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Gemeinschaftlichen Testaments – Auslegung Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung

Ein erbitterter Streit um das Erbe entbrennt zwischen dem Sohn aus erster Ehe und der Witwe des verstorbenen Erblassers. Im Zentrum steht die Frage, ob ein Jahrzehnte zurückliegendes gemeinschaftliches Testament den Erblasser bis zu seinem Tode band oder ob er in einem neuen Testament seine zweite Ehefrau wirksam als Alleinerbin einsetzen konnte. Das Oberlandesgericht Brandenburg fällte nun eine wegweisende Entscheidung in diesem komplexen Erbfall.

➔ Zum vorliegenden Urteil Az.: 3 W 130/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Hilfe anfordern


✔ Der Fall: Kurz und knapp

  • Das Gericht hatte zu entscheiden, ob das gemeinschaftliche Testament vom 31.01.1995 bindend ist und den Erblasser daran hinderte, ein neues Testament zu errichten.
  • Der Erblasser errichtete 1992 und 1995 mit seiner ersten Ehefrau gemeinschaftliche Testamente und 2017 mit seiner zweiten Ehefrau ein weiteres Testament.
  • Im Testament von 1995 wurde bestimmt, dass der überlebende Ehegatte in keiner Weise beschränkt sei und frei über das Vermögen verfügen könne.
  • Die erste Ehefrau verstarb 1996, und der Erblasser änderte sein Testament 2017 mit seiner zweiten Ehefrau, wobei diese als Alleinerbin eingesetzt wurde.
  • Ein Beteiligter beantragte, aufgrund des Testaments von 1995 als Alleinerbe anerkannt zu werden, während die zweite Ehefrau auf Grundlage des Testaments von 2017 als Alleinerbin anerkannt werden wollte.
  • Das Gericht entschied, dass das Testament von 2017 formwirksam sei und die zweite Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt wurde.
  • Die Formulierung im Testament von 1995, dass der überlebende Ehegatte frei über das Vermögen verfügen könne, wurde dahingehend ausgelegt, dass der Erblasser das Recht hatte, seine letztwilligen Verfügungen zu ändern.
  • Das Gericht betonte, dass die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen im Testament von 1995 durch die ausdrückliche Freiheit des überlebenden Ehegatten aufgehoben wurde.
  • Der Antrag des Beteiligten, als Alleinerbe anerkannt zu werden, wurde zurückgewiesen, da das Testament von 2017 die letzte Willenserklärung des Erblassers darstellt.
  • Diese Entscheidung verdeutlicht, dass bei Formulierungen im Testament, die dem überlebenden Ehegatten Freiheit einräumen, keine Bindungswirkung besteht, sodass der Letztversterbende seine Verfügungen ändern kann.

Gemeinschaftliches Testament: Kein bindender Schlusserbe für Erblasser

Das Thema des gemeinschaftlichen Testaments ist komplex und vielschichtig. Es geht dabei um die rechtlichen Bestimmungen, die gelten, wenn zwei oder mehr Personen ein gemeinsames Testament errichten. Ein zentraler Aspekt ist die Frage der Wechselbezüglichkeit – also ob und in welchem Maße die Verfügungen der Erblasser miteinander verbunden sind. Die Auslegung dieser Wechselbezüglichkeit ist entscheidend, um die Gültigkeit und Auswirkungen des Testaments zu verstehen. Um dieses Thema zu durchdringen, ist ein Blick auf die relevanten Gesetze und Gerichtsentscheidungen hilfreich. Nur so lässt sich nachvollziehen, wie die Gerichte in konkreten Fällen die Bedingungen der Wechselbezüglichkeit ausgelegt und angewendet haben. Dies bildet eine wichtige Grundlage, um die Rechtsfolgen gemeinschaftlicher Testamente einschätzen zu können.

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✔ Der Fall vor dem Oberlandesgericht Brandenburg


Gemeinschaftliches Testament enthielt keine bindende Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung

In dem vorliegenden Fall geht es um die Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments eines Ehepaars hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit der darin getroffenen Schlusserbeneinsetzung. Der Erblasser hatte 1995 mit seiner ersten Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben und ihren Sohn, den Beteiligten zu 1, zum Schlusserben einsetzten. 2017 errichtete der Erblasser mit seiner zweiten Ehefrau, der Beteiligten zu 2, ein neues gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben bestimmten.

Nach dem Tod des Erblassers beantragte der Sohn aus erster Ehe einen Erbschein als Alleinerbe, da er die Ansicht vertrat, dass der Erblasser aufgrund der Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung im ersten Testament nicht mehr anderweitig testieren konnte. Die Witwe aus zweiter Ehe beantragte ebenfalls einen Alleinerbschein aufgrund des zweiten Testaments.

Das Oberlandesgericht Brandenburg wies die Beschwerde des Sohnes gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts zurück und stellte fest, dass die Witwe aus zweiter Ehe Alleinerbin ist. Es ging davon aus, dass der Erblasser durch das erste Testament nicht an einer anderweitigen Verfügung von Todes wegen gehindert war, da dieses Testament keine bindende Wechselbezüglichkeit der Schlusserbenbestimmung enthielt.

Wechselbezüglichkeit von Schlusserbenverfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten

Grundsätzlich sind in einem gemeinschaftlichen Testament die Verfügungen der Ehegatten dann wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die des anderen getroffen worden wäre (§ 2270 BGB). Für den typischen Fall des sogenannten „Berliner Testaments“, bei dem sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und die gemeinsamen Abkömmlinge zu Schlusserben einsetzen, wird eine Wechselbezüglichkeit der Schlusserbenbestimmung häufig bejaht.

Allerdings können die Ehegatten auch bestimmen, dass der überlebende Teil in seiner Testierfreiheit nicht beschränkt sein soll. Ob dies der Fall ist, ergibt sich durch Auslegung aus dem Inhalt des Testaments. Dabei sind auch die Umstände außerhalb der Testamentsurkunde zu berücksichtigen, insbesondere die Lebensumstände der Ehegatten und die Gründe, die sie zu der gewählten Regelung bewogen haben. Bei der Auslegung ist ein strenger Maßstab anzulegen.

Auslegung des konkreten Testaments ergab keinen Bindungswillen

Das OLG Brandenburg kam hier nach eingehender Auslegung zu dem Ergebnis, dass die Ehegatten mit ihrem Testament von 1995 keine über den Tod hinaus bindende Schlusserbeneinsetzung des Sohnes gewollt hatten. Anhaltspunkte dafür ergaben sich aus mehreren Passagen des Testaments:

Unmittelbar im Anschluss an die gegenseitige Erbeinsetzung enthielt das Testament den Satz „Der überlebende Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann über das beiderseitige Vermögen frei verfügen.“ Diese Formulierung deutet darauf hin, dass die Ehegatten dem Überlebenden nicht nur Verfügungen unter Lebenden, sondern auch eine erneute Verfügung von Todes wegen ermöglichen wollten.

In einem früheren Testament aus dem Jahr 1992 hatten dieselben Ehegatten ausdrücklich die Wechselbezüglichkeit aller getroffenen Verfügungen angeordnet, dem Überlebenden aber gleichzeitig das Recht eingeräumt, das Testament nach dem Tod des Erstversterbenden einseitig zu ändern. Daraus lässt sich schließen, dass ihnen die Wirkungen der Wechselbezüglichkeit bekannt waren und sie 1995 gerade keine bindende Schlusserbeneinsetzung wollten.

Auch der konkrete Beweggrund der Ehegatten für die Errichtung des Testaments 1995 – die vorübergehende Enterbung der Tochter aufgrund von Auseinandersetzungen mit deren Ehemann – spricht dafür, dass die Einsetzung des Sohnes zum Schlusserben nur vorläufig sein und den Überlebenden nicht dauerhaft binden sollte.

Diese Umstände ließen trotz des strengen Auslegungsmaßstabs den sicheren Schluss zu, dass der Erblasser durch die im Testament 1995 getroffene Regelung in seiner Testierfreiheit nicht beschränkt war.

Zweites Testament des Erblassers war wirksam

Da somit keine Bindungswirkung des ersten Testaments bestand, konnte der Erblasser nach dem Tod seiner ersten Frau wirksam ein neues Testament errichten. Durch das im Jahr 2017 mit seiner zweiten Ehefrau errichtete gemeinschaftliche Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten, hat er die frühere Schlusserbenbestimmung zugunsten des Sohnes aufgehoben. Die Ehefrau aus zweiter Ehe wurde daher zu Recht vom Nachlassgericht als Alleinerbin festgestellt.

✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall


Das Urteil zeigt, dass bei der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments hinsichtlich einer bindenden Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung eine sorgfältige Analyse des gesamten Testamentsinhalts und der Begleitumstände erforderlich ist. Entscheidend sind der übereinstimmende Wille der Eheleute bei Testamentserrichtung und eventuelle Anhaltspunkte für einen gewollten Ausschluss der Bindungswirkung. Trotz grundsätzlich strengem Auslegungsmaßstab kann sich ergeben, dass der überlebende Ehegatte frei bleiben soll, die letztwillige Verfügung einseitig zu ändern.


✔ FAQ – Häufige Fragen

Das Thema: Wechselbezüglichkeit gemeinschaftlicher Testamente wirft bei vielen Lesern Fragen auf. Unsere FAQ-Sektion bietet Ihnen wertvolle Insights und Hintergrundinformationen, um Ihr Verständnis für dieses Thema zu vertiefen. Weiterhin finden Sie in der Folge einige der Rechtsgrundlagen, die für dieses Urteil wichtig waren.


Was ist die Wechselbezüglichkeit bei einem gemeinschaftlichen Testament?

Die Wechselbezüglichkeit bei einem gemeinschaftlichen Testament bedeutet, dass die letztwilligen Verfügungen der Ehegatten in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Mit anderen Worten die Verfügungen sind so miteinander verknüpft, dass sie nur gemeinsam Bestand haben können. Wenn ein Ehegatte seine Verfügung widerruft oder ändert, verlieren auch die Verfügungen des anderen Ehegatten ihre Gültigkeit.

Typischerweise liegt Wechselbezüglichkeit vor, wenn sich die Ehegatten gegenseitig als Erben einsetzen und zudem bestimmen, dass nach dem Tod des Längstlebenden ein Dritter (meist die gemeinsamen Kinder) den Nachlass erben soll. Hier besteht eine gemeinsame Nachlassregelung, die nur als Ganzes Sinn ergibt. Die Ehegatten wollen mit ihren Verfügungen aneinander gebunden sein.

Allerdings müssen die Ehegatten die Wechselbezüglichkeit nicht ausdrücklich anordnen. Sie kann sich auch aus der Auslegung des Testaments oder aus der gesetzlichen Vermutung in § 2270 Abs. 2 BGB ergeben. Danach sind gegenseitige Erbeinsetzungen und Schlusserbeneinsetzungen von Verwandten wechselbezüglich, wenn sich nicht ein anderer Wille der Erblasser ergibt.

Die Wechselbezüglichkeit hat zur Folge, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des Erstversterbenden dessen Verfügungen nicht mehr einseitig ändern kann. Er ist an die gemeinsame Nachlassregelung gebunden. Ein Widerruf ist nur durch eine notarielle Widerrufserklärung gegenüber dem anderen Ehegatten zu Lebzeiten beider möglich.


Was bedeutet es, wenn die Ehegatten im Testament die Testierfreiheit des Überlebenden nicht beschränken wollen?

Wenn Ehegatten in ihrem gemeinschaftlichen Testament ausdrücklich festlegen, dass sie die Testierfreiheit des Überlebenden nicht beschränken wollen, bedeutet dies, dass die getroffenen letztwilligen Verfügungen nicht wechselbezüglich und damit nicht bindend sein sollen. Mit anderen Worten der überlebende Ehegatte soll nach dem Tod des Erstversterbenden die Möglichkeit haben, seine Verfügungen im Testament einseitig zu ändern oder zu widerrufen.

Normalerweise sind die Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich und damit bindend. Das heißt, der überlebende Ehegatte kann nach dem Tod des anderen seine Verfügungen nicht mehr ändern, da sie in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Durch den ausdrücklichen Ausschluss der Wechselbezüglichkeit entfällt diese Bindungswirkung jedoch.

Der überlebende Ehegatte behält somit seine volle Testierfreiheit und kann über seinen Nachlass nach dem Tod des Erstversterbenden frei und einseitig verfügen, ohne an die ursprünglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament gebunden zu sein. Er kann beispielsweise einen neuen Erben einsetzen, Vermächtnisse ändern oder das gesamte Testament widerrufen.

Allerdings muss der Wille, die Wechselbezüglichkeit auszuschließen, im Testament klar und unmissverständlich zum Ausdruck kommen. Andernfalls greift die gesetzliche Vermutung, dass gegenseitige Erbeinsetzungen und Schlusserbeneinsetzungen wechselbezüglich sind. Eine ausdrückliche Regelung ist daher unbedingt empfehlenswert, um Streitigkeiten und Auslegungsprobleme zu vermeiden.


Was sind wichtige Anhaltspunkte, um zu beurteilen, ob in einem Testament der Wille bestand, die Schlusserbenbestimmung wechselbezüglich zu gestalten?

Bei der Beurteilung, ob in einem gemeinschaftlichen Testament der Wille bestand, die Schlusserbenbestimmung wechselbezüglich zu gestalten, sind mehrere Anhaltspunkte relevant. Zunächst ist der Wortlaut des Testaments selbst von großer Bedeutung – wenn die Wechselbezüglichkeit ausdrücklich angeordnet wurde, ist der Wille der Erblasser eindeutig. Fehlt eine solche Anordnung, muss der Wille durch Auslegung ermittelt werden.

Ein wichtiger Anhaltspunkt ist dabei der zeitliche Abstand zwischen der gegenseitigen Erbeinsetzung und der Schlusserbeneinsetzung. Je größer der Abstand, desto unwahrscheinlicher ist eine gewollte Wechselbezüglichkeit. Wurden beide Verfügungen hingegen räumlich und zeitlich eng zusammen getroffen, spricht dies eher für eine Verknüpfung.

Äußerungen der Erblasser zu Lebzeiten oder des Längstlebenden nach dem Tod des anderen können ebenfalls Aufschluss über den Willen geben. Bestätigte der Längstlebende beispielsweise, dass keine Bindung gewollt war, ist dies ein starkes Indiz gegen die Wechselbezüglichkeit.

Ferner ist zu beachten, ob die Erblasser einen Grund für eine Bindung hatten – etwa weil sie die Nachlassregelung nur als Ganzes für sinnvoll erachteten. War dies nicht der Fall, deutet dies auf fehlende Wechselbezüglichkeit hin. Umgekehrt kann die Verwandtschaft der Schlusserben zu beiden Erblassern ein Indiz für eine gewollte Verknüpfung sein.

Letztlich kommt es auf eine Gesamtbetrachtung aller Umstände an. Verbleiben nach der Auslegung Zweifel, geht dies zulasten desjenigen, der die Wechselbezüglichkeit behauptet. Denn er trägt die Darlegungs- und Beweislast hierfür.


Warum gibt es ein strengen Maßstab bei der Auslegung der Wechselbezüglichkeit im Testament?

Bei der Auslegung der Wechselbezüglichkeit in einem gemeinschaftlichen Testament wird ein strenger Maßstab angelegt, da es sich um eine Ausnahme von der grundsätzlichen Testierfreiheit handelt. Die Wechselbezüglichkeit führt dazu, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des Erstversterbenden dessen Verfügungen nicht mehr einseitig ändern kann. Er ist an die gemeinsame Nachlassregelung gebunden. Dies stellt eine erhebliche Einschränkung der Testierfreiheit dar.

Daher muss der Wille zur Wechselbezüglichkeit beim Erblasser klar und zweifelsfrei erkennbar sein. Es reicht nicht aus, wenn die Wechselbezüglichkeit nur möglich oder naheliegend erscheint. Die Gerichte legen einen strengen Auslegungsmaßstab an, um die Ausnahme von der Testierfreiheit nicht zur Regel werden zu lassen.

Verbleiben nach der Auslegung Zweifel, ob eine Wechselbezüglichkeit gewollt war, geht dies zulasten desjenigen, der sie behauptet. Denn er trägt die Darlegungs- und Beweislast für den Willen zur Bindung. Die Testierfreiheit hat als Grundsatz Vorrang, solange der gegenteilige Wille nicht zweifelsfrei feststeht.

Dieser strenge Maßstab dient dem Schutz der Testierfreiheit als einem der wichtigsten Grundsätze im Erbrecht. Nur wenn völlig klar ist, dass die Erblasser bewusst und gewollt eine Bindung eingehen wollten, wird von der Testierfreiheit abgewichen. Andernfalls bleibt es bei der gesetzlichen Vermutung der freien Widerruflichkeit letztwilliger Verfügungen.


Was passiert, wenn die Ehegatten im Testament die Testierfreiheit des Überlebenden nicht eingrenzen, sondern ihm die freie Verfügung gestatten?

Wenn Ehegatten in ihrem gemeinschaftlichen Testament ausdrücklich festlegen, dass der überlebende Ehegatte nicht an die getroffenen Verfügungen gebunden sein und frei über den Nachlass verfügen soll, entfällt die Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung. Der Längstlebende kann dann nach dem Tod des Erstversterbenden ein neues Testament errichten und darin einen anderen Erben als den ursprünglich eingesetzten Schlusserben bestimmen.

Eine solche Klausel, die dem überlebenden Ehegatten die freie Verfügungsbefugnis einräumt, stellt eine Abänderung der gesetzlichen Vermutungswirkung des § 2270 Abs. 2 BGB dar. Danach sind gegenseitige Erbeinsetzungen und Schlusserbeneinsetzungen von Verwandten zwar wechselbezüglich, wenn sich nicht ein anderer Wille der Erblasser ergibt. Genau diesen abweichenden Willen drücken die Ehegatten mit der Freiverfügungsklausel aus.

Allerdings muss dieser Wille im Testament klar und unmissverständlich zum Ausdruck kommen. Reine Erklärungen wie „der Überlebende soll frei verfügen können“ reichen dafür nicht aus, da sie sich nach der Rechtsprechung nur auf lebzeitige Verfügungen beziehen. Vielmehr muss ausdrücklich die Möglichkeit einer abweichenden letztwilligen Verfügung nach dem ersten Erbfall vorgesehen sein.

Fehlt eine solch klare Anordnung, bleibt es bei der Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung. Der überlebende Ehegatte kann dann die ursprüngliche Erbeinsetzung nicht mehr einseitig ändern, es sei denn, das gemeinschaftliche Testament sieht ausdrücklich einen Änderungsvorbehalt vor.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils


  • § 2270 BGB (Wechselbezüglichkeit): Bestimmt, dass Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich sind, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre. Dies ist relevant, da der Fall klären musste, ob die Verfügungen wechselbezüglich und somit bindend waren.
  • § 2271 BGB (Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen): Erläutert, dass wechselbezügliche Verfügungen nach dem Tod eines Ehegatten nicht widerrufen werden können. Dies war zentral für die Frage, ob der Erblasser durch das Testament von 1995 gebunden war.
  • § 133 BGB (Auslegung einer Willenserklärung): Bei der Auslegung eines Testaments ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen. Dies war entscheidend, um zu klären, ob die Ehegatten die Wechselbezüglichkeit gewollt hatten.
  • § 2084 BGB (Testamentsauslegung): Bei der Testamentsauslegung ist der wirkliche Wille des Erblassers maßgeblich. Dieser Paragraph unterstreicht die Bedeutung der genauen Ermittlung des Erblasserwillens.
  • § 2247 BGB (Eigenhändiges Testament): Definiert die Anforderungen an ein eigenhändiges Testament, das formwirksam errichtet wurde. Dies betraf die Gültigkeit der Testamente von 1995 und 2017.
  • § 2267 BGB (Ehegattentestament): Erlaubt Ehegatten, ein gemeinschaftliches Testament zu errichten. Dies ist relevant, da alle beteiligten Testamente gemeinschaftliche Testamente waren.
  • FamFG §§ 58 ff. (Beschwerdeverfahren): Regelt das Beschwerdeverfahren in Familiensachen. Dies betrifft die Zulässigkeit und den Verlauf des Beschwerdeverfahrens im vorliegenden Fall.
  • Bindungswirkung von Verfügungen: Die Frage, ob Verfügungen in einem Testament bindend sind, wenn sie als wechselbezüglich gelten. Dies war zentral für die Entscheidung, ob der Erblasser das Testament ändern konnte.


⇓ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht Brandenburg

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 3 W 130/21 – Beschluss vom 16.10.2022

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 27.10.2021, Az. 26 VI 722/18, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beteiligten zu 1 auferlegt.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 493.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Erblasser errichtete am 03.02.1992 mit seiner am …1996 verstorbenen ersten Ehefrau ein gemeinschaftliches eigenhändiges Testament, das die Ehefrau niederschrieb und beide Ehegatten unterschrieben. In dem Testament setzten sie ihre Tochter D… (die Zeugin F…) und deren Kinder zu Schlusserben und die Enkeltochter S… M…, die Tochter des Beteiligten zu 1, als befreite Vorerbin ein. Zu deren Nacherbin bestimmten die Ehegatten ihre Tochter D…. Weiter heißt es in dem Testament unter anderem wie folgt:

„…

2. Wir setzen uns hierdurch gegenseitig zum alleinigen Erben ein. Der überlebende Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann über das beiderseitige Vermögen frei verfügen.

3. Für den Fall des Todes des überlebenden Teils oder für den Fall des gleichzeitigen Versterbens bestimmen hierdurch als unsere Schlusserben:

5. Sämtliche hier getroffenen Verfügungen sind wechselbezüglich. Sie können daher nur gemeinschaftlich geändert oder durch Widerruf beseitigt werden. Nach dem Tode eines Teils von uns soll aber der überlebende Teil berechtigt sein, ohne Beeinträchtigung seines Erbrechts einseitig dieses Testament beliebig zu ändern.“

Der Erblasser errichtete am 31.01.1995 mit seiner am …1996 verstorbenen ersten Ehefrau ein weiteres gemeinschaftliches eigenhändiges Testament, dass der Erblasser niederschrieb und beide Ehegatten unterschrieben. In diesem Testament heißt es unter anderem wie folgt:

„1. Wir sind miteinander verheiratet und leben seit dem 3. Oktober 1990 in dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Wir haben 2 Kinder, O… M…, geb. am 25.04.1964, und D… D…, geborene M…, geb. Am 1.2.1966. In unserer freien Verfügung sind wir weder durch Erbvertrag oder testamentarische Verfügung nicht beschränkt. Hierdurch widerrufen wir sämtliche früheren Verfügungen von Todes wegen. Das gemeinschaftliche Testament vom 22.12.1993 heben wir hiermit auf.

2. Wir setzen uns hierdurch gegenseitig zum alleinigen Erben ein. Der überlebende Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann über das beiderseitige Vermögen frei verfügen.

3. Für den Fall des Todes des überlebenden Teiles oder für den Fall des gleichzeitigen Versterbens bestimmen wir hierdurch als unseren alleinigen Schlusserben, unseren Sohn O…, M….“

Der Erblasser errichtete mit seiner 2. Ehefrau, der Beteiligten zu 2, am 30.01.2017 ein weiteres gemeinschaftliches handschriftliches Testament, in dem es unter anderem wie folgt heißt:

„1. Ich L…, A…, E… M…, ….

2. Ich C…, A… M…, ….

schreiben hiermit im Falle unseres Ablebens unseren letzten Willen auf. Wir möchten, dass der Alleinüberlebende (zu 1. L… M… oder zu 2. C… M…) Alleinerbe wird. …“

Die Zeugin F… informierte Ende 1994 ihre Eltern darüber, dass sie sich von ihrem Ehemann trennen würde. Sie erklärten gegenüber der Zeugin F… Anfang 1995, dass sie etwas gemacht hätten, damit ihr damaliger Ehemann nichts kriege, weil sie noch nicht geschieden sei. Sie, die Zeugin F…, bekomme das Grundstück in der F…-R…-Straße sowie ihr Bruder das Grundstück in S…. Der Beteiligte zu 1 hat angegeben, dass seine Eltern ihn über die Errichtung des Testaments 1995 informiert hätten. Sie hätten ihm erklärt, dass es in der Ehe seiner Schwester große Querelen hinsichtlich der Vermögensauseinandersetzung gab und deshalb solle seine Schwester D… das Grundstück in der R…straße allein übertragen bekommen.

Die Ehe der Zeugin wurde 1997 geschieden. Das Eigentum an dem Grundstück R…straße übertrug der Erblasser auf die Zeugin, nachdem sich der Beteiligte zu 1 in Insolvenz befand. Die Zeugin zahlte an den Erblasser für das Grundstück einen Kaufpreis um die 100.000 DM. Das Eigentum an dem Grundstück in S… wurde nicht auf den Beteiligten zu 1 übertragen, sondern verblieb im Eigentum des Erblassers. Es wurde im Rahmen der Insolvenz des Beteiligten zu 1 veräußert und mit dem Verkaufserlös wurde die Grundschuld abgelöst, die für die Bank zur Sicherung von Forderungen gegen den Beteiligten zu 1 bestellt war.

Am 11.02.2010 schloss der Erblasser mit seinen Kindern, dem Beteiligten zu 1, vertreten durch die Zeugin F…, und der Zeugin F…, vor dem Notar L… in B… zur Urkundenrolle-Nr. …/2010 einen Pflichtteilsverzichtvertrag. Die Beteiligte zu 2 schloss in derselben Urkunde einen Pflichtteilsverzichtvertrag mit Ihrer Tochter. In der Urkunde ist festgehalten, dass alle Erschienenen übereinstimmend erklärten, dass der Erblasser in den zurückliegenden Jahren dem Beteiligten zu 1 und seiner Schwester erhebliche unentgeltliche Zuwendungen, darunter jeweils Grundstücke, gemacht habe.

Der Beteiligte zu 1 hat beantragt, ihm aufgrund des Testaments vom 31.01.1995 einen Erbschein als alleinigen Erben zu erteilen. Die Beteiligte zu 2 hat beantragt, ihr aufgrund des Testaments vom 30.01.2017 einen Erbschein als alleinige Erbin zu erteilen.

Der Beteiligte zu 1 hat die Ansicht vertreten, dass der Erblasser durch die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 31.01.1995 an einer anderweitigen Verfügung von Todes wegen gehindert war. Die Formulierung, dass der überlebende Teil in keiner Weise beschränkt oder beschwert sei und über das beiderseitige Vermögen frei verfügen könne, schließe die Wechselbezüglichkeit im Verhältnis der Erbeinsetzung, die beide Ehegatten in diesem Testament zugunsten seiner Person getroffen hätten, nicht aus. Das Testament vom 30.01.2017 sei nicht vom Erblasser geschrieben worden.

Die Beteiligte zu 2 ist der Ansicht, dass die letztwilligen Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament vom 31.1.1995 nicht wechselbezüglich seien.

Das Nachlassgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen und die zur Begründung des Antrags der Beteiligten zu 2 erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

Gegen diesen Beschluss, der dem Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1 am 08.11.2021 zugestellt worden ist, hat der Beteiligte zu 1 am 06.12.2021 Beschwerde eingelegt. Er ist weiterhin der Ansicht, dass das Testament vom 30.01.2017 unwirksam sei, weil das gemeinschaftliche Testament vom 31.01.1995 Bindungswirkung entfalte.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Beteiligte zu 2 ist aufgrund des Testaments vom 30.01.2017 gewillkürte Alleinerbin des Erblassers.

a)

Das gemeinschaftliche Testament der Beteiligten zu 2 und des Erblassers vom 30.01.2017 ist formwirksam errichtet (§§ 2267, 2247 BGB). Der Senat ist wie das Amtsgericht aufgrund der Angaben der Zeugin F… und eines eigenen Schriftvergleichs mit dem Testament vom 31.01.1995 davon überzeugt, dass der Erblasser dieses Testament geschrieben und die Eheleute es unterschrieben haben. Die Zeugin hat die vorgelegten Schriftproben eindeutig jeweils dem Erblasser oder ihrer Mutter zugeordnet. Auch ein Vergleich der Testamente vom 31.01.1995 und vom 31.01.2017 zeigt keinerlei Anhaltspunkte auf, die Anlass dafür geben, an der Urheberschaft des Erblassers zu zweifeln. Die Schrift in beiden Testamenten weist eine deutliche Übereinstimmung auf. Beispielhaft sei hierzu auf die Schreibweise des Namens „O… M…“ verwiesen. Das Schriftbild weist bei allen Buchstaben des Namens eine auch für Laien ersichtliche deutliche Ähnlichkeit auf. Auffällige Abweichungen im Schriftbild bestehen auch im Übrigen nicht. Bei dieser Lage sind auch im Beschwerdeverfahren keine weiteren Ermittlungen (§ 26 FamFG) durchzuführen. Liegen keine besonderen Umstände vor, die gegen eine eigenhändige Errichtung eines privatschriftlichen Testaments sprechen, genügt es, wenn der Tatrichter selbst die Schriftzüge des ihm vorliegenden Testaments mit anderen Schriftproben vergleicht und das Ergebnis würdigt; die Einholung eines Gutachtens zur Echtheit eines eigenhändigen Testaments ist nur in Zweifelsfällen geboten (OLG Düsseldorf FGPrax 2014, 31 m.w.Nw.). Hier sind derartige Zweifel – insbesondere auch wegen der Aussage der Zeugin F…– nicht veranlasst.

b)

Der Erblasser war auch nicht wegen der Bindungswirkung der wechselseitigen Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament mit seiner verstorbenen Ehefrau gemäß § 2271 BGB gehindert anderweitig zu testieren.

aa)

Gemäß § 2270 Abs. 1 BGB sind letztwillige Verfügungen, die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament getroffen haben, dann wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen Verfügung stehen oder fallen soll. Maßgeblich ist der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Für den klassischen Fall des Berliner Testaments wird allgemein anerkannt, dass bei einem gemeinschaftlichen Testament die jeweilige Erbeinsetzung der Kinder der Erblasser als Schlusserben und die jeweilige Einsetzung des Ehepartners zum Alleinerben nach dem Erstversterbenden im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen kann (vgl. z.B. BGH NJW 2002, 1126, 1127; OLG Köln Beschluss vom 09.08.2013 – 2 Wx 198/13 – BeckRS 2014, 7566; OLG München NJW-RR 2011, 227; OLG Schleswig, Beschluss vom 13.05.2013 – 3 Wx 43/13 -BeckRS 2013, 9366). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Testaments zu ermitteln. Denn den Ehegatten steht es frei zu bestimmen, ob und inwieweit ihre letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich sein sollen, so dass sie dann auch in dem gemeinschaftlichen Testament einander das Recht einräumen können, eigene wechselbezügliche Verfügungen nach dem Tode des anderen Ehegatten einseitig aufzuheben oder zu ändern, ohne dass sie damit aufhören würden, wechselbezügliche Verfügungen zu sein (vgl. BGH NJW 1964, 2056; OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 29.4.2021 – 20 W 3/20, BeckRS 2021, 32070 m.w.Nw.; OLG Düsseldorf NJW-RR 2016, 779).

bb)

Die Auslegung des Testaments (§§ 133, 2084 BGB) vom 31.01.1995 unter Einbeziehung der in dem gemeinschaftlichen Testament vom 03.02.1992 getroffenen Regelung der Wechselbezüglichkeit und der Umstände für die Testamentserrichtung ergibt, dass der Erblasser und seine erste Ehefrau keine Bindung des Letztversterbenden an Einsetzung des Beteiligten zu 1 als Schlusserben wollten. Anknüpfungspunkt für den Ausschluss der Bindungswirkung ist die Klausel, dass der überlebende Ehegatte in keiner Weise beschränkt und beschwert wird und über das beiderseitige Vermögen frei verfügen kann. Aufgrund der gegebenen Anhaltspunkte ist der Senat auch bei der Anlegung eines strengen Maßstabs davon überzeugt, dass der Erblasser und seine Ehefrau mit der gewählten Formulierung dem überlebenden Ehegatten das Recht einräumen wollten, die getroffene Schlusserbeneinsetzung durch Verfügung von Todes wegen abzuändern.

aaa)

Bei der Testamentsauslegung nach §§ 2084, 133 BGB ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Ausdruck zu haften. Da es um die Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers geht, sind der Auslegung durch den Wortlaut keine Grenzen gesetzt, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen „hinterfragt” werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll. Es müssen daher der gesamte Text der Verfügung und auch alle dem Richter zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde ausgewertet werden, die zur Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlich sind (BGH NJW-RR 2009, 1455 m.w.Nw.). Hierzu gehören unter anderem die Vermögens- und Familienverhältnisse des Erblassers, seine Beziehungen zu den Bedachten und seine Zielvorstellungen. Auch können weitere Schriftstücke des Erblassers oder die Auffassung der Beteiligten nach dem Erbfall von dem Inhalt des Testaments Anhaltspunkte für den Willen des Erblassers geben. (BGH NJW-RR 2009, 1455 m.w.Nw.). Neben dem in der Testamentsurkunde verkörperten Wortlaut der Erklärung des Erblassers sind bei einer Auslegung im Übrigen alle Nebenumstände heranzuziehen und zu würdigen, selbst wenn sie für andere nicht erkennbar waren. Handelt es sich um ein gemeinschaftliches Testament, so ist bei der Auslegung nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teils entspricht, wobei der Wille des einen Ehegatten auch einen Anhalt für den Willen und die Vorstellung des anderen darstellen kann, weil die beiderseitigen Verfügungen nicht selten Ausdruck eines gemeinsam gefassten Entschlusses beider Teile sind (OLG Hamburg Beschluss vom 30.12.2019 – 2 W 56/19 – BeckRS 2019, 59484; BGH ZEV 2015, 345 Tz. 12 m.w.N.; KG DNotZ 2019, 297).

Der Senat hat bei der Auslegung berücksichtigt, dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung verbreitet – unter Hinweis auf den von ihr angenommenen strengen Maßstab bzw. eine für geboten erachtete Zurückhaltung – die Auffassung vertreten wird, dass jedenfalls die häufig verwendeten Bestimmungen, wonach etwa der Überlebende „frei und ungehindert über sein Vermögen verfügen“ könne, „über den beiderseitigen Nachlass frei verfügen könne“, „über das beiderseitige Vermögen in jeder Weise frei verfügen könne“ oder „frei und unbeschränkt über den Nachlass verfügen“ könne, mangels anderer Anhaltspunkte im Zweifel nur Ermächtigungen zur Vornahme von Verfügungen des Letztlebenden unter Lebenden enthalten sollen (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht NJW-RR 2014, 965; BayObLG NJW-RR 2002, 1160; Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 09.08.2013 – 2 Wx 198/13 – BeckRS 2014,7566; Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 27.09.2001 – 15 W 88/01 – BeckRS 2001, 12942 ; OLG Hamburg Beschluss vom 30.12.2019 – 2 W 56/19 – BeckRS 2019, 59484; Kammergericht, OLG-NL 1998, 10; anders zu der Formulierung: „Der Überlebende von ihnen ist berechtigt über seinen Nachlass frei zu verfügen“: BayObLG BayObLGZ 1987, 23).

ccc)

Der Wortlaut des Testaments enthält keinen ausdrücklichen Ausschluss der Wechselbezüglichkeit oder eine Änderungsbefugnis des überlebenden Ehegatten. Die Formulierung, dass der Überlebende in keiner Weise beschränkt oder beschwert wird, kann sich aber auch darauf beziehen, anderweitig nach dem Tod des Ehegatten von Todes wegen zu verfügen. Die Bestimmung, der Überlebende könne über das beidseitige Vermögen frei verfügen ist für sich genommen auch nicht eindeutig. Sie bezieht aber das eigene Vermögen (beiderseitiges Vermögen) des Überlebenden mit ein, das auch bei einer Vor- und Nacherbschaft keinen Verfügungsbeschränkungen unterliegt. Insoweit macht eine Beschränkung auf Verfügungen unter Lebenden wenig Sinn.

Die unmittelbare Anknüpfung dieser Passage an die Erbeinsetzung des Überlebenden unter Ziff. 2 des Testaments bei gleichzeitig davon abgesetzter Einsetzung des Schlusserben unter Ziff. 3 legt wiederum eine Ermächtigung nur zur freien Verfügung unter Lebenden nahe.

Welches Verständnis der Erblasser und seine erste Ehefrau von dieser Klausel hatten, lässt sich im Rückschluss aus ihrem gemeinschaftlichen Testament vom 03.02.1992 erschließen. Dort haben die Ehegatten die wortgleiche Formulierung unmittelbar nach der Einsetzung des jeweils anderen zum Erben verwendet. Anders, als in dem Testament vom 31.01.1995 finden sich dort aber weitere Regelungen zur Wechselbezüglichkeit. Aus der ausdrücklichen Bestimmung der Wechselbezüglichkeit sämtlicher getroffenen Verfügungen unter Ziff. 5 dieses Testaments lässt sich auf das Verständnis der Testierenden von Ziff. 2 S. 2 und S. 3 des Testaments schließen. Aus dieser Bestimmung der Wechselbezüglichkeit mit gleichzeitiger Befreiung des Letztversterbenden von der Bindungswirkung ergibt sich zunächst einmal die Kenntnis der Testierenden von der Wirkung der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen. Ihnen war bewusst, dass zu Lebzeiten das gemeinschaftliche Testament hinsichtlich der wechselbezüglichen Verfügungen nur gemeinschaftlich oder durch Widerruf geändert oder beseitigt werden konnte. Der Regelung in Ziff. 5 bezüglich der Anordnung der Wechselbezüglichkeit hätte es nicht bedurft, wenn der Erblasser und seine erste Ehefrau Ziff. 2 S. 2 und S. 3 des Testaments lediglich als eine Ermächtigung zur Verfügung unter Lebenden verstanden hätten; sie mithin trotz dieser Passage von einer Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments ausgegangen wären.

Aus Ziff. 3.d) des Testaments vom 03.02.1992 ergibt sich, dass dem Erblasser und seiner ersten Ehefrau das Rechtsinstitut der Vor- und Nacherbschaft geläufig war. Hier haben sie ihre Enkelin Sarah zur „befreiten“ Vorerbin als Schlusserbin zu 1/6 des Nachlasses eingesetzt. Mithin wussten sie, dass nur der Vorerbe in seiner Verfügung unter Lebenden Beschränkungen unterworfen ist. Dagegen erfolgte die gegenseitige Erbeinsetzung der Testierenden ohne Bedingung. Auch dies spricht für ein Verständnis der Ehegatten, dass Ziff. 2 S. 2 und S. 3 des Testaments sich nicht lediglich auf Verfügungen unter Lebenden, sondern auch auf Verfügungen von Todes wegen erstrecken.

Bei der Auslegung war auch der Beweggrund der Ehegatten für die Errichtung des Testaments vom 31.01.1995 zu berücksichtigen. Die Ehegatten setzten ihren Sohn, den Beteiligten zu 1, mit diesem Testament, zum Alleinerben ein, weil sie wegen der Trennung ihrer Tochter, der Zeugin F…, von ihrem damaligen Ehemann, sicherstellen wollten, dass dieser im Falle ihres Todes keine Vermögensvorteile erhalte. Das ergibt sich aus der Aussage der Zeugin F… und den Angaben des Beteiligten zu 1 bei seiner Anhörung durch das Nachlassgericht. Beide haben übereinstimmend angegeben, dass das Verhältnis der Eltern zu beiden Kindern zum damaligen Zeitpunkt gut war. Die Eltern waren danach immer bemüht, beide Kinder gleich zu behandeln. Auch wenn der Erblasser und seine Ehefrau zu diesem Zeitpunkt offenbar vorhatten, beiden Kindern jeweils ein Grundstück unter Lebenden zuzuwenden, spricht gleichwohl der Beweggrund für die Errichtung des Testaments dafür, dass die Enterbung der Zeugin F… nur vorübergehend bis zum Abschluss der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung der Zeugin mit ihrem damaligen Ehemann erfolgen sollte. Auch dies ist ein Indiz, dass bei einem vorzeitigen Tod eines der Ehegatten der Überlebende anderweitig testieren dürfe.

Ein weiteres Indiz ist das Verhalten des Erblassers nach dem Tod seiner ersten Ehefrau. Er ging – wie es der Abschluss des Pflichtteilsverzichtsvertrags auch mit dem Beteiligten zu 1 im Jahr 2010 belegt – davon aus, dass er in seiner Testierfreiheit durch das gemeinschaftliche Testament vom 31.01.1995 nicht eingeschränkt war.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf §§ 61, 40 Abs. 1 GNotKG.

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