Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 3 Wx 64/10 – Beschluss vom 05.09.2011
Die Beschwerde der Beteiligten zu 3. gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Pinneberg vom 28. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beteiligte zu 3. nach einem Geschäftswert von 40.000,00 €.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Erbfolge nach der am 5. September 2009 93-jährig verstorbenen X (Erblasserin). Der Beteiligte zu 1. ist der (einzige) Neffe der Erblasserin und die Beteiligte zu 2. ihre beim Erbfall noch lebende Schwester. Drei weitere Geschwister sind vorverstorben, zwei von ihnen kinderlos. Die dritte Schwester hinterließ einen Sohn, den Beteiligten zu 1. Die Beteiligte zu 3. war eine Nachbarin der Erblasserin.
Die Erblasserin war zweimal verheiratet. Der ersten Ehe entstammte eine am … geborene Tochter Y, die am … verstorben ist. Ihr zweiter Ehemann …ist am … verstorben.
Die Eheleute X hatten am 28. Oktober 1980 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und zur Alleinerbin nach dem Tode des Längstlebenden die Tochter der Erblasserin und bei deren Wegfall den Beteiligten zu 1. bestimmten. Die Erblasserin setzte in einem allein von ihr verfassten, handschriftlichen Testament vom 1. Juni 2007 die Beteiligte zu 3. zur „Erbin“ ihrer beiden Hunde und ihrer Wohnung ein. Der Wortlaut der Testamente ist aus den beglaubigten Abschriften auf Bl. 3 und 26 der Beiakte … zu ersehen.
Für die Erblasserin bestand seit dem 18. April 2007 eine Betreuung für den Bereich der Gesundheits- und Vermögenssorge einschließlich eines weitgehenden Einwilligungsvorbehalts der Betreuerin, der Vertretung gegenüber Behörden usw., Wohnungsangelegenheiten und der Regelung des Postverkehrs (…). Seit Januar 2009 lebte sie in einem Seniorenpflegeheim.
Der Beteiligte zu 1. hat am 16. Dezember 2009 unter Berufung auf das erste Testament die Erteilung eines Erbscheines für sich als Alleinerben beantragt. Das zweite Testament hat er für unwirksam gehalten. Er hat gemeint, die Erblasserin habe nach dem Tode ihres Ehemannes keine letztwilligen Verfügungen mehr treffen können, die im Widerspruch zu dem gemeinschaftlichen Testament stünden. Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Pinneberg hat mit Beschluss vom 28. Dezember 2009 die Erteilung eines Erbscheines nach Antrag angekündigt.
Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 3. Beschwerde eingelegt. Sie hat ausgeführt, dass das Testament vom 1. Juni 2007 eine Erbeinsetzung zu ihren Gunsten beinhalte, weil die Wohnung praktisch der alleinige Nachlassgegenstand sei. Eine Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1. für den Fall des Vortodes des Ehemannes der Erblasserin hat sie verneint, weil der Beteiligte zu 1. allein mit der Erblasserin verwandt gewesen sei und kein besonderes Näheverhältnis zwischen ihm und dem Ehemann der Erblasserin bestanden habe. Demgegenüber hat der Beteiligte zu 1. seine Erbeinsetzung als für beide Ehegatten X als wechselseitig bindende Verfügung gewertet und behauptet, dass er zu den Eheleuten X schon immer Kontakt gehabt habe. Außerdem sei die Erblasserin bei Errichtung des zweiten Testaments nicht mehr testierfähig gewesen.
Das Amtsgericht hat ein Gutachten des Sachverständigen Dr. J. zur Frage der Testierfähigkeit eingeholt. Dieser hat unter dem 18. Mai 2010 ein Gutachten vorgelegt, dem das Amtsgericht zusammen mit einem weiteren Gutachten, welches der Sachverständige im Betreuungsverfahren erstellt hatte, entnommen hatte, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments nicht mehr testierfähig gewesen sei. Sie habe ausweislich der Gutachten bereits im Februar / März 2007 an einer mittelgradig ausgeprägten senilen Demenz vom Alzheimertyp gelitten. Da sie nach Auffassung des Sachverständigen nicht mehr ohne Einwilligungsvorbehalt ihres Betreuers am Rechtsverkehr habe teilnehmen können, sei sie nicht mehr in der Lage gewesen die Tragweite einer Erbeinsetzung zu verstehen. Aus diesem Grunde hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 18. Juni 2010, Bl. 40 d. A.).
Nach Einsicht in die Betreuungsakte hat die Beteiligte zu 3. ihre Beschwerde weiter begründet. Sie tritt in ihrer Beschwerdebegründung ausführlich der Annahme einer Testierunfähigkeit der Erblasserin entgegen. Aus dem Gutachten ergebe sich ein solcher Nachweis aus mehreren, von ihr detailliert dargelegten Gründen nicht. Dagegen sprächen zahlreiche, von ihr ebenfalls im Einzelnen dargelegten Anhaltspunkte für eine Testierfähigkeit der Erblasserin.
Die Beteiligte zu 3. meint weiter, der Inhalt des Testaments sei angesichts der Lebensumstände der Erblasserin nachvollziehbar. Die Hunde – ihr eigener und der von der verstorbenen Tochter übernommene – hätten für sie einen außerordentlich hohen Stellenwert erhalten. Deshalb habe sie sich die Frage gestellt, wie die Hunde nach dem Tode versorgt werden könnten. Sie habe dies am besten bei ihr, der Beteiligten zu 3., gewährleistet gesehen. Die Verwandten hätten sich darauf beschränkt der Erblasserin zu raten, in ein Heim zu gehen. Die Erblasserin habe mehrfach geäußert, die Verwandten kämen nur, wenn es etwas zu erben gebe; sie seien aber an der Wohnung nicht interessiert und – so die Erblasserin – vermögend genug. Interessant sei, dass die Erblasserin mehrfach geäußert habe, sicher zu sein, dass die Änderung des Testaments auch im Sinne ihres verstorbenen Ehemannes sei. Die Tatsache, dass die Erblasserin dies reflektiert und mit ihr, der Beteiligten zu 3., besprochen habe, bezeuge deren Testierfähigkeit.
Der Senat hat die Sache mit den Beteiligten mündlich erörtert und die Beteiligten zu 1. und 3. angehört, wie dies aus dem Vermerk vom 22. Februar 2011 zu ersehen ist (Bl. 82 – 86 d. A.). Die Beteiligten haben anschließend noch umfassend schriftsätzlich Stellung genommen.
II.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 3. hat keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht die für die Erteilung des Erbscheines zugunsten des Beteiligten zu 1. erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.
1.
Allerdings rügt die Beteiligte zu 3. zutreffend, dass sich auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dr. J. vom 18. Mai 2010 eine Testierunfähigkeit der Erblasserin noch nicht bejahen lässt. Der Sachverständige verweist in diesem Gutachten im Wesentlichen auf sein im Betreuungsverfahren erstelltes Gutachten vom 22. März 2007 (…). Dessen Grundlage wiederum bildeten ein eigener Hausbesuch bei der Betroffenen und ein dabei mit ihr geführtes Gespräch, zwei frühere eigene Untersuchungen der Erblasserin aus dem Jahre 2002 und vom 5. Februar 2007, über die nichts Näheres bekannt ist, und eine nicht aktenkundige Mitteilung des Hausarztes Dr. P. vom 26. Januar 2007. Der Sachverständige hatte also weder die Patientenkartei des Hausarztes ausgewertet noch nähere Erkundigungen bei ihm eingeholt, obwohl er in seinem im Nachlassverfahren erstellten Gutachten schreibt, dass dieser die Patientin bis zuletzt betreut habe und ggf. sachdienliche Hinweise geben könne.
Wie wenig die im Gutachten vom 22. März 2007 herangezogenen Untersuchungsgrundlagen eine Beurteilung der Testierunfähigkeit zulassen, spiegelt sich im Inhalt des Gutachtens wieder. Der Sachverständige beschreibt darin die Erblasserin bei seinem Hausbesuch als „zeitlich nur unzureichend orientiert“ und ihre Konzentrations- und Merkfähigkeit als „übermittelgradig gestört“. Immerhin wusste sie aber ihre Adresse, ihr Alter und ihr Geburtsdatum, wusste um den Tod der Tochter, ging nach eigenem Bekunden selbst einkaufen und lebte – ihrer Auskunft nach allerdings mithilfe einer Haushaltshilfe – in einer „leidlich geordneten“ Wohnung. Das spricht nicht für Orientierungsschwächen. Aus welchen Befundtatsachen der Sachverständige gleichwohl auf solche schließt, bleibt offen.
Schlussendlich ist dem im Betreuungsverfahren erstellten Gutachten auch die Diagnose fehlender Testierfähigkeit nicht zu entnehmen. Der Sachverständige hatte eine mittelgradig ausgeprägte senile Demenz vom Alzheimer-Typ diagnostiziert. Die zum Untersuchungszeitpunkt vorgefundenen Auswirkungen hat er als Gedächtnisstörungen, insb. der Merkfähigkeit und des Frischgedächtnisses, sowie als zeitweilige Orientierungsstörungen beschrieben. Dass die Erblasserin bereits einen Zustand der Testierunfähigkeit erreicht hat, ist daraus nicht zu ersehen.
2.
Indes kommt es auf die Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin bei Abfassung des Testaments vom 1. Juni 2007 nicht an. Das Testament enthält unabhängig davon keine wirksame Erbeinsetzung der Beteiligten zu 3. Die Zuwendung der Eigentumswohnung als des wesentlichen Vermögensgegenstandes der Erblasserin ist hier fraglos als Erbeinsetzung zu verstehen. Diese ist indes unwirksam. Sie verstößt gegen die bindend gewordene Einsetzung des Beteiligten zu 1. als Ersatzschlusserben im gemeinschaftlichen Testament vom 28. Oktober 1980. Diese Schlusserbeneinsetzung war für den Fall des Vorversterbens des Ehemannes der Erblasserin wechselbezüglich mit dessen Verfügungen.
a) Verfügungen in einem von Ehegatten gemeinschaftlich errichteten Testament sind wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, wenn also nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen sollte. Ist dies einem Testament unter Berücksichtigung aller inner- und außerhalb desselben liegenden Umstände nicht zweifelsfrei zu entnehmen, so ist – erst dann – auf die gesetzlichen Auslegungsregeln zurückzugreifen. Diesen zufolge ist nach § 2270 Abs. 2 BGB in den dort genannten Fällen im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen. So ist es etwa dann, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zu Gunsten einer mit dem anderen Ehegatten verwandten Person treffen. Gleiches gilt, wenn der letztlich Begünstigte mit dem vorversterbenden Ehegatten zwar nicht verwandt war, er aber doch in einem besonderen Näheverhältnis zu ihm stand. Bestimmen sie hingegen, dass nach dem Tod des Überlebenden der beiderseitige Nachlass teils an Verwandte des Mannes und teils an Verwandte der Frau fallen sollen, so ist im Zweifel nur davon auszugehen, dass die gegenseitigen Erbeinsetzungen und die zugunsten der Verwandten des anderen Ehegatten getroffenen Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander stehen, nicht ohne Weiteres aber auch die Zuwendungen zugunsten der eigenen Verwandten voneinander abhängen. Im Gegenteil entspricht es der Lebenserfahrung, dass regelmäßig ein Ehegatte dem anderen das Recht belassen will, die Einsetzung derjenigen Schlusserben zu ändern, die nur mit dem überlebenden Ehegatten verwandt sind (Senat, B. v. 04.03.2011 – 3 U 108/10 – S. 6 f; BayObLG, FamRZ 2001, 1734, bei juris Rn. 49; OLG Nürnberg, ZEV 2010, 411, 413; OLG Hamm, FamRZ 2010, 1201; MüKoBGB/Musielak, 5. Aufl. 2010, § 2270 Rn. 14; Staudinger/Kanzleiter, Bearb. 2006, § 2270 Rn. 28).
b) Bei Anwendung der letztgenannten Auslegungsregel ergäbe sich, dass die Ersatzerbeneinsetzung des Beteiligten zu 1. für den Fall des Vorversterbens des Ehemannes der Erblasserin nicht wechselbezüglich gewesen wäre. Der Beteiligte zu 1. ist nur mit der Erblasserin verwandt. Die Auslegungsregel kommt jedoch nach den dargelegten Grundsätzen erst zum Zuge, wenn sich der tatsächliche Wille des Erblassers nicht im Wege der Auslegung des Testaments ermitteln lässt. So aber ist es hier. Die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments vom 28. Oktober 1980 führt zu dem Ergebnis, dass die Ehegatten mit der ersatzweisen Schlusserbeneinsetzung des Beteiligten zu 1. für den Fall des Vortodes des Ehemannes der Erblasserin eine wechselbezügliche Verfügung treffen wollten. Die Annahme der Beteiligten zu 3., die Ehegatten hätten den Fall eines Todes der Tochter der Erblasserin vor einem von ihnen nicht bedacht (Schriftsatz vom 29. Juni 2011 S. 6 und vom 19. August 2011 S. 1 f), kann nicht zutreffen. Sie ist durch die Ersatzerbenbenennung widerlegt, denn diese greift ausschließlich in einem solchen Falle ein.
(1) Ein – für sich genommen sicher nicht allzu hoch zu gewichtender – Anhaltspunkt für Wechselbezüglichkeit ergibt sich aus dem Wortlaut des Testaments. Der Beteiligte zu 1. wird darin als „unser Neffe“ bezeichnet und nicht richtig als derjenige nur der Erblasserin. Dies allein hat sicher kein hohes Gewicht; die Formulierung ist auch in Testamenten anzutreffen, die die Rechtsprechung nicht als wechselbezüglich zugunsten des so Bezeichneten angesehen hat (s. etwa Senat, B. v. 04.03.2011 – 3 Wx 108/10 -, S. 12, oder die von der Beteiligten zu 3. zitierte Entscheidung OLG Nürnberg, U. v. 30.09.2009 – 14 U 2056/08 -, ZEV 2010, 411). Immerhin aber ist festzuhalten, dass es sich um die Diktion des Ehemannes der Erblasserin handelt, denn er hat das Testament geschrieben. Wenn er von „unserem Neffen“ spricht, spricht das zumindest für ein Gefühl familiärer Verbundenheit, das er dem Beteiligten zu 1. entgegengebracht hat.
(2) Entscheidend für eine Auslegung des Testaments im Sinne der Wechselbezüglichkeit der fraglichen Verfügung ist indes dessen Systematik. Vor dem Hintergrund der fraglos wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung der Tochter der Erblasserin erweist sich auch die ersatzweise Benennung des Beteiligten zu 1. als wechselbezüglich.
An der Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung der Tochter der Erblasserin bestehen keine Zweifel. Für sie spricht in aller Deutlichkeit der Wortlaut. Die Tochter der Erblasserin wird in dem gemeinschaftlichen Testament als „unsere Tochter …“ bezeichnet, und zwar gleich zweimal, zum einen bei ihrer Schlusserbeneinsetzung und zum anderen bei der Erwähnung ihres ehemaligen Ehemannes. Bei entfernterer Verwandtschaft mag vielfach unter Ehegatten gedankenlos und der Einfachheit halber von „unserer“ Verwandtschaft gesprochen werden. Bei einem Eltern-Kind-Verhältnis jedoch ist kaum vorstellbar, dass jedem Ehegatten nicht bewusst ist, ob es sich um das eigene Kind handelt oder nicht. Der Ehemann der Erblasserin hatte deren Tochter nach Mitteilung der Beteiligten zu 3. im Schriftsatz vom 19. August 2011 S. 1 zwar nie adoptiert. Gedanklich muss er sie aber als sein eigenes Kind angenommen haben, wenn er sie als „unsere“ Tochter bezeichnete. Angesichts der Familiengeschichte ist dies auch verständlich. Die Ehegatten heirateten, als die Tochter der Erblasserin noch keine fünf Jahre alt war. Diese wuchs also von klein auf mit dem Ehemann ihrer Mutter als „faktischem“ Vater auf. Weitere Kinder gab es nicht. Dass unter diesen Umständen ein besonderes Näheverhältnis zwischen Stiefvater und Tochter wie zwischen leiblichen Eltern und Kindern entstand, ist nur naheliegend.
Daraus folgt zunächst, dass die Ehegatten die Schlusserbeneinsetzung der Tochter als für beide bindend verstanden haben müssen. Entgegen der oben erwähnten Auslegungsregel war also auch die Erblasserin nach dem Vortod ihres Ehemannes an die Schlusserbeneinsetzung der Tochter gebunden, obwohl es allein ihre Tochter war. Daraus folgt nun noch nicht zwingend, dass auch die Benennung des Ersatzerben wechselbezüglich gewesen sein müsse. Zu Recht hat der damalige Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3. in der mündlichen Erörterung vor dem Senat darauf hingewiesen, dass die Wechselbezüglichkeit für jede einzelne Verfügung gesondert zu prüfen ist. Gesonderte Verfügungen in diesem Sinne stellen auch die Einsetzung des Erben einerseits und des Ersatzerben andererseits dar. Deshalb kann aus der Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung der Tochter nicht von vornherein auch auf eine Wechselbezüglichkeit der Ersatzschlusserbeneinsetzung geschlossen werden (OLG München, ZErb 2010, 157, 158).
Zulässig – und geboten – ist es aber, den Inhalt letztwilliger Verfügungen im Gesamtzusammenhang des Testamentsinhalts zu ermitteln. Daraus kann sich dann ergeben, dass eine einzelne Verfügung vor dem Hintergrund anderer Verfügungen im Testament als wechselbezüglich verstanden werden muss. Darin liegt keine Durchbrechung des Grundsatzes der selbständigen Prüfung jeder einzelnen letztwilligen Verfügung auf Wechselbezüglichkeit. Vielmehr verlangt die Anwendung allgemeiner Auslegungsgrundsätze auf die fragliche Verfügung auch deren Auslegung in systematischer Hinsicht. Bei einer Auslegung unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die Einsetzung des Beteiligten zu 1. als Ersatzerben für die Schlusserbin als wechselbezüglich.
Die Schlusserbeneinsetzung der Tochter war, wie dargelegt, wechselbezüglich. Das bedeutet, dass die Ehegatten mit dieser Regelung die Vorstellung verbanden, dass sie an diese Schlusserbeneinsetzung beiderseits gebunden sein würden. Die Ersatzbenennung des Beteiligten zu 1. haben die Ehegatten im Testament in dem unmittelbar auf die Schlusserbeneinsetzung folgenden Satz vorgenommen. Wenn diese Regelung nun nicht die gleiche gegenseitige Bindungswirkung wie die soeben vorgenommene Erbeinsetzung der Tochter der Erblasserin haben sollte, so hätte sich eine Klarstellung aufgedrängt. Anstelle einer solchen Klarstellung deutet jedoch im Gegenteil die unterschiedslose Bezeichnung beider als „unsere“ Tochter und „unser“ Neffe eher auf eine gedankliche Gleichbehandlung beider Erben durch den Erblasser hin. Dagegen spricht nicht wiederum, dass die Tochter durch den Formalakt einer Adoption offenkundig eine andere rechtliche Stellung gegenüber dem Erblasser hatte als der Neffe. Wie erwähnt, war es nie zur Adoption gekommen.
(3) Weitere Umstände stützen die Auslegung der Ersatzerbeneinsetzung als wechselbezüglich für den Fall des Vortodes des Ehemannes.
So steht diese Auslegung mit den von dem Beteiligten zu 1. in seiner Anhörung vor dem Senat anschaulich und glaubhaft geschilderten Beziehungen innerhalb der Großfamilie seiner Mutter gut im Einklang. Die Erblasserin war die Älteste von drei Schwestern, die nach der Schilderung des Beteiligten zu 1. miteinander gut Kontakt hatten. Der vorverstorbene Onkel war zwar nur angeheiratet, offenkundig aber voll integriertes Mitglied der Familie gewesen. Dass jedenfalls er selbst sich mit der Familie seiner Frau identifizierte, offenbart sich mittelbar an seinem Einfluss auf die Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den Schwestern. Sie soll nach glaubhafter, von der Beteiligten zu 3. nicht angegriffener Darstellung des Beteiligten zu 1. von dem Onkel ausgegangen sein, weil die jüngere Schwester einen Mann heiratete, der aus seiner Sicht nicht in die Familie passte. Eine Einbindung des Onkels in die Familie seiner Frau kann es auch erklären, dass im Testament nur Angehörige dieser Familie als Erben eingesetzt wurden. Die Beteiligte zu 3. hält dies für „bezeichnend“ (Schriftsatz vom 29. Juni 2011 S. 5). „Bezeichnend“ ist es indes gerade im Sinne einer Identifikation des Onkels mit dieser Familie, aus der sich einer der für Wechselbezüglichkeit sprechenden Anhaltspunkte ergibt.
Die Beteiligte zu 3. hat mit Schriftsatz vom 29. Juni 2011 (S. 5) die Vermutung geäußert, dass es auf den Ehemann der Erblasserin zurückzuführen sei, wenn es im gemeinschaftlichen Testament heiße, dass der ehemalige Ehemann der Tochter nichts vom Erbe bekommen dürfe. Sollte dies so gewesen sein, spricht dies in mehrerlei Hinsicht gerade für die vom Senat vorgenommen Auslegung des Testaments. Es zeigt zunächst, dass es dem Ehemann … ein Anliegen war, auf die letztendliche Vererbung des Nachlasses Einfluss zu nehmen. Es unterstreicht weiter das enge Verhältnis zwischen dem Ehemann der Erblasserin und deren Tochter, weil jener sich offenkundig bei der Auseinandersetzung zwischen der Tochter und ihrem Ehemann klar gegen diesen gestellt hat. Damit erhärtet es auch die Auslegung der Schlusserbeneinsetzung der Tochter als wechselbezüglich auch für den Fall seines Vortodes. Es bekräftigt aber auch die Auslegung, dass die Ersatzerbenbenennung auch und gerade für den Fall seines Vortodes wechselbezüglich sein sollte. Nur bei einer für beide Ehegatten bindenden Festlegung auf den Beteiligten zu 1. als Ersatzerben konnte der Ehemann der Erblasserin sicher sein, dass seine Ehefrau nicht doch einen Ersatzerben berief, der im Lager des ehemaligen Ehemannes der Tochter gestanden hätte.
Zu beachten ist weiter die von dem Beteiligte zu 1. nachvollziehbar dargelegte gute Beziehung zwischen ihm und seinem Onkel. Er hat anschaulich geschildert, wie sein Onkel Einfluss auf seinen Werdegang genommen und sich dafür eingesetzt habe, dass er die Schule bis zum Abitur besuche. Die Beteiligte zu 3. hat in ihrem Schriftsatz vom 29. Juni 2011 (S. 6) mit guten Gründen angezweifelt, dass sich aus seiner Schilderung schon ein hinreichend dichtes Näheverhältnis im Sinne des § 2270 Abs. 2 BGB ergibt. Diese Auslegungsregel kommt aber nicht zum Zuge. Vorrangig ist die individuelle Auslegung des Testaments. Mit Blick hierauf kommt es deshalb zunächst nur darauf an, ob die Schilderung des Beteiligten zu 1. geeignet ist, die Auslegung zu decken, die sich aus systematischer Auslegung des Testaments aufdrängt. Das ist der Fall, weil das gute Verhältnis zwischen Neffe und Onkel die sich aus systematischer Auslegung ergebende Wechselbezüglichkeit seiner ersatzweisen Schlusserbenbenennung stützt. Das von der Beteiligte zu 3. in ihrem letzten Schriftsatz geschilderte angebliche lieblose Verhältnis des Beteiligten zu 1. zu seiner Tante in ihren letzten Lebensjahren ist hingegen für die hier vorzunehmende Auslegung des Testaments ohne Belang. Es gibt nichts für das Verhältnis des Erblassers zu dem Beteiligten zu 1. her, schon gar nicht zum für die Testamentsauslegung allein maßgeblichen Zeitpunkt des Jahres 1980.
Nicht zuletzt ist die angebliche mehrfache Äußerung der Erblasserin zu beachten, dass die Änderung auch im Sinne ihres verstorbenen Mannes sei (Schriftsatz vom 30. September 2010 S. 15, Bl. 69 d.A.). Die Äußerung ist für die Vorstellung der Ehegatten bei Testamentserrichtung aufschlussreich. Hätte es bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments im Belieben jedes Ehegatten stehen sollen, einen neuen Ersatzerben einzusetzen, so wäre es nicht darauf angekommen, ob die Auswechslung des ursprünglich vorgesehenen Ersatz-Schlusserben im Sinne des verstorbenen Ehegatten war oder nicht. War die Einsetzung des Ersatz-Schlusserben hingegen bindend für die Erblasserin, musste sie sich für die (an sich gänzlich ausgeschlossene) Testamentsänderung rechtfertigen. Die entsprechenden Erklärungen der Erblasserin runden deshalb die Auslegung der Ersatzschlusserbeneinsetzung als wechselbezüglich noch ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Geschäftswertes auf §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1 KostO. Maßgeblich war der reine Nachlasswert, der nach Angaben des Beteiligten zu 1. 40.000,00 € beträgt und den die Beteiligten jeweils als Alleinerben beanspruchen.