Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- OLG Saarbrücken: Verspätete Ausschlagung der Nacherbschaft bei Notarfehler doch wirksam – Ehefrau wird rückwirkend Alleinerbin
- Die Ausgangslage: Ein Erbvertrag mit Vor- und Nacherbschaft nach dem Tod des Erblassers
- Der Streit um die Frist: War die Ausschlagung der Nacherbschaft durch die Kinder des Erblassers rechtzeitig?
- Die Entscheidung des Amtsgerichts: Ausschlagung verfristet, Nacherben erben
- Die Beschwerde der Tochter: Ziel ist Alleinerbschaft der verstorbenen Mutter durch wirksame Ausschlagung oder Anfechtung
- Das Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken: Hilfsantrag erfolgreich, Mutter wird durch wirksame Ausschlagung der Nacherben rückwirkend Alleinerbin
- Die detaillierte Begründung des OLG: Warum die Ausschlagung trotz verspäteten Eingangs wirksam war
- Ergebnis und Auswirkungen für die Erbin: Erbschein für verstorbene Mutter wird erteilt
- Weitere Entscheidungen des Gerichts: Kosten und Rechtsmittel
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet „höhere Gewalt“ im Zusammenhang mit der Ausschlagungsfrist einer Erbschaft?
- Wie wirkt sich ein Notarfehler auf die Einhaltung der Ausschlagungsfrist einer Erbschaft aus?
- Welche Konsequenzen hat es, wenn die Ausschlagungsfrist einer Erbschaft versäumt wird?
- Was ist der Unterschied zwischen Vorerbschaft und Vollerbschaft und welche Auswirkungen hat dies auf die Erben?
- Wie berechnet sich die sechswöchige Ausschlagungsfrist und wann beginnt sie zu laufen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 5 W 46/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Saarbrücken
- Datum: 21. August 2024
- Verfahrensart: Beschwerdeverfahren
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Antragstellerin, als Erbin der Vorerbin, beantragte einen Erbschein für sich oder hilfsweise für ihre Mutter als alleinige Erbin des Erblassers.
- Beklagte: Nacherben und Ersatznacherben, die die Nacherbschaft ausgeschlagen hatten.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Nach dem Tod der Vorerbin im Januar 2021 trat der Nacherbfall ein. Die Nacherben erklärten im März 2021 notariell die Ausschlagung der Nacherbschaft, deren Eingang beim Nachlassgericht sich verzögerte.
- Kern des Rechtsstreits: Der Streitpunkt war, ob die Ausschlagung der Nacherbschaft fristgerecht erfolgte und ob die Vorerbin dadurch rückwirkend zur alleinigen Vollerbin wurde.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Oberlandesgericht gab der Beschwerde der Antragstellerin im Hilfsantrag statt. Es hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf und wies an, einen Erbschein für die Mutter der Antragstellerin als alleinige Erbin des Erblassers auszustellen.
- Begründung: Das Gericht befand die Ausschlagung als fristgerecht, da die Verzögerung beim Eingang durch das Notariat eine Hemmung der Frist wegen höherer Gewalt begründete. Da alle Nach- und Ersatznacherben wirksam ausgeschlagen hatten und der Erbvertrag keine abweichende Regelung vorsah, verblieb die Erbschaft rückwirkend bei der Vorerbin.
- Folgen: Die Vorerbin (Mutter der Antragstellerin) wird als alleinige Vollerbin des Erblassers betrachtet. Die Antragstellerin ist als deren Erbin berechtigt, einen entsprechenden Erbschein zu erhalten.
Der Fall vor Gericht
OLG Saarbrücken: Verspätete Ausschlagung der Nacherbschaft bei Notarfehler doch wirksam – Ehefrau wird rückwirkend Alleinerbin
Ein komplexer Erbfall beschäftigte das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken: Im Kern ging es um die Frage, ob eine Nacherbschaft auch dann wirksam ausgeschlagen werden kann, wenn die dafür notwendige Erklärung das Nachlassgericht scheinbar zu spät erreicht.

Die Richter entschieden, dass eine Verzögerung durch das Verschulden eines Notariats als Höhere Gewalt zu werten ist und die Ausschlagungsfrist hemmen kann. Dies führte im konkreten Fall dazu, dass die ursprünglich als Vorerbin eingesetzte Ehefrau des Erblassers rückwirkend zur Vollerbin wurde, und ihre Tochter nun einen entsprechenden Erbschein beanspruchen kann.
Die Ausgangslage: Ein Erbvertrag mit Vor- und Nacherbschaft nach dem Tod des Erblassers
Der Fall nahm seinen Anfang mit dem Tod des Erblassers am 24. Februar 2011. Kurz zuvor, am 18. Februar 2011, hatte er gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Mutter der späteren Antragstellerin des Erbscheins, einen Erbvertrag geschlossen. In diesem Vertrag wurde die Ehefrau als alleinige, sogenannte befreite Vorerbin eingesetzt. Dies bedeutet, dass sie zwar Erbin wurde, aber bestimmten Beschränkungen unterlag, da nach ihrem Tod das Erbe an andere Personen, die Nacherben, fallen sollte. Als Nacherben bestimmte der Erblasser seine eigenen Kinder aus einer anderen Beziehung, die Halbgeschwister der Antragstellerin, zu gleichen Teilen. Für den Fall, dass einer dieser Nacherben vor oder nach dem Erbfall wegfallen sollte, beispielsweise durch Tod oder Ausschlagung, sollten dessen eigene Kinder als Ersatznacherben eintreten. Fehlten solche, sollte der Erbteil den übrigen Nacherben zufallen (sogenannte Anwachsung). Der Nacherbfall, also der Zeitpunkt, an dem die Nacherben das Erbe antreten sollten, wurde auf den Tod der Vorerbin festgelegt.
Genau dieser Fall trat ein, als die Ehefrau des Erblassers und Vorerbin am 7. Januar 2021 verstarb. Ihre Tochter ist laut einem Erbschein des Amtsgerichts Saarbrücken vom 3. November 2022 die alleinige Erbin ihrer Mutter. Mit dem Tod der Vorerbin ging das Erbe des ursprünglichen Erblassers nun potenziell auf dessen Kinder, die Nacherben, über.
Der Streit um die Frist: War die Ausschlagung der Nacherbschaft durch die Kinder des Erblassers rechtzeitig?
Nach dem Tod der Vorerbin sahen sich die als Nacherben eingesetzten Kinder des Erblassers (und für deren minderjährige Kinder als Ersatznacherben die mitsorgeberechtigten Elternteile) offenbar mit einem überschuldeten Nachlass konfrontiert. Sie entschieden sich daher, die Nacherbschaft auszuschlagen. Dies erklärten sie in einer notariellen Urkunde vom 19. März 2021. In dieser Urkunde gaben sie an, erst am 14. Februar 2021 vom Anfall der Nacherbschaft, also vom Tod der Vorerbin und ihrer damit verbundenen Erbenstellung, erfahren zu haben. Die Ausschlagungsfrist im Erbrecht beträgt gemäß § 1944 BGB sechs Wochen ab Kenntnis des Erbanfalls und des Grundes der Berufung zum Erben.
Gleichzeitig erklärten sie vorsorglich die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist und der darin möglicherweise liegenden Annahme der Nacherbschaft, falls die Frist bereits verstrichen sein sollte. Als Grund nannten sie die Überschuldung des Nachlasses.
Die notarielle Urkunde mit den Ausschlagungserklärungen wurde per Einschreiben mit Rückschein an das zuständige Nachlassgericht gesendet. Das Notariat versah den Umschlag am 23. März 2021 mit einem Freistempler. Laut dem Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG ging die Sendung jedoch erst am 29. März 2021 bei der Hauptpost ein. Die Empfangsbestätigung des Gerichts wurde handschriftlich auf den 30. März 2021 datiert und quittiert. Damit war die Erklärung erst an diesem Tag offiziell beim Gericht eingegangen.
Rechnete man die sechswöchige Ausschlagungsfrist ab dem 14. Februar 2021 (ein Sonntag, Fristbeginn somit Montag, der 15. Februar), so endete diese mit Ablauf des Montags, dem 29. März 2021. Der Eingang am 30. März 2021 wäre demnach verspätet gewesen.
Aufgrund dieser möglichen Fristversäumnis erklärten die Nacherben und Ersatznacherben in weiteren notariellen Urkunden vom 26. April 2021 und im Rahmen des späteren Erbscheinsantrags vom 16. September 2021 erneut die Anfechtung der Fristversäumnis und einer etwaigen Annahme der Erbschaft. Diesmal begründeten sie die Anfechtung mit einem Inhaltsirrtum: Sie seien davon ausgegangen, alles Notwendige für eine wirksame Ausschlagung getan zu haben und hätten sich über die genauen Fristen und deren mögliche Hemmung geirrt.
Die Entscheidung des Amtsgerichts: Ausschlagung verfristet, Nacherben erben
Die Tochter der verstorbenen Vorerbin beantragte daraufhin beim Nachlassgericht einen Erbschein, der sie selbst als Alleinerbin des ursprünglichen Erblassers ausweisen sollte. Hilfsweise beantragte sie einen Erbschein, der ihre verstorbene Mutter als dessen alleinige Erbin ausweist.
Das Amtsgericht – Nachlassgericht – wies den Erbscheinsantrag mit Beschluss vom 4. Mai 2023 zurück. Die Begründung: Die Ausschlagungserklärung vom 19. März 2021 sei erst am 30. März 2021 und damit nach Ablauf der sechswöchigen Frist am 29. März 2021 beim Gericht eingegangen. Somit sei die Ausschlagung verfristet und die Nacherbschaft den Kindern des Erblassers angefallen. Ein Anfechtungsgrund habe bei der ursprünglichen Ausschlagung nicht vorgelegen, da deren Wirksamkeit lediglich am fristgerechten Eingang gescheitert sei. Eine Hemmung der Frist wegen höherer Gewalt liege nicht vor. Die verspätete Postzustellung falle nicht darunter, zumal andere Wege der fristgerechten Einreichung (z.B. direkte Abgabe beim Gericht) bestanden hätten. Auch die späteren Anfechtungen seien mangels eines triftigen Anfechtungsgrundes unwirksam.
Die Beschwerde der Tochter: Ziel ist Alleinerbschaft der verstorbenen Mutter durch wirksame Ausschlagung oder Anfechtung
Gegen diesen Beschluss legte die Tochter der Vorerbin am 30. Mai 2023 Beschwerde ein. Sie argumentierte weiterhin, dass die Ausschlagung rechtzeitig erfolgt sei. Sie vertrat die Ansicht, dass entweder das Erstellungsdatum des Auslieferungsbelegs der Post (29. März 2021) oder der Zeitpunkt der Abholbereitschaft der Sendung bei der Hauptpost für den fristgerechten Eingang maßgeblich sein müsse. Jedenfalls sei die Fristversäumung wegen Inhaltsirrtums wirksam angefochten worden, da die ausschlagenden Nacherben irrig von einem rechtzeitigen Eingang ihrer Erklärung ausgegangen seien. Später korrigierte sie den von ihr angegebenen Nachlasswert auf mindestens 755.000 Euro. Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht Saarbrücken zur Entscheidung vor.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken: Hilfsantrag erfolgreich, Mutter wird durch wirksame Ausschlagung der Nacherben rückwirkend Alleinerbin
Das Oberlandesgericht Saarbrücken gab der Beschwerde der Tochter mit Beschluss vom 21. August 2024 statt – allerdings nur bezogen auf ihren Hilfsantrag. Das Gericht hob den Beschluss des Amtsgerichts auf und stellte fest, dass die Tatsachen für die Erteilung eines Erbscheins, der die verstorbene Mutter der Antragstellerin als alleinige Erbin des ursprünglichen Erblassers ausweist, als erwiesen anzusehen sind. Das Nachlassgericht wurde angewiesen, diesen Erbschein nach Rechtskraft des Beschlusses zu erteilen.
Die detaillierte Begründung des OLG: Warum die Ausschlagung trotz verspäteten Eingangs wirksam war
Das OLG begründete seine Entscheidung ausführlich. Die Vorerbin (die Mutter der Antragstellerin) war durch den Erbvertrag zunächst nur beschränkt Erbin geworden, da Nacherben eingesetzt waren (§ 2100 BGB). Diese Beschränkung sei jedoch, so das OLG, durch die wirksame Ausschlagung der Nacherbschaft durch die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge (die Ersatznacherben) weggefallen.
Fristgerechtigkeit der Ausschlagung entscheidend für das Erbe
Der Knackpunkt war die Fristgerechtigkeit der Ausschlagungserklärung vom 19. März 2021.
- Fristbeginn: Die sechswöchige Ausschlagungsfrist beginnt gemäß § 1944 Abs. 2 BGB mit der Kenntnis des Erben vom Anfall der Erbschaft und dem Grund seiner Berufung. Bei einer Nacherbschaft ist dies die Kenntnis vom Eintritt des Nacherbfalls, also dem Tod des Vorerben. Die Nacherben hatten angegeben, am 14. Februar 2021 vom Tod der Vorerbin erfahren zu haben. Das Gericht sah keine Anhaltspunkte für eine frühere Kenntnis. Die Frist begann somit an diesem Tag.
- Fristende: Unter Berücksichtigung der Wochenendregelung (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 S. 1, 193 BGB) endete die Frist am Montag, dem 29. März 2021.
- Zugang beim Gericht: Die Ausschlagungserklärung ging unstreitig erst am 30. März 2021 beim Nachlassgericht ein. Maßgeblich ist das handschriftlich quittierte Datum des Zugangs beim Gericht, nicht der Eingang bei der Hauptpost oder ein dort gedrucktes Datum. Die von der Tochter der Vorerbin angeführten Grundsätze der „Demnächst-Zustellung“ nach § 167 Zivilprozessordnung (ZPO) sind auf das Wirksamwerden einer Willenserklärung unter Abwesenden wie einer Ausschlagung nicht anwendbar.
Hemmung der Ausschlagungsfrist durch höhere Gewalt wegen Notarfehlers
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war die Frist hier jedoch ausnahmsweise als gewahrt anzusehen. Das OLG sah die Voraussetzungen einer Fristhemmung wegen höherer Gewalt gemäß § 1944 Abs. 2 S. 3 BGB in Verbindung mit § 206 BGB als erfüllt an. Höhere Gewalt liegt vor, wenn eine Verhinderung auch durch die äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Bereits geringstes Verschulden des Ausschlagenden schließt höhere Gewalt aus.
Das Gericht führte aus, dass eine fehlerhafte Behandlung der Angelegenheit durch eine amtliche Stelle oder Behörde – hier den beauftragten Notar – höhere Gewalt darstellen kann. Die ausschlagenden Nacherben durften sich darauf verlassen, dass der von ihnen mit der Einreichung der Ausschlagungserklärung beauftragte Notar diesen Auftrag sorgfältig und gewissenhaft ausführen würde. Der Notar oder seine Mitarbeiter (deren Verschulden dem Notar zuzurechnen ist, § 278 BGB) sind dieser Pflicht nach Aktenlage jedoch schuldhaft nicht nachgekommen.
Die notarielle Urkunde wurde am 19. März 2021 (ein Freitag) aufgenommen. Trotz der bereits fortgeschrittenen Ausschlagungsfrist wurde die Erklärung aber erst am Dienstag, dem 23. März 2021, vom Notariat mit einem Freistempler versehen und versandt. Offensichtlich wurde sie auch dann nicht zeitnah an die Post weitergeleitet, da sie erst am letzten Tag der Frist, dem 29. März 2021, bei der Hauptpost einging. Das OLG stellte fest: Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch das Notariat hätte die Ausschlagungserklärung das Amtsgericht spätestens am Freitag, dem 26. März 2021, erreichen müssen. Die schuldhafte Verzögerung durch das Notariat wertete das Gericht als höhere Gewalt. Diese höhere Gewalt habe die Ausschlagungsfrist spätestens ab dem 26. März 2021 bis zum tatsächlichen Eingang der Erklärung beim Gericht am 30. März 2021 gehemmt. Folglich war die Ausschlagungsfrist bei Eingang der Erklärung noch nicht abgelaufen.
Keine vorherige Annahme der Erbschaft durch die Nacherben
Die Ausschlagung war auch nicht deshalb unwirksam, weil die Nacherben die Erbschaft möglicherweise schon vorher angenommen hätten (§ 1943 BGB). Eine Annahme durch schlüssiges Verhalten setzt eine nach außen erkennbare Handlung voraus, aus der objektiv und eindeutig der Wille zur endgültigen Übernahme des Nachlasses hervorgeht. Die bloße Wahrnehmung von Rechten oder Pflichten, die Nacherben während der Vorerbschaft haben (z.B. die Beantwortung gerichtlicher Anfragen zur Nachlasshöhe), stellt keine solche Annahme dar. Anhaltspunkte für andere Handlungen, die einen Annahmewillen belegen könnten, lagen nicht vor.
Rechtsfolgen der wirksamen Ausschlagung: Die Vorerbin wird rückwirkend Vollerbin
Da die Ausschlagung der Nacherbschaft durch alle eingesetzten Nacherben und auch durch deren Ersatznacherben wirksam war, greift die gesetzliche Regelung des § 2142 Abs. 2 BGB. Diese Norm besagt, dass die Erbschaft im Zweifel bei der Vorerbin verbleibt, wenn der Nacherbe die Erbschaft ausschlägt und der Erblasser keine andere Regelung getroffen hat. Die Vorerbin wird dann rückwirkend so gestellt, als wäre sie von Anfang an uneingeschränkte Vollerbin gewesen.
Das Gericht prüfte durch Auslegung des Erbvertrags, ob der Erblasser eine solche anderweitige Regelung für den Fall getroffen hatte, dass alle Nacherben und Ersatznacherben die Erbschaft ausschlagen. Der Erbvertrag enthielt zwar Regelungen für den Fall des Wegfalls einzelner Nacherben (Ersatznacherbfolge, Anwachsung unter den verbleibenden Nacherben). Dies zeigte, dass der Erblasser bei Wegfall einzelner Nacherben nicht wollte, dass deren Erbteil bei der Vorerbin verbleibt. Der Erbvertrag enthielt jedoch keine Regelung für den Fall, dass alle Nach- und Ersatznacherben die Erbschaft ausschlagen. Es konnte auch kein anderweitiger Wille des Erblassers festgestellt werden, etwa dass dann andere Personen erben sollten. Mangels einer solchen Bestimmung im Erbvertrag griff die gesetzliche Vermutung des § 2142 Abs. 2 BGB: Die Erbschaft ist an die Vorerbin (die Mutter der Antragstellerin) zurückgefallen, die dadurch rückwirkend zur Vollerbin wurde.
Ergebnis und Auswirkungen für die Erbin: Erbschein für verstorbene Mutter wird erteilt
Da die Mutter der Antragstellerin somit rückwirkend alleinige Vollerbin des ursprünglichen Erblassers geworden ist und die Antragstellerin wiederum Alleinerbin ihrer Mutter ist (sogenannte Erbeserbin), ist sie berechtigt, einen Erbschein auf den Namen ihrer verstorbenen Mutter zu beantragen. Die vom Amtsgericht geprüften Anfechtungserklärungen der Nacherben mussten vom OLG nicht mehr bewertet werden, da die Ausschlagung bereits aufgrund der Fristhemmung durch höhere Gewalt als fristgerecht und wirksam angesehen wurde.
Weitere Entscheidungen des Gerichts: Kosten und Rechtsmittel
Das Beschwerdeverfahren vor dem OLG ist gerichtsgebührenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der Beteiligten wurde nicht angeordnet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof sah das OLG nicht als gegeben an. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wurde auf 755.000 Euro festgesetzt, basierend auf dem von der Tochter der Vorerbin angegebenen Nachlasswert und ihrem erfolgreichen Hilfsantrag.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt, dass eine durch Notar verschuldete Verspätung der Ausschlagungserklärung als höhere Gewalt zu werten ist, wodurch die Ausschlagungsfrist gehemmt wird. Durch die wirksame Ausschlagung einer Nacherbschaft kann die ursprüngliche Vorerbin rückwirkend zur uneingeschränkten Vollerbin werden, wenn der Erblasser keine spezielle Regelung für diesen Fall getroffen hat. Die Entscheidung verdeutlicht die praktische Bedeutung der Fristhemmung im Erbrecht und unterstreicht, dass ein Notarfehler nicht zu Lasten der Erben gehen darf.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „höhere Gewalt“ im Zusammenhang mit der Ausschlagungsfrist einer Erbschaft?
Im Erbrecht haben Sie in der Regel sechs Wochen Zeit, eine Erbschaft auszuschlagen. Diese Frist beginnt zu laufen, sobald Sie vom Anfall der Erbschaft und dem Grund Ihrer Berufung als Erbe erfahren haben. Was aber, wenn Sie diese Frist wegen eines unvorhergesehenen und schwerwiegenden Ereignisses nicht einhalten können? Hier kommt der Begriff der „höheren Gewalt“ ins Spiel.
Höhere Gewalt bezeichnet im juristischen Sinn ein von außen kommendes Ereignis, das nicht vorhersehbar war und auch durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Es handelt sich um außergewöhnliche Vorkommnisse, die außerhalb Ihres persönlichen Einflussbereichs liegen.
Wichtig ist zu verstehen: Höhere Gewalt verlängert nicht automatisch die ursprüngliche sechswöchige Ausschlagungsfrist. Wenn Sie die Frist aufgrund eines solchen Ereignisses verpassen, kann dies aber unter bestimmten Umständen bedeuten, dass Sie die zuvor eingetretene Annahme oder Nichtausschlagung der Erbschaft nachträglich anfechten können. Sie können dann erklären, dass Sie die Erbschaft doch ausschlagen wollten, aber durch die höhere Gewalt daran gehindert wurden.
Welche Ereignisse können höhere Gewalt sein?
Ob ein Ereignis als höhere Gewalt anerkannt wird, hängt immer vom Einzelfall und den genauen Umständen ab. Es muss wirklich unabwendbar gewesen sein und Sie konkret daran gehindert haben, die Ausschlagung fristgerecht zu erklären.
- Beispiele, die im Erbrecht als höhere Gewalt anerkannt werden könnten (dies ist keine abschließende Liste und hängt stark vom konkreten Fall ab):
- Eine plötzliche, schwere Erkrankung, die Sie handlungsunfähig macht (z.B. Koma, Not-OP), und es Ihnen oder einem Bevollmächtigten unmöglich macht, die Ausschlagung zu erklären.
- Eine Naturkatastrophe (z.B. Hochwasser, Erdbeben), die Ihre Kommunikation oder Reisefähigkeit zur zuständigen Stelle (Nachlassgericht) über die gesamte Frist hinweg vollständig unterbindet.
- Ein schwerer Unfall, der Sie arbeitsunfähig macht und Sie daran hindert, sich rechtzeitig um die Erbschaftsangelegenheiten zu kümmern.
Was ist keine höhere Gewalt?
Viele alltägliche Schwierigkeiten oder persönliche Umstände gelten nicht als höhere Gewalt:
- Vergessen der Frist oder Unkenntnis über die Frist.
- Normale Reiseschwierigkeiten oder Zeitmangel.
- Leichte oder mittelschwere Erkrankungen, die es Ihnen noch ermöglichen, die nötigen Schritte zu unternehmen oder jemanden zu bevollmächtigen.
- Allgemeine Überforderung mit der Situation.
Der Unterschied liegt darin, ob das Ereignis Sie objektiv und unabwendbar daran gehindert hat, die Frist einzuhalten, oder ob die Einhaltung trotz Schwierigkeiten möglich gewesen wäre.
Wie muss höhere Gewalt nachgewiesen werden?
Wenn Sie sich auf höhere Gewalt berufen, um eine Fristversäumnis bei der Erbschaftsausschlagung zu korrigieren, müssen Sie das Vorliegen dieses Ereignisses und den Zusammenhang zur Fristversäumnis nachweisen. Das bedeutet, Sie müssen dem Gericht darlegen, welches Ereignis eingetreten ist, wann es geschah und warum es Ihnen trotz aller Bemühungen unmöglich gemacht hat, die Ausschlagung fristgerecht zu erklären. Dazu sind in der Regel Beweismittel wie ärztliche Atteste, Gutachten oder Bestätigungen von Behörden nötig.
Die Anforderungen an den Nachweis sind oft streng, da die gesetzlichen Fristen grundsätzlich eingehalten werden müssen, um Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Wie wirkt sich ein Notarfehler auf die Einhaltung der Ausschlagungsfrist einer Erbschaft aus?
Wenn Sie eine Erbschaft ausschlagen möchten, also nicht annehmen wollen, gibt es dafür eine gesetzlich festgelegte Frist. Diese Frist ist in der Regel sechs Wochen ab dem Zeitpunkt, zu dem Sie von der Erbschaft erfahren und wissen, wer der Erbe ist. Es ist sehr wichtig, diese Frist einzuhalten.
Die Rolle des Notars und seine Pflichten
Ein Notar hat bei seiner Tätigkeit eine besondere Sorgfaltspflicht. Das bedeutet, er muss sehr genau arbeiten, alle Beteiligten richtig über ihre Rechte und Pflichten aufklären und sicherstellen, dass alles seine gesetzliche Ordnung hat. Wenn Sie zum Beispiel eine Ausschlagungserklärung bei einem Notar beurkunden lassen, gehört es zu seiner Aufgabe, Sie über die Frist zur Ausschlagung zu informieren und die Erklärung rechtzeitig an das zuständige Nachlassgericht weiterzuleiten.
Wenn ein Notarfehler passiert
Stellen Sie sich vor, ein Notar macht einen Fehler, der dazu führt, dass Ihre Ausschlagungserklärung nicht rechtzeitig beim Gericht ankommt oder falsch formuliert ist. Dieser Notarfehler kann dazu führen, dass die gesetzliche Ausschlagungsfrist für Sie unverschuldet abläuft, obwohl Sie eigentlich rechtzeitig handeln wollten.
Die Frage ist dann, ob dieser Fehler dazu führt, dass Sie die Erbschaft trotzdem automatisch annehmen müssen, nur weil die Frist formal verstrichen ist.
Möglichkeit, eine versäumte Frist nachzuholen
Das Gesetz sieht unter bestimmten, sehr strengen Voraussetzungen eine Möglichkeit vor, eine Frist nachträglich einzuhalten, wenn Sie die Frist unverschuldet versäumt haben. Das bedeutet, Sie haben die Frist nicht wegen eigener Nachlässigkeit verpasst, sondern weil ein unerwartetes Ereignis oder ein Fehler eines Dritten (wie hier möglicherweise ein Notar) dazu geführt hat, obwohl Sie selbst alle zumutbare Sorgfalt angewendet haben.
Wenn ein Notarfehler der Grund dafür war, dass Sie die Ausschlagungsfrist verpasst haben, kann dies unter Umständen dazu führen, dass Sie diese Möglichkeit nutzen können, um die Ausschlagung doch noch wirksam zu erklären.
Auswirkungen und weitere Schritte bei einem Notarfehler
Ein Notarfehler kann für Sie finanzielle Folgen haben, insbesondere wenn Sie wegen der versäumten Frist eine verschuldete Erbschaft annehmen mussten. Notare haften für Fehler, die sie schuldhaft begehen und durch die anderen ein Schaden entsteht. Notare sind für solche Fälle versichert.
Ob ein Notarfehler vorliegt und welche genauen Auswirkungen er auf Ihre persönliche Situation und die Einhaltung der Ausschlagungsfrist hat, hängt immer vom Einzelfall ab. Es kommt darauf an, welcher Fehler genau passiert ist, wie sehr der Notar seine Pflicht verletzt hat und wie sorgfältig Sie selbst gehandelt haben.
Wichtiger Hinweis:
Das deutsche Recht ist komplex. Die hier gegebenen Informationen sind allgemeiner Natur und dienen nur dem grundsätzlichen Verständnis.
Welche Konsequenzen hat es, wenn die Ausschlagungsfrist einer Erbschaft versäumt wird?
Wenn Sie eine Erbschaft erhalten, haben Sie grundsätzlich die Möglichkeit, diese auszuschlagen. Das bedeutet, Sie lehnen die Erbschaft ab und werden nicht Erbe. Dafür gibt es eine bestimmte Frist. In den meisten Fällen beträgt diese Frist sechs Wochen. Sie beginnt, sobald Sie vom Erbfall und Ihrer Berufung als Erbe erfahren haben.
Wird diese Frist versäumt, gilt die Erbschaft als angenommen. Dies geschieht automatisch, ohne dass Sie etwas dafür tun müssen. Man spricht hier von einer konkludenten Annahme oder Fristversäumnis als Annahme.
Was bedeutet die automatische Annahme der Erbschaft konkret?
Die Annahme der Erbschaft hat weitreichende Folgen:
- Sie werden rechtlich bindend Erbe: Sie können die Erbschaft nun nicht mehr einfach ablehnen.
- Sie treten in die Fußstapfen des Verstorbenen: Das bedeutet, Sie übernehmen nicht nur das Vermögen (wie Geld, Immobilien, Wertgegenstände), sondern auch die Pflichten und Schulden des Erblassers.
- Haftung für Schulden: Dies ist oft die bedeutendste Konsequenz. Als Erbe haften Sie grundsätzlich nicht nur mit dem geerbten Vermögen, sondern auch mit Ihrem eigenen privaten Vermögen für die sogenannten Nachlassverbindlichkeiten (Schulden, aber auch Bestattungskosten, Pflichtteilsansprüche etc.). Stellen Sie sich vor, der Verstorbene hatte hohe Schulden, die das vorhandene Vermögen übersteigen. In diesem Fall könnten Sie gezwungen sein, die Schulden aus Ihrem eigenen Geld zu begleichen.
Die automatische Annahme bindet Sie also vollständig an die Erbschaft mit allen Rechten und Pflichten.
Gibt es Möglichkeiten, die automatische Annahme anzufechten?
Auch wenn die Frist zur Ausschlagung versäumt wurde und die Erbschaft als angenommen gilt, gibt es in bestimmten Ausnahmefällen noch eine Möglichkeit, sich von dieser Annahme zu lösen: die Anfechtung der Annahme.
Eine solche Anfechtung ist jedoch nur unter bestimmten, im Gesetz festgelegten Voraussetzungen möglich. Typische Gründe für eine Anfechtung sind:
- Irrtum: Wenn Sie sich zum Beispiel über wesentliche Eigenschaften der Erbschaft geirrt haben, etwa über die Höhe der Schulden, die Ihnen bei Fristablauf nicht bekannt waren. Ein einfacher „Motivirrtum“ (Sie ärgern sich nachträglich über die Annahme) reicht in der Regel nicht aus.
- Täuschung oder Drohung: Wenn Sie zur Annahme (oder zur Nicht-Ausschlagung) durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung bestimmt wurden.
Auch für die Anfechtung gibt es eine Frist, die ebenfalls sechs Wochen beträgt. Diese Frist beginnt, sobald Sie von dem Anfechtungsgrund (z.B. dem Irrtum über die Schulden) erfahren haben. Die Anfechtung muss gegenüber dem zuständigen Nachlassgericht erklärt werden.
Gelingt die Anfechtung, wird die Annahme rückwirkend als unwirksam betrachtet. Sie gelten dann so, als hätten Sie die Erbschaft nie angenommen und sind somit auch nicht für die Schulden haftbar.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Das Versäumen der Ausschlagungsfrist führt zur automatischen Annahme der Erbschaft mit der weitreichenden Konsequenz, dass Sie als Erbe für die Schulden des Verstorbenen haften können, unter Umständen auch mit Ihrem privaten Vermögen. Die Anfechtung der Annahme ist eine Notlösung für bestimmte Ausnahmefälle, die ebenfalls fristgebunden ist und nur bei Vorliegen gesetzlicher Gründe möglich ist.
Was ist der Unterschied zwischen Vorerbschaft und Vollerbschaft und welche Auswirkungen hat dies auf die Erben?
Wenn jemand stirbt und Vermögen hinterlässt, gibt es verschiedene Wege, wie dieses Vermögen an die Erben übergeht. Die häufigste Form ist die Vollerbschaft. Hier wird die Person, die erbt, zum vollen und alleinigen Eigentümer des geerbten Vermögens.
Vollerbschaft: Das übliche Erbe
Bei der Vollerbschaft tritt der Erbe rechtlich vollständig in die Fußstapfen des Verstorbenen. Das bedeutet, der Erbe übernimmt nicht nur das Vermögen (wie Immobilien, Geld, Wertgegenstände), sondern auch mögliche Schulden. Der Vollerbe kann grundsätzlich frei über das geerbte Vermögen verfügen. Er kann es verkaufen, verschenken, verbrauchen oder damit machen, was er möchte – so, als hätte er es selbst erwirtschaftet. Diese Form der Erbschaft ist der Regelfall, wenn im Testament nichts anderes bestimmt ist oder die gesetzliche Erbfolge eintritt.
Vorerbschaft: Erben mit Bedingungen und für eine bestimmte Zeit
Die Vorerbschaft ist eine besondere Anordnung, die meist durch ein Testament festgelegt wird. Hierbei setzt der Verstorbene eine Person zunächst als Vorerben ein. Dieser Vorerbe erhält das Vermögen, aber nur für einen bestimmten Zeitraum oder bis ein bestimmtes Ereignis eintritt (oft der Tod des Vorerben). Gleichzeitig bestimmt der Verstorbene eine weitere Person, den sogenannten Nacherben. Der Nacherbe erbt das Vermögen erst, nachdem die Vorerbschaft beendet ist.
Man könnte es vergleichen mit einem Haus, das jemand zunächst nur nutzen darf (Vorerbe), mit der klaren Bestimmung, dass es danach jemand anderem (dem Nacherben) gehört.
Wichtige Unterschiede und die Folgen
Der entscheidende Unterschied liegt in der Verfügungsgewalt über das geerbte Vermögen:
- Vollerbe: Kann grundsätzlich frei über das Erbe verfügen.
- Vorerbe: Ist in seiner Verfügungsfreiheit stark eingeschränkt. Der Grund dafür ist, dass das Erbe in seinem Wert für den Nacherben erhalten bleiben soll.
Für den Vorerben bedeutet dies konkret:
- Der Vorerbe darf das Vermögen nutzen und die Erträge daraus (z.B. Mieten, Zinsen) behalten.
- Bestimmte Handlungen, die den Wert des Erbes für den Nacherben mindern würden, sind dem Vorerben verboten oder nur mit Zustimmung des Nacherben möglich. Dazu gehört beispielsweise der Verkauf von Grundstücken oder die Schenkung von Vermögenswerten.
- Der Vorerbe muss das Erbe ordentlich verwalten.
- Wenn die Vorerbschaft endet (z.B. durch den Tod des Vorerben), muss der Vorerbe oder seine Erben das noch vorhandene Erbe an den Nacherben herausgeben.
Es gibt auch die sogenannte befreite Vorerbschaft. Hierbei kann der Verstorbene im Testament festlegen, dass der Vorerbe von einigen dieser Beschränkungen befreit ist. Doch auch bei der befreiten Vorerbschaft gibt es Grenzen; der Vorerbe darf das Erbe beispielsweise nicht einfach verschenken, wenn dies den Nacherben benachteiligen würde.
Für den Nacherben bedeutet die Vorerbschaft:
- Er hat eine Anwartschaft auf das Erbe. Er wird erst Erbe, wenn die Vorerbschaft endet.
- Der Nacherbe hat bestimmte Rechte, um sicherzustellen, dass der Vorerbe das Erbe nicht verschwendet oder mutwillig zerstört. Er kann unter Umständen Auskunft über den Zustand des Nachlasses verlangen.
Die Anordnung einer Vorerbschaft und Nacherbschaft dient oft dazu, das Vermögen über Generationen hinweg im Familienbesitz zu halten oder bestimmte Personen nacheinander zu begünstigen. Für die beteiligten Personen hat dies erhebliche praktische Auswirkungen, da die Rechte und Pflichten des Vorerben stark von denen eines Vollerben abweichen.
Wie berechnet sich die sechswöchige Ausschlagungsfrist und wann beginnt sie zu laufen?
Wenn Sie ein Erbe ausschlagen möchten, haben Sie dafür grundsätzlich nur sechs Wochen Zeit. Diese Frist ist sehr wichtig, denn wenn Sie sie verpassen, gelten Sie automatisch als Erbe mit allen Rechten und Pflichten.
Die Frist beginnt nicht einfach mit dem Tod des Erblassers. Sie startet erst, wenn Sie sicher erfahren, dass Sie Erbe geworden sind. Man spricht von der Kenntnis vom Erbfall. Wenn das Erbe durch ein Testament oder einen Erbvertrag geregelt ist, beginnt die Frist sogar erst, wenn Ihnen diese Verfügung vom Gericht amtlich bekannt gegeben wurde.
Die Fristberechnung folgt bestimmten Regeln. Der Tag, an dem die Frist beginnt (also der Tag, an dem Sie vom Erbfall erfahren oder die gerichtliche Mitteilung erhalten), zählt nicht mit. Die Zählung der sechs Wochen startet am nächsten Tag. Wenn Sie also zum Beispiel an einem Montag vom Erbfall erfahren, ist dieser Montag der Starttag, gezählt wird aber erst ab Dienstag. Das Fristende ist dann sechs Wochen später ebenfalls ein Montag.
Fällt das Ende der sechs Wochen auf einen Samstag, Sonntag oder einen gesetzlichen Feiertag in dem Bundesland, in dem Sie die Ausschlagung abgeben, verschiebt sich das Fristende automatisch auf den nächsten Werktag.
Wichtig ist, dass Ihre Erklärung zur Ausschlagung innerhalb der sechs Wochen beim zuständigen Nachlassgericht eingeht. Es reicht nicht aus, wenn Sie die Erklärung nur rechtzeitig absenden. Sie muss vor Fristablauf beim Gericht sein.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Nacherbschaft
Die Nacherbschaft ist eine besondere Form der Erbschaft, bei der ein Erbe (der Vorerbe) das Erbe zunächst nur vorläufig erhält, während ein späterer Erbe (der Nacherbe) das Erbe erst nach einem bestimmten Ereignis, meist dem Tod des Vorerben, endgültig erhält. Der Nacherbe tritt also erst nach Beendigung der Vorerbschaft in die Rechte und Pflichten des Erblassers ein. Die Nacherbschaft dient häufig dazu, das Vermögen über mehrere Generationen im Familienbesitz zu halten. Im Fall wurde die Ausschlagungsfrist der Nacherbschaft problematisch, da die Nacherben die Erbschaft nicht rechtzeitig erwerben wollten.
Beispiel: Ein Vater setzt seine Ehefrau als Vorerbin ein und seine Kinder als Nacherben. Die Ehefrau darf das Erbe lebenslang nutzen, die Kinder erhalten das Erbe erst nach ihrem Tod.
Ausschlagungsfrist
Die Ausschlagungsfrist ist die gesetzlich festgelegte Zeitspanne, innerhalb derer ein Erbe erklären muss, dass er das Erbe ablehnt (ausschlägt). Nach § 1944 BGB beträgt diese Frist in der Regel sechs Wochen und beginnt mit der Kenntnis des Erben vom Anfall und Grund der Erbschaft. Wird die Frist versäumt, gilt die Erbschaft als angenommen. Für die Wirksamkeit der Ausschlagung ist entscheidend, dass die Erklärung rechtzeitig beim Nachlassgericht eingeht. Im Text war entscheidend, ob die Ausschlagungserklärung trotz vermeintlich verspätetem Eingang wirksam war.
Beispiel: Kennt ein Erbe erst am 1. Mai vom Erbfall, muss er bis spätestens 12. Juni beim Gericht die Ausschlagungserklärung abgeben, sonst gilt das Erbe als angenommen.
Höhere Gewalt
Höhere Gewalt bezeichnet ein unvorhersehbares, von außen kommendes Ereignis, das auch durch äußerste zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden kann, und das die Einhaltung gesetzlicher Fristen verhindert. Im Erbrecht kann höhere Gewalt dazu führen, dass eine Ausschlagungsfrist gehemmt wird, das heißt, die Frist wird für die Dauer des Ereignisses nicht angerechnet (§ 1944 Abs. 2 BGB). Im vorliegenden Fall erkannte das Oberlandesgericht eine schuldhafte Verzögerung durch den Notar als höhere Gewalt an, weil das Verschulden des Notars dem Ausschlagenden zuzurechnen war (§ 278 BGB), und wertete das als Fristhemmung.
Beispiel: Eine Flut zerstört viereinhalb Wochen vor Fristende sämtlichen Postverkehr, sodass eine Erklärung erst nach Fristablauf beim Gericht eingeht – hier kann die Frist wegen höherer Gewalt verlängert werden.
Erbschein
Ein Erbschein ist ein amtliches Dokument, das gegenüber Dritten bestätigt, wer Erbe oder Miterbe eines Verstorbenen ist und welche Rechte ihm zustehen (§ 2353 BGB). Er wird vom Nachlassgericht auf Antrag ausgestellt und schafft Rechtssicherheit im Umgang mit dem Nachlass (z.B. bei Banken, Grundbuchämtern). Im beschriebenen Fall beantragte die Tochter der Ehefrau einen Erbschein, der die verstorbene Mutter als Alleinerbin des ursprünglichen Erblassers ausweist, um deren Erbenstellung zu legitimieren.
Beispiel: Nach dem Tod eines Elternteils beantragt das Kind einen Erbschein, um die Bankkonten des Verstorbenen auf seinen Namen umschreiben zu lassen.
Inhaltsirrtum
Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn jemand zwar weiß, was er erklärt, aber über den rechtlichen Inhalt oder die Tragweite seiner Erklärung im Irrtum ist (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Er kann die Anfechtung einer Willenserklärung begründen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Im Fall versuchten die Nacherben, eine verspätete Ausschlagung aufgrund eines Irrtums über die Frist und deren Hemmung anzufechten, was aber vom Amtsgericht nicht akzeptiert wurde. Das Oberlandesgericht bewertete dies nicht mehr, weil die Frist rechtlich wegen höherer Gewalt gewahrt war.
Beispiel: Jemand unterschreibt einen Vertrag, glaubt aber fälschlich, dass nur unverbindliche Absichtserklärungen getroffen werden – hier könnte ein Inhaltsirrtum vorliegen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 1944 BGB (Ausschlagungsfrist): Regelt die Frist von sechs Wochen für die Ausschlagung einer Erbschaft ab Kenntnis vom Erbanfall und Berufungsgrund. Die Frist dient der Rechtssicherheit und gibt dem Erben eine angemessene Bedenkzeit. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Entscheidend für die Wirksamkeit der Ausschlagung der Nacherbschaft durch die Kinder war, ob die Frist eingehalten wurde, da bei Fristversäumnis die Erbschaft automatisch angenommen gilt.
- § 1944 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 206 BGB (Fristhemmung wegen höherer Gewalt): Ermöglicht die Hemmung der Ausschlagungsfrist, wenn ein unvorhersehbares, äußerstes Ereignis trotz gebotener Sorgfalt die Einhaltung der Frist verhindert. Höhere Gewalt umfasst auch schuldhafte Fehler von Behörden oder Beauftragten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das OLG stellte fest, dass die schuldhafte Verzögerung durch das Notariat als höhere Gewalt zu werten ist, wodurch die Ausschlagungsfrist gehemmt und die Ausschlagung trotz scheinbar verspäteten Zugangs wirksam wurde.
- § 2100 BGB (Vorerbe und Nacherbe): Definiert die besondere Erbfolge mit Vorerben, die das Vermögen nur beschränkt nutzen dürfen, da die Nacherben das Erbe später erhalten sollen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Ehefrau war als befriedete Vorerbin eingesetzt; durch die Ausschlagung der Nacherbschaft fallen alle Rechte an der Erbschaft auf sie als Vollerbin zurück.
- § 2142 Abs. 2 BGB (Wirkung der Ausschlagung der Nacherbschaft): Bestimmt, dass die Erbschaft bei wirksamer Ausschlagung durch alle Nacherben an den Vorerben zurückfällt, sofern kein anderslautender Wille des Erblassers besteht. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Mangels abweichender Regelung im Erbvertrag wurde die Ehefrau durch die wirksame Ausschlagung rückwirkend zur Vollerbin, sodass die Tochter einen Erbschein für sie beantragen kann.
- § 278 BGB (Zurechnung des Verschuldens von Erfüllungsgehilfen): Verschulden eines Beauftragten, wie etwa eines Notars, wird dem Verpflichteten zugerechnet, wenn dieser dessen Tätigkeit zu vertreten hat. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das schuldhafte Versäumnis des Notariats bei der fristgerechten Weiterleitung der Ausschlagungserklärung ist dem Notar zuzurechnen und begründet die Fristhemmung durch höhere Gewalt.
- § 1943 BGB (Annahme der Erbschaft durch schlüssiges Verhalten): Eine Erbschaft kann auch durch ausdrückliches oder konkludentes Verhalten angenommen werden, das den ausdrücklichen Willen zur Übernahme des Nachlasses zeigt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das OLG sah keine Anhaltspunkte für eine Annahme der Nacherbschaft durch schlüssiges Verhalten der Nacherben, womit die Ausschlagung nicht unwirksam wurde.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 W 46/24 – Beschluss vom 21.08.2024
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