Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Pflichtteilsrechte und Nachlassinsolvenz: Ein Beispiel aus der Praxis
- Der Fall vor Gericht
- Verzicht auf Pflichtteilsanspruch im Nachlassinsolvenzverfahren wirksam
- Komplexe Ausgangssituation nach mehreren Todesfällen
- Mündlicher Verzicht auf den Pflichtteil rechtswirksam
- Grundlegende Rechtsfragen zur Verzichtsmöglichkeit
- Rechtlicher Rahmen für den Verzicht
- Auswirkungen auf das Nachlassinsolvenzverfahren
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was passiert mit dem Pflichtteilsanspruch, wenn der Berechtigte in die Insolvenz geht?
- Wie kann ein Pflichtteilsberechtigter nach dem Erbfall auf seinen Anspruch verzichten?
- Welche Befugnisse hat der Insolvenzverwalter bei Pflichtteilsansprüchen?
- Ab welchem Zeitpunkt ist ein Pflichtteilsanspruch in der Insolvenz pfändbar?
- Welche Beweismittel werden für einen wirksamen Pflichtteilsverzicht anerkannt?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Halle (Saale)
- Datum: 20.09.2024
- Aktenzeichen: 1 O 45/23
- Verfahrensart: Stufenklage zur Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Insolvenzrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger zu 1: Nachlassinsolvenzverwalter über den Nachlass des am 26.03.2021 verstorbenen Schuldners R. Er behauptet, der Pflichtteilsanspruch des Schuldners sei der Insolvenzmasse zugehörig und bestreitet die Unwirksamkeit des Anspruchs aufgrund eines vermeintlichen Verzichts.
- Kläger zu 2: Nachlasspfleger, bestellt durch das Amtsgericht B, dessen Klage unzulässig ist, da er nicht prozessführungsbefugt ist.
- Beklagte: Ehefrau des Verstorbenen R, die als Erbin im testamentarisch festgelegten gemeinschaftlichen Testament auftritt. Sie behauptet, dass der Pflichtteilsanspruch des Schuldners durch dessen Verzicht, zu Lebzeiten in mündlicher Form ihr gegenüber, nichtig geworden sei.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Kläger versuchten, Pflichtteilsansprüche des verstorbenen Schuldners R gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Der Pflichtteil sollte zur Insolvenzmasse gehören. Die Beklagte verweigerte eine weitergehende Auskunft und Wertermittlung des Nachlasses unter Berufung darauf, dass der Schuldner zu Lebzeiten auf seinen Pflichtteil verzichtet habe.
- Kern des Rechtsstreits: Ob der Pflichtteilsanspruch wirksam durch einen Erlassvertrag zwischen dem Schuldner und der Beklagten erloschen ist, obwohl das Insolvenzverfahren bereits eröffnet war und ob der Nachlassinsolvenzverwalter den Anspruch gerichtlich geltend machen darf.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Klage des Nachlassinsolvenzverwalters (Kläger zu 1) wurde abgewiesen, die Klage des Nachlasspflegers (Kläger zu 2) als unzulässig erklärt.
- Begründung: Der Pflichtteilsanspruch war durch einen wirksamen, mündlichen Erlassvertrag des Schuldners zu Lebzeiten mit der Beklagten erloschen. Das Verfügungsverbot des Insolvenzrechts verhindert diesen Verzicht nicht, da die Bedingungen zur vollständigen Pfändbarkeit nach § 852 ZPO nicht erfüllt waren.
- Folgen: Der Nachlassinsolvenzverwalter kann den Pflichtteilsanspruch nicht verwerten. Die Beklagte muss keine zusätzliche Auskunft erteilen oder Zahlungen leisten. Beide Kläger tragen die Kosten je zur Hälfte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Pflichtteilsrechte und Nachlassinsolvenz: Ein Beispiel aus der Praxis
Das Erbrecht in Deutschland ist komplex und bietet Erben sowie potenziellen Anspruchstellern verschiedene Rechtsgestaltungsmöglichkeiten. Der Pflichtteil stellt dabei eine zentrale Absicherung für Familienangehörige dar, die bei der Erbverteilung nicht berücksichtigt werden.
Die Geltendmachung erbrechtlicher Ansprüche wird besonders dann interessant, wenn ein Nachlassinsolvenzverwalter tätig wird. In solchen Fällen können verschiedene Rechtsfragen auftreten, insbesondere wenn Erben bereits zuvor auf ihren Pflichtteil verzichtet haben oder komplexe Vermögensverteilungen vorliegen. Der nachfolgende Fall zeigt exemplarisch, wie sich Pflichtteilsrechte und Nachlassinsolvenz in der Praxis verschränken können.
Der Fall vor Gericht
Verzicht auf Pflichtteilsanspruch im Nachlassinsolvenzverfahren wirksam

Das Landgericht Halle (Saale) hat eine Stufenklage auf Auskunft und Zahlung eines Pflichtteils im Nachlassinsolvenzverfahren abgewiesen. Der Fall betraf einen Pflichtteilsanspruch, der nach dem Tod des Erblassers durch mündlichen Erlassvertrag aufgegeben wurde.
Komplexe Ausgangssituation nach mehreren Todesfällen
Der Vater des Schuldners war am 16. März 2020 verstorben und hatte seine Ehefrau als Erbin eingesetzt. Über das Vermögen des pflichtteilsberechtigten Sohnes lief bereits seit Mai 2019 ein Insolvenzverfahren. Nach dem Tod des Sohnes im März 2021 wurde das Verfahren in ein Nachlassinsolvenzverfahren überführt. Der Nachlassinsolvenzverwalter forderte von der Erbin Auskunft über den Nachlass und machte den Pflichtteilsanspruch geltend.
Mündlicher Verzicht auf den Pflichtteil rechtswirksam
Das Gericht stellte durch Zeugenvernehmungen fest, dass der Sohn noch zu Lebzeiten ausdrücklich auf seinen Pflichtteil verzichtet hatte. Nach Überzeugung der Richter erfolgte dieser Verzicht in einem Gespräch mit der Erbin. Die Zeugen berichteten übereinstimmend von mehreren Familienunterhaltungen, in denen der Sohn seinen Verzichtswillen deutlich gemacht hatte. Als Grund nannten sie die großzügige Unterstützung durch seine Eltern zu Lebzeiten.
Grundlegende Rechtsfragen zur Verzichtsmöglichkeit
Das Gericht musste klären, ob ein Pflichtteilsberechtigter während eines laufenden Insolvenzverfahrens überhaupt wirksam auf seinen Anspruch verzichten kann. Die Richter bejahten dies für den Zeitraum vor Rechtshängigkeit der Klage. Sie begründeten ihre Entscheidung damit, dass der Pflichtteilsanspruch erst dann für die Insolvenzgläubiger werthaltig wird, wenn die Voraussetzungen für seine unbeschränkte Pfändbarkeit erfüllt sind.
Rechtlicher Rahmen für den Verzicht
Ein Pflichtteilsverzicht nach dem Erbfall muss nicht notariell beurkundet werden, wie das Gericht betonte. Der formlose Verzicht durch mündlichen Erlassvertrag ist ausreichend, da die gesetzliche Formvorschrift nur für Verzichte vor dem Erbfall gilt. Das Insolvenzverfahren stand dem Verzicht nicht entgegen, da der Anspruch zu diesem Zeitpunkt noch nicht uneingeschränkt pfändbar war.
Auswirkungen auf das Nachlassinsolvenzverfahren
Mit dieser Entscheidung wies das Gericht die Stufenklage des Nachlassinsolvenzverwalters vollständig ab. Da der Pflichtteilsanspruch durch den wirksamen Verzicht erloschen war, bestand auch kein Anspruch auf Auskunft über den Nachlass. Die Richter ließen ausdrücklich offen, ob ein Nachlassinsolvenzverwalter grundsätzlich berechtigt ist, die Voraussetzungen für die Pfändbarkeit des Pflichtteils selbst herbeizuführen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil klärt die Frage, inwieweit ein Pflichtteilsanspruch nach dem Tod des Berechtigten noch durchsetzbar ist. Ein mündlicher Pflichtteilsverzicht ist unwirksam, da dieser zwingend notariell beurkundet werden muss. Die bloße Nichtgeltendmachung des Pflichtteilsanspruchs zu Lebzeiten stellt keinen wirksamen Verzicht dar. Der Pflichtteilsanspruch geht mit dem Tod des Berechtigten auf dessen Erben über und kann von einem Nachlassinsolvenzverwalter geltend gemacht werden.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie als Pflichtteilsberechtigter einen Verzicht aussprechen möchten, müssen Sie dies zwingend notariell beurkunden lassen – mündliche Vereinbarungen sind unwirksam. Erben können den Pflichtteilsanspruch auch dann noch geltend machen, wenn der ursprünglich Berechtigte dies zu Lebzeiten nicht getan hat. Falls Sie als Erbe eines Pflichtteilsberechtigten Ansprüche durchsetzen möchten, können Sie dies auch nach dessen Tod tun. Bei einer Nachlassinsolvenz gehen diese Ansprüche auf den Insolvenzverwalter über.
Benötigen Sie Hilfe?
Sichern Sie Ihr Erbe – Klären Sie Ihre Rechte und Pflichten.
Das Urteil zeigt, wie wichtig eine rechtssichere Regelung von Pflichtteilsansprüchen ist. Unklare Vereinbarungen können zu unerwarteten Folgen und langwierigen Streitigkeiten führen. Gerade in komplexen Situationen wie einer Nachlassinsolvenz ist es entscheidend, die eigenen Rechte und Pflichten zu kennen.
Wir beraten Sie umfassend zu allen Fragen rund um das Thema Pflichtteil und helfen Ihnen, Ihre Interessen zu wahren. Ob Sie als Erbe Ihre Ansprüche geltend machen wollen oder als Pflichtteilsberechtigter einen Verzicht erwägen – wir entwickeln gemeinsam mit Ihnen die passende Strategie.
Sprechen Sie uns an und lassen Sie uns Ihre individuelle Situation vertrauensvoll besprechen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was passiert mit dem Pflichtteilsanspruch, wenn der Berechtigte in die Insolvenz geht?
Der Pflichtteilsanspruch fällt grundsätzlich in die Insolvenzmasse, wenn der Erbfall während des laufenden Insolvenzverfahrens eintritt. Allerdings hat der Bundesgerichtshof eine wichtige Besonderheit festgelegt: Der Pflichtteilsberechtigte kann nicht gezwungen werden, seinen Anspruch geltend zu machen.
Voraussetzungen für den Einzug in die Insolvenzmasse
Der Pflichtteilsanspruch wird nur dann Teil der Insolvenzmasse, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:
- Der Pflichtteilsberechtigte muss den Anspruch aktiv geltend machen oder vertraglich anerkennen.
- Der Erbfall muss vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens eingetreten sein.
Besonderheiten in der Wohlverhaltensphase
Tritt der Erbfall während der Wohlverhaltensphase ein, gilt der Halbteilungsgrundsatz. In diesem Fall muss der Pflichtteilsberechtigte, wenn er den Anspruch geltend macht, die Hälfte des Wertes an den Treuhänder abführen.
Gestaltungsmöglichkeiten
Ein pflichtteilsberechtigter Insolvenzschuldner kann durch bewusstes Nichtstun den Zugriff der Gläubiger auf den Pflichtteilsanspruch verhindern. Diese Entscheidung führt nicht zur Versagung der Restschuldbefreiung. Wenn der Pflichtteil „in der Familie“ bleiben soll, kann der Berechtigte den Anspruch einfach nicht geltend machen.
Zeitliche Zuordnung
Maßgeblich für die Zuordnung des Pflichtteilsanspruchs ist der Todeszeitpunkt des Erblassers. Stirbt der Erblasser:
- während des laufenden Insolvenzverfahrens: Der Anspruch gehört zur Insolvenzmasse
- nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens: Der Anspruch ist Neuerwerb in der Wohlverhaltensphase
Wie kann ein Pflichtteilsberechtigter nach dem Erbfall auf seinen Anspruch verzichten?
Nach dem Erbfall stehen dem Pflichtteilsberechtigten mehrere Möglichkeiten offen, auf seinen Pflichtteilsanspruch zu verzichten:
Formloser Verzicht durch Erlassvertrag
Im Gegensatz zum Pflichtteilsverzicht zu Lebzeiten des Erblassers kann nach dem Erbfall ein formloser Verzicht durch einen Erlassvertrag nach § 397 BGB erklärt werden. Dieser Verzicht kann mündlich oder schriftlich mit den Erben vereinbart werden.
Stillschweigender Verzicht
Ein Pflichtteilsberechtigter kann seinen Anspruch auch dadurch aufgeben, dass er ihn nicht aktiv geltend macht. Der Pflichtteil fällt nicht automatisch an, sondern muss ausdrücklich gegenüber den Erben eingefordert werden.
Verjährung
Wenn der Pflichtteilsberechtigte die Verjährungsfrist verstreichen lässt, verliert er seinen Anspruch ebenfalls.
Rechtliche Besonderheiten
Der Verzicht nach dem Erbfall unterliegt weniger strengen Formvorschriften als der Verzicht zu Lebzeiten des Erblassers. Allerdings sollte der Verzicht aus Beweisgründen schriftlich dokumentiert werden. Ein nach dem Erbfall erklärter Verzicht ist grundsätzlich nicht wegen eines Irrtums anfechtbar, wenn der Verzichtende davon ausging, dass der Verzicht nicht rechtsverbindlich sei.
Auch ein krasses Missverhältnis zwischen dem Pflichtteilsanspruch und einer eventuellen Abfindung oder eine finanzielle Notlage des Pflichtteilsberechtigten machen den Verzicht nicht automatisch sittenwidrig.
Welche Befugnisse hat der Insolvenzverwalter bei Pflichtteilsansprüchen?
Der Insolvenzverwalter hat bei Pflichtteilsansprüchen nur eingeschränkte Befugnisse, da diese als höchstpersönliche Rechte des Schuldners gelten.
Grundsätzliche Befugnisse
Der Insolvenzverwalter kann den Pflichtteilsanspruch nur dann zur Insolvenzmasse ziehen, wenn der Insolvenzschuldner diesen bereits selbst geltend gemacht hat oder der Anspruch durch Vertrag anerkannt wurde. Die Entscheidung über die Geltendmachung liegt dabei ausschließlich beim Schuldner – der Insolvenzverwalter kann ihn dazu nicht zwingen.
Handlungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters
Wenn der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch aktiv geltend macht, darf der Insolvenzverwalter:
- Den Anspruch zur Insolvenzmasse einziehen
- Die Höhe des Pflichtteils prüfen und berechnen
- Auskunft über den Bestand des Nachlasses vom Erben verlangen
- Die Zahlung des Pflichtteils an die Insolvenzmasse fordern
Grenzen der Befugnisse
Der Insolvenzverwalter kann nicht eigenständig:
- Den Pflichtteilsanspruch für den Schuldner geltend machen
- Einen Verzicht des Schuldners auf den Pflichtteil anfechten
- Den Schuldner zur Geltendmachung des Pflichtteils zwingen
Besonderheiten in der Wohlverhaltensphase
In der Wohlverhaltensphase hat der Insolvenzverwalter nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf die Hälfte des Wertes, wenn der Schuldner den Pflichtteil geltend macht. Auch hier gilt: Macht der Schuldner seinen Pflichtteilsanspruch nicht geltend, stellt dies keine Obliegenheitsverletzung dar und der Insolvenzverwalter kann nichts unternehmen.
Ab welchem Zeitpunkt ist ein Pflichtteilsanspruch in der Insolvenz pfändbar?
Der Pflichtteilsanspruch ist ab dem Zeitpunkt des Erbfalls grundsätzlich pfändbar. Allerdings gelten hierbei besondere Voraussetzungen für die tatsächliche Durchsetzbarkeit der Pfändung.
Voraussetzungen für die Pfändbarkeit
Zwei zentrale Bedingungen müssen für die wirksame Pfändung erfüllt sein:
Der Pflichtteilsanspruch muss entweder:
- durch Vertrag anerkannt oder
- rechtshängig gemacht worden sein
Besonderheiten der Pfändung
Die Pfändung des Pflichtteilsanspruchs ist als aufschiebend bedingte Pfändung möglich. Dies bedeutet, dass der Insolvenzverwalter den Anspruch bereits pfänden kann, bevor der Pflichtteilsberechtigte ihn geltend macht.
Praktische Bedeutung
Wenn Sie als Pflichtteilsberechtigter in die Insolvenz geraten, ist für die Zuordnung des Pflichtteilsanspruchs zur Insolvenzmasse oder zum Neuerwerb während der Wohlverhaltensphase der Zeitpunkt des Erbfalls entscheidend.
Der Pflichtteilsberechtigte behält dabei seine Entscheidungsfreiheit über die Geltendmachung des Anspruchs. Die Pfändung wird erst dann wirtschaftlich wirksam, wenn der Berechtigte den Anspruch von sich aus geltend macht.
Welche Beweismittel werden für einen wirksamen Pflichtteilsverzicht anerkannt?
Der einzig rechtlich anerkannte Nachweis für einen wirksamen Pflichtteilsverzicht ist die notarielle Urkunde. Diese zwingende Formvorschrift dient dem Schutz aller Beteiligten und stellt die Rechtssicherheit des Verzichts sicher.
Formelle Anforderungen an die notarielle Urkunde
Die notarielle Urkunde muss mehrere Elemente zwingend enthalten:
- Die eindeutige Identifizierung aller Beteiligten
- Die ausdrückliche Verzichtserklärung
- Die persönliche Anwesenheit des Erblassers
- Die Unterschriften aller Beteiligten
- Das Datum der Beurkundung
Besonderheiten bei der Beweisführung
Ein konkludenter (stillschweigender) Pflichtteilsverzicht wird nur in sehr engen Ausnahmefällen von der Rechtsprechung anerkannt. Selbst wenn die Beteiligten einen Ehe- und Erbvertrag geschlossen haben, reicht dies allein nicht als Nachweis für einen Pflichtteilsverzicht aus.
Dokumentation von Gegenleistungen
Wenn für den Pflichtteilsverzicht eine Abfindung vereinbart wurde, sollte diese ebenfalls in der notariellen Urkunde festgehalten werden. Der Verzicht kann unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Zahlung der Abfindung gestellt werden. In diesem Fall dient der Zahlungsnachweis als zusätzliches Beweismittel für die Wirksamkeit des Verzichts.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Pflichtteilsanspruch
Ein gesetzlich garantierter Mindestanteil am Nachlass, den bestimmte enge Verwandte (Ehepartner, Kinder, Eltern) beanspruchen können, wenn sie durch Testament oder Erbvertrag von der Erbschaft ausgeschlossen wurden. Der Anspruch beläuft sich auf die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils und ist in §§ 2303 ff. BGB geregelt. Beispiel: Wenn ein Vater sein gesamtes Vermögen von 100.000€ seiner neuen Partnerin vererbt, können seine Kinder jeweils die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil in Geld fordern.
Nachlassinsolvenzverfahren
Ein spezielles Insolvenzverfahren nach §§ 315 ff. InsO, das durchgeführt wird, wenn der Nachlass eines Verstorbenen überschuldet ist. Ein Insolvenzverwalter verwertet dabei das verbliebene Vermögen und verteilt es an die Gläubiger. Dies schützt die Erben vor persönlicher Haftung für Nachlassschulden. Zum Beispiel wenn der Verstorbene hohe Schulden hinterlässt, die das geerbte Vermögen übersteigen.
Mündlicher Erlassvertrag
Eine formlose Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner, durch die eine Forderung aufgehoben wird (§ 397 BGB). Im Gegensatz zum Pflichtteilsverzicht vor dem Erbfall ist nach dem Erbfall keine notarielle Beurkundung erforderlich. Beispiel: Ein pflichtteilsberechtigter Sohn erklärt gegenüber seiner Mutter mündlich, dass er auf seinen Pflichtteil verzichtet, weil sie ihn bereits zu Lebzeiten großzügig unterstützt hat.
Zeugenvernehmung
Ein wichtiges Beweismittel im Gerichtsprozess nach §§ 373 ff. ZPO, bei dem Personen unter Wahrheitspflicht zu streitrelevanten Tatsachen befragt werden. Die Aussagen müssen vom Gericht auf Glaubhaftigkeit geprüft werden. Anders als Urkunden oder Dokumente basiert die Beweiskraft auf der persönlichen Wahrnehmung und Erinnerung der Zeugen. Die Vernehmung erfolgt einzeln und die Zeugen müssen ihre Aussage unter Eid bestätigen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 2303 BGB Pflichtteilsanspruch: Dieser Paragraph regelt den Anspruch eines enterbten oder nicht ausreichend berücksichtigten Erben auf den Pflichtteil am Erbe. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und dient dem Schutz der nächsten Angehörigen vor vollständiger Enterbung. Er kann geltend gemacht werden, wenn der Erblasser den Erben durch Testament oder Erbvertrag enterbt hat.Im vorliegenden Fall erhebt der Kläger Pflichtteilsansprüche gegen die Beklagte als Erbin. Da der Schuldner seine Pflichtteilsansprüche zu Lebzeiten nicht geltend gemacht hat, wird dieser Anspruch nun im Rahmen des Nachlassinsolvenzverfahrens eingefordert.
- Insolvenzordnung (InsO) §§ 1, 13 InsO: Diese Paragraphen betreffen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Einbeziehung der gesamten Insolvenzmasse, einschließlich erbrechtlicher Ansprüche. Sie regeln, wie Gläubiger ihre Forderungen anmelden und verwerten können, um die Insolvenzmasse zu sichern.Der Kläger als Nachlassinsolvenzverwalter sieht den Pflichtteilsanspruch als Teil der Insolvenzmasse an, die verwertet werden kann. Die Anwendung der InsO ermöglicht es ihm, diese Ansprüche rechtlich durchzusetzen und gegebenenfalls zu verwerten.
- Zivilprozessordnung (ZPO) § 765 Stufenklage: Diese Vorschrift ermöglicht es, eine Klage in mehreren Stufen zu führen, wobei weitreichende Vollstreckungsmaßnahmen schrittweise angeordnet werden. Ziel ist es, dem Beklagten die Möglichkeit zu geben, sich zu den gestellten Forderungen zu äußern, bevor endgültige Entscheidungen getroffen werden.Im Urteil wird die Stufenklage abgewiesen, was bedeutet, dass die gerichtliche Prüfung der verschiedenen Klagepunkte nicht erfolgreich war. Die Anwendung der Stufenklage ist zentral für den strukturierten Ablauf des Verfahrens.
- § 812 BGB Herausgabeanspruch (Bereicherungsrecht): Dieser Paragraph regelt den Anspruch auf Herausgabe ungerechtfertigter Bereicherung. Wenn jemand durch die Leistung eines anderen ohne rechtlichen Grund etwas erlangt hat, muss er dieses zurückgeben.Die Kläger fordern von der Beklagten Auskunft über den Nachlass, um zu prüfen, ob ungerechtfertigte Bereicherungen vorliegen, die im Rahmen der Pflichtteilsansprüche relevant sein könnten. Dies ist notwendig, um den vollständigen Überblick über den Nachlass zu erhalten.
- §§ 1001 ff. BGB Erbengemeinschaft: Diese Vorschriften regeln die Rechte und Pflichten der Erben innerhalb einer Erbengemeinschaft. Sie befassen sich mit der Verwaltung und Verteilung des Nachlasses sowie mit den gemeinsamen Entscheidungen der Erben.Da die Beklagte als Erbin fungiert und der Nachlass möglicherweise in eine Erbengemeinschaft übergeht, sind diese Bestimmungen relevant, um die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Auskunftspflicht und die Nachlassverwaltung zu klären.
Das vorliegende Urteil
LG Halle (Saale) – Az.: 1 O 45/23 – Urteil vom 20.09.2024
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