Entscheidung des Kammergerichts Berlin zum zulässigen Inhalt eines gemeinschaftlichen Testaments bei Wechselbezüglichkeit
Das Kammergericht Berlin hat in einem Beschluss vom 13.10.2020 (Az.: 19 W 1128/20) eine wichtige Entscheidung zum gemeinschaftlichen Testament und dessen zulässigem Inhalt bei Wechselbezüglichkeit getroffen. In dem vorliegenden Fall hatte das Amtsgericht Mitte den Erbscheinsantrag einer Antragstellerin zurückgewiesen, woraufhin diese Beschwerde einlegte. Das Kammergericht Berlin hob den Beschluss des Amtsgerichts auf und wies es an, den beantragten Erbschein zu erteilen. Es wurde festgestellt, dass die erforderlichen Tatsachen für den Erbscheinsantrag vorliegen.
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Übersicht
Eindeutige Einsetzung der Antragstellerin als Alleinerbin
Das gemeinschaftliche Testament, auf dem der Erbscheinsantrag basierte und am 24.2.2002 errichtet wurde, setzte die Antragstellerin als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns ein. Das Kammergericht stellte klar fest, dass die Einsetzung der Antragstellerin als Alleinerbin eindeutig aus dem Testament hervorgeht. Zusätzlich wurde im Testament eine Verfügung über den beiderseitigen Nachlass nach dem Tod der Antragstellerin getroffen. Es handelt sich jedoch nicht um eine Vor- und Nacherbschaft, sondern um die sogenannte Einheitslösung. Gemäß dieser Lösung wird die Antragstellerin zunächst alleinige Vollerbin, während Herr H… R… ihr Erbe sein soll.
Möglichkeit der Bestimmung eines Schlusserben bei einseitiger Verfügung
Das Amtsgericht argumentierte, dass die Bestimmung eines Schlusserben bei einer einseitigen Verfügung nicht möglich sei. Das Kammergericht hingegen betonte, dass ein Ehegatte durchaus den anderen als Erben einsetzen und dieser Erbe wiederum einen eigenen Erben bestimmen kann. Es sieht keine rechtlichen Hindernisse in der Kombination beider Verfügungen. Zudem erklärte das Kammergericht, dass die gewählte Form des gemeinschaftlichen Testaments keine inhaltlichen Beschränkungen mit sich bringt. Jeder der Testierenden kann eine eigene Verfügung treffen, und daher können auch unterschiedliche Erbfolgen vorgesehen werden.
Wechselbezüglichkeit ermöglicht unterschiedliche Erbfolgen im gemeinschaftlichen Testament
Das Gericht hob hervor, dass die Wechselbezüglichkeit im gemeinschaftlichen Testament gemäß § 2270 BGB lediglich bedeutet, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde. Jedoch zwingt dies nicht dazu, dass die betroffenen Verfügungen einheitlich auszulegen sind. Somit können in einem gemeinschaftlichen Testament unterschiedliche Erbfolgen vorgesehen werden, ohne dass dies der Wechselbezüglichkeit widerspricht.
Rechtliche Zulässigkeit der letztwilligen Verfügung
Das Kammergericht Berlin entschied, dass die letztwillige Verfügung im vorliegenden Fall rechtlich zulässig ist und dem Sinn und Zweck der Wechselbezüglichkeit im gemeinschaftlichen Testament nicht widerspricht. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG, da für das Beschwerdeverfahren keine Gerichtskosten erhoben wurden.
Diese Entscheidung des Kammergerichts Berlin verdeutlicht, dass bei einem gemeinschaftlichen Testament unterschiedliche Erbfolgen für die Ehepartner möglich sind, auch wenn eine Wechselbezüglichkeit vorliegt.
Das vorliegende Urteil
KG Berlin – Az.: 19 W 1128/20 – Beschluss vom 13.10.2020
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Mitte vom 8.7.2020 aufgehoben.
Die zur Begründung des Erbscheinsantrags erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet.
Das Amtsgericht Mitte wird angewiesen, den beantragten Erbschein der Antragstellerin zu erteilen.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben.
Gründe
Die gemäß den §§ 58 ff. zulässige, insbesondere form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht hat den Erbscheinsantrag der Antragstellerin zu Unrecht zurückgewiesen. Der Erbscheinsantrag ist entgegen der Ansicht des Amtsgerichts begründet, so dass ein Feststellungsbeschluss nach § 352e FamFG zu erlassen war. Die Ausstellung des Erbscheins ist dem Amtsgericht zu überlassen.
Der Erbscheinsantrag ist begründet. Die Antragstellerin ist aufgrund des Testaments vom 24.2.2002 Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns geworden. Dies ergibt sich eindeutig aus Ziff. 1 des gemeinschaftlichen Testaments, in der es heißt, dass Frau M… B… Alleinerbin wird nach ihrem Ehemann P… F…. Soweit es nachfolgend heißt, dass „Erbe des beiderseitigen Nachlasses nach ihrem Tod“ Herr H… R… werde, ist keine Vor- und Nacherbschaft angeordnet, sondern offensichtlich die sogenannte Einheitslösung gewählt worden, mit der Folge, dass die Antragstellerin zunächst alleinige Vollerbin wird und Herr H… R… ihr Erbe sein soll. Die dagegen vom Amtsgericht angeführten Argumente und die daraus abgeleitete anderweitige Auslegung überzeugen nicht.
Insbesondere ergibt sich keine anderweitige Auslegung aus dem Zusammenspiel der Ziffer 1 mit der Ziffer 2 des gemeinschaftlichen Testaments. In Ziffer 2 ist zwar, wie das Amtsgericht zutreffend erkannt und die Antragstellerin auch nicht in Abrede gestellt hat, die sogenannte Trennungslösung gewählt worden, mit der Folge, dass im Falle des Vorversterbens der Antragstellerin ihr Ehemann nur Vorerbe und Herr H… R… Nacherbe geworden wäre. Daraus folgt aber nicht, dass deshalb auch in Ziffer 1 die Trennungslösung anzunehmen sei, im Gegenteil: bereits aus den unterschiedlichen Formulierungen in den Ziffern 1 und 2 wird unmissverständlich deutlich, dass es der eindeutige Wille des Erblassers und der Antragstellerin war, dass die Erbgänge unterschiedlich geregelt werden sollten, je nachdem, wer von den beiden Eheleuten zuerst verstirbt. Die Wahl der Begrifflichkeiten zeigt, dass den Testierenden der Unterschied zwischen Vor- und Nacherbschaft einerseits und der Vollerbschaft mit Schlusserbschaft andererseits deutlich bewusst war. Warum die Eheleute diese Unterscheidung gewählt haben, hat die Antragstellerin im Schriftsatz vom 3.3.2020 nachvollziehbar erläutert: es sollte verhindert werden, dass für den Fall des Vorversterbens der Antragstellerin ihr Vermögen zum Sohn des Ehemanns „abwandert“, den der Erblasser, wie sich auch aus Ziffer 1 ergibt, enterben und auf den Pflichtteil verweisen wollte.
Soweit das Amtsgericht meint, die Bestimmung eines Schlusserben bei einer einseitigen Verfügung sei nicht möglich, mag dies zutreffend sein. Möglich ist aber, dass der eine Ehegatte den anderen als Erben einsetzt und dieser erbende Ehegatte seinerseits für diesen Fall einen Erben bestimmt. Demnach enthält die Ziffer 1 sowohl eine testamentarische Verfügung des Ehemanns (Einsetzung seiner Ehefrau als Alleinerbin) als auch eine testamentarische Verfügung der Ehefrau (Einsetzung von H… R… als ihren Erben). Warum eine solche Kombination nicht möglich sein soll, erschließt sich nicht. Auch die Verknüpfung mit einer Bedingung (die Regelungen in Ziff. 1 erfolgen unter der Bedingung, dass der Ehemann zuerst stirbt) lässt das Gesetz zu (vgl. Horn/Kroiß, Testamentsauslegung 2. A., § 8 Rn. 54).
Diese Art der letztwilligen Verfügung ist rechtlich zulässig. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts widerspricht sie nicht dem Sinn und Zweck der gewollten Wechselbezüglichkeit im gemeinschaftlichen Testament. Durch die gewählte Form des gemeinschaftlichen Testaments gemäß § 2265 BGB ergeben sich inhaltlich keinerlei Beschränkungen. Jede Verfügung, die in einem einseitigen Testament getroffen werden kann, kann auch in einem gemeinschaftlichen Testament getroffen werden. Jeder der Beteiligten trifft insoweit eine eigene Verfügung (vgl. nur Burandt/Rojahn-Braun, Erbrecht 3. Auflage, § 2265 BGB Rn. 16; Staudinger-Kanzleiter, BGB 2019, Vor § 2265 Rn. 39). Die von den Ehegatten in Ziffer 5 des Testaments angeordnete Wechselbezüglichkeit der Verfügungen steht der dargestellten Sichtweise des Testaments und dem klar geäußerten Willen der Testierenden nicht entgegen. Die Wechselbezüglichkeit gemäß § 2270 BGB bedeutet lediglich, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde (§ 2270 Abs. 1 BGB), und führt dazu, dass gemäß § 2271 BGB ein Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Die Wechselbezüglichkeit zwingt jedoch nicht dazu, dass die davon betroffenen Verfügungen einheitlich auszulegen sind, und insbesondere nicht dazu, dass in beiden Verfügungen nicht unterschiedliche Erbfolgen vorgesehen werden könnten. Es bleibt auch bei Wechselbezüglichkeit zulässig und möglich, dass bezüglich des einen Testierenden die Einheitslösung und bezüglich des anderen Testierenden die Trennungslösung gewählt wird. Eine solche Kombination ist – wie auch sonst – zulässig (vgl. Burandt/Rojahn-Braun, Erbrecht 3. A., § 2269 BGB Rn. 1). Welche der getroffenen Verfügungen tatsächlich wechselbezüglich sind, spielt hier deshalb keine Rolle und kann offenbleiben. Auch auf die Auslegungsregel des § 2269 BGB ist vorliegend nicht zurückzugreifen, da diese nur gilt, wenn sich aus dem Testament der Wille der Testierenden nicht eindeutig ergibt (MüKo-Musielak, BGB 8. A., § 2269 Rn. 6). Auslegungszweifel bestehen hier, wie oben dargestellt, nicht, der Wille ist eindeutig.
Die Kostenentscheidung für die Gerichtskosten beruht auf § 81 FamFG. Mangels der Erhebung von Gerichtskosten bedurfte es nicht der Festsetzung des Beschwerdewertes.