats nicht zu folgen. Ein Teil der von diesem Privatsachverständigen erhobenen Einwände wurden ebenfalls bereits im jeweiligen Sachzusammenhang erörtert. Insgesamt fällt auf, dass der Privatsachverständige sämtliche Auffälligkeiten des Erblassers dem psychiatrisch unbedenklichen esoterischen-religiösen Bereich zuschreiben möchte; deshalb kommt er zu dem Ergebnis, dass beim Erblasser (jedenfalls nachweisbar) lediglich eine akzentuierte Persönlichkeit ohne Krankheitswert vorliege. Betrachtete man die einzelnen Ausführungen jeweils für sich (15.000 Indianer im Vorgarten als Karma Clearing; Gespräch mit der Seele des Beklagten als empathisches Verhalten; Annahme von mehr als 600 Leben im Jenseits; Gespräche mit einer Vielzahl von Wesen aus dem Jenseits, einschließlich Gottvater) als religiös / esoterisches Empfinden, ließe sich einer solchen Argumentation möglicherweise im Ansatz nähertreten; es fehlt aus Sicht des Senats jedoch an der gebotenen Gesamtschau aller, bereits für sich genommen zumindest höchst auffälligen Indizien. Der Hinweis auf ein „Flickerlteppich“ mit esoterisch-fernöstlichem Einschlag liefert insoweit keine überzeugende Erklärung. Erst recht vermisst der Senat eine überzeugende Auseinandersetzung mit der verzerrten Sichtweise des Erblassers auf die Beziehung zu seinem Sohn, bei dem der Privatsachverständige oftmals bereits von einem anderen Verständnis der Zeugenaussagen als der Senat ausgeht (etwa bei den Äußerungen des Erblassers zu seiner Vaterschaft).

g) Der gerichtliche Sachverständige begründet – im Übrigen in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. H. für dessen Befundung – auch, dass im Falle des Erblassers ein durchgängiges – chronisches – Krankheitsbild vorliegt, das nicht von symptomfreien Intervallen unterbrochen ist. Der Sachverständige leitet dies aus dem durchgängigen Gedankengebäude ab (Sachverständigengutachten, S. 64 f., 83, Bl. 393, 412 d.A.), der Sachverständige Dr. H. mit einer verstetigten realitätsgestörten Beziehung des Erblassers zum Beklagten (vgl. Protokoll vor dem Landgericht von der Sitzung am 29.07.2015, S. 7 f., Bl. 171 f. d.A.).

h) Auch die sonstigen Einwendungen der Klageseite gegen das Sachverständigengutachten verfangen nicht:

aa) Die Klägerin kann dem Sachverständigengutachten nicht mit Erfolg entgegenhalten, die übrigen behandelnden Ärzte des physisch schwer kranken Erblassers hätten den Kläger trotz intensiver Behandlung und bei einer Vielzahl von stationären Aufenthalten in Krankenhäusern nicht als krankhaft angesehen, ihn vielmehr für geistig klar gehalten. Es ist nämlich weder vorgetragen noch ersichtlich, dass den behandelnden Ärzten die relevanten Ereignisse, an die die Diagnose des Sachverständigen Dr. D. geknüpft ist – etwa dass der Erblasser sich als programmiert ansah, dass sich in seinem Kopf Gedanken entspannen, die er nicht als eigene empfand, dass er von 680 Leben im Jenseits ausging oder dass er die Sohneseigenschaft des Beklagten trotz Vaterschaftstest in Abrede stellte – überhaupt bekannt waren. Der Zeuge Prof. Dr. W. sagte aus, es sei bekannt gewesen, dass der Erblasser pendele, dass er ins Jenseits kontakte, auch habe der Erblasser ihnen die Zukunft vorausgesagt (Protokoll vom 15.07.2015, S. 7 f., Bl. 151 d.A. bzw. vom 09.06.2021, S. 3, Bl. 499 d.A.); ein derartiges Wissen genügt gerade nicht, um Verdacht einer ggf. behandlungsbedürftigen schizophrenen (oder auch nur einer paranoiden) Erkrankung zu schöpfen. Auch die behandelnde Hausärztin und der Apotheker berichteten nichts von einer Kenntnis entsprechender Anknüpfungstatsachen (Protokoll vom 15.07.2015, S. 8-11, Bl. 152-155 d.A.). Gerade wenn und soweit die Behandlung physischer Leiden im Fokus steht und der Patient – psychisch – in der Lage ist, den Alltag zu bewältigen, ist es nachvollziehbar, dass psychische Erkrankungen unerkannt bleiben, zumal wenn die Störung den religiös-esoterischen Bereich betrifft, in dem die Toleranzschwelle für die Akzeptanz abweichender Vorstellungen höher ausgeprägt ist. Wie der Sachverständige ausführt, ist es ohne fachgerechte Untersuchung ohne Weiteres möglich, dass selbst erhebliche psychiatrische Ausfälle (durch Ärzte oder auch Pflegepersonal in Krankenhäusern) nicht in vollem Umfang erkannt oder in ihrer Wertigkeit falsch eingeschätzt werden (Sachverständigengutachten, S. 81, Bl. 410 d.A.). Auch auf Angehörige müssen daher medizinisch kranke Personen nicht pathologisch wirken. Dies gilt umso mehr, als der Erblasser „auffällig“ v.a. in seinen Publikationen, in seinen Briefen und in seinem Verhältnis zum Sohn war. Diese Bewertung teilt – freilich von einer abweichenden Diagnose ausgehend – der Sachverständige Dr. H. (Protokoll vom 11.03.2015, S. 6, Bl. 102 d.A.).

bb) Abgeklärt hat der Senat auf Antrag der Klageseite durch (erneute) Einvernahme des Zeugen Prof. Dr. W., dass der Erblasser vor Testamentserrichtung nicht psychiatrisch exploriert wurde. 2007 wurde lediglich ein neurologisches Gutachten eingeholt, kein psychiatrisches. Ein psychiatrisches Konsil (mit der Diagnose Demenz sowie Hypoxie mit Delir) wurde erst 2009 – kurz vor dem Tod des Erblassers, als dieser unstreitig verwirrt war – beauftragt und erstellt (vgl. Aussage des Zeugen vom 09.06.2021, Protokoll, S. 3, Bl. 499 d.A.). Damit ist zugleich klargestellt, dass die möglicherweise missverständliche Aussage desselben Zeugen vor dem Landgericht (Protokoll vom 15.07.2015, S. 8, Bl. 152 d.A.): „Zwar hat er [Anm. des Senats: der Erblasser] gependelt und ins Jenseits kontaktet, aber das hat auch der Psychiater als zwar nicht normal, aber nicht als psychiatrisch auffällig eingeordnet.“ nicht dahingehend zu verstehen ist, dass eine psychiatrische Untersuchung stattgefunden hat, sondern nur eine informelle Abklärung „hinter den Kulissen“ im Rahmen eines Austauschs zwischen behandelnden Ärzten und Konsiliaren ohne Untersuchung des Erblassers.

cc) Die Bewertung des Sachverständigen steht auch nicht in Widerspruch zu Art. 4 Abs. 1 GG (Glaubensfreiheit). Es handelt sich um eine primär medizinische Einordnung des Sachverständigen anhand der Kriterien des ICD-Standards. Richtig ist zwar, dass gerade dem Kriterium einer „bizarren“ Vorstellung ein wertendes Element innewohnt und es – wie es der Sachverständige Dr. H. ausdrückte (Anlage K9, S. 6) – einen Überschneidungsbereich zwischen Wahnsyndrom und esoterisch-religiösen Vorstellungen geben kann. Insofern wäre es ggf. tatsächlich bedenklich, eine einzelne Äußerung zu einer religiös-esoterischen Fragestellung „einfach so“ ausreichen zu lassen, um Geschäfts- oder Testierunfähigkeit zu begründen. Dafür würde auch dem Senat nicht etwa der Hinweis auf die 680 Leben im Jenseits genügen. Vorliegend erfolgt aber die Befundung des Sachverständigen anhand einer Vielzahl von Indikatoren. Diese das Gutachten tragenden Umstände sind auch mitnichten alle oder auch nur überwiegend in einem etwaigen Inhalt eines esoterisch-religiösen Weltbildes des Erblassers begründet. Gerade das Kriterium der Ich-Störung – also das Gefühl des Gemacht- und Programmiertwerdens – betrifft nicht den Inhalt, sondern die Form der Vermittlung (so auch das Ergänzungsgutachten, S. 3 f., Bl. 443 f. d.A.). Dasselbe gilt für die Wahnwahrnehmungen im Verhältnis zum Sohn, wie oben unter II.2.b) beschrieben. Es ist daher kein Zufall, dass auch der Sachverständige Hollweg – ohne Diagnose der Schizophrenie – auf Testierunfähigkeit erkannte. Auch die Verankerung des Erblassers in einer peer group (Lichtkinder) spricht deshalb nicht entscheidend gegen die Diagnose.

dd) Die Klägerin sieht in der Begutachtung ferner einen Widerspruch zur Begutachtung in einem anderen Nachlassverfahren (Anlage K43). Ein solcher Widerspruch bestand jedoch nicht, wie der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten, dort S. 17 ff., Bl. 457 d.A., und in seiner Anhörung (Protokoll vom 09.06.2021, S. 4, Bl. 500 d.A.) – den Inhalt der Anhörung hatte die Klägerin in der Verhandlung vom 15.07.2020, Protokoll S. 2 und 3, Bl. 482 f. d.A. auf diesen Punkt beschränkt – erläutert. Beiden Fällen gemeinsam ist die Diagnose Schizophrenie. Im Vergleichsfall war die Diagnose beim Erblasser bereits lebzeitig erstellt worden; dieser Erblasser befand sich in Behandlung. Der Sachverständige hat dessen letztes Testament, das in einer Akutphase der Erkrankung kurz vor dem Suizid des Patienten erstellt worden war, für mangels Testierfähigkeit unwirksam gehalten. Bezüglich des Testaments ca. zwei Monate vor diesem Zeitpunkt hatte er demgegenüber eine Testierunfähigkeit nicht sicher feststellen können. Hintergrund war, dass der dortige Erblasser medikamentös behandelt war und eine Medikamenteneinnahme etwa sechs Monate vor der Errichtung des Testaments positiv feststand. Unter dem Einfluss der Behandlung war die Erkrankung zeitweise abgeklungen. Da konkrete Feststellungen zu der Situation im Zeitpunkt dieser Testamentserrichtung fehlten, hielt der Sachverständige einen psychotischen Zustand zwar für wahrscheinlich, konnte jedoch nicht ausschließen, dass die Testamentserrichtung in einer solchen Abklingphase und damit zu einem Zeitpunkt erfolgt war, in dem Testierfähigkeit bestand.

Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar: vorliegend handelt es sich um eine unbehandelte chronische Schizophrenie. Für diesen Fall hat der Sachverständige l. ausgeschlossen (Gutachten, S. 83, Bl. 412 d.A.; im Übrigen ebenso Dr. H. bei seiner Begutachtung).

Die tatsächliche Unsicherheit im Vergleichsfall bezog sich auf die Frage, ob Medikamente eingenommen worden waren, nicht auf die medizinische Diagnose.

Ein Widerspruch liegt auch nicht darin, dass der Sachverständige im dortigen Fall der Stellungnahme der behandelnden Ärzte in Widerspruch zum hiesigen Verfahren einen anderen Stellenwert eingeräumt hätte. Der augenfällige Unterschied liegt bereits darin, dass die Erkrankung des Erblassers im Vergleichsverfahren den behandelnden Ärzten bekannt war, sie daher ihr Augenmerk hierauf richten konnten. Vorliegend geht es um die Frage, ob Ärzte eine Schizophrenie hätten erkennen müssen. Insoweit weist der Sachverständige (nicht anders als im hiesigen Verfahren) im auszugsweise vorliegenden Gutachten ausdrücklich darauf hin, dass nicht selten auch erhebliche Beeinträchtigungen der kognitiven Fähigkeiten oder des formalen und inhaltlichen Denkens von somatisch tätigen Ärzten nicht erkannt werden (S. 33 des Gutachtens im Vergleichsverfahren).

3. Die Erkrankung hob vorliegend die Testierfähigkeit auf, da sich die krankheitsbedingten Realitätsverzerrungen – zumindest auch – auf den enterbten Beklagten bezogen.

a) Dies folgt bereits daraus, dass sich die Wahninhalte teilweise unmittelbar auf den Sohn bezogen. Der Sachverständige Dr. D. führt konkret (Gutachten, S. 77, Bl. 406 d.A.) die Beobachtung des Trinkens aus einem Glas zwecks Vermeidung eines DNA-Tests an, ebenso die Beschwerde der Seele des Beklagten beim Erblasser. Weitergehend ist darauf zu verweisen, dass der Erblasser – wie die Feststellungen des Landgerichts ergeben haben – nicht in der Lage war, die Vaterschaft anzuerkennen, überdies dem Sohn eine Manipulation des von der Klägerin benutzten Autos unterstellte, ferner den Eindruck vermittelte, der Sohn würde ihm nach dem Leben trachten. Insoweit befindet sich die Begutachtung in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H.

Ausgehend von der Diagnose im Berufungsrechtszug kommt als weitere, selbständige Überlegung hinzu, dass der Erblasser die Enterbung damit begründete, der Sohn habe dessen – seinerseits durch die Krankheit des Erblassers beeinflusste – Weltbild nicht anerkannt.

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass beim Erblasser die Fähigkeit aufgehoben war, die Bedeutung und Tragweite der von ihm getroffenen letztwilligen Verfügung zu erfassen, jedenfalls in freiem Willen das Für und Wider der von ihm schlussendlich getroffenen Entscheidung zu erfassen, da die pathologischen Denkinhalte auch auf den enterbten Beklagten bezogen waren.

b) Die Fortwirkung der pathologischen Denkinhalte entfällt nicht deshalb, weil die Zeugin B. aussagte, während der Testamentserrichtung habe der Erblasser nicht einmal gependelt; er habe zu diesem Zeitpunkt und auch später nicht mehr über die Beziehung zum Sohn gesprochen. Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, die vorgenannten Umstände hätten bei der Testamentserrichtung keine Rolle gespielt. Die Aussage der Zeugin B. ist vielmehr dahingehend zu verstehen, dass zu diesem Zeitpunkt der – von der Erkrankung beeinflusste – Willensbildungsprozess abgeschlossen war, der körperlich geschwächte Erblasser den für ihn kräftezehrende Vorgang zu Ende bringen wollte; nicht aber kann der Aussage entnommen werden, dass in der der Testamentserrichtung unmittelbar vorangehenden Zeitspanne eine neuerliche, von wahnhaften Vorstellungen unbeeinflusste Willensbildung erfolgt wäre. Im Übrigen schließt der Sachverständige Dr. D., wie bereits ausgeführt, ein lucidum intervallum aus; auch der Sachverständige Dr. H. hat eine von der Krankheit unbeeinflusste Testamentserrichtung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.

c) Unbehelflich ist, wenn die Klägerin vorträgt, dass der Erblasser gute Gründe gehabt habe, den Beklagen zu enterben. Dies mag zutreffen; von Rechts wegen bräuchte der Erblasser überhaupt keine sachlichen Gründe für die Enterbung des Beklagten. Entscheidend ist jedoch allein, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung krankheitsbedingt nicht in der Lage war, den Abwägungsprozess des Für und Wider einer Enterbung in freiem Willen zu vollziehen, denn vorliegend erfolgte der Willensbildungsprozess des Erblassers nicht unbeeinflusst von seinen wahnhaften Vorstellungen bezüglich seines Sohnes (vgl. etwa BayObLG, Beschluss vom 17.08.2004 – 1Z BR 053/04, juris Rn. 16). Dass das Ergebnis des Willensbildungsprozesses in gesundem Zustand möglicherweise dasselbe gewesen wäre, ändert daher an der Unwirksamkeit des Testaments nichts. Dies wird durch folgende Kontrollüberlegung bestätigt: Selbst wenn – wie vorliegend nicht – feststünde, dass ein Erblasser den Plan einer Testamentserrichtung in Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gefasst hat, es aber zu einer Errichtung vor Eintritt eines Falles nach § 2229 Abs. 4 BGB nicht mehr gekommen ist, wäre das im Zustand des § 2229 Abs. 4 BGB errichtete Testament unwirksam (Gegenschluss zu – allerdings auch dort nur leicht – herabgesetzten Anforderungen bei Eintritt von Bewusstseinstrübungen während des Errichtungsaktes für ein notarielles Testament: BGHZ 30, 294).

4. Lediglich ergänzend ist anzumerken: Selbst wenn man der Diagnose des Sachverständigen Dr. D. nicht folgen wollte, bliebe zu konstatieren, dass die gerichtlichen Sachverständigen Dr. H. und Dr. D. (ebenso wie der Privatsachverständige Dr. Sch.) übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangen, dass beim Erblasser krankhafte Wahnvorstellungen vorlagen, die Testierfähigkeit ausschlossen. Die gerichtlichen Sachverständigen Dr. H. und Dr. D. (der Wahnvorstellungen bezüglich des Trinkens aus dem Glas attestiert, ebenso auf die Realitätsverzerrung des Erblassers bezüglich seiner Vaterschaft und auf die Automanipulation hinweist, Gutachten, S. 66-68, 77, Bl. 395-397, 406 d.A.) machen dies – insoweit übereinstimmend – jedenfalls an der gestörten Realitätswahrnehmung in Bezug auf den Sohn fest. Letztlich kommt es auf die exakte Diagnose nicht entscheidend an. Entscheidend ist nämlich nicht welche, sondern dass eine die freie Willensbetätigung ausschließende Erkrankung festgestellt wird (RGZ 162, 223, 229). Selbst wenn man der Diagnose Schizophrenie nicht folgen wollte, sondern man eine paranoide Symptomatik in Bezug auf den Sohn wie der Sachverständige Dr. H. annimmt, verbliebe es bei einer die Testierunfähigkeit des Erblassers.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Eine Zulassung der Revision war nicht veranlasst, da Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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