Ein Testamentsvollstrecker veräußerte eine Nachlassimmobilie zu einem Preis, der nur 47 Prozent des ermittelten Verkehrswerts betrug. Die Frage war, ob der Kaufvertrag unwirksam bei Verkauf unter Verkehrswert ist, selbst wenn die Erbin dem Geschäft zugestimmt hatte.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Kaufvertrag unwirksam: Warum ein Verkauf weit unter Wert sittenwidrig ist – auch mit Zustimmung der Erbin
- Was war der Auslöser für den Rechtsstreit?
- Welche Rolle spielen Testamentsvollstrecker und Sittenwidrigkeit im Erbrecht?
- Warum scheiterte der Käufer vor dem Oberlandesgericht Stuttgart?
- Was bedeutet dieses Urteil für Erben, Käufer und Testamentsvollstrecker?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Ab welchem Preisrisiko gilt mein Immobilienkauf als sittenwidrig?
- Kann der Erbe einen Hausverkauf des Testamentsvollstreckers nachträglich anfechten?
- Muss der Testamentsvollstrecker zwingend ein Gutachten zum Verkehrswert einholen?
- Was bedeutet die Nichtigkeit des Kaufvertrags für meinen Grundbucheintrag als Käufer?
- Macht die Zustimmung des Erben einen sittenwidrigen Verkauf immer wirksam?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 U 30/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
- Datum: 24.07.2025
- Aktenzeichen: 2 U 30/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Kaufvertragsrecht, Sittenwidrigkeit
- Das Problem: Ein Käufer erwarb ein Nachlassgrundstück vom Testamentsvollstrecker für 90.000 Euro. Die Alleinerbin verweigerte die Schlüsselübergabe, weil der tatsächliche Wert des Hauses 195.000 Euro betrug. Der Käufer verlangte die Herausgabe des Hauses und die Beseitigung der ausgetauschten Schlösser.
- Die Rechtsfrage: War der Kaufvertrag gültig, obwohl der Testamentsvollstrecker das Grundstück für weniger als die Hälfte seines Wertes veräußerte und der Käufer dies hätte erkennen müssen?
- Die Antwort: Nein. Das Gericht wies die Klage des Käufers ab. Der Verkauf war wegen sittenwidriger Umstände nichtig, da der Testamentsvollstrecker seine Pflichten verletzte und das grobe Missverhältnis dem Käufer bekannt sein musste.
- Die Bedeutung: Ein Verkauf von Nachlassimmobilien zu einem Preis, der weniger als die Hälfte des Verkehrswerts beträgt, kann den gesamten Vertrag unwirksam machen. Testamentsvollstrecker müssen höchste Sorgfalt walten lassen und dürfen das Erbe nicht grob unter Wert veräußern.
Kaufvertrag unwirksam: Warum ein Verkauf weit unter Wert sittenwidrig ist – auch mit Zustimmung der Erbin
Ein notariell beurkundeter Kaufvertrag und ein Eintrag im Grundbuch vermitteln das sichere Gefühl, rechtmäßiger Eigentümer einer Immobilie zu sein. Doch was, wenn der Kaufpreis nur bei weniger als der Hälfte des tatsächlichen Verkehrswertes liegt? Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einem Urteil vom 24. Juli 2025 (Az. 2 U 30/23) entschieden, dass ein solches Geschäft selbst dann komplett nichtig sein kann, wenn der Testamentsvollstrecker gehandelt und die Alleinerbin dem Verkauf zugestimmt hat. Der Fall entlarvt eine juristische Kette von Pflichtverletzungen und sittenwidrigen Umständen, die am Ende den Käufer trotz Grundbucheintragung leer ausgehen lässt.
Was war der Auslöser für den Rechtsstreit?

Im Zentrum der Auseinandersetzung stand ein in den 1960er Jahren bebautes Hausgrundstück. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten im Februar 2020 wurde eine Frau dessen alleinige Erbin. Da der Verstorbene eine Testamentsvollstreckung angeordnet hatte, wurde ein Verwalter, Herr E., mit der Abwicklung des Nachlasses betraut. Zu diesem Nachlass gehörte auch besagtes Grundstück.
Im August 2020 kam es zum Verkauf: Der Testamentsvollstrecker E. schloss mit einem Käufer einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über das Anwesen ab. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 90.000 Euro. Auch die Erbin stimmte dem Geschäft zu. Kurz darauf wurde der Käufer als neuer Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Sache schien abgeschlossen.
Der Konflikt entzündete sich jedoch, als die Erbin die Übergabe der Schlüssel verweigerte. Ihr Argument: Der Kaufpreis sei viel zu niedrig und der Vertrag daher unwirksam. Ihre Vermutung bestätigte sich später auf dramatische Weise: Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger ermittelte einen tatsächlichen Verkehrswert der Immobilie von 195.000 Euro. Der Verkaufspreis lag also bei weniger als 47 % des wahren Wertes. Als der Käufer sich im Winter eigenmächtig Zutritt zum Haus verschaffte, um einen Rohrbruch zu verhindern, ließ die Erbin die Schlösser austauschen und zementierte damit ihre Haltung.
Der Käufer zog vor Gericht und verlangte die Herausgabe des Grundstücks sowie die Entfernung des neuen Schlosses. Er pochte auf den notariellen Vertrag und seinen Status als eingetragener Eigentümer. Das Landgericht Rottweil wies seine Klage jedoch ab und stufte den Vertrag als wucherähnliches Geschäft und damit als nichtig ein. Gegen diese Entscheidung legte der Käufer Berufung beim Oberlandesgericht Stuttgart ein.
Welche Rolle spielen Testamentsvollstrecker und Sittenwidrigkeit im Erbrecht?
Um die Entscheidung des Gerichts nachzuvollziehen, muss man die rechtlichen Leitplanken verstehen, die für den Verkauf von Nachlassvermögen gelten. Zwei Konzepte sind hier entscheidend: die Befugnisse des Testamentsvollstreckers und der Grundsatz der Sittenwidrigkeit.
Ein Testamentsvollstrecker hat die Aufgabe, den letzten Willen des Verstorbenen auszuführen und den Nachlass für die Erben zu verwalten (§ 2203 BGB). Dazu gehört auch, Nachlassgegenstände zu veräußern, wenn es für eine ordnungsgemäße Verwaltung erforderlich ist (§ 2205 BGB). Er ist dabei aber nicht völlig frei, sondern an strenge Sorgfaltspflichten gebunden (§ 2216 BGB). Er muss stets im besten Interesse des Nachlasses handeln – nicht im Interesse des Käufers oder gar in seinem eigenen.
Eine entscheidende Grenze zieht das Gesetz bei unentgeltlichen Verfügungen. Ein Testamentsvollstrecker darf Nachlassvermögen nicht einfach verschenken. Juristisch wird ein Verkauf zu einem Preis, der erheblich unter dem tatsächlichen Wert liegt, als teilweise Unentgeltliche Verfügung behandelt. Für ein solches Geschäft benötigt der Testamentsvollstrecker zwingend die Zustimmung des Erben (§ 2205 Satz 3 BGB).
Hier kommt der zweite Baustein ins Spiel: die Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB. Ein Rechtsgeschäft ist nichtig, wenn es „gegen die guten Sitten verstößt“. Dieser Grundsatz schützt vor Verträgen, die fundamentalen Anstands- und Gerechtigkeitsvorstellungen der Rechtsgemeinschaft widersprechen. Ein klassischer Fall ist das wucherähnliche Geschäft. Die Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs, geht von einem solchen Geschäft aus, wenn zwischen Leistung (Wert der Immobilie) und Gegenleistung (Kaufpreis) ein besonders grobes Missverhältnis besteht. Bei Grundstücksgeschäften wird diese Grenze in der Regel überschritten, wenn der Kaufpreis nicht einmal die Hälfte des Verkehrswertes erreicht.
Warum scheiterte der Käufer vor dem Oberlandesgericht Stuttgart?
Das OLG Stuttgart bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, begründete sie aber noch detaillierter und legte den Fokus auf das Zusammenspiel der Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers und der daraus resultierenden Nichtigkeit der Zustimmung der Erbin. Die Argumentation des Gerichts lässt sich in vier Schritten nachvollziehen.
Warum war der Preis ein entscheidender Faktor?
Das Gericht stellte zunächst das objektive Missverhältnis fest: Ein Kaufpreis von 90.000 Euro stand einem Verkehrswert von 195.000 Euro gegenüber. Damit war die „50-Prozent-Hürde“ klar unterschritten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z. B. Urteil vom 29. Juni 2007 – V ZR 1/06) begründet ein solch grobes Missverhältnis die tatsächliche Vermutung, dass der Begünstigte – hier der Käufer – die schwächere Position des Vertragspartners bewusst oder aus grober Fahrlässigkeit ausgenutzt hat. Diese Vermutung zu widerlegen, wäre Aufgabe des Käufers gewesen, was ihm jedoch nicht gelang.
Welche Pflichten verletzte der Testamentsvollstrecker?
Im Zentrum der Kritik des Gerichts stand das Handeln des Testamentsvollstreckers E. Er hatte seine Pflicht zur sorgfältigen Verwaltung des Nachlasses nach § 2216 BGB massiv verletzt. Das Gericht warf ihm vor, den Verkauf abgewickelt zu haben, ohne den Wert der Immobilie auch nur ansatzweise geprüft zu haben.
- Kein Gutachten: Es lag kein Verkehrswertgutachten vor.
- Keine Prüfung: Der Käufer und der Testamentsvollstrecker beriefen sich auf eine angebliche Auskunft der Stadt, wonach das Grundstück rund 100.000 Euro wert sei. Der Testamentsvollstrecker unternahm jedoch keinerlei Anstalten, diese vage Information zu überprüfen: Wer genau bei der Stadt hatte diese Auskunft erteilt? Auf welcher Basis? Gab es dafür ein schriftliches Dokument? Diese Fragen blieben unbeantwortet.
- Fehlendes Rollenverständnis: Das Gericht gewann in der Verhandlung den Eindruck, dass der Testamentsvollstrecker sich eher als Dienstleister der Erbin sah, der ihren „Willen umsetzt“, anstatt als treuhänderischer Verwalter, der den Nachlass vor Schaden bewahren muss. Erschwerend kam hinzu, dass der Testamentsvollstrecker und der Käufer sich gut kannten und regelmäßig in dessen Gaststätte verkehrten, was den Anschein einer unkritischen Abwicklung verstärkte.
Warum war die Zustimmung der Erbin unwirksam?
Dies ist der juristische Kern der Entscheidung. Der Käufer hatte argumentiert, die Erbin habe dem Geschäft ja zugestimmt, womit die Voraussetzung für den Verkauf unter Wert erfüllt sei. Das Gericht folgte dem jedoch nicht. Es erklärte die Zustimmung selbst für nichtig, und zwar aufgrund von Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB.
Die Richter begründeten dies mit den Gesamtumständen: Das grobe Missverhältnis zwischen Preis und Wert, die völlige Abwesenheit einer soliden Grundlage für die Preisfindung und die offensichtlichen Pflichtverletzungen des Testamentsvollstreckers schufen eine Konstellation, die mit den Grundsätzen der Fairness unvereinbar war. Unter diesen Umständen, so das Gericht, hätte eine umsichtige Person einem derart nachteiligen Geschäft nicht zugestimmt. Die Zustimmung der Erbin – einer älteren, sehschwachen und gebrechlichen Person – wurde unter Bedingungen eingeholt, die insgesamt als sittenwidrig zu bewerten sind. Die Zustimmung war daher von Anfang an rechtlich wertlos.
Warum ist trotz Grundbucheintragung kein Eigentum übergegangen?
Der letzte und für den Käufer verheerende Schritt in der Argumentation des Gerichts betrifft die eigentliche Eigentumsübertragung. Normalerweise wird im deutschen Recht streng zwischen dem schuldrechtlichen Geschäft (dem Kaufvertrag) und dem dinglichen Geschäft (der Auflassung und Eintragung im Grundbuch) unterschieden. Ein Fehler im Kaufvertrag macht nicht automatisch die Eigentumsübertragung unwirksam.
Im Erbrecht gilt hier jedoch eine entscheidende Ausnahme, die in § 2205 Satz 3 BGB verankert ist. Diese Vorschrift koppelt die Wirksamkeit der Verfügung des Testamentsvollstreckers direkt an seine Befugnis. Da die Zustimmung der Erbin nichtig war, fehlte dem Testamentsvollstrecker die Befugnis, das Grundstück zu diesem Spottpreis zu veräußern. Dieser Mangel an Befugnis schlägt voll auf die dingliche Verfügung durch: Die Auflassung war unwirksam. Der Käufer ist somit nie wirksam Eigentümer des Grundstücks geworden, obwohl er im Grundbuch eingetragen war. Das Grundbuch war schlichtweg falsch.
Da der Käufer kein Eigentümer war, standen ihm weder ein Herausgabeanspruch aus § 985 BGB noch ein Anspruch auf Unterlassung von Störungen aus § 1004 BGB zu. Seine Klage war unbegründet.
Was bedeutet dieses Urteil für Erben, Käufer und Testamentsvollstrecker?
Die Entscheidung des OLG Stuttgart ist eine klare Mahnung an alle Beteiligten bei der Veräußerung von Nachlassimmobilien. Sie zeigt, dass formale Korrektheit wie eine notarielle Beurkundung und die Zustimmung eines Erben keine Garantie für die Wirksamkeit eines Vertrages sind, wenn die materiellen Grundlagen – ein fairer Preis und sorgfältiges Handeln – fehlen.
Checkliste für Erben:
- [ ] Seien Sie wachsam: Misstrauen Sie Verkaufsangeboten, die Ihnen verdächtig niedrig vorkommen, auch wenn sie von einem Testamentsvollstrecker vorgelegt werden.
- [ ] Fordern Sie ein Gutachten: Bestehen Sie vor Ihrer Zustimmung zu einem Verkauf immer auf einem aktuellen, unabhängigen Verkehrswertgutachten.
- [ ] Dokumentieren Sie Bedenken: Äußern Sie Zweifel schriftlich gegenüber dem Testamentsvollstrecker und lassen Sie sich nicht unter Druck setzen.
Checkliste für Käufer von Nachlassimmobilien:
- [ ] Vorsicht bei Schnäppchen: Ein Preis, der deutlich unter dem Marktwert liegt, ist kein Glücksfall, sondern ein erhebliches rechtliches Risiko.
- [ ] Verlangen Sie Transparenz: Verlassen Sie sich nicht auf mündliche Wertangaben oder vage Informationen. Fragen Sie nach dem offiziellen Verkehrswertgutachten.
- [ ] Prüfen Sie die Befugnisse: Stellen Sie sicher, dass der Testamentsvollstrecker die erforderliche und vor allem wirksame Zustimmung aller Erben für den Verkauf hat.
Checkliste für Testamentsvollstrecker:
- [ ] Ihre oberste Pflicht ist der Nachlass: Sie sind Treuhänder des Nachlassvermögens, nicht bloßer Erfüllungsgehilfe der Erben oder Käufer.
- [ ] Handeln Sie nur auf Basis von Fakten: Holen Sie vor jedem Immobilienverkauf zwingend ein unabhängiges Gutachten ein. Dies schützt den Nachlass, die Erben und Sie selbst vor Haftungsansprüchen.
- [ ] Dokumentieren Sie alles: Halten Sie jeden Schritt der Preisfindung und der Entscheidungsfindung sorgfältig schriftlich fest.
- [ ] Wahren Sie professionelle Distanz: Vermeiden Sie Geschäfte mit Freunden oder Bekannten, um jeglichen Anschein von Befangenheit und Interessenkonflikten auszuschließen.
Die Urteilslogik
Ein Kaufvertrag verliert seine Gültigkeit, wenn Leistung und Gegenleistung in einem groben Missverhältnis stehen und die fundamentalen Gerechtigkeitsvorstellungen der Rechtsgemeinschaft verletzen.
- Grobes Missverhältnis begründet Wucherverdacht: Unterschreitet der vereinbarte Kaufpreis bei einem Grundstücksgeschäft die Hälfte des tatsächlichen Verkehrswertes, so begründet dieses objektive Ungleichgewicht die tatsächliche Vermutung, dass die stärkere Partei die Zwangslage oder Unerfahrenheit der anderen Seite bewusst ausgenutzt hat.
- Testamentsvollstrecker müssen Sorgfaltspflichten zwingend einhalten: Testamentsvollstrecker handeln pflichtwidrig, wenn sie Nachlassimmobilien veräußern, ohne zuvor eine professionelle Wertermittlung oder ein unabhängiges Verkehrswertgutachten einzuholen.
- Fehlende Befugnis entwertet Grundbucheintrag: Ist die zur Verfügung über das Nachlassvermögen erteilte Zustimmung des Erben aufgrund der Gesamtsituation selbst als sittenwidrig anzusehen, fehlt dem Testamentsvollstrecker die wirksame Veräußerungsbefugnis; dieser Mangel macht die dingliche Auflassung unwirksam und verhindert den Eigentumserwerb des Käufers.
Die formale Korrektheit eines notariellen Vertrages kann die Sittenwidrigkeit des zugrundeliegenden Geschäfts niemals heilen.
Benötigen Sie Hilfe?
Steht Ihr Nachlassverkauf wegen grober Wertdiskrepanz vor der Anfechtung? Lassen Sie Ihre Situation prüfen und erhalten Sie eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihres Falls.
Experten Kommentar
Man denkt, wenn der Notar unterschrieben hat und der Käufer im Grundbuch steht, ist das Geschäft in Stein gemeißelt. Dieses Urteil zieht hier eine klare rote Linie: Wer eine Immobilie zu einem Preis erwirbt, der augenscheinlich unter der Hälfte des Verkehrswertes liegt, handelt auf eigenes Risiko – selbst bei formaler Zustimmung des Erben. Denn das OLG macht unmissverständlich klar, dass die grobe Sittenwidrigkeit eines solchen Wuchergeschäfts die Befugnis des Testamentsvollstreckers von Anfang an zerstört. Das ist die härteste Konsequenz für den Käufer, denn dieser Mangel schlägt durch, macht die Eigentumsübertragung nichtig und der Eintrag im Grundbuch wird wertlos. Wer ein „Schnäppchen“ bei Nachlassimmobilien wittert, muss künftig sehr genau die Sorgfaltspflichten des Verkäufers prüfen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Ab welchem Preisrisiko gilt mein Immobilienkauf als sittenwidrig?
Die kritische juristische Schwelle zur Sittenwidrigkeit wird bei Immobiliengeschäften streng gezogen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist die Grenze des wucherähnlichen Geschäfts überschritten, wenn der vereinbarte Kaufpreis nicht einmal 50 Prozent des tatsächlichen Verkehrswertes der Immobilie erreicht. Eine solche massive Diskrepanz löst die tatsächliche Vermutung aus, dass der Käufer die Zwangslage oder Unerfahrenheit des Verkäufers ausgenutzt hat.
Dieses objektive „grobe Missverhältnis“ zwischen dem Wert der Leistung und der Gegenleistung ist der zentrale Ausgangspunkt für die juristische Bewertung. Die Gerichte sehen in diesem extremen Ungleichgewicht einen schweren Verstoß gegen die guten Sitten gemäß § 138 Abs. 1 BGB. Unterschreitet der Preis die 50-Prozent-Marke, verlagert sich die Beweislast automatisch. Es entsteht die juristische Vermutung, dass der Käufer vorsätzlich oder grob fahrlässig die schwächere Position des Vertragspartners ausgenutzt hat.
Gelingt es dem Käufer nicht, diese Vermutung vor Gericht zu widerlegen, gilt das gesamte Rechtsgeschäft als wucherähnlich und somit von Anfang an nichtig. Nehmen wir an, der objektive Verkehrswert beträgt 195.000 Euro, der Kaufpreis liegt aber nur bei 90.000 Euro (unter 47 %). In diesem Fall ist die Vermutung der Sittenwidrigkeit gegeben. Das Gericht konzentriert sich dabei strikt auf den objektiven Verkehrswertes zum Verkaufszeitpunkt; pauschale Rechtfertigungen durch das Alter des Hauses oder Mängel gelten meist nicht.
Lag Ihr Kaufpreis unter 60 Prozent des geschätzten Marktwertes, beauftragen Sie sofort einen unabhängigen Sachverständigen zur rückwirkenden Ermittlung des Verkehrswertes.
Kann der Erbe einen Hausverkauf des Testamentsvollstreckers nachträglich anfechten?
Der Erbe muss den Verkauf einer Immobilie durch den Testamentsvollstrecker nicht nur anfechten, er kann dessen Nichtigkeit feststellen lassen. Diese stärkere juristische Wirkung tritt ein, wenn der Verkaufspreis weit unter dem tatsächlichen Verkehrswert lag. Der Testamentsvollstrecker hat in einem solchen Fall seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung massiv verletzt.
Wenn eine Immobilie zu einem Spottpreis verkauft wird (typischerweise unter 50 Prozent des Wertes), gilt dies als sittenwidriges Geschäft nach § 138 BGB. Juristisch wird dieser Verkauf als „teilweise unentgeltliche Verfügung“ betrachtet. Gemäß § 2205 Satz 3 BGB benötigt der Testamentsvollstrecker für solche unentgeltlichen Verfügungen zwingend die wirksame Zustimmung des Erben. Das Gericht prüft dann, ob die gesamte Verkaufsabwicklung den grundlegenden Anstands- und Gerechtigkeitsvorstellungen entspricht.
Wurde die Immobilie grob unter Wert veräußert, fehlt dem Testamentsvollstrecker die notwendige Befugnis zur dinglichen Veräußerung. Selbst eine erteilte Zustimmung des Erben kann das Gericht als nichtig bewerten, wenn sie unter sittenwidrigen Gesamtumständen erlangt wurde – etwa durch die Ausnutzung einer Notlage oder Unerfahrenheit. Fehlt die Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers, schlägt dieser Mangel auf die Eigentumsübertragung durch. Der Kaufvertrag ist von Anfang an ungültig, und das Eigentum ist nie wirksam auf den Käufer übergegangen.
Lassen Sie umgehend ein unabhängiges Gutachten zum Verkehrswert erstellen und suchen Sie einen Fachanwalt für Erbrecht auf, um die Feststellungsklage auf Nichtigkeit vorzubereiten.
Muss der Testamentsvollstrecker zwingend ein Gutachten zum Verkehrswert einholen?
Ein unabhängiges Verkehrswertgutachten ist faktisch zwingend erforderlich, auch wenn das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) es nicht explizit vorschreibt. Der Testamentsvollstrecker verletzt seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses (§ 2216 BGB) grob fahrlässig, wenn er den Wert einer Immobilie nicht objektiv feststellt. Eine Veräußerung ohne eine solche objektive Basis stellt eine massive Pflichtverletzung dar, die zur persönlichen Haftung führen kann.
Die Hauptaufgabe des Testamentsvollstreckers besteht darin, das Nachlassvermögen bestmöglich zu erhalten und vor Schaden zu bewahren. Vor jedem Verkauf muss daher eine professionelle Wertfeststellung erfolgen, um den maximal erzielbaren Preis zu sichern. Gerichte akzeptieren keine Berufung auf vage Schätzungen oder mündliche Auskünfte, da diese keine verlässliche Grundlage für die Kaufpreisverhandlung bieten. Wer auf ein Gutachten verzichtet, handelt im Zweifel grob fahrlässig.
Ein fehlendes Gutachten ist oft das Hauptindiz dafür, dass der Testamentsvollstrecker den Verkauf ohne jegliche Basis abgewickelt hat. Bestätigt sich nachträglich ein grobes Missverhältnis zwischen Kaufpreis und tatsächlichem Verkehrswert, wird die Vermutung der Sittenwidrigkeit ausgelöst. Dies führt zur Nichtigkeit des gesamten Geschäfts und zu direkten Schadensersatzansprüchen der Erben. Ein Testamentsvollstrecker, der ohne fundierte Bewertung handelt, riskiert daher die persönliche Haftung für den dem Nachlass entstandenen Schaden.
Legen Sie vor jeder Verkaufsentscheidung schriftlich fest, dass ein aktuelles, unabhängiges Verkehrswertgutachten die zwingende Voraussetzung für die Kaufpreisverhandlung bildet.
Was bedeutet die Nichtigkeit des Kaufvertrags für meinen Grundbucheintrag als Käufer?
Die Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Sittenwidrigkeit hat für Sie als formal eingetragenen Käufer schwerwiegende Konsequenzen. Sie sind trotz des notariellen Vertrags und des Eintrags im Grundbuch nicht wirksam Eigentümer geworden. Grund dafür ist eine wichtige Ausnahme vom Abstraktionsprinzip im deutschen Erbrecht.
Wird der Verkauf durch den Testamentsvollstrecker als sittenwidrig eingestuft, entfällt ihm rückwirkend die gesetzliche Verfügungsbefugnis über das Nachlassvermögen. Ohne diese wirksame Befugnis ist nicht nur der schuldrechtliche Kaufvertrag ungültig, sondern auch die eigentliche dingliche Einigung – die sogenannte Auflassung zur Übertragung des Eigentums. Der Mangel des sittenwidrigen Grundgeschäfts schlägt dadurch direkt auf die Eigentumsübertragung durch.
Ihr Eintrag im Grundbuch, der Sie formal als Eigentümer des Grundstücks ausweist, gilt damit juristisch als unrichtig. Da die Auflassung unwirksam war, ist das Eigentum nie wirksam auf Sie übergegangen. Sie können sich nicht auf den öffentlichen Glauben des Grundbuchs berufen, weil der Testamentsvollstrecker mangels Befugnis gar nicht verfügen durfte. Die bittere Konsequenz ist, dass Sie das Grundstück an den rechtmäßigen Erben herausgeben müssen, da dieser weiterhin der wahre Eigentümer ist.
Überprüfen Sie unverzüglich, welche Gewährleistungs- und Rückabwicklungsansprüche Ihnen gegenüber dem Testamentsvollstrecker oder dem Nachlass zustehen, um zumindest den gezahlten Kaufpreis samt Zinsen zurückzuerhalten.
Macht die Zustimmung des Erben einen sittenwidrigen Verkauf immer wirksam?
Nein, die Zustimmung des Erben bietet keine absolute rechtliche Sicherheit. Gerichte können die Zustimmungserklärung selbst für nichtig erklären, wenn sie unter sittenwidrigen Gesamtumständen erlangt wurde. Dies ist der Fall, wenn der Kaufpreis grob unangemessen war und der Erbe dabei übervorteilt wurde. Die Zustimmung stellt damit keinen Freifahrtschein für den Testamentsvollstrecker dar, den Nachlass weit unter Wert zu verkaufen.
Ein Verkauf zu einem Preis, der erheblich unter dem tatsächlichen Wert liegt, gilt juristisch als teilweise unentgeltliche Verfügung. Für solch eine Veräußerung benötigt der Testamentsvollstrecker zwingend die wirksame Zustimmung des Erben gemäß § 2205 Satz 3 BGB. Stuft das Gericht den gesamten Verkauf wegen des massiven Preisunterschieds als sittenwidrig ein, gerät die Zustimmungserklärung ebenfalls in die Prüfung. Das Gericht untersucht dann, ob die Umstände, unter denen der Erbe zustimmte, ebenfalls den Grundsätzen der Fairness widersprachen.
Im konkreten Fall sah das Gericht die Zustimmung der Erbin als rechtlich wertlos an, weil sie eine ältere, sehschwache und gebrechliche Person war. Die Richter argumentierten, dass die gesamte Situation, inklusive der groben Pflichtverletzung des Vollstreckers, sittenwidrig war. Eine umsichtige Person hätte einem so nachteiligen Geschäft niemals zugestimmt. Diese Konstellation erweckt den Anschein der Ausnutzung der schwächeren Position des Erben und führt zur Nichtigkeit der Zustimmung, wodurch der Testamentsvollstrecker ohne Befugnis handelte.
Verlangen Sie als Käufer stets ein aktuelles Verkehrswertgutachten und dokumentieren Sie schriftlich, dass der Erbe alle relevanten Fakten zur Preisgestaltung kannte und bestätigte.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Auflassung
Die Auflassung ist die notariell beurkundete, dingliche Einigung zwischen Verkäufer und Käufer über den Übergang des Eigentums an einem Grundstück. Nach deutschem Recht ist dieses formelle Geschäft zwingend notwendig, um den Eigentumswechsel unabhängig vom schuldrechtlichen Kaufvertrag zu vollziehen und die Eintragung ins Grundbuch vorzubereiten.
Beispiel: Obwohl der Käufer und der Testamentsvollstrecker die Auflassung notariell vereinbarten, erklärte das OLG Stuttgart die Auflassung für unwirksam, da dem Vollstrecker die notwendige Verfügungsbefugnis fehlte.
Nichtigkeit
Juristen bezeichnen die Nichtigkeit als den Zustand, in dem ein Rechtsgeschäft von Anfang an ungültig ist und deshalb niemals Rechtswirkungen entfaltet hat. Das Gesetz verwendet die Nichtigkeit als schärfstes Schwert, um Transaktionen, die fundamentalen Regeln wie den guten Sitten widersprechen, rückwirkend aus dem Rechtsverkehr zu entfernen.
Beispiel: Aufgrund der festgestellten Sittenwidrigkeit des wucherähnlichen Geschäfts stellte das Gericht die Nichtigkeit des notariellen Kaufvertrages fest.
Sittenwidrigkeit
Sittenwidrigkeit beschreibt den Verstoß eines Rechtsgeschäfts gegen die grundlegenden Anstandsgefühle und Gerechtigkeitsvorstellungen aller billig und gerecht denkenden Menschen in der Rechtsgemeinschaft (§ 138 BGB). Dieser Grundsatz dient als Korrektiv für Verträge, bei denen ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, um die Übervorteilung der schwächeren Partei zu verhindern.
Beispiel: Da der vereinbarte Kaufpreis für die Nachlassimmobilie weniger als 50 Prozent des tatsächlichen Verkehrswertes betrug, lag ein grobes Missverhältnis vor, das die Sittenwidrigkeit des gesamten Geschäfts begründete.
Testamentsvollstrecker
Ein Testamentsvollstrecker ist eine vom Erblasser bestimmte Vertrauensperson, die den Nachlass nach dem Todesfall verwaltet und dafür sorgt, dass der letzte Wille des Verstorbenen umgesetzt wird. Die Hauptaufgabe dieser Funktion stellt sicher, dass der Nachlass ordnungsgemäß abgewickelt wird und die Vermögenswerte im besten Interesse der Erben erhalten oder verwertet werden.
Beispiel: Der Testamentsvollstrecker Herr E. verletzte seine strenge Sorgfaltspflicht gemäß § 2216 BGB massiv, weil er den Verkauf der Immobilie ohne ein unabhängiges Verkehrswertgutachten abwickelte.
Unentgeltliche Verfügung
Als unentgeltliche Verfügung wird der Vorgang bezeichnet, wenn jemand einen Vermögenswert auf einen anderen überträgt, ohne dafür eine gleichwertige Gegenleistung zu erhalten, was im Kern einer Schenkung entspricht. Im Kontext der Nachlassverwaltung soll diese Einschränkung verhindern, dass der Testamentsvollstrecker das Erbe ohne zwingende Notwendigkeit oder ohne die wirksame Zustimmung der Erben verschenkt oder verramscht (§ 2205 Satz 3 BGB).
Beispiel: Der Verkauf der Immobilie zu einem Spottpreis wurde juristisch als teilweise unentgeltliche Verfügung gewertet, wodurch die Wirksamkeit des Geschäfts von der unbedenklichen Zustimmung der Erbin abhing.
Verkehrswert
Der Verkehrswert (oder Marktwert) beziffert den Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zum Verkaufszeitpunkt ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse erzielt werden könnte. Dieser objektive Wert dient als unparteiische Messlatte bei Immobiliengeschäften, um faire Preise zu gewährleisten und eine Übervorteilung eines Vertragspartners zu verhindern.
Beispiel: Der vom gerichtlich bestellten Sachverständigen ermittelte Verkehrswert von 195.000 Euro stand in massivem Missverhältnis zum vereinbarten Kaufpreis von 90.000 Euro.
Das vorliegende Urteil
OLG Stuttgart – Az.: 2 U 30/23 – Urteil vom 24.07.2025
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Dr. jur. Christian Gerd Kotz ist Notar in Kreuztal und seit 2003 Rechtsanwalt. Als versierter Erbrechtsexperte gestaltet er Testamente, Erbverträge und begleitet Erbstreitigkeiten. Zwei Fachanwaltschaften in Verkehrs‑ und Versicherungsrecht runden sein Profil ab – praxisnah, durchsetzungsstark und bundesweit für Mandanten im Einsatz.
