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Keine Klageveranlassung durch den Erben: Kläger trägt Prozesskosten der Stufenklage

Eine Pflichtteilsberechtigte erhob eine Stufenklage zur Durchsetzung des Erbanspruchs, obwohl die Erbin vorprozessual kooperierte und keine Klageveranlassung durch den Erben sah. Trotz dieser vorbildlichen Kooperation steht die Pflichtteilsberechtigte nun vor der Frage, ob sie die gesamten Kosten des langwierigen Prozesses übernehmen muss.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 19 W 30/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
  • Datum: 24.10.2022
  • Aktenzeichen: 19 W 30/22
  • Verfahren: Kostenentscheidung nach erledigtem Nachlassstreit
  • Rechtsbereiche: Zivilprozessrecht (Kosten), Erbrecht (Pflichtteil)

  • Das Problem: Im Streit um einen Pflichtteil erklärten die Parteien den Prozess für erledigt. Das Erstgericht legte alle Prozesskosten der Klägerin auf, wogegen diese Beschwerde einlegte.
  • Die Rechtsfrage: Wer muss die Kosten eines erledigten Pflichtteilsstreits zahlen, wenn der Kläger behauptet, er musste klagen, die beklagte Partei aber schon vor Prozessbeginn kooperiert hat?
  • Die Antwort: Ja. Das Gericht bestätigte, dass die Klägerin die gesamten Kosten tragen muss. Die beklagte Partei hatte bereits vor Klageerhebung die notwendigen Auskünfte erteilt oder entsprechende Schritte eingeleitet und somit keinen Anlass zur Klage gegeben.
  • Die Bedeutung: Wer eine Stufenklage erhebt, obwohl der Gegner vorab schon kooperiert hat, trägt das Risiko der gesamten Prozesskosten. Für die Kostenentscheidung ist das Verhalten des Gegners vor Klageerhebung für die gesamte Stufenklage maßgeblich.

Kostenentscheidung bei Stufenklage: Warum ein voreiliger Pflichtteils-Streit teuer werden kann

Ein Pflichtteilsanspruch ist unstrittig, der Erbe liefert Informationen – und trotzdem landet der Fall vor Gericht. Am Ende einigen sich beide Seiten, doch die Kostenrechnung präsentiert das Gericht überraschend dem Kläger. Wie kann das sein? In einem bemerkenswerten Beschluss vom 24. Oktober 2022 hat das Oberlandesgericht Stuttgart (Az.: 19 W 30/22) genau diese Frage beantwortet. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf eine oft unterschätzte Kostenfalle im Erbrecht und zeigt, dass der Gang zum Gericht wohlüberlegt sein muss, selbst wenn man im Recht ist. Er erzählt die Geschichte einer Klage, die aus Sicht der Richter nicht hätte sein müssen.

Was war der Auslöser für den Rechtsstreit?

Am Schalter übergibt ein Anwalt einen überdimensionierten Stapel Schriftsätze neben einem offenen Kooperationsbrief.
OLG Stuttgart: Voreiliger Pflichtteilsstreit trotz Informationsangebot kann Kläger teuer zu stehen kommen. | Symbolbild: KI

Im Zentrum des Konflikts standen eine Pflichtteilsberechtigte und die Erbin des Nachlasses. Wie es das Gesetz vorsieht, hatte die Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses, um ihren Zahlungsanspruch beziffern zu können. Der erste Schritt erfolgte über ihren Anwalt: Mit einem Schreiben vom 6. Dezember 2019 forderte sie die Erbin auf, ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis vorzulegen.

Die Erbin reagierte. Sie begann, die geforderten Informationen zusammenzustellen. Da zum Nachlass auch Immobilien gehörten, deren Wert ermittelt werden musste, beauftragte sie noch vor einer Klage einen Sachverständigen. Am 11. März 2020 informierte sie die Gegenseite, dass für den 23. März ein Besichtigungstermin angesetzt sei. Kurze Zeit später, am 24. März 2020, übersandte die Erbin ein erstes, von ihr als vorläufig bezeichnetes privates Nachlassverzeichnis. Es fehlten lediglich noch die finalen Werte der Immobilien, deren Ermittlung ja bereits lief.

Doch für die Pflichtteilsberechtigte war dies offenbar nicht genug. Am 15. April 2020, also nur wenige Wochen nach Erhalt des vorläufigen Verzeichnisses, reichte sie eine sogenannte Stufenklage ein. Dies ist ein besonderes Klageinstrument, das es ermöglicht, Ansprüche schrittweise durchzusetzen. Auf der ersten Stufe forderte sie nun nicht mehr nur ein privates, sondern ein von einem Notar erstelltes Nachlassverzeichnis. Auf den weiteren Stufen verlangte sie die Wertermittlung der Immobilien, die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung bei Zweifeln und schließlich die Auszahlung ihres Pflichtteils. Im späteren Verlauf des Gerichtsverfahrens erweiterte sie ihre Forderung sogar noch und verlangte zusätzlich Gutachten für alle beweglichen Gegenstände.

Das Verfahren zog sich hin. Das Immobiliengutachten wurde am 15. Juli 2020 fertiggestellt. Schließlich, bevor es zu einer endgültigen Entscheidung in der Sache kam, erklärten beide Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt. Damit war der eigentliche Streit vom Tisch – doch eine entscheidende Frage blieb: Wer trägt die Kosten des gesamten Gerichtsverfahrens? Das Landgericht Rottweil entschied, dass die Pflichtteilsberechtigte die gesamten Kosten tragen müsse. Dagegen legte sie Beschwerde beim Oberlandesgericht Stuttgart ein.

Nach welchen Regeln werden die Kosten in einem solchen Fall verteilt?

Wenn beide Parteien einen Rechtsstreit für erledigt erklären, entscheidet das Gericht nicht mehr über die ursprüngliche Forderung. Stattdessen trifft es nur noch eine Entscheidung über die Kosten. Nach § 91a der Zivilprozessordnung (ZPO) geschieht dies nach „billigem Ermessen“. Das klingt vage, folgt aber klaren Prinzipien. Die Richter prüfen dabei, wie der Prozess ohne die Erledigungserklärung wahrscheinlich ausgegangen wäre.

Eine zentrale Rolle spielt hierbei der Rechtsgedanke des § 93 ZPO. Diese Vorschrift regelt die Kosten bei einem sofortigen Anerkenntnis. Sie besagt im Kern: Wenn ein Beklagter keinen Anlass zur Klage gegeben hat und den Anspruch sofort anerkennt, muss der Kläger die Prozesskosten tragen. Die Logik dahinter ist einfach: Wer einen kooperativen Schuldner ohne Notwendigkeit verklagt, soll die dadurch entstehenden Kosten selbst tragen. Gerichtsverfahren sollen der letzte Ausweg sein, nicht das erste Mittel der Wahl.

Obwohl die Erbin den Anspruch nicht förmlich „sofort anerkannt“ hatte, wendeten die Gerichte diesen Grundgedanken an. Sie fragten sich: Hatte die Erbin durch ihr Verhalten vor dem 15. April 2020 – dem Tag der Klageerhebung – der Pflichtteilsberechtigten einen berechtigten Grund geliefert, vor Gericht zu ziehen?

Warum gab die Erbin aus Sicht des Gerichts keinen Anlass zur Klage?

Das Oberlandesgericht Stuttgart bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies die Beschwerde der Klägerin zurück. Die Richter analysierten das Verhalten der Erbin vor Prozessbeginn und kamen zu einem klaren Ergebnis: Die Klage war unnötig. Ihre Argumentation stützte sich auf mehrere Pfeiler.

Der entscheidende Maßstab: Das Verhalten vor Einreichung der gesamten Klage

Zuerst stellte das Gericht einen wichtigen Grundsatz für Stufenklagen auf. Es prüfte nicht für jede einzelne Stufe (Nachlassverzeichnis, Wertermittlung, Zahlung) gesondert, ob ein Klageanlass bestand. Stattdessen, so die Richter unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 8. März 2005 – VIII ZB 3/04), kommt es auf das Verhalten des Beklagten vor Erhebung der Stufenklage als Ganzes an. Die entscheidende Frage war also: Musste die Pflichtteilsberechtigte zum Zeitpunkt der Klageerhebung davon ausgehen, dass die Erbin ihren Pflichten insgesamt nicht freiwillig nachkommen würde?

Das Nachlassverzeichnis: Wurde wirklich geliefert, was gefordert war?

Die Pflichtteilsberechtigte argumentierte, die Erbin sei mit der Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses in Verzug gewesen. Dieses Argument ließ das Gericht nicht gelten. Es blickte auf das Schreiben vom 6. Dezember 2019 und stellte fest: Dort wurde ausdrücklich nur ein privatschriftliches Verzeichnis gefordert. Ein solches hatte die Erbin am 24. März 2020 auch – wenn auch vorläufig – geliefert.

Der Anspruch auf ein notarielles Verzeichnis nach § 2314 Abs. 1 BGB ist zwar gesetzlich vorgesehen, aber die Pflichtteilsberechtigte hatte ihn vorgerichtlich nie geltend gemacht. Sie konnte daher nicht behaupten, die Erbin sei mit einer Forderung in Verzug, die sie nie gestellt hatte. Die Klage war in diesem Punkt eine Eskalation, für die die Erbin keinen Anlass gegeben hatte.

Die Wertermittlung: War die Erbin säumig oder kooperativ?

Auch das Argument, die Erbin habe die Wertermittlung der Immobilien verzögert, verfing nicht. Das Gericht sah das Gegenteil als bewiesen an. Die Erbin hatte bereits vor Klageerhebung einen Sachverständigen beauftragt und die Gegenseite über den anstehenden Besichtigungstermin informiert. Dieses proaktive Handeln werteten die Richter als klares Zeichen von Kooperationsbereitschaft, nicht als Verweigerungshaltung. Eine schuldhafte Verzögerung lag nicht vor.

Die nachträglichen Forderungen: Warum spielten sie für die Kostenentscheidung keine Rolle?

Dass die Pflichtteilsberechtigte später im Prozess auch noch Gutachten für bewegliche Gegenstände forderte, änderte nichts an der Kostenentscheidung. Da diese Forderung vor der Klage nie erhoben worden war, konnte sie erst recht keinen Anlass für die ursprüngliche Klageerhebung begründet haben. Zusammenfassend sah das Gericht keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Pflichtteilsberechtigte hätte annehmen müssen, die Erbin würde ohne Klage nicht leisten. Ihr Verhalten vor Prozessbeginn deutete auf das genaue Gegenteil hin.

Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart ist mehr als nur ein Einzelfall. Sie verdeutlicht grundlegende Prinzipien, die jeder, der erbrechtliche Ansprüche geltend macht, kennen sollte. Sie dient als Mahnung, den Weg zum Gericht nicht leichtfertig zu beschreiten, sondern als letztes Mittel zu betrachten.

Die erste und wichtigste Lehre ist die Bedeutung präziser vorgerichtlicher Kommunikation. Bevor Sie eine Klage erheben, müssen Sie Ihre Forderungen klar, vollständig und nachweisbar an die Gegenseite richten. Wenn Sie ein notarielles Nachlassverzeichnis wünschen, müssen Sie dies auch explizit verlangen. Eine Klage, die über die vorgerichtlich gestellten Forderungen hinausgeht, birgt das erhebliche Risiko, dass Sie am Ende die Kosten tragen müssen, weil der Beklagte für diese neuen Forderungen keinen Anlass geben konnte. Der Grundsatz lautet: Geben Sie der anderen Seite eine faire Chance, Ihre Forderungen zu erfüllen, bevor Sie die Justiz bemühen.

Zweitens zeigt das Urteil die strategische Tragweite einer Stufenklage. Sie ist ein mächtiges Werkzeug, aber kein Freibrief für eine schrittweise Eskalation von Forderungen auf Kosten der Gegenseite. Die Gerichte betrachten die Klage als eine Einheit. Der Anlass für diese Klage muss bereits zum Zeitpunkt ihrer Einreichung bestehen. Wer eine kooperationsbereite Partei verklagt, weil die Informationsbeschaffung nicht schnell genug geht oder weil man seine Forderungen nachträglich verschärfen will, handelt auf eigenes finanzielles Risiko. Die Entscheidung der Richter basiert auf Fairness: Derjenige, der einen unnötigen Prozess vom Zaun bricht, soll auch für dessen Kosten aufkommen.

Die Urteilslogik

Wer ohne Notwendigkeit klagt, trägt das Risiko der gesamten Prozesskosten, selbst wenn der zugrundeliegende Anspruch materiell besteht.

  • Unnötige Klage zieht Kosten nach sich: Selbst wenn Kläger und Beklagter den Rechtsstreit für erledigt erklären, muss der Kläger die Prozesskosten tragen, sofern der Beklagte vor Klageerhebung keinen Anlass für den Gang vor Gericht gab oder proaktiv Kooperationsbereitschaft zeigte.
  • Präzision der vorgerichtlichen Forderung: Der Pflichtteilsberechtigte muss alle gewünschten Forderungen, insbesondere den Anspruch auf ein notarielles Nachlassverzeichnis, bereits vorgerichtlich klar und explizit geltend machen, um einen Verzug des Erben zu begründen.
  • Stufenklage als strategische Einheit: Gerichte beurteilen die Notwendigkeit einer Stufenklage im Ganzen anhand des Verhaltens des Beklagten zum Zeitpunkt der Klageeinreichung, wodurch nachträgliche Forderungserweiterungen oder Verzögerungen für die ursprüngliche Kostenentscheidung irrelevant werden.

Der Kläger darf Gerichtsverfahren nicht als Mittel zur Beschleunigung bereits laufender Informationsprozesse missbrauchen, sondern muss sie als ultima ratio betrachten.


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Experten Kommentar

Ein Pflichtteilsberechtigter ist im Recht, bekommt am Ende sein Geld – und zahlt trotzdem die gesamten Prozesskosten. Dieses Urteil zeigt eindrücklich, dass die Gerichte vorschnelle Klagen konsequent bestrafen. Das OLG Stuttgart zieht eine klare rote Linie: Entscheidend für die Kostenverteilung ist allein, ob der Erbe zum Zeitpunkt der Klageerhebung wirklich Anlass zur Klage gegeben hat. Wer gegen einen kooperativen Erben klagt, nur weil die Informationsbeschaffung nicht schnell genug läuft oder weil man die Forderungen erst vor Gericht verschärft, handelt auf eigenes finanzielles Risiko. Die Lektion für das Erbrecht lautet daher: Präzise vorgerichtliche Kommunikation und Geduld sind besser als die teure Eskalation einer unnötigen Stufenklage.


Das Bild zeigt auf der linken Seite einen großen Text mit "ERBRECHT FAQ Häufig gestellte Fragen" vor einem roten Hintergrund. Auf der rechten Seite sind eine Waage, eine Schriftrolle mit dem Wort "Testament", ein Buch mit der Aufschrift "BGB", eine Taschenuhr und eine Perlenkette zu sehen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wer trägt die Kosten bei einer übereinstimmenden Erledigung der Pflichtteils-Stufenklage?

Haben sich die Parteien in der Pflichtteils-Stufenklage geeinigt, fällt die Kostenentscheidung dem Gericht zu. Es entscheidet nach billigem Ermessen gemäß § 91a ZPO. Die Regel: Der Kläger trägt die Kosten, wenn der Erbe keinen Anlass zur Klage gegeben hat – selbst wenn der Pflichtteilsanspruch materiell unstrittig war.

Entscheidend für die Kostenverteilung ist nicht der Ausgang des Streits, sondern die Erfolgsaussicht zum Zeitpunkt der Klageerhebung. Die Richter prüfen, ob der Prozess ohne die Klage wahrscheinlich ausgegangen wäre, indem sie den Rechtsgedanken des § 93 ZPO anwenden. War der Erbe kooperativ und zeigte er Bereitschaft, seine Auskunfts- und Wertermittlungspflichten aktiv zu erfüllen, galt der Prozess als unnötig. Gerichtsverfahren dienen als letzter Ausweg, um Verweigerung zu brechen, nicht als primäres Mittel zur Beschleunigung.

Aktive Kooperation liegt vor, wenn der Erbe bereits vor Klageeinreichung Sachverständige beauftragt oder Besichtigungstermine ankündigt. Durch solche proaktiven Schritte signalisiert der Erbe, dass er seinen Pflichten nachkommt. Stellt das Gericht fest, dass die Klage unnötig war, muss der Kläger die gesamten Prozesskosten übernehmen. Diese umfassen alle Gerichtskosten und die Anwaltskosten beider Seiten für alle Stufen der eingereichten Klage.

Sichten Sie umgehend alle schriftlichen Kommunikationen des Erben, die vor Ihrer Klageerhebung stattfanden, um Kooperationsschritte zu bewerten.


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Wann muss ich ein notarielles Nachlassverzeichnis explizit vor der Klage verlangen?

Die Regel ist eindeutig: Sie müssen den Anspruch auf ein notarielles Nachlassverzeichnis nach § 2314 Abs. 1 BGB immer explizit und nachweisbar vorgerichtlich stellen. Fordern Sie im Vorfeld lediglich ein privatschriftliches Verzeichnis, gerät der Erbe nicht in Verzug, wenn er das notarielle Dokument nicht liefert. Gerichte sehen eine nachträgliche Forderungsverschärfung in der Klage als unnötige Eskalation an.

Präzision in der vorgerichtlichen Kommunikation ist entscheidend, um das Risiko der Kostentragung zu vermeiden. Hat der Pflichtteilsberechtigte nur ein privates Verzeichnis verlangt, erfüllt der Erbe seine Pflicht, indem er ein solches vorlegt. Fordern Sie dann erst in der Klageschrift ein notarielles Verzeichnis, gilt dies als eine neue, nicht angemahnte Forderung. Für diesen verschärften Anspruch hat der Erbe keinen Anlass zur Klage gegeben. Der Erbe kann nur mit der Forderung in Verzug geraten, die ihm vorher auch tatsächlich gestellt wurde.

Wird die Forderung nach einem notariellen Verzeichnis erst in der Stufenklage erhoben, kann Ihnen das Gericht die Kostentragung auferlegen. Denn die Klage ist in diesem Punkt unnötig, da der Erbe die ursprünglich geforderte Auskunft – das privatschriftliche Verzeichnis – bereits lieferte oder aktiv daran arbeitete. Die Klage darf strategisch nicht über die Ansprüche hinausgehen, die dem Erben vorher tatsächlich zur Erfüllung gestellt wurden.

Überprüfen Sie sofort Ihr ursprüngliches Schreiben an den Erben: Enthält es die konkrete Formulierung „Wir verlangen ein notarielles Nachlassverzeichnis gemäß § 2314 Abs. 1 BGB“?


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Wann liegt ein rechtlicher ‚Anlass zur Klage‘ gegen den Erben wegen des Pflichtteils vor?

Ein rechtlicher Anlass zur Klage liegt nicht vor, nur weil die Wertermittlung lange dauert. Gerichte werten nur eine klare Verweigerungshaltung des Erben als Klagegrund. Nur wenn der Erbe nachweislich die Erfüllung seiner Pflichten zur Auskunft und Wertermittlung komplett ablehnt oder schuldhaft blockiert, ist der Gang vor Gericht ohne Kostenrisiko gerechtfertigt. Allein die Dauer notwendiger logistischer Schritte, wie die Erstellung von Gutachten, gilt nicht als Klageanlass.

Pflichtteilsberechtigte müssen belegen, dass der Erbe keinen Willen zur Kooperation zeigt. Proaktive Handlungen des Erben, wie die frühzeitige Beauftragung eines Sachverständigen oder die Übersendung vorläufiger Dokumente, widerlegen die Annahme einer böswilligen Verzögerung. Die Zeit, die für aufwendige Schritte wie Immobiliengutachten benötigt wird, fällt unter normale logistische Abläufe. Solange der Erbe Termine und Fortschritte kommuniziert, fehlt der entscheidende Kooperationsbeweis für die Klage.

Der Anlass muss für die gesamte Stufenklage als Einheit bestehen; eine Klage ist keine Sammlung einzelner Streitpunkte. Nehmen wir an, der Erbe hat bereits Gutachter beauftragt, als Sie klagen – dieses aktive Handeln nimmt Ihnen den Anlass. Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied in einem ähnlichen Fall, dass die Klage unnötig war, da die Erbin Beweise für ihre Kooperationsbereitschaft lieferte. Die Richter sahen keinen Grund zur Annahme, sie würde ihre Pflichten nicht freiwillig erfüllen.

Dokumentieren Sie schriftlich die konkreten Fristen und die negativen Reaktionen des Erben, bevor Sie eine Klage als letztes Mittel einreichen.


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Ich habe zu früh geklagt: Muss ich die gesamten Prozesskosten der Stufenklage zahlen?

Ja, wenn das Gericht die Klage als unnötig betrachtet, müssen Sie als Kläger die gesamten Prozesskosten tragen. Die Stufenklage wird dabei als eine Einheit betrachtet, die in ihrer Gesamtheit einen Klageanlass benötigt. Nachträgliche Forderungen oder Teilerfolge in späteren Stufen ändern die ursprüngliche Kostenentscheidung nicht. Wer einen unnötigen Prozess vom Zaun bricht, trägt dessen finanzielle Last vollständig.

Die Kostenverteilung richtet sich nach dem Zeitpunkt, zu dem die Klage eingereicht wurde, und der Frage, ob der Erbe zu diesem Zeitpunkt bereits kooperativ war. Das Gericht prüft, ob die Pflichtteilsberechtigte davon ausgehen musste, dass der Erbe seinen Auskunfts- und Wertermittlungspflichten ohne gerichtlichen Zwang nicht nachkommen würde. Bestand kein Klageanlass, trägt der Kläger die Kosten für das gesamte Verfahren, einschließlich aller Gerichtskosten und Honorare für Sachverständige.

Der Grundsatz des unnötigen Prozesses führt dazu, dass nachträgliche Erweiterungen der Forderungen die ursprüngliche Kostenentscheidung nicht abmildern. Nehmen wir an: Der Pflichtteilsberechtigte fordert erst im laufenden Verfahren Gutachten für weitere bewegliche Gegenstände. Diese zusätzlichen Forderungen lagen vor der Klageerhebung nicht vor und können den ursprünglichen Anlass für den Prozess nicht begründen.

Kalkulieren Sie den maximalen Streitwert aller Stufen und legen Sie eine Rücklage für die Gesamtkosten beider Parteien an, um auf die höchstmögliche finanzielle Konsequenz vorbereitet zu sein.


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Warum führt kooperatives Verhalten des Erben vor Klage zu meiner Kostenpflicht?

Gerichtsverfahren dienen in der Ziviljustiz als letztes Mittel, um Ansprüche durchzusetzen – dies wird als Ultima Ratio Prinzip bezeichnet. Wenn der Erbe bereits vor der Klage aktiv kooperiert und seine Pflichten nicht verweigert, gibt er dem Kläger keinen Anlass für die Justizintervention. Der Pflichtteilsberechtigte, der trotzdem vorschnell klagt, löst einen unnötigen und kostspieligen Prozess aus, dessen Kosten er tragen muss.

Die Kostenentscheidung richtet sich in solchen Fällen nach dem Rechtsgedanken des § 93 ZPO. Dieser Grundsatz besagt, dass der Kläger die Kosten tragen muss, wenn der Beklagte vor Klageerhebung keinen Anlass zur Klage gegeben hat. Kooperatives Handeln des Erben, etwa die Beauftragung von Sachverständigen oder die Bereitstellung vorläufiger Nachlassverzeichnisse, widerlegt eine Verweigerungshaltung. Das Gericht prüft, ob der Erbe eine „faire Chance“ zur Erfüllung des Anspruchs erhielt, bevor die Klage eingereicht wurde.

Alleine die notwendige Zeit, die für eine vollständige Wertermittlung (beispielsweise bei Immobilien) benötigt wird, gilt nicht als Klageanlass. Wenn der Erbe jedoch proaktiv Gutachter beauftragt und die Gegenseite über anstehende Termine informiert, zeigt dies seine Bereitschaft zur Pflichterfüllung. Das Gericht wendet hier das Prinzip des gerechten Ermessens an und verlagert die volle Kostenlast auf denjenigen, der den Prozess unnötigerweise angestrengt hat.

Führen Sie ein Dringlichkeits-Protokoll und notieren Sie genau, welche konkreten Schritte der Erbe unternimmt, um eine unnötige Klage zu vermeiden.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Anlass zur Klage

Der Anlass zur Klage ist die juristische Prüfung, ob der Beklagte durch sein Verhalten dem Kläger einen berechtigten Grund für eine gerichtliche Zwangsvollstreckung geliefert hat. Das Gesetz schützt damit Parteien, die kooperativ sind: Wer seine Pflichten erfüllen will, soll nicht grundlos verklagt werden und dadurch Kosten tragen müssen. Dieses Prinzip sorgt dafür, dass Gerichtsverfahren die letzte Option bleiben.

Beispiel: Da die Erbin bereits vor Klageerhebung aktiv Sachverständige beauftragt und Termine angekündigt hatte, lag aus Sicht des Oberlandesgerichts Stuttgart kein Anlass zur Klage vor.

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Billiges Ermessen

Billiges Ermessen beschreibt den rechtlichen Entscheidungsspielraum eines Gerichts, der es Richtern erlaubt, eine gerechte und faire Kostenverteilung nach Beendigung eines Rechtsstreits zu treffen. Gemäß § 91a ZPO wird diese Regelung oft angewendet, wenn Parteien den Streit übereinstimmend für erledigt erklären und das Gericht nicht mehr über die eigentliche Hauptsache entscheiden muss. Richter prüfen dabei, wie das Verfahren hypothetisch ausgegangen wäre.

Beispiel: Das Landgericht Rottweil nutzte sein billiges Ermessen, um die gesamten Prozesskosten vollständig dem Kläger aufzuerlegen, da es die Stufenklage rückblickend als unnötig ansah.

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Nachlassverzeichnis

Ein Nachlassverzeichnis ist eine detaillierte Aufstellung aller Vermögenswerte und Schulden eines Verstorbenen, die der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten zur Berechnung des Anspruchs vorlegen muss. Dieses Dokument dient dem Zweck der Transparenz im Erbrecht, denn ohne genaue Kenntnis des Nachlasses könnte der Pflichtteilsberechtigte seinen Zahlungsanspruch nicht exakt beziffern. Die Vorlage kann privat oder notariell erfolgen.

Beispiel: Die Pflichtteilsberechtigte forderte ursprünglich ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis, beschwerte sich dann aber in der Stufenklage über das Fehlen eines notariellen Verzeichnisses.

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Pflichtteilsanspruch

Der Pflichtteilsanspruch ist ein gesetzlich garantierter Mindestanspruch, den nahe Angehörige (wie Kinder oder Ehepartner) trotz Enterbung gegen den Erben geltend machen können, meist in Form eines Geldanspruchs. Dieses Recht soll verhindern, dass Erblasser enge Familienmitglieder komplett von der Teilhabe am Erbe ausschließen, und sichert diesen einen Teil des Nachlasswerts. Der Anspruch beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.

Beispiel: Obwohl der Pflichtteilsanspruch der Klägerin dem Grunde nach unstrittig war, musste sie die gesamten Prozesskosten tragen, weil sie den Weg zum Gericht zu früh beschritten hatte.

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Rechtsgedanke des § 93 ZPO

Juristen bezeichnen mit dem Rechtsgedanken des § 93 ZPO das Prinzip, dass der Kläger die Prozesskosten trägt, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt und vor Klageerhebung keinen Anlass für den Streit gegeben hat. Diese Vorschrift überträgt die Kostenpflicht auf denjenigen Kläger, der einen kooperationsbereiten Schuldner vorschnell verklagt, und stellt sicher, dass unnötige gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden.

Beispiel: Die Richter wendeten den Rechtsgedanken des § 93 ZPO an, weil die Erbin vor Klageeinreichung durch proaktives Handeln ihre Kooperationsbereitschaft zur Wertermittlung klar dokumentiert hatte.

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Stufenklage

Die Stufenklage ist ein besonderes zivilprozessuales Instrument, das es dem Kläger ermöglicht, verschiedene, voneinander abhängige Ansprüche in mehreren Schritten gleichzeitig gerichtlich durchzusetzen. Diese Klageart ist besonders häufig im Erbrecht zu finden: Zuerst wird die Auskunft über den Nachlass gefordert, dann die Wertermittlung, um schließlich den Zahlungsanspruch beziffern zu können. Das Gericht betrachtet die Stufenklage jedoch als eine Einheit.

Beispiel: Die Pflichtteilsberechtigte reichte eine Stufenklage ein, obwohl die Erbin bereits ein vorläufiges Nachlassverzeichnis übermittelt und einen Sachverständigen für die Immobilien beauftragt hatte.

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Verzug

Verzug ist der juristische Zustand, in dem ein Schuldner seine geschuldete Leistung trotz Fälligkeit und Mahnung nicht erbringt und dadurch haftbar für die Verzögerung wird. Diese Regelung dient dazu, klare Fristen und Konsequenzen zu setzen, denn nur wenn der Erbe nachweislich in Verzug ist, weil er eine konkret geforderte Leistung verweigert, liegt ein berechtigter Grund für eine Klage vor.

Beispiel: Da die Klägerin vor Klageerhebung kein notarielles Verzeichnis verlangt hatte, konnte die Erbin mit der Lieferung dieses Dokuments auch nicht in Verzug geraten sein.

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Das vorliegende Urteil


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