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Inkrafttreten Testament nach Wegfall der Bindungswirkung eines Erbvertrags

OLG Düsseldorf – Az.: I-3 Wx 35/19 – Beschluss vom 31.03.2020

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 vom 8. Nov. 2018 wird der Einziehungsbeschluss des Amtsgerichts Geldern – Nachlassgericht – vom 17. Okt. 2018 aufgehoben.

Gründe

I.

Die Beteiligten sind die Ehefrau und die Tochter des Enkels Ralf der Erblasserin.

Die Erblasserin hatte mit ihrem am 24. Okt. 1968 verstorbenen Ehemann am 7. Okt. 1963 – UR.Nr. 1475/1963 des Notars Dr. D… in Geldern – einen Erbvertrag geschlossen, in dem sich die Eheleute gegenseitig zu Erben eingesetzt hatten.

Mit weiterem Erbvertrag vom 4. Aug. 1964 – UR.Nr. 1122/1964 dieses Notars – haben sie den Erbvertrag von 1963 in vollem Umfang aufrechterhalten. Der Überlebende hat sodann die bei der Beurkundung anwesende gemeinsame Tochter Gertrud zur alleinigen Erbin eingesetzt. Weiter ist verfügt, der gemeinsame Sohn Josef solle nach dem Tod der Eltern keine Ansprüche an den Nachlass stellen können, weil er bereits bei Lebzeiten der Eltern durch Zuwendungen von ihnen abgefunden sei.

Mit privatschriftlichem Testament vom 17. Mai 1982 hat die Erblasserin nach dem Tode ihres Ehemannes ihren Sohn Josef zu ihrem alleinigen Vorerben bestimmt. Er sollte an die Tochter Gertrud 15.000 DM zahlen. Nacherbe sollte dessen Sohn/ihr Enkel Ralf sein.

Mit notarieller Urkunde vom 24. Mai 1982 – UR.Nr. 933/1982 des Notars Dr. T… in Geldern – hat die Erblasserin mit ihrer Tochter Gertrud, diese vertreten durch ihren Sohn Josef, einen Erbverzichtsvertrag und eine Abfindungsvereinbarung geschlossen. Danach hat Gertrud gegenüber der Erblasserin auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichtet und den Verzicht auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht erstreckt. Die Gültigkeit des Verzichts sollte davon abhängen, dass Josef an die beiden Töchter von Gertrud, Hannelore und Dorothea, je einen Betrag von 7.500 DM zahlt. Dies ist geschehen.

Nach dem Tode der Erblasserin am 10. Mai 1988 ist deren Sohn Josef am 20. Juli 1989 ein Erbschein als alleiniger Vorerbe erteilt worden mit dem Zusatz, Nacherbe sei der Enkel der Erblasserin Ralf.

Ralf ist zwischen dem 8. und dem 11. Nov. 1999 verstorben. Die Beteiligte zu 1 ist seine Ehefrau, die Beteiligte zu 2 seine Tochter, Erbschein vom 2. Febr. 2000. Sie haben ihn zu je ½ beerbt. Josef verstarb am 9. Juli 2001.

Die Beteiligten zu 1 und 2 haben auf ihren Antrag am 21. März 2002 einen gemeinschaftlichen Erbschein erhalten, wonach sie – infolge des Todes des Vorerben Josef – zu je ½ Nacherbinnen der Erblasserin geworden sind.

Mit Schreiben vom 5. Juli 2018 hat der Amtsnachfolger der Notare Dr. D… und Dr. T…, Notar Dr. O…, den Erbvertrag vom 4. Aug. 1964 dem Nachlassgericht mit der Begründung abgeliefert, „aufgrund des Alters der Eheleute … gehe ich davon aus, dass die Erblasser nicht mehr leben.“

Daraufhin hat das Nachlassgericht mit Verfügung vom 27. Juli 2018 angekündigt, den Erbschein vom 21. März 2002 als unrichtig einzuziehen und dies am 17. Okt. 2018 beschlossen. Das Testament der Erblasserin vom 17. Mai 1982 sei unwirksam, weil die Erblasserin an den Erbvertrag vom 4. Aug. 1964 gebunden gewesen sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2, die u.a. geltend machen, das Nachlassgericht habe den Erbverzicht nicht berücksichtigt. Notar Dr. O… hat diesen sodann auf Anforderung des Nachlassgerichts vom 12. Nov. 2018 zu den Akten gereicht.

Daraufhin hat das Nachlassgericht den Töchter der Gertrud, den Enkelinnen der Erblasserin Hannelore und Dorothea, Gelegenheit gegeben sich am Verfahren zu beteiligen und mit Beschluss vom 6. Febr. 2019 der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Der Erbvertrag aus dem Jahre 1964 sei wirksam, es gebe keine sicheren Anhaltspunkte, dass er aufgehoben worden sei und der Erbverzicht von Gertrud in der notariellen Urkunde vom 24. Mai 1982 könne „im Zweifel“ nicht als deren Verzicht auf ihre Rechte aus dem Erbvertrag gewertet werden. Der eindeutige Wortlaut dieser Erklärung stehe einer Auslegung – auch – als Zuwendungsverzicht entgegen.

Die Beteiligten zu 1 und 2 haben weiter zu ihrer Auffassung vorgetragen, die Erblasserin sei nicht (mehr) an den Erbvertrag aus dem Jahre 1964 gebunden gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte die Testamentsakten 26 IV 546/18 und die Nachlassakten 19 VI 163/89 beide AG Geldern verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 58 ff., 353 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist dem Senat aufgrund der vom Nachlassgericht mit weiterem Beschluss vom 23. Nov. 2018 ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe zur Entscheidung angefallen, § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FamFG.

In der Sache hat sie Erfolg.

Gemäß Art. 229 § 36 EGBGB sind auf Verfahren zur Erteilung von Erbscheinen nach einem Erblasser, der vor dem 17.8.2015 verstorben ist, das BGB und das FamFG in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. Die Vorschrift gilt für alle Nachlasssachen nach § 342 Abs. 1 Nr. 6 FamFG, damit auch für die Einziehung eines Erbscheins. Hiernach finden auf den vorliegenden Fall die Vorschriften des „alten“ Rechts Anwendung, da die Erblasserin bereits im Jahre 1988 verstorben ist.

Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts richtet sich die Erbfolge nach der Erblasserin nach deren Testament vom 17. Mai 1982. Sie war nicht durch den Erbvertrag vom 4. Aug. 1964 gehindert, abweichend zu verfügen.

Richtig ist, dass eine spätere letztwillige Verfügung unwirksam ist, soweit sie das Recht eines vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würde, § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB. Ein Erbvertrag bindet allerdings dann nicht, wenn die vertragsmäßige Zuwendung gegenstandslos wird, was aufgrund eines Zuwendungsverzichts nach § 2352 BGB der Fall sein kann, denn dann kann es zu einer Beeinträchtigung des Rechts des Bedachten nicht mehr kommen. Ein dem Erbvertrag – zunächst – zuwiderlaufendes Testament tritt mit Wegfall der Bindungswirkung in Kraft, auch wenn es vor Wegfall der Bindungswirkung errichtet worden ist. (Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl., § 2289, 6 m.N.)

Hier hat die durch den Erbvertrag vom 4. Aug. 1964 begünstigte Tochter Gertrud der Erblasserin nach Errichtung des privatschriftlichen Testaments vom 17. Mai 1982 durch notarielle Vereinbarung vom 24. Mai 1982 wirksam (auch) auf die Zuwendung aus dem Erbvertrag vom 4. Aug. 1964 verzichtet, indem sie sinngemäß erklärt hat, sie verzichte auf ihr gesetzliches Erbrecht. Dies konnte sie wirksam gegenüber der Erblasserin tun, auch ohne Mitwirkung der übrigen am Erbvertrag Beteiligten (vgl. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2352, RdNr. 3 m.N.).

Erben können nach § 2346 BGB auf ihr gesetzliches Erbrecht (Erbverzicht) und nach § 2352 BGB auf eine durch Verfügung von Todes wegen angeordnete Zuwendung (Zuwendungsverzicht) verzichten. Es kann durchaus zweifelhaft sein, ob nur ein Verzicht auf die gesetzliche Erbposition oder ob darüber hinaus auch ein konkreter Zuwendungsverzicht gewollt war (Everts, in: BeckOGK, BGB, Stand 01.03.2020, § 2352, 10.1 m.N.). Ein Erbverzicht im Sinne des § 2346 BGB kann auch mit einem Zuwendungsverzicht nach § 2352 BGB verbunden werden; auch sonst ist es möglich, dass ein Verzicht auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht den Wegfall der ganzen künftigen Erbenstellung bedeuten soll, also auch zu Gunsten des Erben etwa noch bestehende Verfügungen von Todes wegen umfassen soll (Winkler, MittBayNot 1994, 237, Anm. zu OLG Frankfurt, a.a.O., 235). Ob dies der Fall ist, hängt von den Erklärungen der Beteiligten ab (Schotten, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2016, § 2346, 18 m.N.). Ob Erklärungen nur als Erbverzicht zu verstehen sind oder ob sie auch als Zuwendungsverzicht anzusehen sind, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (Schotten, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2010, § 2352, RdnNr. 4; Winkler, a.a.O.). Eine solche Auslegung richtet sich nach den für Rechtsgeschäfte unter Lebenden geltenden Normen, insbesondere nach den §§ 133, 157 BGB (Schotten, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2016, § 2346, 16 m.N.; Winkler, a.a.O.).

Dabei ist der Wortlaut einer Erklärung Ausgangspunkt der Auslegung und bedarf eine eindeutige Erklärung keiner Auslegung. Jedoch kann es auch bei (scheinbar) eindeutigem Wortlaut an der Eindeutigkeit der Erklärung fehlen (OLG Frankfurt, OLGZ 1994, 201 = MittBayNot 1994, 235; Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 133, 6) und ist auch in den – seltenen – Fällen „klaren und eindeutigen“ Wortlauts der Auslegung eines Testaments durch eben diesen Wortlaut keine Grenze gesetzt. Gem. § 133 BGB ist bei der Auslegung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Dieser Aufgabe kann der Richter nur dann voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränkt, sondern auch alle ihm aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranzieht und sich auch ihrer zur Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers bedient. Gerade weil es um die Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers geht, und weil dieser auch in den seltenen Fällen „klaren und eindeutigen“ Wortlauts den Vorrang vor eben diesem Wortlaut hat, kann der Auslegung daher durch den Wortlaut keine Grenze gesetzt sein. Demgemäß hat der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass der Richter auch bei einer ihrem Wortlaut nach scheinbar eindeutigen Willenserklärung an den Wortlaut nicht gebunden ist, wenn – allerdings nur dann – sich aus den Umständen ergibt, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (BGHZ 86, 41). Auch wenn ein gesetzlicher Erbe letztwillig bedacht ist und – ohne eine umfassende Absicht dem Wortlaut nach auszudrücken – auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet, kann sich aus den Umständen ergeben, dass er nicht nur als gesetzlicher Erbe ausscheiden will, sondern dass auch zu seinen Gunsten etwa noch bestehende Verfügungen von Todes wegen als nicht erfolgt gelten sollen (Winkler, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall ist der Senat überzeugt, dass die Erblasserin und ihre Tochter am 24. Mai 1982 zugleich mit dem Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht auch einen Verzicht auf die Zuwendung aus dem Erbvertrag vom 4. Aug. 1964 vereinbaren wollten. Dafür spricht schon der zeitliche Zusammenhang mit dem kurz zuvor errichteten privatschriftlichen Testament der Erblasserin vom 17. Mai 1982. Denn durch den 7 Tage später erklärten Verzicht sollte gewährleistet werden, dass dieses Testament uneingeschränkt verwirklicht werden konnte und die dort verfügte Erbenstellung des Sohnes der Erblasserin nicht durch (irgendwelche) erbrechtlichen Ansprüche der Tochter geschmälert würde. Deren Ansprüche sollten vielmehr durch die sowohl im Testament als auch in der Verzichtsvereinbarung vorgesehene Zahlung – die nach dem unwiderlegten Vortrag der Beteiligten zu 1 und 2 auch geleistet worden ist – von 15.000 DM bzw. zweimal je 7.500 DM erledigt sein. Der Erbverzicht ist ein Instrument der vorweggenommenen Erbfolge und dient vor allem dazu, im Zusammenhang mit der Ausstattung oder Abfindung einzelner Kinder bindend festzulegen, dass der Abgefundene weder Erbrecht noch Pflichtteilsanspruch hat, so dass beim späteren Erbfall der ganze Nachlass an die übrigen Kinder gelangt (OLG Frankfurt, a.a.O.). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine Doppelbegünstigung von den Beteiligten nicht gewollt ist (Winkler, a.a.O.). Damit wäre die (Aufrechterhaltung der) im Erbvertrag angeordnete(n) Zuwendung nicht zu vereinbaren gewesen, wonach die Tochter den gesamten Nachlass des Längstlebenden zu alleinigem Eigentum erhalten sollte, und wäre der Sohn nicht nur durch die „Enterbung“, sondern zudem noch dadurch „benachteiligt“ worden, dass er – sozusagen aus seinem Privatvermögen und unabhängig vom Nachlass der Eltern – die in Testament und Abfindungsvereinbarung angeordneten Zahlungen geleistet hat.

Für die erfolgreiche Beschwerde fallen Gerichtskosten nicht an, §§ 25 Abs. 1, 22 Abs. 1 GNotKG. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1 und 2 kommt nicht in Betracht. Damit erübrigt sich auch eine Wertfestsetzung. Die Voraussetzungen der Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor.

 

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