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Gemeinschaftliches Testament nachträglich ändern: Schlusserben sind bindend

Obwohl das gemeinschaftliche Testament nachträglich geändert werden sollte, widersprachen die enterbten Töchter und forderten ihren Anteil am Millionenvermögen. Das OLG Celle musste entscheiden, ob eine vermeintlich freie Verfügung über das Vermögen die Bindung an die Schlusserbeneinsetzung tatsächlich aufhebt.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 6 W 132/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Celle
  • Datum: 13.11.2024
  • Aktenzeichen: 6 W 132/24
  • Verfahren: Beschwerdeverfahren im Erbrecht
  • Rechtsbereiche: Erbrecht, Testamentsauslegung, Gemeinschaftliches Testament

  • Das Problem: Zwei Söhne beantragten einen Erbschein als Alleinerben der verstorbenen Mutter. Sie stützten sich auf handschriftliche Testamente der Mutter aus dem Jahr 2017. Die Töchter widersprachen. Sie verwiesen auf ein bindendes gemeinschaftliches Testament der Eltern von 1975, das alle vier Kinder als Schlusserben vorsah.
  • Die Rechtsfrage: Durfte die überlebende Mutter das ältere gemeinsame Testament noch ändern, um nur die Söhne zu begünstigen und die Töchter zu enterben? Oder war sie durch die ursprüngliche Einsetzung aller vier Kinder rechtlich gebunden?
  • Die Antwort: Nein. Das Gericht hob die späteren handschriftlichen Verfügungen auf. Die Mutter war an die Schlusserbeneinsetzung aller vier Kinder gebunden. Diese Bindung trat ein, weil sie nach dem Tod des Vaters dessen Erbe angenommen hatte.
  • Die Bedeutung: Eine Klausel zur „freien und unbeschränkten Verfügung über den Nachlass“ in einem gemeinschaftlichen Testament bedeutet in der Regel nur die Freiheit zur Verfügung zu Lebzeiten. Sie berechtigt den überlebenden Ehepartner meistens nicht, die bindende Schlusserbeneinsetzung gemeinsamer Kinder nachträglich zu ändern.

Kann man ein gemeinschaftliches Testament nachträglich ändern?

Ein letzter Wille, der eine Familie spaltet: Im Jahr 2017, fast drei Jahrzehnte nach dem Tod ihres Mannes, verfasst eine Mutter ein neues Testament. Darin enterbt sie ihre beiden Töchter und setzt ihre beiden Söhne als alleinige Erben ein. Doch 42 Jahre zuvor hatte sie mit ihrem Mann ein gemeinschaftliches Testament aufgesetzt, das alle vier Kinder als Schlusserben vorsah. Dieser Widerspruch führte nach dem Tod der Mutter zu einem erbitterten Rechtsstreit unter den Geschwistern. Das Oberlandesgericht Celle musste in seinem Beschluss vom 13. November 2024 (Az. 6 W 132/24) eine fundamentale Frage des Erbrechts klären: Wie bindend ist ein einmal geschlossenes Ehegattentestament für den überlebenden Partner?

Was war der Ursprung des Familienkonflikts?

Eine entschlossen blickende ältere Frau präsentiert ihr neues handschriftliches Testament über einem vergilbten, alten Gemeinschaftstestament.
Bindende Ehegattentestamente verhindern nachträgliche einseitige Änderungen des letzten Willens. | Symbolbild: KI

Die Geschichte beginnt am 22. August 1975. Ein Ehepaar setzt ein gemeinschaftliches Testament auf, eine in Deutschland weitverbreitete Form, die oft als „Berliner Testament“ bekannt ist. Ihre Regelung war klar und einfach: Stirbt einer der beiden, soll der Überlebende der alleinige Erbe des gesamten Vermögens werden. Erst nach dem Tod des zweiten Ehepartners sollten die gemeinsamen vier Kinder erben. Im Testament nannten die Eltern sie „Nacherben“, ein Begriff, den das Gericht später als „Schlusserben“ interpretierte.

Zusätzlich fügten sie eine Klausel hinzu, die später zum zentralen Streitpunkt werden sollte: Der überlebende Ehepartner sei berechtigt, „frei und unbeschränkt über den Nachlass zu verfügen“.

Im Jahr 1988 verstarb der Ehemann. Seine Frau wurde, wie im Testament vorgesehen, Alleinerbin und als alleinige Eigentümerin aller Immobilien im Grundbuch eingetragen. Die Jahre vergingen. Im Oktober 2017, im hohen Alter von 85 Jahren, hinterlegte die Frau dann eine handschriftliche Erklärung beim Amtsgericht. Ihr neuer Wille: Ihre beiden Söhne sollten ihre alleinigen Erben sein, ihre beiden Töchter schloss sie vom Erbe aus. Um ihrer Überzeugung Nachdruck zu verleihen, fügte sie einen Zeitungsausschnitt über ein Urteil des OLG München bei, das ihrer Meinung nach ihr Recht zur Änderung des Testaments belegte. Ein weiterer Nachtrag im Dezember 2017 bekräftigte diese Entscheidung.

Als die Mutter Anfang 2023 verstarb, beantragten die Söhne auf Grundlage dieser neuen Verfügungen einen Erbschein, der sie als alleinige Erben zu je einer Hälfte ausweisen sollte. Doch ihre Schwestern legten Widerspruch ein. Sie waren überzeugt: Das ursprüngliche Testament von 1975 war bindend. Ihre Mutter hätte die Erbfolge nicht mehr einseitig ändern dürfen. Das Amtsgericht Celle gab zunächst den Söhnen recht, doch die Töchter legten Beschwerde ein, und der Fall landete vor dem Oberlandesgericht.

Welche erbrechtlichen Prinzipien standen auf dem Prüfstand?

Um die Entscheidung des Gerichts nachzuvollziehen, muss man das Fundament des gemeinschaftlichen Testaments verstehen. Es beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen der Ehepartner und wird durch zwei entscheidende juristische Konzepte geschützt.

Das erste Konzept ist die Wechselbezüglichkeit von Verfügungen (§ 2270 BGB). Eine Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament ist dann wechselbezüglich, wenn man annehmen muss, dass die eine Verfügung nicht ohne die andere getroffen worden wäre. Es ist quasi ein juristisches Geschäft nach dem Motto: „Ich setze dich als meinen Alleinerben ein, weil ich darauf vertraue, dass du nach deinem Tod unser gemeinsames Vermögen an unsere Kinder weitergibst.“

Weil es für Gerichte oft unmöglich ist, Jahrzehnte später den genauen Willen der Verstorbenen zu ergründen, hilft das Gesetz mit einer Auslegungsregel in § 2270 Abs. 2 BGB: Wenn sich Ehegatten gegenseitig bedenken und zugleich eine Verfügung zugunsten einer Person treffen, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist (wie hier die gemeinsamen Kinder), wird im Zweifel angenommen, dass diese Verfügungen wechselbezüglich sind.

Das zweite entscheidende Konzept ist die Bindungswirkung nach dem Tod des ersten Ehegatten (§ 2271 BGB). Stirbt ein Partner und der Überlebende nimmt die Erbschaft an (indem er sie zum Beispiel nicht ausschlägt), entfaltet das Testament seine volle Bindungswirkung. Das Recht des Überlebenden, eine wechselbezügliche Verfügung zu ändern, erlischt. Er oder sie ist an den gemeinsamen Plan gebunden. Eine spätere, anderslautende Verfügung ist dann unwirksam.

Genau auf diese Prinzipien stützten sich die Töchter. Die Söhne hingegen argumentierten mit der Klausel, die ihrer Mutter das Recht gab, „frei und unbeschränkt“ über den Nachlass zu verfügen. In ihren Augen war dies ein Freibrief, die Erbfolge neu zu regeln.

Warum erklärte das Gericht die Enterbung der Töchter für unwirksam?

Das Oberlandesgericht Celle folgte der Argumentation der Töchter und hob die Entscheidung der Vorinstanz auf. Die Richter wiesen den Antrag der Söhne auf einen Erbschein zurück. Ihre Analyse stützte sich auf eine Kette von logischen Schlussfolgerungen.

Was bedeutet die Klausel „frei und unbeschränkt verfügen“ wirklich?

Das Gericht stellte klar, dass diese weit verbreitete Formulierung in Testamenten regelmäßig missverstanden wird. Die Söhne sahen darin eine Erlaubnis für ihre Mutter, die Schlusserben nach Belieben auszutauschen. Das OLG Celle interpretierte die Klausel jedoch grundlegend anders. Sie diene primär dazu, die Stellung des überlebenden Ehegatten als sogenannten Vollerben zu untermauern. Das bedeutet, er oder sie kann zu Lebzeiten mit dem geerbten Vermögen tun und lassen, was er will – es verkaufen, verschenken oder verbrauchen.

Die Klausel gibt dem Überlebenden also die Freiheit, über das Vermögen zu verfügen, aber sie gibt ihm nicht automatisch das Recht, die im gemeinschaftlichen Testament festgelegte Erbfolge zu ändern. Eine solche weitreichende Befugnis, eine sogenannte Öffnungsklausel, hätte im Testament ausdrücklich formuliert sein müssen. Da die Klausel im Testament von 1975 vor der Einsetzung der Kinder als Schlusserben stand und keine weiteren Anhaltspunkte für einen Änderungswillen existierten, lehnte das Gericht die Auslegung der Söhne ab.

Warum griff die gesetzliche Vermutung der Wechselbezüglichkeit?

Da sich aus dem Testament selbst nicht eindeutig ergab, ob die Einsetzung der Kinder als Schlusserben eine Bedingung für die gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute war, griff das Gericht auf die gesetzliche Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB zurück. Die Voraussetzungen waren hier klar erfüllt:

  1. Der Ehemann hatte seine Frau als Alleinerbin eingesetzt (eine Zuwendung).
  2. Die Ehefrau hatte für den Fall ihres Todes eine Verfügung zugunsten der gemeinsamen Kinder getroffen.
  3. Die Kinder sind mit dem Ehemann verwandt.

Das Gericht wies dabei ausdrücklich das Argument der Vorinstanz zurück, die Regelung gelte nicht für gemeinsame Kinder. Der Wortlaut des Gesetzes sei eindeutig und erfasse diesen Fall. Die Logik dahinter: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass ein Ehepartner seine eigenen Verwandten (hier seine Kinder) nur dann zugunsten des anderen Ehepartners „enterbt“, weil er darauf vertraut, dass dieser die Kinder später als Schlusserben bedenkt. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ging das Gericht daher von einer wechselbezüglichen und damit bindenden Verfügung aus.

Wie besiegelte die Annahme des Erbes die Bindung?

Mit dem Tod des Ehemannes 1988 und der Annahme der Erbschaft durch die Frau trat der entscheidende Rechtsmechanismus des § 2271 Abs. 2 BGB in Kraft. Ihr Recht, die wechselbezügliche Verfügung bezüglich der Schlusserbeneinsetzung ihrer vier Kinder zu ändern, war erloschen. Sie war an den gemeinsamen Willen von 1975 gebunden.

Ihre späteren handschriftlichen Testamente aus dem Jahr 2017, in denen sie die Töchter enterbte, waren daher unwirksam. Sie konnten die einmal eingetretene Bindungswirkung nicht mehr durchbrechen. Das Gericht stellte auch fest, dass die von der Mutter genannten Gründe für die Enterbung – die Töchter hätten den Kontakt abgebrochen – bei weitem nicht die strengen Anforderungen für eine Pflichtteilsentziehung nach § 2336 BGB erfüllten.

Im Ergebnis entschied das Gericht, dass alle vier Kinder zu gleichen Teilen, also zu je 1/4, Erben geworden sind, genau wie es ihre Eltern 1975 gemeinsam festgelegt hatten.

Was bedeutet dieses Urteil für Ihr gemeinschaftliches Testament?

Das Urteil des OLG Celle ist eine wichtige Mahnung für alle Ehepaare, die ein gemeinschaftliches Testament errichten. Es zeigt, wie stark die Bindungswirkung sein kann und wie schnell unklare Formulierungen zu familiären Tragödien führen können. Die Entscheidung verdeutlicht, dass der überlebende Ehepartner nicht automatisch die Freiheit hat, den gemeinsam gefassten Plan zu ändern.

Checkliste: So vermeiden Sie ungewollte Bindungswirkung und Streit

  • Sprechen Sie über Flexibilität: Klären Sie unmissverständlich, ob der überlebende Partner die Schlusserben oder deren Erbquoten später noch ändern dürfen soll. Wollen Sie diese Flexibilität, muss eine klare Änderungs- oder Öffnungsklausel ins Testament.
  • Vermeiden Sie missverständliche Formulierungen: Verlassen Sie sich nicht auf allgemeine Floskeln wie „frei und unbeschränkt verfügen“. Formulieren Sie stattdessen präzise. Beispiel für eine Öffnungsklausel: „Der überlebende Ehegatte ist berechtigt, die in diesem Testament getroffene Schlusserbeneinsetzung nach dem Tode des Erstversterbenden abzuändern oder aufzuheben und anderweitig von Todes wegen zu verfügen.“
  • Definieren Sie die Begriffe klar: Unterscheiden Sie bewusst zwischen einem Vollerben (der das Vermögen zu Lebzeiten frei verbrauchen darf) und einem Vorerben (der das Vermögen für die Nacherben erhalten muss). Benennen Sie die Erben nach dem zweiten Todesfall klar als Schlusserben.
  • Lassen Sie sich juristisch beraten: Ein gemeinschaftliches Testament hat weitreichende Folgen. Eine fachkundige Beratung durch einen Notar oder einen Fachanwalt für Erbrecht stellt sicher, dass Ihr wirklicher Wille korrekt und unmissverständlich formuliert wird.
  • Überprüfen Sie Ihr Testament regelmäßig: Lebensumstände ändern sich. Ein Testament, das vor Jahrzehnten sinnvoll war, passt heute vielleicht nicht mehr. Eine regelmäßige Überprüfung, insbesondere bei veränderten Familienverhältnissen, kann späteren Streit verhindern.

Die Urteilslogik

Ein gemeinschaftliches Testament bindet den überlebenden Ehepartner unwiderruflich an die gemeinsam festgelegte Schlusserbfolge, sobald dieser die ihm zugedachte Erbschaft annimmt.

  • Erlöschen der Änderungsbefugnis: Mit dem Tod des erstversterbenden Ehepartners erlischt das Recht des Überlebenden, eine wechselbezügliche Verfügung einseitig zu widerrufen oder zu ändern, sofern das Testament keine ausdrückliche Öffnungsklausel vorsieht.
  • Gesetzliche Vermutung der Bindung: Das Gesetz vermutet eine Wechselbezüglichkeit der Verfügungen immer dann, wenn Ehegatten sich gegenseitig als Erben einsetzen und zugleich die gemeinsamen Kinder als Schlusserben bestimmen.
  • Grenzen der freien Verfügung: Die Klausel, die dem überlebenden Ehegatten gestattet, „frei und unbeschränkt über den Nachlass zu verfügen“, berechtigt diesen lediglich, das Vermögen zu Lebzeiten zu verbrauchen oder zu veräußern, nicht aber, die im Testament festgelegte Erbfolge auszutauschen.

Ehepartner müssen den Umfang der gewollten Bindung oder Flexibilität im Testament unmissverständlich festlegen, um spätere Rechtsstreitigkeiten und ungewollte Enterbungen zu vermeiden.


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Experten Kommentar

Wenn im Ehegattentestament die Klausel steht, man dürfe „frei und unbeschränkt verfügen“, halten das viele Überlebende fälschlicherweise für einen Freibrief zur Änderung der Erbfolge. Das Gericht hat hier konsequent klargestellt: Diese Formulierung schützt lediglich die Freiheit, mit den Vermögenswerten zu Lebzeiten zu wirtschaften – sie ist keine Erlaubnis, die bindende Schlusserbeneinsetzung der Kinder nachträglich auszuhebeln. Ohne eine glasklare Öffnungsklausel bleibt der einmal geschlossene gemeinsame Wille auch nach Jahrzehnten unantastbar. Wer also Flexibilität wünscht, muss das Recht zur Änderung der Erben präzise und unmissverständlich in das Dokument aufnehmen.


Das Bild zeigt auf der linken Seite einen großen Text mit "ERBRECHT FAQ Häufig gestellte Fragen" vor einem roten Hintergrund. Auf der rechten Seite sind eine Waage, eine Schriftrolle mit dem Wort "Testament", ein Buch mit der Aufschrift "BGB", eine Taschenuhr und eine Perlenkette zu sehen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Kann ich mein Berliner Testament nach dem Tod meines Partners noch ändern?

Die Regel ist sehr streng: Sobald der überlebende Partner die Erbschaft des Erstverstorbenen angenommen hat, tritt die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments unumkehrbar ein. In diesem Moment erlischt das Recht, sogenannte wechselbezügliche Verfügungen einseitig zu ändern. Das bedeutet, die im Berliner Testament festgelegte Schlusserbeneinsetzung, wer nach dem zweiten Todesfall erbt, ist dann zwingend festgelegt (§ 2271 BGB).

Der Gesetzgeber schützt durch diese Bindungswirkung das gegenseitige Vertrauen der Ehepartner. Der Erstverstorbene hat den Partner oft nur deshalb als Alleinerben eingesetzt, weil er sich auf die gemeinsame Planung der Erbfolge verlassen hat. Eine nachträgliche, einseitige Änderung der Schlusserbeneinsetzung durch den Überlebenden würde diesen ursprünglichen Willen konterkarieren. Diese juristische Fessel bleibt auch dann bestehen, wenn sich die familiären Umstände, beispielsweise durch einen Konflikt mit einem Kind, später dramatisch verändern.

Eine Abweichung von der ursprünglichen Regelung ist nur möglich, wenn das gemeinschaftliche Testament eine klare Öffnungsklausel enthielt. Diese Klausel hätte dem überlebenden Partner ausdrücklich das Recht einräumen müssen, die Schlusserbeneinsetzung abzuändern oder aufzuheben. Existiert diese Befugnis nicht, ist ein später aufgesetztes, widersprechendes handschriftliches Testament juristisch unwirksam. Gerichte stellen in solchen Fällen fest, dass die bindende Regelung des alten Testaments Vorrang hat.

Suchen Sie das ursprüngliche gemeinschaftliche Testament hervor und prüfen Sie sofort, ob dort eine explizite Klausel zur Abänderung der Erbeinsetzung aufgeführt ist.

(190 Wörter)


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Berechtigt mich die Klausel ‚frei über den Nachlass verfügen‘ zur Änderung der Schlusserbeneinsetzung?

Nein, diese weit verbreitete Formulierung in Berliner Testamenten wird häufig missverstanden und gilt nicht als juristischer Freibrief zur Änderung der Erbfolge. Das Oberlandesgericht Celle hat klargestellt, dass die Klausel „frei und unbeschränkt verfügen“ primär die Stellung des überlebenden Ehegatten als Vollerbe untermauert. Sie sichert Ihnen lediglich das Recht, das Vermögen zu verwalten und zu verbrauchen, aber nicht das Recht, die einmal bindend festgelegte Schlusserbeneinsetzung zu revidieren.

Die Verfügungsfreiheit bezieht sich auf das ererbte Vermögen selbst und seine Nutzung zu Lebzeiten. Sie können das Vermögen verkaufen, verbrauchen oder verschenken, ohne dass die späteren Erben dies verhindern könnten. Diese Freiheit des Überlebenden ist unabhängig von der eigentlichen Erbfolge. Gerichte sehen in dieser allgemeinen Floskel keine Befugnis, die eingetretene Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments zu durchbrechen, welche die Schlusserbeneinsetzung der Kinder schützt.

Um die Schlusserbeneinsetzung nachträglich ändern zu können, benötigen Sie zwingend eine explizit formulierte Öffnungsklausel. Diese muss unmissverständlich festlegen, dass der Überlebende berechtigt ist, die Verfügung von Todes wegen abzuändern oder aufzuheben. Juristen leiten eine so weitreichende Befugnis nicht aus allgemeinen Verfügungsrechten ab. Ohne diese klare, auf die Erbfolge bezogene Formulierung lehnen Gerichte einen Änderungswunsch regelmäßig ab.

Nutzen Sie diese Formulierung in Ihrem Testament, ergänzen Sie sofort einen klaren, nachgeschobenen Satz, der ausdrücklich die Befugnis zur Änderung der Schlusserbeneinsetzung festlegt.


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Darf der überlebende Ehegatte die gemeinsamen Kinder als Schlusserben nachträglich enterben?

Die nachträgliche Enterbung gemeinsamer Kinder durch den überlebenden Elternteil ist in der Regel unmöglich. Die Regel: Diese Einsetzung der Schlusserben gilt juristisch als wechselbezüglich und damit bindend. Das Gesetz vermutet, dass der verstorbene Partner diese Verfügung nur traf, weil er auf die spätere Erbschaft der Kinder vertraute. Diese Bindung verhindert eine einseitige Abänderung der Erbquoten durch den Überlebenden.

Diese strikte Bindungswirkung schützt den gemeinsamen letzten Willen der Ehepartner. Nach dem Tod des Erstverstorbenen und der Annahme der Erbschaft erlischt das Recht, die einmal getroffene Schlusserbeneinsetzung einseitig zu ändern (§ 2271 Abs. 2 BGB). Selbst wenn es später zu tiefgreifenden familiären Konflikten oder einem Kontaktabbruch kommt, bleibt die Bindung bestehen. Das Gericht nimmt an, dass der verstorbene Partner seine eigenen Kinder andernfalls nicht zugunsten des Überlebenden enterbt hätte.

Gerichte stellen hier extrem hohe Anforderungen an eine sogenannte Pflichtteilsentziehung. Persönliche Entfremdung oder Streit reichen bei Weitem nicht aus, um eine wirksame Enterbung durchzusetzen. Gemäß § 2336 BGB müsste der Enterbte dem Erblasser oder einer nahestehenden Person nach dem Leben trachten oder ein schweres Verbrechen begehen. Das OLG Celle bekräftigte diese strenge Linie, als es die Enterbung der Töchter für unwirksam erklärte.

Prüfen Sie dringend, ob Ihr gemeinschaftliches Testament einen Widerrufsvorbehalt oder eine Öffnungsklausel enthält, ansonsten ist bei Konflikten eine Rechtsberatung zwingend erforderlich.


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Ist mein neues Testament unwirksam, wenn es dem bindenden Ehegattentestament widerspricht?

Ja, jede spätere Verfügung, die einer bindenden Regelung im gemeinschaftlichen Ehegattentestament widerspricht, ist juristisch unwirksam. Sobald der überlebende Ehepartner die Erbschaft angenommen hat, tritt die strenge Bindungswirkung gemäß § 2271 Abs. 2 BGB in Kraft. Dieses Gesetz entzieht dem Überlebenden die Verfügungsbefugnis über die wechselbezüglichen Bestimmungen. Ihr später verfasster Wille kann die einmal eingetretene Bindung somit nicht mehr durchbrechen.

Die Bindungswirkung dient dem Schutz des ursprünglichen, gemeinsamen Willens beider Ehepartner. Der Erstverstorbene verlässt sich darauf, dass die festgelegte Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder Bestand hat. Das neu errichtete Testament wird nicht etwa aufgehoben, sondern es ist von Anfang an nichtig. Dem überlebenden Partner fehlt die rechtliche Befugnis, die einmal bindend festgelegte Erbfolge nachträglich zu ändern. Das jüngere Dokument, das den aktuellen Willen abbilden soll, kann den juristischen Mechanismus der Bindung nicht durchbrechen.

Konkret: Ein Erbschein wird ausschließlich auf Basis der bindenden Verfügungen des älteren Testaments ausgestellt, auch wenn ein jüngeres existiert. Die vier Kinder im Fall vor dem OLG Celle erstritten erfolgreich die Anerkennung des ursprünglichen Testaments von 1975. Ihre Mutter hatte später versucht, zwei Töchter zu enterben, doch die Richter erklärten dieses neue Testament für kraftlos. Bei einem Rechtsstreit wird das Nachlassgericht stets dem ursprünglichen gemeinsamen Willen beider Partner folgen.

Wenn Sie in einer Erbengemeinschaft streiten, legen Sie dem zuständigen Amtsgericht sofort das Original-Testament vor, um die Einhaltung der Bindungswirkung einzufordern.


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Wie formuliere ich eine Öffnungsklausel, um die Schlusserben später flexibel anzupassen?

Um die Bindungswirkung eines Berliner Testaments zu vermeiden, benötigen Sie eine präzise Öffnungsklausel. Diese muss dem überlebenden Ehepartner ausdrücklich die Befugnis zur Änderung der Erbfolge einräumen. Allgemeine Formulierungen, die nur das freie Verfügen über das Vermögen erlauben, reichen hierfür nicht aus. Konzentrieren Sie sich beim Verfassen der Klausel auf die juristisch notwendigen Begriffe, um die maximale Flexibilität zu gewährleisten.

Gerichte interpretieren die gängige Floskel „frei und unbeschränkt verfügen“ lediglich als Recht, das geerbte Vermögen zu Lebzeiten zu verwalten, zu verkaufen oder zu verbrauchen. Sie sichert die Stellung des Überlebenden als Vollerbe gegenüber den Schlusserben ab. Eine solche Formulierung betrifft jedoch nicht die Verfügung von Todes wegen, also die Benennung der Erben. Um diese weitreichende Befugnis zu erhalten, müssen Sie sich explizit auf die Schlusserbeneinsetzung beziehen, welche Sie später anpassen wollen.

Nutzen Sie klare juristische Termini, um jegliche Interpretationsstreitigkeiten nach Ihrem Tod zu verhindern. Eine rechtssichere Öffnungsklausel muss klarstellen, dass der Überlebende die Erbfolge nach dem Tod des Partners anpassen darf. Konkret verwenden Sie diese Formulierung: „Der überlebende Ehegatte ist berechtigt, die in diesem Testament getroffene Schlusserbeneinsetzung nach dem Tode des Erstversterbenden abzuändern oder aufzuheben und anderweitig von Todes wegen zu verfügen.“

Lassen Sie diese Musterformulierung sofort von einem Notar oder Fachanwalt prüfen und beurkunden, um die maximale Flexibilität für den überlebenden Partner rechtlich wasserdicht zu sichern.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Bindungswirkung (§ 2271 BGB)

Die Bindungswirkung ist der juristische Mechanismus, der verhindert, dass der überlebende Ehepartner die wechselbezüglichen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament nach dem Tod des ersten Partners einseitig ändert. Das Gesetz schützt damit das Vertrauen des Erstverstorbenen, da dieser sich darauf verlassen hat, dass der gemeinsam festgelegte Erbplan (meist zugunsten der Kinder) eingehalten wird. Sobald der Überlebende die Erbschaft annimmt, erlischt sein Recht zum Widerruf der bindenden Teile des Testaments.

Beispiel: Nach dem Tod des Vaters 1988 trat die Bindungswirkung des Testaments von 1975 ein, weshalb die Mutter ihre Verfügungen bezüglich der gemeinsamen Töchter später nicht mehr wirksam ändern durfte.

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Öffnungsklausel

Eine Öffnungsklausel ist eine ausdrückliche Bestimmung in einem gemeinschaftlichen Testament, die dem überlebenden Ehepartner die Befugnis verleiht, die Schlusserbeneinsetzung nachträglich abzuändern oder sogar ganz aufzuheben. Ehepaare bauen diese Klausel bewusst ein, um trotz der gesetzlichen Bindungswirkung Flexibilität für den Fall späterer Konflikte (wie Kontaktabbruch durch Kinder) oder veränderter Vermögensverhältnisse zu wahren. Sie dient als juristische Durchbrechung der Bindungswirkung.

Beispiel: Da die Eheleute 1975 keine klare Öffnungsklausel in ihr gemeinschaftliches Testament aufgenommen hatten, scheiterte die spätere Enterbung der Töchter vor dem Oberlandesgericht Celle.

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Schlusserbe

Ein Schlusserbe ist jene Person, die im gemeinschaftlichen Testament als Erbe des gesamten Vermögens eingesetzt wird, allerdings erst nach dem Tod des länger lebenden Ehegatten. Diese Konstruktion ist typisch für das Berliner Testament, bei dem zuerst der überlebende Partner als Vollerbe eingesetzt wird, um die finanzielle Versorgung zu sichern, und die Kinder erst im zweiten Schritt zum Zuge kommen. Die Kinder sind damit Erben des zweiten Erbfalls.

Beispiel: Die vier Kinder des Ehepaares waren im Testament von 1975 als Schlusserben benannt worden und erbten deshalb nach dem Beschluss des OLG Celle zu gleichen Teilen, nachdem die Mutter Anfang 2023 verstarb.

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Vollerbe

Juristen nennen den überlebenden Ehepartner Vollerbe, wenn er den Nachlass des Verstorbenen erbt und dadurch uneingeschränkter Eigentümer des gesamten Vermögens wird. Der Status als Vollerbe unterscheidet sich vom Vorerben, da der Vollerbe das Vermögen ohne Rücksicht auf die späteren Schlusserben verbrauchen, verkaufen oder verschenken darf und nicht zur Erhaltung des Nachlasses verpflichtet ist. Oft wird dieser Status durch die Klausel „frei und unbeschränkt verfügen“ untermauert.

Beispiel: Das OLG Celle stellte fest, dass die Formulierung zum freien Verfügen lediglich die Stellung der Mutter als Vollerbin bestätigte, jedoch nicht ihr Recht zur Änderung der Schlusserbeneinsetzung begründete.

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Wechselbezüglichkeit von Verfügungen (§ 2270 BGB)

Die Wechselbezüglichkeit beschreibt Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament, bei denen angenommen wird, dass die eine Verfügung nur getroffen wurde, weil der Partner die andere Verfügung im Gegenzug getroffen hat (sie stehen und fallen miteinander). Diese Gegenseitigkeit ist die entscheidende Voraussetzung für die spätere Bindungswirkung. Das Gesetz hilft mit einer Auslegungsregel, indem es vermutet, dass die Einsetzung gemeinsamer Kinder wechselbezüglich ist, wenn sich die Ehepartner gegenseitig zu Alleinerben bestimmen.

Beispiel: Die gegenseitige Einsetzung der Eltern als Alleinerben und die gleichzeitige Einsetzung der Kinder als Schlusserben galt nach Ansicht des Gerichts aufgrund der gesetzlichen Vermutung als wechselbezüglich.

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Das vorliegende Urteil


Oberlandesgericht Celle – Az.: 6 W 132/24 – Beschluss vom 13.11.2024


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